Natriumhydrogencarbonat
Natriumhydrogencarbonat (Trivialname: Natron) hat die Summenformel NaHCO3, ist ein Natriumsalz der Kohlensäure und zählt zu den Hydrogencarbonaten. Gelegentlich werden für Natriumhydrogencarbonat auch die veralteten und chemisch unzutreffenden Trivialnamen doppeltkohlensaures Natron und Natriumbicarbonat (auch kurz NaBi) verwendet. Im Handel wird es auch unter den Bezeichnungen Speisesoda, Backsoda, Backnatron, Speisenatron sowie Markennamen wie Kaiser-Natron und Bullrich-Salz angeboten. Für den Normalbürger dürften die bedeutendsten Anwendungen darin bestehen, es als Backpulver zu nutzen, oder als Hausmittel gegen Sodbrennen.
Strukturformel | ||||||||||||||||||||||
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Allgemeines | ||||||||||||||||||||||
Name | Natriumhydrogencarbonat | |||||||||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | NaHCO3 | |||||||||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
farbloser, geruchloser, kristalliner Feststoff[3] | |||||||||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||||||||
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Eigenschaften | ||||||||||||||||||||||
Molare Masse | 84,01 g·mol−1 | |||||||||||||||||||||
Aggregatzustand |
fest[3] | |||||||||||||||||||||
Dichte |
2,22 g·cm−3 (20 °C)[4] | |||||||||||||||||||||
Schmelzpunkt | ||||||||||||||||||||||
pKS-Wert | ||||||||||||||||||||||
Löslichkeit |
mäßig in Wasser (93,4 g·l−1 bei 20 °C)[3] | |||||||||||||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||||||||
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Toxikologische Daten | ||||||||||||||||||||||
Thermodynamische Eigenschaften | ||||||||||||||||||||||
ΔHf0 |
−950,8 kJ/mol[8] | |||||||||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). |
Die Verbindung sollte nicht mit Natriumcarbonat (Soda/"Waschsoda", Summenformel Na2CO3) verwechselt werden.
Etymologie Natron
BearbeitenDas Wort Natron existiert seit Beginn der Neuzeit im Deutschen (in den Formen anatron, natrum und natron) und entstand (wie spanisch, französisch und englisch natron sowie „Natrium“) über arabisch naṭrūn (bzw. anatrūn; vgl. das unterägyptische „Natrontal“ „Wadi an-Natrūn“, woher früher ein Gemisch aus Natriumcarbonat und Natriumhydrogencarbonat zum Wasserentzug aus Mumien bezogen wurde[9]) aus griechisch nítron (νίτρον) (Herodot; attisch lítron (λίτρον)), welches auf altägyptisch ntr zurückzuführen ist. Aus dem griechischen nítron (Natron, Soda, Salpeter) war auch lateinisch (sal) nitrum und deutsch Salniter gebildet worden (woraus dann Nitrogen, Nitrat usw. herleitbar sind).[10][11]
Bereits im Wörterbuch der ägyptischen Sprache von Adolf Erman und Hermann Grapow wurden vor einem knappen Jahrhundert griechisch nítron (νίτρον) und hebräisch neter/nether mit dem altägyptischen Wort nṯr.j verknüpft, das im 2. Jahrtausend vor Christus etwa /natsₑra-/ ausgesprochen wurde. Da sich das Natronwort in dieser Zeit in vielen unverwandten, aber benachbarten Sprachen findet, muss diese Etymologie als wahrscheinlich betrachtet werden.[12]
Altägyptisch nṯr.j bedeutet in Bezug auf Natron jedoch nicht „göttlich“ und bezeichnet auch das Natron nicht als göttliche Substanz, wie häufig zu lesen ist. Alle Gegenstände und Substanzen zur Vorbereitung eines Leichnams für das Begräbnis und der Mumifizierung heißen grundsätzlich nṯr.j, zum Beispiel auch Mumienbinden und Mumifizierungsgeräte, also „zum Begräbnis gehörende Sache“.
Vorkommen
BearbeitenNatriumhydrogencarbonat kommt als natürliches Mineral Nahcolith unter anderem in den Vereinigten Staaten vor. Es tritt meist feinverteilt in Ölschiefer auf und kann dann nur als Beiprodukt der Ölförderung gewonnen werden. Ein Bergbau besonders reicher Nahcolith-Horizonte wird im Bundesstaat Colorado betrieben, die jährliche Förderung lag im Jahre 2007 bei 93.440 Tonnen.[13] Es gibt auch Fundorte in Europa.
Darstellung
BearbeitenUmsetzung von gesättigter Natriumcarbonatlösung mit Kohlenstoffdioxid unter Kühlung:
Dies ist eine Gleichgewichtsreaktion, die aber durch die relative Schwerlöslichkeit von Natriumhydrogencarbonat stark nach rechts verschoben ist. Das abfiltrierte Natriumhydrogencarbonat muss vorsichtig getrocknet werden, damit es sich nicht wieder zersetzt (in Umkehrung der Bildungsreaktion).
Auf diese Weise wurde es erstmals durch den Apotheker Valentin Rose den Jüngeren 1801 in Berlin dargestellt.
Im Solvay-Verfahren als Zwischenprodukt ausfallendes Natriumhydrogencarbonat wird wegen der mitgefällten Verunreinigungen (hauptsächlich Ammoniumchlorid) normalerweise nicht verwendet.
Eigenschaften
BearbeitenNatriumhydrogencarbonat ist ein farbloser, kristalliner Feststoff, der sich oberhalb einer Temperatur von 100 °C unter Abspaltung von Wasser und Kohlenstoffdioxid zu Natriumcarbonat zersetzt, wobei die Reaktion ab einer Temperatur von 120 °C rasch verläuft.[5][6] Andere Quellen geben abhängig von Korngröße und Reaktionsbedingungen auch Werte von 65 °C[14] oder etwa 85 °C[15][16] an.
An feuchter Luft erfolgt eine langsame Abspaltung von Kohlenstoffdioxid unter Bildung von Natriumsesquicarbonat.[14]
In Wasser löst es sich – im Gegensatz zu Natriumcarbonat – mit nur schwach alkalischer Reaktion.[17]
Natriumhydrogencarbonat kristallisiert monoklin in der Raumgruppe P21/c (Raumgruppen-Nr. 14) mit den Gitterparametern a = 3,51 Å, b = 9,71 Å, c = 8,05 Å und β = 111° 51′.[18] Die Verbindung bildet Mischkristalle mit Natriumcarbonat.[17]
Verwendung
BearbeitenNatriumhydrogencarbonat wird hauptsächlich zur Herstellung von Backpulver und Brausepulver verwendet. Die weltweite Produktionsmenge liegt im 100.000-Tonnen-Bereich.[17]
Die Verbindung findet allgemein vielfältige Anwendung:
- In der Lebensmitteltechnik
- als Bestandteil von Backpulvern bzw. Triebmitteln[4]
- als Bestandteil von Brausepulvern[4]
- In der Medizin
- zum Zähneputzen (Natron bzw. baking soda ist wegen seiner abrasiven und somit aufhellenden Wirkung in einigen Zahnpasten enthalten, insb. in den USA)[19]
- bei der professionellen Zahnreinigung (PZR) in der Prophylaxe
- als Mittel gegen Sodbrennen wegen der Neutralisationswirkung unter Bildung von ungiftigen Reaktionsprodukten (CO2 und Wasser); gilt heute als veraltet[20][21] (siehe Antazidum, Protonenpumpenhemmer). NaHCO3 ist dennoch in vielen Produkten gegen Sodbrennen und säurebedingte Magenprobleme enthalten. Beispielsweise besteht Bullrich-Salz (Delta-Pronatura-Gruppe) zu 100 % aus Natriumhydrogencarbonat.[17]
- als Antidot bei Vergiftungen durch Barbiturate, Salicylate und Trizyklische Antidepressiva[22]
- als Bestandteil einer Trinklösung (zusammen mit Kaliumchlorid, Natriumchlorid und Macrogol) zur Darmreinigung als Vorbereitung einer Koloskopie (Darmspiegelung).[23]
- als Puffersubstanz zum Ausgleich des Basendefizites bei der Hämodialyse (Azidosekorrektur). Bei der sogenannten Bicarbonatdialyse ist Natriumhydrogencarbonat der wohl wichtigste Bestandteil des Dialysats. Im Gegensatz zu Acetat oder Lactat muss NaHCO3 nicht erst verstoffwechselt werden, um seine Wirkung zu entfalten. Weltweit ist es wegen seiner Vorteile für das Herz-Kreislaufsystem die am häufigsten eingesetzte Puffersubstanz bei der Hämodialyse. Außerdem kommt es bei diesem Verfahren seltener zu Blutdruckabfällen, Übelkeit und Krämpfen.[24][25]
- zur Behandlung der metabolischen Azidose[26] und Hyperkaliämie[27]
- In der Luftfahrttechnik
- zur Hitzeabsorption und zur Schaffung einer brandhemmenden Atmosphäre in Flugschreibern[28]
- In der Umwelttechnik
- als Sorptionsmittel für saure Abgasbestandteile (SOx, HCl) in Rauchgasreinigungsanlagen (Bicar-Verfahren)
- Historisch zur Dehydratisierung von Leichen (Mumifizierung)
- In der Landwirtschaft
- Als Bestandteil von Feuerlöschpulvern (Abgabe von CO2 bei Erhitzung[17])
- Zum Strecken von synthetischen Drogen wie Amphetamin sowie zur Herstellung von Crack aus Kokain[32]
- Im Haushalt
- als Bestandteil von Feinwaschmitteln[33]
- als Putzmittel, beispielsweise werden Fliesenfugen oder Sportschuhe aufgehellt, indem es mit Wasser gemischt und eingebürstet wird.[34]
- Zum Entfernen angebrannter und verkrusteter Speisereste. Der Effekt beruht teilweise auf der Verseifung fetthaltiger Nahrungsmittelreste.[35] Wirksamer (und aggressiver bei Kontakt mit Haut und Schleimhäuten) ist jedoch das stärker alkalisch reagierende (Wasch-)Soda (Natriumkarbonat).[36]
- Eine Prise Natron im Kochwasser lässt Erbsen, Linsen und Bohnen schneller weich werden und nimmt verschiedenen Kohlsorten die blähende Wirkung.[35]
- Als Mittel gegen Ameisen und Kakerlaken: Streut man Natron in die Löcher des Ameisenbaus und auf die Ameisenwege, nehmen die Ameisen das Natron auf und tragen es mit in ihren Bau. Natron ändert den pH-Wert im Körper der Ameisen, was zum Tode führt (Waldameisen stehen unter Naturschutz).[37]
- Überschüssige Säure in Lebensmitteln wird durch Natron neutralisiert oder abgeschwächt.[4] Dies ist etwa bei der Zubereitung von Konfitüren aus sauren Früchten wie Sanddorn oder Rhabarber von Bedeutung, da diese so einen milderen Geschmack erhalten und weniger Zucker verwendet werden muss. Auch zu einer Speise übermäßig zugesetzter Essig oder Zitronensaft kann durch Natron neutralisiert werden.[38]
- In der Aquaristik und im Poolwasser
- zur Erhöhung der Pufferkapazität zur Verhinderung eines Säuresturzes
- zur Regulierung des KH-Wertes, z. B. in der Meerwasseraquaristik,[39] oder zur Regulierung der Alkalität in Swimmingpools (sogenannte Alka-Plus-Produkte bestehen aus Natriumhydrogencarbonat)
- In Spielzeugraketen dient es zusammen mit Essig oder Zitronensäure als Treibstoff (durch Bildung des Gases Kohlenstoffdioxid)[40]
- Im Labor zur Neutralisation verschütteter Säuren, zumeist als 5%ige Lösung.
- Als nicht abrasives Strahlmittel in der Strahltechnik, siehe Sodastrahlen
- Zum Lösen von Uran in Gesteinsformationen beim In-situ-leaching-Verfahren (ISL-V.)[41][42]
Biologische Bedeutung
BearbeitenMit Säuren reagiert es schäumend unter Bildung von Kohlenstoffdioxid und Wasser.
Die Möglichkeit, Säuren durch HCO3− zu neutralisieren, ist lebenswichtig.
- Im Magen muss aufgrund der dort aktiven Enzyme ein saures Milieu herrschen, dies geschieht durch Produktion von Chlorwasserstoff (HCl), woraus sich zusammen mit Wasser der Magensaft (ca. 0,5-prozentige Salzsäure) bildet, dessen pH-Wert (nüchtern) bis auf 1–1,5 sinken kann. Die Epithelzellen der Magenwand, die bei einem so niedrigen pH-Wert sofort zugrunde gehen würden, schützen sich selbst durch Abgabe von mit HCO3− versetztem Schleim.[43] Dringen H+-Ionen der Salzsäure in die Schleimschicht ein, so werden sie zu CO2 und Wasser neutralisiert. Das CO2 entweicht zumeist durch die Speiseröhre.
- Im Dünndarm wird wiederum eine alkalische Umgebung benötigt, da hier andere Enzyme die Spaltung der Nährstoffe übernehmen. Die Änderung des pH-Wertes erfolgt im Zwölffingerdarm (Duodenum) durch Einspeisung des Sekretes der Bauchspeicheldrüse, welches unter anderem ebenfalls – wie der im Magen abgegebene Schleim – HCO3− enthält. Eine eingeschränkte Abgabe von HCO3− durch das Pankreas (exokrine Pankreasinsuffizienz) bedingt eine Übersäuerung des Duodenums und damit ein unphysiologisches Milieu für Verdauungsenzyme.
- Hydrogencarbonat HCO3− ist der wichtigste Blutpuffer zur Regulierung des Säure-Basen-Haushalts des Menschen.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Eintrag zu E 500 (ii): Sodium hydrogenate carbonate in der Europäischen Datenbank für Lebensmittelzusatzstoffe, abgerufen am 27. Juni 2020.
- ↑ Eintrag zu SODIUM BICARBONATE in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 25. Februar 2020.
- ↑ a b c d Datenblatt Natriumhydrogencarbonat bei Merck, abgerufen am 19. Januar 2011.
- ↑ a b c d e f Eintrag zu Natriumhydrogencarbonat in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 19. Dezember 2019. (JavaScript erforderlich)
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- ↑ Antidot-Monographie für Natriumhydrogencarbonat (PDF; 60 kB).
- ↑ Beipackzettel von einschlägigen Präparaten wie Moviprep, Prepacol, Endofalk, Klean Prep, CitraFleet
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- ↑ Natron - Gesundheit, Backen und Reinigen: 7 tolle Natron-Tricks, Stand 11. Juli 2022. IN: br.de
- ↑ a b Christa Pöppelmann: SOS. Wie macht man das?: Was man wirklich können muss! Compact Verlag, 2010, ISBN 3-8174-7922-0 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Soda, Natron, Essig - Diese Hausmittel ersetzen alle chemischen Reinigungsmittel, Stand 16. Sept. 2020. IN: br.de
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