„Clansystem der Somali“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Somalia tribes1977.jpg|mini| Verbreitung der Somali-Clans (1977){{Farblegende|olive|[[Dir (Clan)|Dir]]}}{{Farblegende|DarkSeaGreen|[[Isaaq]]}}{{Farblegende|#FF9|[[Darod]]}}{{Farblegende|lightblue|[[HawiyeHawiya]]}}{{Farblegende|#FC6|[[Rahanweyn]]}}{{Farblegende|green|Digil}}]]
 
Das '''Clansystem der Somali''' ist die [[Gesellschaft (Soziologie)|gesellschaftliche]] Organisationsform des [[ostafrika]]nischen Volkes der [[Somali (Ethnie)|Somali]] und spielt eine bedeutende Rolle in der Kultur und Politik des Landes [[Somalia]] und umliegender Somali-Gebiete. Jeder Somali gehört über seine vaterseitige Abstammungslinie ([[Patrilinearität|patrilinear]]) einem Stamm odereiner [[ClanLineage|Abstammungsgruppe]] an, ''reer'' genannt, der wiederumdie Teil eines größeren Clansverbandes[[Clan]]s ist, der wiederum zu einem größeren Clanverband gehört, und so fort. Alle Clans der Somali gehören letztlich zu einer der fünf oder sechs großen Clanfamilien ''(qaabiil)'', die sich von einem gemeinsamen [[Stammvater]] herleiten.<ref>Helen Chapin Metz: ''Lineage Segmentation and Civil War.'' In: Dieselbe (Hrsg.): ''Somalia: A Country Study.'' GPO for the Library of Congress, Washington 1992 (englisch; [http://countrystudies.us/somalia/43.htm online] auf countrystudies.us, ohne Seitenangaben).</ref> Eine solche Form der sozialen Organisation von gleichartigen und gleichrangigen AbstammungsgruppenGruppierungen wird als ''[[segmentäre Gesellschaft]]'' bezeichnet.
 
== Allgemeines ==
Die großen Clanfamilien ''(qaabiil)'' sind die [[HawiyeHawiya]], [[Darod]], [[Isaaq]], [[Rahanweyn]] (Reewin oder Digil-Mirifle) und [[Dir (Clan)|Dir]]. Dabei werden die Digil und die Mirifle zum Teil auch als zwei verschiedene Clans betrachtet, so dass es je nach Auffassung 5 oder 6 Clanfamilien gibt. Neben diesen großen Clanfamilien gibt es kleinere Gruppen wie die [[Yibir]] und [[Madhibaan]], die auf bestimmte Berufe begrenzt sind. Auch ethnische Minderheiten in Somalia wie die [[Benadiri]] und die „[[somalische Bantu|somalischen Bantu]]“ haben das Clansystem der Somali zum Teil als ihre gesellschaftliche Organisationsform übernommen. Die Anteile der einzelnen Clans an der Gesamtbevölkerung sind nicht zweifelsfrei bekannt und umstritten.
 
Die Clanzugehörigkeit wird über die [[Patrilinearität|Väterlinie]] vererbt ''(tol)'' der Abstammungsgruppe vererbt und ist anhand des Namens einer Person ersichtlich; auf den eigenen Namen folgt bei Männern und Frauen der Name des Vaters, des Großvaters, und so fort. Somali-Kinder lernen die Abfolge ihrer Vorväter über Dutzende Generationen hinweg [[Auswendiglernen|auswendig]].
 
Ihrer eigenen Überlieferung zufolge sollen alle Somali von ''Hill'' abstammen, der ein Nachkomme von [[Abū Tālib ibn ʿAbd al-Muttalib|Abu Talib]] gewesen sei, einem Onkel des [[Mohammed|Propheten Mohammed]]. Hills Nachfahre ''Samaale'' sei der gemeinsame Vorfahre der Dir, Isaaq, Darod und HawiyeHawiya, während aus ''Sab'', einem anderen Nachfahren, die Rahanweyn/Digil-Mirifle hervorgegangen seien. Die mehrheitlich nomadisch lebenden ''Samaal''-Clans gelten als „echte Somali“ mit reinerer arabischer Abstammung, während die mehrheitlich sesshaft lebenden ''Sab'' wegen Vermischung mit Schwarzafrikanern und „Galla“ ([[Oromo (Ethnie)|Oromo]]) genealogisch unrein sein sollen ''(lineally impure)''. Sie werden von Teilen der ''Samaal'' als nicht gleichberechtigt betrachtet und unterliegen traditionell einer gesellschaftlichen Benachteiligung.
 
Kleinste politische Einheiten sind die einzelnen Gruppen, die das für Verbrechen fällige [[Blutgeld]] (Arabisch ''diya'', [[Somali (Sprache)|Somali]] ''mag'' „Blut“)<ref>Mark Bradbury: ''Becoming Somaliland.'' Progressio u.&nbsp;a., London 2008,u.&nbsp;a. ISBN 978-1-8470-1310-12008, S. 16.</ref> gemeinsam bezahlen oder erhalten. Diese Gruppen werden ''reer'' genannt („Leute aus…“, „Nachkommen von…“) und umfassen jeweils bis zu Hunderten von Familien oder einige Hundert bis Tausend Männer. Wenn ein Mitglied eines solchen Clans ein Verbrechen begangen hat, beteiligen sich die übrigen Mitglieder im Rahmen einer [[Kollektivhaftung]] an der Zahlung der ''diya''.
 
Gemeinsame Merkmale aller Somali-Clans sind Sprache ([[Somali (Sprache)|Somali]]), Religion ([[Sunniten|sunnitischer Islam]]) und Kultur, mit gewissen Unterschieden.
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Die Clans haben traditionell kein Oberhaupt mit größeren Machtbefugnissen und kaum Hierarchien und Verwaltungsstrukturen ([[Akephalie|Herrschaftsfreiheit]]). Die [[Ältester|Ältesten]] sind Respekts- und Autoritätspersonen ([[Seniorität]]sprinzip), die in Versammlungen ''(shir)'' über Angelegenheiten des Clans wie Blutgeldzahlung oder Kriegserklärung beraten und einvernehmlich entscheiden ([[Konsensprinzip]]). Diese Versammlungen sind keine dauerhaften Institutionen, sondern werden nach Bedarf einberufen; bei größeren Konflikten können eine Art Sonderkomitees gebildet werden ''(guurti)''.
 
Innerhalb der Somali-Gesellschaft gibt es heute unterschiedliche Positionen zum Clansystem. Im 20. Jahrhundert betrachteten vor allem Somali, die im Ausland ausgebildet worden waren, das Clansystem als rückständig und strebten seine Abschaffung an. Im Zuge nationalistischer Bestrebungen, alle Somali in einem Staat zu einen ([[Groß-Somalia]]) zu einen, wurde deren Gemeinsamkeit betont und Unterschiede zwischen Clans weniger beachtet. So gab etwa die [[Somalische Jugendliga]] ''(Somali Youth League)'' als erste politische Partei Somalias, die in den Jahren nach der Unabhängigkeit die Politik des Landes dominierte, die Clanzugehörigkeit ihrer Führungsmitglieder nicht bekannt. Der Diktator [[Siad Barre]] erklärte im Rahmen seines „wissenschaftlichen Sozialismus“ die Clans zu gesellschaftlichen [[Soziale Klasse|Klassen]], die es zu überwinden gelte. Die Erwähnung von Clan-Namen und von Begriffen, die mit dem Clansystem verbunden sind, wurde verboten und reichte bisweilen aus, um verhaftet zu werden. Dies änderte jedoch wenig an der Bedeutung des Clansystems im Alltagsleben. Barre nutzte zudem selbst das Clansystem zu seinen Gunsten, indem er Clans gegeneinander aufbrachte und sich auf bestimmte Clans als Machtbasis abstütztestützte.
 
[[Frauenbewegung|Frauenrechtlerinnen]] kritisieren am somalischen Clansystem, dass es ausschließlich über die Männer funktioniere und Frauen praktisch keine politische Rolle darin hätten. So gründete die Friedensaktivistin [[Asha Haji Elmi]] die Bewegung ''Sixth Clan'', um die Bedeutung der Frauen als „sechsten Clan“ hervorzuheben.
 
Traditionell kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Clans um Wasser- und Weiderechte sowie um das für Verbrechen fällige [[Blutgeld]]. Solche Konflikte können sich zu [[Fehde]]n über Generationen hinweg auswachsen. Hierbei konnten kleinere, militärisch schwächere Clans [[Bündnis|Allianzen]] (''heer'' oder ''xeer'') mit stärkeren Clans eingehen, wobei sie zeremoniell „[[Adoption|adoptiert]]“ wurden und die Vorfahren des anderen Clans zu ihren eigenen erklärten ''(sheegad)''. Solche Allianzen wechselten jedoch oft, und Verrat aus strategischen Gründen kam nicht selten vor. Insbesondere die Rahanweyn in Südwestsomalia nahmen zahlreiche Mitglieder – darunter auch Galla (Oromo) und Schwarzafrikaner (''Jarir'' oder „[[somalische Bantu]]“) – durch Adoption auf, so dasssodass in etlichen ihrer Unterclans und Abstammungsgruppen ([[Lineage]]s) die ursprünglichen Clanmitglieder nur mehr eine kleine Minderheit ausmachen.<ref>Ioan M. Lewis: ''Understanding Somalia and Somaliland. Culture, History and Society.'' Hurst, London 2008, ISBN 978-1-85065-898-6, S. 4.</ref>
 
Die Clan-Ältesten sind dafür zuständig, bei Streitigkeiten innerhalb und zwischen Clans zu vermitteln. Für die Kriegsführung galten bestimmte Regeln und Ehrenkodizes, die es etwa verboten, Frauen und Kinder anzugreifen, Kleinvieh und Hausrat – die für das Überleben notwendig waren – zu plündern oder Wasserstellen zu zerstören. Diese Regeln wurden jedoch im [[Somalischer Bürgerkrieg|Bürgerkrieg in Somalia]] vielfach gebrochen. Zu einem erhöhten Konfliktpotenzial trug auch bei, dass in der Kolonialzeit die traditionelle Rolle der Ältesten verändert worden war (zum Teil wurde ihr Einfluss geschwächt, zum Teil wurden sie mit zuvor nicht vorhandenen Machtbefugnissen ausgestattet) und dass modernere Waffen eingeführt wurden.
 
Im Bürgerkrieg bilden Clans oft die Machtbasis für Kriegsparteien und [[KriegsherrWarlord]]en (Warlords)s. Der Krieg veränderte auch in verschiedenen Fällen die politischen Beziehungen zwischen Clans. So sind die HawiyeHawiya, die in der heftig umkämpften Landeshauptstadt [[Mogadischu]] dominieren, heute bis auf niedrige Ebenen von Unter-Unter-Unterclans miteinander verfeindet. Hingegen kam es in Nordostsomalia ([[Puntland]]) zu einer Einigung der Harti, die zuvor kaum als diese gemeinsame Gruppe, sondern vielmehr als Majerteen, Dolbohanta und Warsangeli agiert hatten.<ref>Mark Bradbury: ''Becoming Somaliland.'' Progressio u.&nbsp;a., London u.&nbsp;a. 2008, ISBN 978-1-8470-1310-1, S. 130.</ref>
 
{{Belege}}
== Übersicht der Clans und Subclans ==
Die folgende Tabelle bietet einen (unvollständigen) Überblick über die wichtigsten Clans; neben den aufgelisteten Clans gibt es verschiedene weitere kleinere Clans, und die genannten Clans untergliedern sich in weitere Stufen von Unterclans und [[Lineage]]s:
 
{| cellpadding="5"
|- valign="top"
| '''[[Darod]]'''
* Harti
** Dolbohanta (''Dhulbahante'')
* Majeerteen
** Majerteen (''Majeerteen'', ''Midjertén'', ''Migiurtini'')
** Warsangeli (''Warsangali'', ''Warsengeli'')
* Dashiishe
* Marehan (''Mareexaan'')
** reer diini
* Ogaadeen
** reer sharmaarke
* Ogadeni (''Ugaadeen'')
** Makaahiil
** Reer Cbadille
** Cawlyahan
** Reer isaaq
** Bahgari
** Cabdalle
* Awrtable
* Leelkase
* Geri
 
| '''[[Dir (Clan)|Dir]]'''
* Biimaal ''( Gaadsan)''
* Biyomaal (''Biomal'', ''Bimal'', ''Biimaal'')
* Gadabursi (''Gadabiirsey''Samaron)
* Ciise
* Madigaan(Madikaal)
* GadsanIsaaq (''Gaadsan'' Iidoor)
* Suure
* [[Issa (Clan)|Issa]] (''Ciise'') (Bevölkerungsmehrheit in [[Dschibuti]])
* Gurgure
* Suure (''Surre'', ''Akisho'', ''Akisha'', ''Akishe'', ''Gurgure'')
* Gariire
* Gurre
* Quranoyow(Garre)
* Bajimaal
* Jaarso
* Jiido
* Layiile ( Reer Aw Siciid)
* Akisho
* Wardey
 
| '''[[HawiyeHawiya]]'''
* Karanle HawiyeHawiya
** Kaariye
** Kidir
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** Waadeerre ama (Murusade)
* Abgal (Alternativschreibung ''Abgaal'')
* Ajuran (''(Ajuuraan'', ''Ujuuraan)'')
* Degodia
* Habar Gidir (''Habre Gedir'', ''Habar Gedir'', ''Habr Gidr'')
* Hawadle (''(Xawaadle)'')
** Sacad
** Ayr (Shiikhaal) ''Cayr(Sheekaal)'')
** Saleeban
* Hawadle (''Xawaadle'')
* (Shiikhaal) (''Sheekaal'')
* (Gaaljecel)
* (Dagoodiye)
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* (Jiidle)
 
| '''[[Isaaq]]'''
* Eidagalla
* Habar Awal
* Habar Toljaala (''Habar Tol Jaalo'')Jeclo
* Habar YunisYonis
* Eidagalla
* Araab
* Ayuub
* Cimran
 
| '''[[Rahanweyn]]'''
(''(Rahanwein'', ''Rahanwayn'', ''Rahanwiin'', ''Reewin'', auch ''Digil-Mirifle''; manchmal als zwei verschiedene Clans aufgefasst)
* Digil
* Mirifle
|}
 
== Quellen ==
* Helen Chapin Metz: ''Lineage Segmentation and Civil War.'' In: Dieselbe (Hrsg.): ''Somalia: A Country Study.'' GPO for the Library of Congress, Washington 1992 (englisch; [http://countrystudies.us/somalia/43.htm online] auf countrystudies.us).
* Mark Bradbury: ''Becoming Somaliland.'' Progressio, London 2008, ISBN 978-1-8470-1310-1, insbesondere S. 9–19: ''African Issues'' (englisch).
 
== Literatur ==
* Mark Bradbury: ''Becoming Somaliland.'' Progressio u.&nbsp;a., London u.&nbsp;a. 2008, ISBN 978-1-8470-1310-1, insbesondere S. 9–19: ''African Issues'' (englisch).
* [[Ioan M. Lewis]]: ''Blood and Bone. The Call of Kinship in Somali Society.'' Red Sea, Lawrenceville 1994, ISBN 0-932415-93-8 (englisch; {{Google Buch| Land=DE| BuchID=9fAjtruUXjEC| Linktext=Leseprobe}}).
* Ioan M. Lewis: ''Understanding Somalia and Somaliland. Culture, History and Society.'' Hurst, London 2008, ISBN 978-1-85065-898-6 (englisch).
* Helen Chapin Metz: ''Lineage Segmentation and Civil War.'' In: Dieselbe (Hrsg.): ''Somalia: A Country Study.'' GPO for the Library of Congress, Washington 1992 (englisch; [http://countrystudies.us/somalia/43.htm online] auf countrystudies.us, ohne Seitenangaben).
 
== QuellenWeblinks ==
*{{Internetquelle
| zugriff = 2014-08-01
| autor = Janine Graf
| titel = Becoming Somaliland „…one thorn bush at a time…“
| url = http://www.culturaldiplomacy.org/academy/content/pdf/participant-papers/2012-12-aaccd/Becoming_Somaliland_-_Janine_Graf.pdf
| hrsg = Academy for Cultural Diplomacy ICD
| datum = 2012-12
| sprache = en
| format = PDF; 322&nbsp;kB
|kommentar= 11&nbsp;Seiten; Studienarbeit Universität Kent
}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
[[Kategorie:Ethnie in Somalia]]
[[Kategorie:Politik (Somalia)]]