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'''''Amphimoschus''''' ist eine ausgestorbene Gattung der [[Stirnwaffenträger]]. Sie lebte im Unteren und Mittleren [[Miozän]] von vor rund 20 bis 13 Millionen Jahren. Der Verbreitungsschwerpunkt befand sich im heutigen [[Westeuropa|West-]] und [[Mitteleuropa]], wo [[Fossil]]ien der Gattung von mehr als 50 Fundstellen überliefert sind. Einzelne Nachweise stammen auch aus [[Ostasien]]. Das Fundmaterial besteht weitgehend aus Gebiss- und Schädelresten. Es zeigt einen mittelgroßen Vertreter der Stirnwaffenträger an, der allerdings nicht über Stirnwaffen in Form von Hörnern oder Geweih verfügte. Charakteristisch sind vor allem der kräftige Schädelbau, die verlängerten oberen [[Eckzahn|Eckzähne]] und ein komplexerer dritter unterer Mahlzahn. Die Verwandtschaftsverhältnisse von ''Amphimoschus'' waren lange Zeitsind ungeklärt. Neuere [[Phylogenese|stammesgeschichtliche]] Untersuchungen verweisen die Form einerseits in die Nähe des heutigen [[Gabelbock]]s, oderandererseits auch an die Basis der Entwicklung der [[Hornträger]] oder der [[Hirsche]]. Die Gattung wurde im Jahr 1873 wissenschaftlich eingeführt. HeuteEs sindist zweieine ArtenArt anerkannt.
 
== Merkmale ==
[[Datei:Amphimoschus cranium adult - Mennecart et al 2021.png|mini|links|hochkant|Schädel von ''Amphimoschus'']]
''Amphimoschus'' war ein mittelgroßer Vertreter der Stirnwaffenträger, der ein geschätztes Körpergewicht von 4036 bis 47&nbsp;kg aufwies. Er ist von zahlreichem Gebiss- und Schädelmaterial überliefert, von dem aber das wenigste vollständig erhalten blieb. Dem gegenüber sind Teile des [[postcranial]]en Skeletts selten. Das vorhandene Fundmaterial repräsentiert Individuen verschiedener Altersstufen. Der Schädel war massiv gebaut. Die [[Nasenbein]]e verliefen schmal und langgestreckt und hatten etwas gebogene Seitenkanten. Der Kontakt mit dem [[Stirnbein]] war gerade. Ein seitlicher Fortsatz des Nasenbeins bildete den oberen Rand der [[Orbita]]. Mit dem [[Tränenbein]] stand es nicht in Verbindung, da vor den Augenfenstern eine kleine Lücke auftrat. Auf dem Tränenbein fehlte die [[Fossa lacrimale]], eine Vertiefung für den [[Tränensack]]. Dafür kam eine für [[Hirsche]] typische gedoppelte Tränenöffnung am Rand der Orbita vor, während [[Hornträger]] häufig nur eine einfache haben. Das [[Foramen infraorbitale]] war weit und in Längsrichtung gestreckt. Sein äußerer Rand lag oberhalb der Vorderkante des zweiten [[Prämolar]]en, die innere Öffnung am Kontakt vom zweiten zum dritten Prämolaren. Einige Individuen wiesen oberhalb der Orbita kräftige Wulste auf, die im Innern aus [[Substantia spongiosa|spongiosem]] Material bestanden. Eindeutige Hinweise auf Stirnwaffen gibt es bei ''Amphimoschus'' jedoch nicht. Verschiedentlich trat vor den Augenöffnungen auch eine weitere Erhöhung auf. Der Oberkiefer endete hinter dem letzten Mahlzahn. Die [[Jochbogen|Jochbögen]] waren von kräftigem Bau, der hintere Ansatz am [[Jochbein]] bog leicht zurück. Auf den [[Scheitelbein]]en erhob sich ein massiver [[Scheitelkamm]], der nach hinten bis zum Querwulst des [[Hinterhauptsbein]]es reichte und mit diesem einen Knoten formte. Das Hinterhauptsbein selbst war sehr hoch mit einem deutlich vorstehenden Querwulst. Die Gelenkflächen zur Aufnahme der Halswirbelsäule wiesen eine dreieckige Form auf. An der Schädelbasis bestanden verlängerte [[Paukenblase]]n.<ref name="Mennecart et al. 2010" /><ref name="Mennecart et al. 2021" /><ref name="Li et al. 2021" />
 
[[Datei:Amphimoschus dentaries2 - Mennecart et al 2021.png|mini|links|hochkant|Unterkiefer von ''Amphimoschus'']]
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Vom Gebiss ist weitgehend die hintere Bezahnung bekannt. Jedoch sind auch die [[Eckzahn|Eckzähne]] überliefert. Der obere war stark vergrößert und deutlich gekrümmt, zur Spitze hin bekam er einen dreieckigen Querschnitt. Seine Wurzel verlief in einem großen Bogen durch den Oberkiefer. Sowohl im oberen als auch im unteren Gebiss trennte ein deutliches [[Diastema (Zoologie)|Diastema]] den Eckzahn von der hinteren Zahnreihe. Die Lücke entsprach in etwa der Länge der jeweiligen [[Prämolar]]enreihe. Im Oberkiefer verlief der Bereich stark nach oben eingedellt, wie es von heutigen [[Hausrind]]ern bekannt ist, aber abweichend von den [[Moschustiere]]n mit ihrem geraden Verlauf. Im Unterkiefer war hier ein scharfer Grat ausgebildet. Die hintere Zahnreihe begann jeweils mit dem zweiten Prämolaren, der erste war demnach nicht mehr ausgebildet. Auffallend ist die zunehmende Molarisierung der Prämolaren vom vordersten zum hintersten Zahn. Dadurch änderte sich ihr Querschnitt im Oberkiefer von einer Ovalform am zweiten zu einer Dreiecksform am vierten. Alle Prämolaren wiesen jeweils eine hohe Spitze auf, die lippenseitig stand. Die Molaren waren typisch für viele Stirnwaffenträger deutlich [[selenodont]] gebaut, also mit mondsichelartig verlaufenden [[Zahnschmelz]]leisten. In der Regel wiesen die Molaren zwei Leistenpaare auf. Eine Ausnahme bildete der letzte untere Molar, der eine dritte Leiste besaß. Seine Länge betrug dadurch 1,8 bis 2,0&nbsp;cm, während die vorderen beiden Mahlzähne in der Regel zwischen 1,2 und 1,4&nbsp;cm lang wurden. Die oberen Molaren hingegen verloren vom ersten zum dritten Zahn an Komplexität. Sie maßen ebenfalls zwischen 1,2 und 1,4&nbsp;cm in der Länge. Die jeweiligen Leisten der Mahlzähne waren mit Höckern verbunden, die im nicht abgekauteten Zustand vergleichsweise weit aufragten, so dass hohe Zahnkronen entstanden. An den unteren Mahlzähne setzte am vorderen Zahnrand ein deutliches Cingulid an, ein niedriger Zahnschmelzwulst.<ref name="Sach et al. 2001" /><ref name="Mennecart et al. 2021" />
 
Vom Körperskelett liegen nur wenige Reste vor, die hauptsächlich die Gliedmaßen betreffen. Diese waren allgemein schlank gebaut. Vollständig sind jedoch weitgehend nur die [[Mittelhandknochen|Mittelhand-]] und [[Mittelfußknochen]] sowie einzelne [[Fußwurzelknochen]] zuzüglich einiger [[Phalanx (Anatomie)|Phalangen]] überliefert. Die Metapodien waren bereits als typisches [[Kanonenbein]] entwickelt und bestanden demzufolge aus den miteinander verwachsenen Strahlen III und IV. Der Sulcus, also die tiefe Furche entlang der Mittelachse des Schaftes, welche die Verwachsungsstelle anzeigt, war nicht durchgehend ausgebildet, sondern endete oberhalb des unteren Gelenkendes. Dies entspricht weitgehend den Verhältnissen bei den heutigen [[Hirsche]]n, weicht aber von den [[Hornträger]]n ab. An den Zehenknochen zeichnete sich das Endglied durch seine außerordentliche Länge aus.<ref name="Sanchez et al. 2024" />
 
== Fossilfunde ==
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Funde von ''Amphimoschus'' sind überwiegend aus [[Westeuropa|West-]] und [[Mitteleuropa]] überliefert. Insgesamt sind mehr als 50 Fundstellen bekannt, die entsprechendes [[Fossil]]material lieferten. Diese verteilen sich über [[Frankreich]], dem südlichen [[Deutschland]], der [[Schweiz]] und [[Tschechien]]. In Frankreich stammt ein Großteil aller bekannten Reste aus einem Gebiet südwestlich von [[Paris]], das die Départements [[Département Maine-et-Loire|Maine-et-Loire]], [[Département Indre-et-Loire|Indre-et-Loire]], [[Département Loir-et-Cher|Loir-et-Cher]] und [[Département Loiret|Loiret]] einschließt. Hier befindet sich mit [[Thenay (Loir-et-Cher)|Thenay]] auch die Typusfundstelle der Gattung. Abgetrennt davon sind einzelne weitere Funde aus dem südwestfranzösischen Département [[Département Gers|Gers]] bekannt. Deutsche und schweizerische Fundpunkte beschränken sich weitgehend auf das Gebiet des [[Molassebecken]]s und der nördlich daran angrenzenden Mittelgebirge wie der [[Fränkische Alb|Fränkischen Alb]].<ref name="Kaiser et al. 2007" /> Jedoch ist mit dem [[Tagebau Hambach]] in der [[Niederrheinische Bucht|Niederrheinischen Bucht]] ein sehr weit nördlich gelegener Fundpunkt erreicht.<ref name="Mörs et al. 2000" /> Zeitlich reichen die Funde vom Unteren [[Miozän]] bis in das Mittlere Miozän, was die [[Chronostratigraphie|chronostratigraphischen]] Abschnitte vom [[Orleanium]] bis zum [[Astaracium]] umfasst. Der absolutchronologische Zeitraum grenzt sich dadurch auf 20 bis rund 13 Millionen Jahren ein. Die ältesten Funde kamen bisher in [[Chilleurs-aux-Bois]] im Département Loiret zu Tage und bestehen aus einzelnen Kieferfragmenten und isolierten Zähnen. Ähnlich alt oder unwesentlich jünger dürften die Reste von [[Wildensbuch]] bei [[Trüllikon]] im Kanton [[Kanton Zürich|Zürich]] sein, die neben umfangreichem Zahnmaterial auch einige Schädel einschließen. Die jüngsten Fossilien sind in [[Griesbeckerzell]] und [[Hohenraunau]] im Regierungsbezirk [[Schwaben (Bayern)|Schwaben]] aufgedeckt worden, sie setzen sich weitgehend nur aus einzelnen Zähnen zusammen. Bedeutendes Schädelmaterial liegt aus [[Artenay]] im Département Loiret, aus [[Käpfnach]] im Kanton Zürich und aus [[Langenau]] in [[Baden-Württemberg]] vor.<ref name="Leinders 1984" /><ref name="Sach et al. 2001" /><ref name="Mennecart et al. 2021" />
 
Unabhängig von den europäischen Funden wurden vereinzelt auch Reste von ''Amphimoschus'' aus [[Ostasien]] berichtet, so aus den [[Volksrepublik China|chinesischen]] Provinzen [[Jiangsu]] und [[Gansu]].<ref name="Li et al. 1983" /><ref name="Wang et al. 2003" /> Aus letzterer kam aus der Region Xishuigou recht umfangreiches Material zum orschein, das Schädel und Gebissreste einschließt. Es lagerte in der [[Tiejianggou-Formation]] und ist zwischen 19,7 und 17 Millionen Jahre alt.<ref name="Li et al. 2021" /> Einige weitere Angaben entstammen aber weitgehend Faunenlisten und das zugehörige Fundmaterial wurde bisher nicht in umfangreichere Aufarbeitungen einbezogen, so dass unklar bleibt, ob es sich tatsächlich um ''Amphimoschus'' handelt.<ref name="Mennecart et al. 2021" /> Ebenso wurde in einem Konferenzbeitrag aus dem Jahr 2013 auf ein Schädel aus [[Taiwan (Insel)|Taiwan]] verwiesen.<ref name="Rössner et al. 2013" />
 
== Paläobiologie ==
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Aufgrund des zahlreichen Fundmaterials, das Individuen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien einschließt, lässt sich die [[Individualentwicklung]] nachvollziehen. Ein Schädel von [[Langenau]] weist bis auf den durchgebrochenen ersten [[Molar (Zahn)|Molaren]] noch die Backenzähne des [[Milchgebiss]]es auf und gehört im Vergleich mit heutigen [[Wiederkäuer]]n wohl zu einem dreimonatigen Jungtier. Von der gleichen Fundstelle liegt ein Schädel mit einem durchbrochenen dritten Molaren vor, der dementsprechend einem zweijährigen Tier zuordbar ist. Hier zeigt sich zusätzlich, dass sich der massige [[Scheitelkamm]] erst später herausbildete. Andere Funde ausgewachsener Tiere lassen wiederum einzelne Zähne missen, so bei einem Schädel aus [[Wildensbuch]]. Dies könnte auf [[Pathologie]]n oder den Verlust der Zähne im Verlauf des Lebens schließen lassen. Das gleiche Exemplar besitzt zudem kräftige Wulstbildungen auf der Stirn oberhalb der [[Orbita]]. Ähnliches ist von den [[Muntjakhirsche]]n bekannt, bei denen diese Wülste in Verbindung mit ihren [[Geweih]]en stehen. Bisher ist jedoch von ''Amphimoschus'' keine Stirnwaffe überliefert.<ref name="Mennecart et al. 2021" />
 
AnhandDie deraufgefundenen BackenzähneReste des Körperskelettsverweisen auf ein Tier mit ihrenlangen moderatschlanken hohenBeinen, deren unteren Abschnitte an den Zahnkronenvorderen und demhinteren typischGliedmaßen ''selenodonten''gleichlang Kauflächenmusterwaren wird. aufDer eineFuß Ernährungbesaß beijeweils zwei weitgespreizte Zehen, die in einem ''Amphimoschus''Winkel von weichergut (''browsing'')34 bis° gemischterauseinanderstanden. PflanzenkostVor (''mixedallem feeder'')das ausgegangenletzte Zehenglied mit erstererden inHufen denwar eheraußerordentlich feuchtenflach. LandschaftenDiese wieKonfiguration sieist imheute unter anderem bei [[MiozänMoschustiere]]n des heutigenund [[Molassebecken|MolassegebietesSitatungas]] bestanden,ausgebildet. Letztere leben in Wäldern mit letztererfeuchtem möglicherweiseUntergrund, inerstere denbewegen [[karst]]igensich Regionendamit derdurch heutigenein Mittelgebirge.<refgroßes name="KaiserRepertoir etvon al.unterschiedlichen 2007"Landschaftstypen, />angefangen von Wäldern über felsiges Terrain bis hin zu schneebedeckten Regionen.<ref name="MennecartSanchez et al. 20212024" /> An dem [[Mittelhandknochen]] eines Individuums aus Langenau ist die sagittale Knochenleiste der unterem Gelenkfläche nur wenig erhaben. Es kann daher vermutet werden, dass ''Amphimoschus'' nur wenig zu [[Prellspringen|Prellsprüngen]] befähigt war, die vor allem von den [[Springböcke]]n ausgeübt werden.<ref name="Leinders 1984" />
 
Anhand der Backenzähne mit ihren moderat hohen Zahnkronen und dem typisch ''selenodonten'' Kauflächenmuster wird auf eine Ernährung bei ''Amphimoschus'' von weicher (''browsing'') bis gemischter Pflanzenkost (''mixed feeder'') ausgegangen mit ersterer in den eher feuchten Landschaften wie sie im [[Miozän]] des heutigen [[Molassebecken|Molassegebietes]] bestanden, mit letzterer möglicherweise in den [[karst]]igen Regionen der heutigen Mittelgebirge.<ref name="Kaiser et al. 2007" /><ref name="Mennecart et al. 2021" />
 
== Systematik ==
{{userboxtop|toptext=<small>Phylogenetische Stellung von ''Amphimoschus'' innerhalb der Stirnwaffenträger nach LiSanchez et al. 20212024<ref name="LiSanchez et al. 20212024" /></small>}}
{{Klade|style=white-space:nowrap;font-size:75%;line-height:100%
|label1=[[Ruminantia]]&nbsp;
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|label2=[[Stirnwaffenträger|Pecora]]&nbsp;
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|label1=[[Ruminantia]]&nbsp;
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''Amphimoschus'' ist eine ausgestorbene [[Gattung (Biologie)|Gattung]] aus der [[Ordnung (Biologie)|Ordnung]] der [[Paarhufer]] (Artiodactyla). Innerhalb dieser kann sie aufgrund des Baus der Gliedmaßen mit den beiden vollständig verwachsenen mittleren [[Mittelhandknochen|Mittelhand-]] und [[Mittelfußknochen]], aber auch dem vergrößerten hinteren unteren [[Prämolar]]en und der vollständigen [[Selenodont]]ie der Mahlzähne in die Gruppe der [[Stirnwaffenträger]] (Pecora) eingereiht werden. In der Vergangenheit wurden verschiedene Verwandtschaftsverhältnisse postuliert. Die weiterführenden Einschätzungen basierten zumeist auf Zahnmerkmalen, da Schädelmaterial erst relativ spät bekannt wurde. Bei diesen macht wiederum das Fehlen von Stirnwaffen eine genauere Zuweisung schwierig.<ref name="Mennecart et al. 2010" /> Unter anderem schien eine engere Bindung an die [[Hoplitomerycidae]] möglich, wobei ''Amphimoschus'' als Vorfahr von ''[[Hoplitomeryx]]'' angenommen wurde, einem Tier mit zwei Hornpaaren, einem zusätzlichen mittleren Horn und verlängerten oberen [[Eckzahn|Eckzähnen]]. Die Verwandtschaft wurde teilweise mit der Ausbildung einer dritten Leiste mit einem gedoppelten, mondsichelförmigen Verlauf des [[Zahnschmelz]]es auf dem unteren hintersten Mahlzahn erklärt.<ref name="Leinders 1984" /><ref name="Mennecart et al. 2012" /> Andere Autoren vermuteten Beziehungen zum Umfeld der [[Hirsche]] (Cervidae) oder der [[Hornträger]] (Bovidae).<ref name="Gentry et al. 1999" /><ref name="Mörs et al. 2000" /> Letzteres wurde in einer [[Stammesgeschichte|phylogenetischen]] Studie aus dem Jahr 2021 favorisiert. Als Hinweise hierfür gelten die Aufwölbung über den Augen bei einzelnen Individuen, die möglicherweise eine initiale Hornentwicklung anzeigen. Auch der Wulst vor den Augen, der bei verschiedenen frühen Hornträgern ebenfalls besteht, könnte ein Indiz dafür sein.<ref name="Li et al. 2021" /> Eine weitere phylogenetische Untersuchung aus dem gleichenfolgenden Jahr an zahlreichem Fossilmaterial vom ''Amphimoschus'' erbrachte hingegen eine nähere Verwandtschaft zu den [[Gabelhornträger]]n (Antilocapridae), die heute lediglich mit dem [[Gabelbock]] (''Antilocapra'') in [[Nordamerika]] vertreten sind, allerdings über einen auf dem Kontinent reichhaltigen [[Fossilbericht]] bis in das Untere [[Miozän]] hinein verfügen. Dadurch traten sowohl die ersten Vertreter der Gabelhornträger als auch ''Amphimoschus'' etwa zeitgleich auf. Höchstwahrscheinlich wanderten die Gabelhornträger aus [[Eurasien]] nach Nordamerika ein, da bisher keine älteren Stirnwaffenträger auf dem Doppelkontinent gefunden wurden. Die mögliche Beziehung zwischen ''Amphimoschus'' und den Gabelhornträgern drückt sich vor allem in der Struktur des [[Innenohr]]s aus, etwa bei dem [[Gleichgewichtsorgan]] oder den [[Bogengänge]]n. Es finden sich darüber hinaus auch einzelne Hinweise in der Topographie der Kauoberflächen der hinteren Backenzähne. Des Weiteren unterscheidet sich ''Amphimoschus'' von frühen Angehörigen der Verwandtschaft der Hirsche in der höheren Anzahl von Windungen der [[Gehörschnecke]] (2,75 gegenüber 2,0).<ref name="Mennecart et al. 2021" /> Allerdings bestehen hier wieder Übereinstimmungen im Aufbau des Fußes, da sowohl bei heutigen Hirschen wie bei ''Amphimoschus'' der [[Mittelfußknochen]] über eine vor dem unteren Gelenkende abschließende Mittelrille (Sulcus) verfügt, während diese bei den Hornträgern und Giraffen offen ist.<ref name="Sanchez et al. 2024" />
 
[[Datei:Amphimoschus - Bourgeois 1873.png|mini|hochkant|Das von [[Louis Bourgeois (Geistlicher)|Louis Bourgeois]] 1873 publizierte Originalfundmaterial ''Amphimoschus'', Nr. 3 bildet heute den [[Lectotyp]]]]
Die Gattung ''Amphimoschus'' wurde im Jahr 1873 von [[Louis Bourgeois (Geistlicher)|Louis Bourgeois]] wissenschaftlich [[Erstbeschreibung|erstbeschrieben]]. Als Basis für seine Beschreibung dienten ihm einzelne Zähne, ein Unterkieferfragment, ein unteres [[Oberarm]]fragment und ein [[Mittelfußknochen]] aus [[Thenay (Loir-et-Cher)|Thenay]] im zentralen [[Frankreich]]. Bourgeois legte hierbei aber keinen [[Holotyp]]us fest.<ref name="Bourgeois 1873" /> Erst im Jahr 2021 wurde mit dem bereits von Bourgeois abgebildeten Unterkieferfragment (Exemplarnummer [[Muséum national d’histoire naturelle|MNHN]].FP.876) ein Lectotyp ausgewählt. Dieser besteht aus einem rechten Ast mit der erhaltenen Zahnreihe vom dritten [[Prämolar]]en bis zum zweiten [[Molar (Zahn)|Molaren]] und zusätzlich noch den [[Zahnfach|Alveolen]] des [[Eckzahn]]s und des zweiten Prämolaren. Gemeinsam mit weiteren Paralectotypen, verschiedenen Zähnen und Kieferfragmenten, kam dieser in der [[Formation Sables et Marnes du Blésois]] zu Tage und weist ein Alter von 16,5 bis 15,5 Millionen Jahren auf.<ref name="Mennecart et al. 2021" /> Die Bezeichnung ''Amphimoschus'' bezieht sich auf die vom Bourgeois vermutete nähere Verwandtschaft zu den [[Moschustiere]]n (Moschidae). Mit ''Amphimoschus ponteleviensis'' stellte Bourgeois eine Art auf, deren [[Artepitheton]] auf die nahe zur Fundstelle gelegenen Stadt [[Pontlevoy]] verweist.<ref name="Bourgeois 1873" /> EineEs weitereist Artder beschriebeneinzige [[Li Yi-Kun]] und Kollegen im Jahr 2021 mit ''Amphimoschus xishuiensis'', deren Belegmaterial aus dem östlichen Asien stammt. Dadurch sindbis heute zweianerkannte eindeutige VertreterAngehörige der Gattung anerkannt:<ref name="Li et al. 2021" />
* ''Amphimoschus ponteleviensis'' {{Person|[[Louis Bourgeois (Geistlicher)|Bourgeois]]}}, 1873
* ''Amphimoschus xishuiensis'' {{Person|[[Li Yi-Kun|Li]], [[Bastien Mennecart|Mennecart]], [[Manuela Aiglstorfer|Aiglstorfer]], [[Ni Xi-Jun|Ni]], [[Li Qiang (Paläontologe)|Li]] & [[Tao Deng|Tao]]}}, 2021
 
Bereits im Jahr 1838 hatte [[Hermann von Meyer]] eine Art namens ''Cervus lunatus'' erwähnt, die er mit einzelnen Zähnen aus [[Käpfnach]] in der Schweiz in Verbindung brachte. Jedoch weder beschrieb er die Funde genauer noch bildete er sie ab.<ref name="Meyer 1838" /> Folgende Untersuchungen erbrachten in Käpfnach neben einzelnen Zähnen von eindeutigen Vertretern der Hirsche auch solche, die zu ''Amphimoschus'' zu stellen sind. [[Hans Georg Stehlin (Paläontologe)|Hans Georg Stehlin]] vereinte daher im Jahr 1925 ''Cervus lunatus'' mit ''Amphimoschus''. Unabhängig davon wies [[Lucien Mayet]] bereits 1908 mit ''Amphimoschus artenensis'' eine weitere Art aus [[Artenay]] im nord-zentralen Frankreich aus und gründete sie auf einzelnen Unterkieferresten.<ref name="Mayet 1908" /> Von diesen beiden Arten repräsentierte ''Amphimoschus ponteleviensis'' die jüngere und größere Form. Weitere Unterschiede wurden in der Kronenhöhe der Backenzähne und in einzelnen Zahnmerkmalen herausgearbeitet. Im Zuge einer Revision der Gattung durch ein Forscherteam um [[Bastien Mennecart]] im Jahr 2021 unter Berücksichtigung von mehr als 250 Fundobjekten und 780 Zähnen von verschiedenen Fundstellen konnten aber keine signifikanten Differenzen zwischen ''Amphimoschus ponteleviensis'' und ''Amphimoschus artenensis'' festgestellt werden. Eine im Jahr 2010 anhand von Unterkiefervariationen postulierte Art ''Amphimoschus elegans'', die allerdings nie beschrieben wurde,<ref name="Raia et al. 2010" /> stellt möglicherweise ein Verwechslung mit ''[[Amphitragulus]]'' dar, einem relativ urtümlichen Stirnwaffenträger aus dem [[Oligozän]] Europas.<ref name="Mennecart et al. 2021" /> Die im Jahr 2022 anhand eines zerdrückten Schädels sowie einzelner Gebissreste aus der [[Tiejianggou-Formation]] in der [[Volksrepublik China|chinesischen]] Region Xishuigou in [[Ostasien]] beschriebene Art ''Amphimoschus xishuiensis''<ref name="Li et al. 2021" /> wurde drei Jahre später der Gattung ''[[Dimidiomeryx]]'' zugeschlagen. Das Alter der Funde beträgt 19,7 und 17 Millionen Jahre. Die Form steht den Hornträgern näher.<ref name="Sanchez et al. 2024" />
 
== Literatur ==
* Li Yi-Kun, Bastien Mennecart, Manuela Aiglstorfer, Ni Xi-Jun, Li Qiang, Tao Deng: ''The early evolution of cranial appendages in Bovioidea revealed by new species of Amphimoschus (Mammalia: Ruminantia) from Cina.'' In: ''Zoological Journal of the Linnean Society.'' 2021, [[doi:10.1093/zoolinnean/zlab053]]
* Bastien Mennecart, Grégoire Métais, Loïc Costeur, Léonard Ginsburg, Gertrud E. Rössner: ''Reassessment of the enigmatic ruminant Miocene genus Amphimoschus Bourgeois, 1873 (Mammalia, Artiodactyla, Pecora).'' In: ''PLoS ONE.'' Band 16, Nr. 1, 2021, S. e0244661, [[doi:10.1371/journal.pone.0244661]]
 
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<ref name="Gentry et al. 1999">Alan W. Gentry, Gertrud E. Rössner, Elmar P. J. Heizmann: ''Suborder Ruminantia.'' In: Gertrud E. Rössner, Kurt Heissig (Hrsg.): ''The Miocene land mammals of Europe.'' München 1999, S. 225–249.</ref>
<ref name="Mörs et al. 2000">Thomas Mörs, Fritz von der Hocht, Bertram Wutzler: ''Die erste Wirbeltierfauna aus der miozänen Braunkohle der Niederrheinischen Bucht (Ville-Schichten, Tagebau Hambach).'' In: ''Paläontologische Zeitschrift.'' Band 74, Nr. 1/2, 2000, S. 145–170.</ref>
<ref name="Bourgeois 1873">L.-A. Bourgeois: ''Note sur l’Amphimoschus ponteleviensis.'' In: ''Journal de Zoologie.'' Band 2, 1873, S. 235–236 ([https://www.biodiversitylibrary.org/item/44776#page/265/mode/1up biodiversitylibrary.org]).</ref>
<ref name="Mayet 1908">Lucien Mayet: ''Étude des mammifères miocènes des sables de l’Orléanais et des faluns de la Touraine.'' In: ''Annales de l'Université de Lyon.'' NS 24, 1908, S. 1–336 (S. 141–142) ([https://www.biodiversitylibrary.org/item/112878#page/157/mode/1up biodiversitylibrary.org])</ref>
<ref name="Meyer 1838">Hermann von Meyer: ''Mitteilung an Prof. Bronn gerichtet.'' In: ''Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefaktenkunde.'' 1938, S. 413–418 ([https://www.biodiversitylibrary.org/item/110809#page/433/mode/1up biodiversitylibrary.org]).</ref>
<ref name="Raia et al. 2010">Pasquale Raia, Francesco Carotenuto, Carlo Meloro, Paolo Piras, Diana Pushkina: ''The shape of contention: adaptation, history, and contingency in ungulate mandibles.'' In: ''Evolution.'' Band 64, Nr. 5, 2010, S. 1489–1503, [[doi:10.1111/j.1558-5646.2009.00921.x]].</ref>
<ref name="Leinders 1984">J. Leinders: ''Hoplitomerycidae fam. nov. (Ruminantia, Mammalia) from Neogene fissure fillings in Gargano (Italy) Part 1: The cranial osteology of Hoplitomeryx gen. nov. and a discussion on the classification of pecoran families.'' In: ''Scripta Geologica.'' Band 70, 1984, S. 1–51.</ref>
<ref name="Kaiser et al. 2007">Thomas M. Kaiser, Gertrud E. Rössner: ''Dietary resource partitioning in ruminant communities of Miocene wetland and karst palaeoenvironments in Southern Germany.'' In: ''Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology.'' Band 252, 2007, S. 424–439, [[doi:10.1016/j.palaeo.2007.04.013]].</ref>
<ref name="Li et al. 2021">Li Yi-Kun, Bastien Mennecart, Manuela Aiglstorfer, Ni Xi-Jun, Li Qiang, Tao Deng: ''The early evolution of cranial appendages in Bovioidea revealed by new species of Amphimoschus (Mammalia: Ruminantia) from Cina.'' In: ''Zoological Journal of the Linnean Society.'' 2021Band 196, Nr. 3, 2022, S. 1039–1053, [[doi:10.1093/zoolinnean/zlab053]].</ref>
<ref name="Sanchez et al. 2024">Israel M. Sánchez, Juan L. Cantalapiedra, Daniel DeMiguel, Beatriz Azanza, Flavia Strani, Jorge Morales: ''The postcranial skeleton of Amphimoschus Bourgeois, 1873 (Cetartiodactyla, Ruminantia, Pecora) sheds light on its phylogeny and the evolution of the clade Cervoidea.'' In: ''Journal of Systematic Palaeontology.'' Band 22, Nr. 1, S. 2386020, [[doi:10.1080/14772019.2024.2386020]].</ref>
</references>