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Artikel „Ferdinand I., deutscher Kaiser“ von Wilhelm Maurenbrecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 632–644, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ferdinand_I._(Kaiser)&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 14:14 Uhr UTC)
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Ferdinand I., deutscher Kaiser. Erzherzog F. wurde am 10. März 1503 in Alcalà de Henares (Spanien) geboren als der zweite Sohn (das vierte Kind) des Erzherzoges Philipp von Oesterreich und seiner Frau Johanna „der Wahnsinnigen“, der Tochter der katholischen Könige Ferdinand und Isabella von Spanien. Seine Jugend verlebte er in Spanien, umgeben von einem spanischen Hofstaat, erzogen und unterrichtet von spanischen Lehrern; sein Hofmeister war Pedro Nuñez de Guzman, Ordensritter von Calatrava, der nachher als Lohn für seine Erziehung Großcomthur des Ordens wurde; sein Lehrer war der Dominicanermönch Alvaro Osorio de Moscoso, der gleichzeitig mit dem Infanten seinen eigenen Neffen, den jungen Grafen von Altamira, als dessen Spielgenossen unterrichtete. Der spanische Großvater sah in F. sein eigenes Ebenbild und liebte ihn zärtlich. Während der ältere Bruder, der in Gent geborene Erzherzog Karl, in den Niederlanden weilte und für die Nachfolge in den niederländisch-deutschen Besitzungen und Verhältnissen erzogen wurde, schien F. für einen bleibenden Aufenthalt in Spanien bestimmt zu sein. Das stand jedenfalls damals fest, daß die deutschen Länder des väterlichen Großvaters, des Kaisers Maximilian I., mit der gesammten Masse von Besitzungen und Erwerbungen, welche die mütterlichen Großeltern in Spanien und in Italien und jenseits des Weltmeeres zusammengebracht hatten, auf das Brüderpaar Karl und F. vererben mußten; aber über die Vertheilung dieses fast unermeßlichen Gebietes unter die Brüder waren die Großväter verschiedener Meinung: Kaiser Maximilian wollte so gut wie alles auf Karl vererbt sehen und F. mit einer untergeordneten Stellung abfinden; König Ferdinand dagegen wünschte den jüngeren Enkel als Regenten in Spanien zu belassen, ein spanisch-italienisches Reich ihm vorzubereiten und ihn mit einer französischen Prinzessin zu verloben. Die Ereignisse der Jahre 1515 und 16 gaben den Plänen Maximilians die größte Aussicht des Gelingens: während man nach Ferdinands Tode in Spanien die Krone dem älteren Bruder Karl zu sichern sich bemühte, bahnte man dem Infanten F. eine andere Zukunft an. Maximilian hatte schon seit einigen Jahren seine Verlobung mit Anna, der Schwester König Ludwigs von Böhmen und Ungarn, ins Auge gefaßt gehabt; er hatte am 21. Juli 1515 formell seine eigene Verlobung mit der jugendlichen Prinzessin stipulirt und sich dabei vorbehalten, F. in seine Stelle binnen Jahresfrist eintreten zu lassen; am 28. März 1516 vollzog der Infant die Erklärung, statt des Großvaters die Braut heimführen zu wollen. Damit war Ferdinands Loos nach Deutschland und in den Osten gewiesen. Mochte ihm immerhin in Spanien noch eine beträchtliche Anzahl einflußreicher Personen günstig gesinnt bleiben und den Versuch, ihn zum Regenten Spaniens zu erheben, noch nicht ganz aufgeben wollen, so gelang es doch Karls Ministern, alle geplanten Anschläge zu vereiteln; als Karl darauf 1517 nach Spanien gekommen, wurde F. nach kurzem Zusammensein der Brüder veranlaßt, 1518 seinen Aufenthalt in den Niederlanden bei der Erzherzogin Margarethe, der Statthalterin, zu nehmen. Noch einmal trat in nächster Zeit der Anspruch des jüngeren Bruders dem älteren in den Weg. Als Karls Bewerbung um die deutsche Kaiserkrone auf Schwierigkeiten stieß, meinten die niederländischen Minister, Ferdinands Candidatur würde leichter durchzusetzen sein; aber Karls energisches Verbot schob schnell diesen Gedanken auf die Seite. Er war nicht gewillt, dem Bruder eine andere [633] Stellung einzuräumen als die seines ersten Dieners und Gehülfen. Mehr als drei Jahrzehnte hindurch ist dies Ferdinands Aufgabe und Bestimmung geblieben.

Von vorneherein scheint Karl geneigt gewesen zu sein, den Bruder mit fürstlichem Besitz auszustatten und unter seiner eigenen Oberhoheit ihm eine mächtige Stellung zu schaffen. Den habsburgischen Hausbesitz in Deutschland hatte er dazu ausersehen, 1) die fünf Herzogthümer Oesterreich unter und ob der Enns, Steiermark, Kärnthen, Krain, 2) die Grafschaft Tirol und 3) Vorderösterreich, d. h. Elsaß, Sundgau, Breisgau und die Aemter im Schwarzwald. In diesen Provinzen wogte am Ende der Regierung Maximilians I. der Kampf des landesherrlichen fürstlichen Princips mit den Tendenzen ständischer Autonomie und den Sonderinteressen der einzelnen Landschaften und Städte; durch den Regierungswechsel fühlten sich jene gehoben und gefördert. Aber die habsburgischen Länder[1], denen anfangs gemeinsam die Erbschaft zustand, wußten geschickt und vorsichtig Personen und Dinge so zu behandeln, daß die drohende Empörung vermieden und allmählich auch die Opposition überwunden wurde. Eine Zeit lang hatten sie durch das in Augsburg eingesetzte kaiserliche Regiment ihre Regierungsbefugnisse den österreichischen Landen gegenüber ausgeübt, Karl hatte sich die Huldigung 1520 überall leisten lassen, von dem Bruder zu diesem Schritte autorisirt, aber doch schon mit der Absicht, eben diesem Bruder die deutschen Provinzen zu cediren. Schon im J. 1520 stand das Princip dieser Theilung fest; erst 1521 im April auf dem deutschen Reichstage in Worms kam man dazu, die Thatsache officiell zu verkündigen. Karl trat damals die fünf österreichischen Herzogthümer an F. ab. (Vertrag vom 21. April 1521.) Und der neue Herrscher beeilte seinerseits sich sofort, persönlich die Herrschaft anzutreten. Zu Linz feierte er am 26. und 27. Mai seine Hochzeit mit der ihm schon längst verlobten Braut, Anna, der einzigen Schwester des Königs Ludwig II. von Böhmen und Ungarn; am 5. Juni hielt er zu Ybbs einen österreichischen Landtag, persönlich die Erbhuldigung entgegennehmend. Persönlich eingreifend, ordnete er rasch und zweckmäßig Regierung und Verwaltung der Erblande. Mehrere Landtage folgten sich schnell aufeinander, durch welche der Gedanke einheitlicher fürstlicher Regierung sich immer mehr befestigte. Nicht wenig trug hierzu die äußere Abrundung des Ferdinandischen Besitzes bei. In Brüssel übertrug am 7. Febr. 1522 Karl seinem Bruder die gesammten ober- und niederösterreichischen Länder, zu den fünf Herzogthümern noch Tirol und alles, was in Schwaben dem Hause Habsburg zu eigen gewesen, außerdem aber auch das Herzogthum Würtemberg, das 1519 der schwäbische Bund dem Herzog Ulrich entrissen und vorläufig der österreichischen Verwaltung unterstellt hatte. Zwar hieß es anfangs, die Erbtheilung unter den Brüdern sollte einstweilen geheim bleiben und F. sein Land formell nur als Gubernator und Statthalter des Bruders regieren, doch ließ wenige Jahre nachher Kaiser Karl diese formale Clausel fallen (15. Febr. 1525). Und wenn auch die Idee, ein besonderes Königreich für F. aus diesen verschiedenen Besitzungen zu bilden, nicht zur Ausführung gelangte, es war auch ohne solchen Titel ein ansehnliches, reiches, hinlänglich abgerundetes und zusammenhängendes Gebiet, das Ferdinands unmittelbarer Gewalt damals zugewiesen worden war. Die Regierung in demselben trat der neue Fürst an, von dem Gefühle fürstlicher Selbständigkeit und Souveränetät erfüllt. Es gehört in die Specialgeschichte dieser einzelnen Länder und Provinzen, die Acte seiner Regierung im einzelnen zu verfolgen oder aufzuzählen. Der in Spanien erzogene, des Deutschen damals noch unkundige Jüngling, von spanischen Günstlingen abhängig, besonders von dem vielgenannten Gabriel Salamanca, den er zum Grafen von Ortenburg machte, verstand es nichtsdestoweniger, durch Umsicht und Energie in verhältnißmäßig kurzer Zeit Ansehen und Achtung sich zu erringen [634] und die Landesangelegenheiten in ordnungsmäßigem, zweckentsprechendem Gange zu führen. Aus Brüssel kehrte er bald nach Deutschland zurück, zog durch Schwaben, wo er im Mai 1522 die Huldigung Würtembergs empfing, und kam dann nach Oesterreich. Hier ließ er im Juni und Juli in Neustadt Gericht halten über alle diejenigen, die sich in den Jahren des interimistischen Zustandes (1519–21) gegen die Obrigkeit geregt und ständischen Ideen allein nachgelebt hatten; er brachte es dahin, daß größere Hülfsgelder ihm bewilligt, daß die Vertheidigung Oesterreichs wider die Türken mit nachdrücklichen Kräften beschlossen wurde; letzteres geschah in Anlehnung an die Beschlüsse des deutschen Reichstages zu Nürnberg (März 1522).

In den allgemeinen Angelegenheiten Deutschlands war F. der Stellvertreter Karls während seiner Abwesenheit, „sein anderes Ich“. Wiederholt hatte Karl schon versprochen, dem Bruder die römische Königswürde und Nachfolge im Kaiserthum zu verschaffen; ihm hatte er die Geltendmachung der gemeinsamen habsburgischen Interessen bei dem schwäbischen Bunde aufgetragen; seine Sache war es auch, dem deutschen Reichstage und dem fürstlichen Reichsregimente gegenüber die kriegerische sowol als die kirchliche Politik des Kaisers zu vertreten. Zu durchgreifendem Einfluß brachte es in diesen Dingen damals F. noch nicht. Zwar hatte er persönlich die Nürnberger Reichstage von 1522–23 und 1524 besucht; gehorsam den Weisungen des kaiserlichen Bruders hatte er das selbständig sich gebahrende Reichsregiment aus dem Sattel gehoben; aber er hatte die kirchlichen Beschlüsse des Reiches, die Karls Politik entgegenarbeiteten, nicht zu hindern vermocht. Persönlich war F. religiös, fromm, altkirchlich, wie sein Bruder, der Neuerung Luther’s abgeneigt und feindlich gesinnt; er bethätigte diesen Glauben, indem er im Juli 1524 an der vom päpstlichen Legaten berufenen und geleiteten Versammlung der katholischen süddeutschen Fürsten und Bischöfe in Regensburg Theil nahm. Und indem F. die hergebrachten Privilegien und Rechte der österreichischen Erzherzöge auf fürstliche Mitwirkung bei der Regierung ihrer Landeskirche consequent ausübte und neue finanzielle Gerechtsame seiner Landesgeistlichkeit gegenüber zu erwerben sich anstrengte, knüpfte er enge und fest das Band zwischen Habsburg und der päpstlichen Kirche. Er ließ eine Reihe von Gesetzen ausgehen, die alte Religion und Kirche gegen das Lutherthum zu beschützen, die „Ketzerei“ zu verfolgen und zu bestrafen. – Die militärischen Erfolge der kaiserlichen Waffen gegen Frankreich begleitete F. mit seinen Wünschen und unterstützenden Bemühungen: selbst thätig im Felde zu erscheinen, war 1525 und 26 sein Verlangen. Der Gang der Ereignisse versagte ihm dessen Erfüllung. Zunächst hatten die Bauernunruhen auch das von F. beherrschte Herzogthum Würtemberg ergriffen; der Vertriebene Herzog Ulrich machte wiederholte Versuche, mit Benutzung dieser Umstände nach Würtemberg zurückzukehren. Die drei österreichischen Regierungen in Innsbruck, Stuttgart und Ensisheim hatten genug zu thun, den Widerstand gegen die Tumultuanten zu organisiren und zu leiten. Dann wurden auch Tirol und Salzburg und Steiermark von der Bewegung ergriffen; wiederholter Anstrengung bedurfte es, den Aufruhr nieder zu werfen und das Land zu beruhigen. Darnach galt es, die Schuldigen zu bestrafen. Nachdem F. diese dringenden Geschäfte erledigt, hatte er in Speyer auf dem Reichstage im Sommer 1526 des Kaisers Stelle zu versehen; von der Noth gedrängt, vornehmlich aus politischer Gegnerschaft gegen den Papst, mußte F. mit Zustimmung Karls die erste bedeutendere Concession dem Lutherthum gewähren, Freiheit der Entscheidung bis zum Concile. In voller Eintracht hatte F. sich bisher den Ideen des Bruders gezeigt, fügsam von ihm Gebote und Mahnungen entgegengenommen; er selbst war als dienendes Glied der habsburgisch-spanischen Gesammtpolitik allein erschienen. Erst das J. 1526 brachte [635] F. eine neue eigene Aufgabe, die seine Wege nicht vollständig mehr mit den Absichten des Bruders zusammenfallen ließ.

Der große Angriff der türkischen Macht unter Suleiman dem Prächtigen erschütterte den Osten des Welttheils und brachte gewaltige Erregungen und Veränderungen hervor. Der traurige Inhaber der böhmischen und ungarischen Kronen, König Ludwig II., fiel in der Schlacht von Mohacs am 29. Aug. 1526 und mit ihm die Blüthe seines Kriegsheeres und Adels. Ungarn lag offen vor den Angriffen des Erbfeindes, unbesetzt waren die beiden Throne: es war Ferdinands Absicht und Aufgabe, ohne weiteres in die entstandene Lücke einzutreten. Wohl vorbereitet war die habsburgische Politik auf diese Eventualität. Böhmens und Ungarns Anfall an Oesterreich hatte man schon seit Jahrzehnten herbeizuführen gesucht: Kaiser Friedrich III. und Maximilian I. hatten verschiedene Möglichkeiten der Erwerbung ins Auge gefaßt und von verschiedenen Seiten her dem Ziele sich zu nähern gesucht: sowol Erbverträge als Ehepacten waren ihrem Gedanken dienstbar gemacht. Und die Doppelheirath zwischen König Ludwig und der habsburgischen Prinzessin Maria, sowie zwischen F. und Ludwigs Schwester Anna war eine wohlerwogene Maßregel, für das erwartete Ereigniß sich zu rüsten. Königin Maria, Ferdinands Schwester, hatte eine mächtige Partei in beiden Ländern für Habsburg gewonnen. Nach Ludwigs Tode unterstützte sie sofort die Ansprüche ihres Bruders. In Böhmen beruhten dieselben zunächst auf dem Erbrechte seiner Gemahlin Anna, sodann auch auf früheren Verträgen; es concurrirte freilich hiermit die Gewohnheit und das Recht ständischer Königswahl. F. schickte sofort eine Gesandtschaft nach Prag, welche ebensowol den Anspruch seiner Frau darzulegen, als für seine Wahl zu wirken beauftragt war; über den inneren Widerspruch, gleichzeitig beides geltend zu machen, sah er hinweg: dadurch sicherte er sich die Krone; er wurde am 22. October in Prag gewählt gegen die Bewerbung des Herzogs Wilhelm von Baiern. Er trat ohne weiteres den Besitz von Böhmen, Mähren, Schlesien und Lausitz an. Am 24. Febr. 1527 geschah die feierliche Krönung in Prag, es folgte die Huldigung der von Böhmen abhängigen Länder, welche F. persönlich 1527 auf einer Rundreise in Empfang nahm. Schwieriger erwies sich der Erwerb der Krone Ungarn. Trotz der habsburgisch-ungarischen Verträge von Oedenburg (1463) und Preßburg (1491), trotz der 1515 in Wien erneuerten verwandtschaftlichen Beziehungen der Königshäuser gab es in Ungarn eine nationale Partei, die nur eines Ungarn Wahl für zulässig erklärte und ihr Auge auf Johann Zapolya den Woywoden von Siebenbürgen geworfen hatte. Dem mächtigen Angriff der Türken stand also Ungarn in zwei Parteien gespalten gegenüber, die habsburgische und die national-ungarische. Die letztere kam der ersteren zuvor. Schon am 10. Nov. 1526 wurde Zapolya in Stuhlweißenburg von seinem Anhange zum Könige ausgerufen. Dagegen fand in Preßburg auf dem Reichstage (16. Decbr. 1526) die Wahl Ferdinands statt; hier hatte F. ebenso wie in Böhmen seine Rechtstitel, die aus den Erbverträgen sich herleiteten, vorgelegt, daneben aber zugleich in die Erhebung durch Wahl sich gefügt: die beiden Momente ließ er bei dem Acte zusammenwirken, ohne im damaligen Augenblicke Werth darauf zu legen, daß die in der Folgezeit so wünschenswerthe Klarheit über die staatsrechtliche Natur seines Regierungsrechtes gewonnen wurde. Aber die ihm hier zuerkannte Krone hatte er erst noch gewaltsam sich zu erkämpfen. Der Gegenkönig Zapolya wandte sich an Suleiman, als dessen Vasall er Schutz gegen den Rivalen sich zu sichern meinte. Andererseits mußte die augenscheinliche Machterweiterung des Hauses Habsburg alle öffentlichen und geheimen Feinde seiner europäischen Stellung zur Hülfeleistung an Zapolya herausfordern: nicht allein militärisch, sondern auch diplomatisch suchten die ungarischen Bewerber einander zu vernichten. Der Versuch [636] eines Ausgleiches auf dem Congresse in Olmütz schlug fehl. F. ergriff im Sommer 1527 die Waffen, drang siegreich vor und erlangte seine Krönung in Stuhlweißenburg am 3. Nov. 1527. Aber das ganze Jahr 1528 dauerte das Ringen beider Parteien fort. Ganz Europa hatte an der Befestigung der habsburgischen Herrschaft über Ungarn ein dringendes Interesse; erst durch die Vereinigung von Oesterreich und Böhmen und Ungarn wurde eine haltbare Mauer wider die Türkengefahr geschaffen; die Abwehr des Islam von der Christenheit wurde nun die eigentlichste Aufgabe des neuen Oesterreichs, dessen Kronen F. auf seinem Haupte vereinigte. 1529, als Suleiman aufs neue gegen Westen aufbrach, hatte sich die Widerstandskraft Oesterreichs zu bewähren. Die türkische Invasion überfluthete Ungarn, bis vor die Wälle Wiens trug Suleiman die siegreichen Feldzeichen des Halbmondes, erst an den Wällen Wiens brach sich die türkische Macht; nach dreiwöchentlicher Belagerung (September, October 1529) zog Suleiman wieder ab. Doch blieb Zapolya in Ungarn aufrecht stehen, als der vorgeschobene Posten neuer türkischer Angriffspläne. Und F. konnte seit 1529 keinem wichtigeren Gegenstande als Regent des neuen osteuropäischen Gesammtreiches seine Thätigkeit widmen, als der Erwägung, wie er den Türken von neuen Unternehmungen abhalten oder wie er sein Reich vor eventuellen Anfällen vertheidigen und seine ungarischen Rechte befestigen würde.

F. blieb allerdings nach wie vor in der allgemeinen Politik von den Entschließungen Karls abhängig; er theilte die kirchliche Haltung und die kirchlichen Absichten des spanischen Herrschers von Deutschland; während Karls Abwesenheit war er das bereite und gefügige Organ, durch das der Kaiser mit deutschen Fürsten und Ständen und Theologen verhandelte (so hatte er unmittelbar vor dem Türkenangriffe 1529 den Speyerer Reichstag in Vertretung des Kaisers geleitet, so begleitete er 1530 den Kaiser auf den Reichstag nach Augsburg, dort nach Kräften die Handlungen Karls und seiner Minister zu unterstützen). Nichtsdestoweniger aber begannen seit dem Erwerbe von Böhmen und Ungarn bei ihm eigene, specifisch österreichische Interessen aufzutauchen und eine andere Politik zu empfehlen, als die des kaiserlichen Bruders. Karls Ideenkreis umspannte das ganze Europa, Ferdinands Interesse war in erster Reihe die Behauptung Ungarns, die Abwehr des Türken. Immer dringender machte er in den Verhandlungen der deutschen Reichstage seine Anschauungen geltend: Erhaltung oder Herstellung des europäischen Friedens, selbst wenn sie durch spanisch-habsburgische Zugeständnisse in Italien oder an Frankreich oder England oder den Papst zu erkaufen nöthig, Nachgiebigkeit und Fügsamkeit gegenüber den Forderungen deutscher Territorien oder deutscher Protestanten, das waren die Gedanken und Motive, die wiederholt bei verschiedenen Anlässen im Verlauf der nächsten Jahre in F. auftauchten und von Karls politischer Richtung ihn abweichen ließen. Bestand Karl auf seinem Willen, so fügte F. sich seinem Gebote; F. gehörte nicht zu den politischen Naturen, die eigenmächtig und selbstschaffend der Entwicklung ihrer Völker und ihrer Zeiten den Weg anweisen und bestimmen; nicht er, sondern Karl hat dem Zeitalter seines Geistes Eigenart aufgeprägt; F. fügte sich in die zweite Rolle; vom Bruder ließ er Richtung und Charakter sich geben, im einzelnen umbiegend und modelnd, was er als Ganzes empfangen und im Ganzen sich aneignete. Wer von Schritt zu Schritt seine Lebensbahn darstellen wollte, hätte fast die ganze Regierungsgeschichte Karls V. zu erzählen. Hier sollen nur die Hauptereignisse und die Wendepunkte hervorgehoben werden.

Nachdem in Augsburg der Bruch der kaiserlich-katholischen und der protestantischen Partei unheilbar geworden, rüsteten beide Theile sich zu weiteren Schritten. Die Protestanten schlossen in Schmalkalden ihren Vertheidigungsbund. Kaiser Karl aber ließ seinen Bruder von den Kurfürsten, mit Ausschluß des [637] protestirenden Kurfürsten von Sachsen, zum römischen König wählen, am 5. Jan. 1531 in Köln; er erhob ihn dadurch gewissermaßen zum Gehülfen in der Regierung und sicherte ihm die Nachfolge nach seinem Scheiden. Der erwartete Zusammenstoß der Gegensätze wurde damals hinausgeschoben, ja 1532 den Protestanten sogar der sogen. erste Religionsfriede gewährt, – eine Handlung, mit welcher F. durchaus einverstanden gewesen zu sein scheint. Denn gerade seine Lage erheischte damals (1532) Vermeidung neuer Wirren in Deutschland, um die ganze Kraft des Reiches nach Osten wenden zu können. Alle diplomatischen Versuche, die F. in Konstantinopel 1531 angestrengt, selbst die einstweilige Duldung Zapolya’s in dem von ihm besetzten Theile Ungarns, wehrten Suleimans neuen Angriffskrieg von 1532 nicht ab. Mit großer Macht gedachte man den Türken sich entgegenzuwerfen; F. hatte persönlich um Rüstungen und Schutzmaßregeln sich rührig bemüht; es kam ein großes Heer zusammen: aber nennenswerthe Erfolge erstritt dasselbe nicht. Doch zog Suleiman sich von selbst, nachdem die Belagerung von Günz mißglückt, vor dem deutschen Heere langsam zurück. Karl beschloß seinerseits den Krieg nicht fortzusetzen, obwol F. dringend gewünscht, durch energische Verfolgung des Feldzuges Ungarn definitiv für Habsburg zu sichern. Mit den Türken kam ein Friede 1533 zu Stande, und Zapolya gegenüber blieb F. kein anderer Ausweg, als Ungarn nach dem Besitzstande mit ihm zu theilen – eine Auskunft für den Augenblick, zu der Karls Rücktritt vom Kriege F. gezwungen, von der abzugehen F. sich bei günstigerem Anlaß vorbehielt. Eine weit empfindlichere Einbuße erlitt F. 1534. Von den Protestanten unterstützt, erhob sich Würtemberg gegen das habsburgische Regiment; der vertriebene Herzog Ulrich kehrte zurück und behauptete sich im neu errungenen Besitze, und die allgemeinen Verhältnisse nöthigten Karl, die unliebsame Thatsache anzuerkennen: im Frieden von Kadan (29. Juni 1534) erhielt Ulrich als Afterlehen von Oesterreich, das selbst direct vom Reich belehnt blieb, doch factisch allen Einfluß auf das Land verloren, sein früheres Herzogthum zurück. Es war für F. eine schmerzliche Niederlage, deren Bedeutung durch die Gegengabe der protestantischen Anerkennung seiner Königswahl bei weitem nicht aufgewogen wurde. Trotz der streng katholischen Richtung, welche F. in seinen Ländern innehielt, hatte er bei den vielen persönlichen Begegnungen und Verhandlungen gute Beziehungen zu einzelnen deutschen Fürsten gewonnen; und mehrmals war er in der Lage, einer vermittelnden Politik das Wort zu reden, Concessionen halbpolitischer, halb kirchlicher Natur zu empfehlen. So wagte er es, die Ausdehnung des Schmalkaldener Bundes zu gestatten, so billigte er aus voller Ueberzeugung alle Schritte, die zum Concil und zur Kirchenverbesserung hinführen zu sollen schienen, so ging er auf das Experiment der Religionsgespräche (1540, 1541) gerne ein. Er hatte eben in den letzten 20 Jahren mit den Deutschen zu leben und zu handeln gelernt, er hatte dem deutschen Charakter mehr seinen Sinn geöffnet, als der festere, unbiegsamere Bruder es in seinem Leben jemals vermocht hat: persönlich wurde F. bei den Deutschen immer beliebter und angesehener.

Der Türkenfriede hatte nicht lange Dauer. Von allen Seiten bedrohte Suleiman das Abendland mit seinen Angriffen. 1537 erlitten die Oesterreicher bei Essek eine blutige Niederlage; der Eindruck war so gewaltig, daß selbst Zapolya bei F. Anlehnung suchte: indem F. ihn rückhaltslos als König in der einen Hälfte Ungarns anerkannte, gestand Zapolya zu, daß nach seinem Tode F. ganz Ungarn wieder vereinigen sollte (Vertrag von Katona 24. Febr. 1538). Aber sein Tod (1540) hatte doch nicht diese Folge. In Ungarn entstand neue Parteiung, 1541; – die Einen waren für F., die Anderen für Zapolya’s Wittwe Isabella als Vormünderin ihres Söhnchens, und bei den letzteren der kühne und [638] fähige Martinuzzi. Da erfolgte die türkische Invasion; sie unterwarf sich diesmal fast das ganze Land; Martinuzzi wurde auf Siebenbürgen eingeschränkt. Auch die Türkenhülfe, zu der bei diesem Unglück der Speyerer Reichstag 1542 sich aufschwang, fruchtete nichts; der Feldzug des Reichsheeres unter dem Befehl des Brandenburger Kurfürsten Joachim verlief resultatlos. Der Ausbruch des französisch-kaiserlichen Krieges hemmte weitere Anstrengungen; Suleiman drang 1543 aufs neue siegreich vorwärts, eroberte Gran und Stuhlweißenburg. F. mußte sich glücklich preisen, 1544 auf Grund des Statusquo einen fünfjährigen Waffenstillstand von den Türken zu erhandeln; selbst Tributzahlung an die Türken wurde nicht vermieden. Für den Augenblick war damit Ruhe geschaffen, doch schon 1551 brachen neue Wirren aus. Isabella meinte sich Martinuzzi’s entledigen zu sollen; Martinuzzi dagegen trat zu F. über und sicherte sich die Statthalterschaft von Siebenbürgen. Isabella verzichtete für sich und ihren Sohn auf Ungarn gegen eine Entschädigung in Schlesien. Das war den Türken das Signal zu neuem Angriff. 1551 wurde mit wechselndem Glück gestritten. F. hatte zunächst Martinuzzi gefördert und beschützt; er hatte in Rom seine Promotion zum Cardinal erwirkt; dann aber entstand der Verdacht, als unterhandle jener heimlich mit den Türken; österreichische Emissäre ermordeten ihn am 17. Dec. 1551. Daraus entstanden neue Unruhen und mit ihnen verband sich 1552 ein mörderischer Türkenkrieg, der wiederum den Türken günstig verlief. In Siebenbürgen erschien auch wiederum Isabella; dennoch erfochten Ferdinands Heere in den nächsten Jahren einige Siege, sodaß nach und nach F. die Regierung des Landes wieder in seine Botmäßigkeit brachte: das Ende war der Friedensschluß mit den Türken 1562, der F. im Besitz Ungarns anerkannte. – Bei allen diesen Unternehmungen und Wechselfällen hatte F. auf des deutschen Reiches und auf seines kaiserlichen Bruders Hülfe an Geld und Soldaten sich Rechnung gemacht: ihm war ganz naturgemäß diese ungarisch-türkische Frage der Mittelpunkt seiner Politik gewesen. Aber in keinem Augenblicke hatte er erlangt, was er zu erlangen gehofft; der kaiserlichen Politik war diese Frage nicht die wichtigste von allen ihren Aufgaben, sein stetes Drängen sah sie nicht gern, er wurde ihr bisweilen lästig. Und doch hatte F. mit vollem Einsatz seiner Person der Politik des Bruders gedient; bei der Einleitung der Vermittlungspolitik 1539 und 1540 (er war damals persönlich zu Karl in die Niederlande gereist), bei den Vorbereitungen zum Schmalkaldener Kriege, in dem Kriege selbst war er mit voller Hingabe für Karls Zwecke thätig gewesen. Erst nach wiederholter Erwägung mit dem Bruder hatte Karl seinen Entschluß zum Kriege gefaßt, Ferdinands Einfluß hatte an manchen Stellen für Karl erfolgreich gearbeitet, so bei Brandenburg und bei Herzog Moritz von Sachsen; ganz besonders im Feldzug von 1547 hatte F. kräftig mitgewirkt zu den Siegen, welche die Welt erstaunten und Deutschlands Schicksale umzuändern schienen. Die Empörung in Böhmen hatte er 1547 niedergeschlagen; es half ihm sein absolutes Regiment dort besser zu begründen. Da Würtemberg am Kriege Theil genommen, gedachte F. als verwirktes Lehen das Herzogthum einziehen und so in den von ihm ungern aufgegebenen Besitz zurückkehren zu können. Karl aber lehnte eine solche Forderung ab, nicht entschieden, mit halben zweideutigen Worten. Jahre lang schleppte der würtembergische Handel sich hin, für F. ein bitterer Lohn seiner Aufopferungen und Dienste.

Es liegt nichts vor, was die Annahme rechtfertigen könnte, als ob F. 1547 und 1548 Karls religiöse Politik mißbilligt hätte. Wie 1521 und 1530, wie 1541 und 1545, scheint er auch 1548 bei dem Erlasse des Interim und bei den anderen politischen Maßregeln, die Karl dem Augsburger Reichstage auferlegte, die Gesichtspunkte des Bruders vollständig getheilt zu haben. Was [639] ihn damals demselben entfremdete und eine ernstliche Verstimmung zwischen ihnen hervorrief, war nichts anderes als das persönliche oder dynastische Sonderinteresse des Herrschers von Oesterreich: seine Unzufriedenheit mit den Leistungen Karls für Ungarn, seine Klagen über die Nichtberücksichtigung dieser Interessen, sein Aerger über die Versagung Würtembergs. Dazu aber kam damals noch die Vereitelung eines Lieblingsgedankens – Karls Versuch, die deutsche Succession auf seinen eigenen Sohn, den spanischen Philipp, zu lenken.

F. hatte mit seiner Gemahlin Anna über 25 Jahre in äußerst glücklicher Ehe gelebt; zu seiner tiefsten Trauer war sie am 27. Jan. 1547 in Prag gestorben; jeden Gedanken einer Wiederverheirathung lehnte er beharrlich ab. Die Ehe war mit 15 Kindern gesegnet, von denen zwei jung starben, drei Söhne den Vater überlebten und beerbten (Max, Ferdinand, Karl), drei Töchter Nonnen wurden, während sieben Töchter Ehebündnisse mit Prinzen von Polen, Baiern, Cleve, Mantua, Ferrara und Toscana abschlossen. Der älteste Sohn, Maximilian, war der natürliche Erbe der Länder seines Vaters, wenigstens der Hauptmasse derselben. 1549 brachte es F. dahin, daß die Böhmen ihn als Nachfolger anerkannten; er wurde mit Karls ältester Tochter 1548 verheirathet, ohne dadurch Länderzuwachs, auf den er gehofft, zu gewinnen; aber F. hatte geglaubt, dereinst ihn auch zum Nachfolger in der Kaiserwürde befördern zu dürfen. Diese Erwartung erwies sich als eine Täuschung. Karl wollte vielmehr seinen eigenen Sohn dem Bruder als Nachfolger geben. 1551 mußte F. sich verpflichten, für diesen Plan zu arbeiten; widerwillig und mit Sträuben nahm er diese Aufgabe auf sich. Die Vereitelung des spanischen Successionsprojectes ist sicher theilweise ihm auf Rechnung zu setzen, sie entsprach jedenfalls seinen lebhaftesten Wünschen. Aber der Eifer, mit dem F. bisher Karls politischer Helfer und Diener gewesen, war doch durch diese Vorgänge erkaltet, 1551 und 52 trat er nicht mehr so auf, wie es früher seine Art gewesen. Es mag dazu gekommen sein, daß F. damals die Unmöglichkeit eingesehen, die kaiserliche Religionspolitik erfolgreich durchzusetzen, von der Nothwendigkeit gewisser Concessionen an die protestantischen Reichsstände mochte er sich überzeugt haben. Bei der Erhebung der Deutschen, an deren Spitze Kurfürst Moritz von Sachsen stand, 1552, trat F. von vornherein auf mit der Absicht der Vermittlung zwischen Karl und Moritz, nicht mit unbedingter und entschiedener Parteinahme für den Bruder. Während Moritz gegen Karls Person nach Süddeutschland heraufzog, hatte F. unterwegs eine Besprechung mit ihm in Linz (April 1552), in welcher sie einen nach einigen Wochen zu beginnenden Waffenstillstand zur Friedensberathung verabredeten. Diese Berathungen geschahen darauf im Juni und Juli in Passau. Im Einvernehmen mit einer großen Anzahl deutscher Fürsten von beiden Glaubensbekenntnissen brachte F. den „Passauer Stillstand" zu Wege, dem Karl bis zuletzt widerstrebte, den F. dem Bruder gradezu abzwingen mußte: zur Beruhigung Deutschlands hielt er diese Concessionen für unerläßlich; trotz seines eigenen Katholicismus war er bereit sie zu gewähren.

Der Passauer Stillstand, die Erhaltung des Friedens im Reiche, der Augsburger Religionsfriede, sind die persönlichen Leistungen Ferdinands für Deutschland, auf denen das ehrenvolle Gedächtniß seines Namens bei der Nation beruht. Von lauterer Kirchlichkeit erfüllt, orthodox und devot für seine Person und in allen Verhältnissen seiner Umgebung, hatte er die staatsmännische Einsicht gewonnen von der Unvertilgbarkeit des Protestantismus und der daraus sich ergebenden Nothwendigkeit, ihn factisch zu dulden. Mit ganzer Bestimmtheit schied an diesem Punkte seine Bahn sich von der des Bruders. Und nachdem Karl, körperlich und geistig gebrochen durch die Unglücksschläge von 1552, noch einen letzten Versuch zur Ueberwindung der Gegner im Winter 1552–53 gemacht und [640] bei demselben wiederum unterlegen war, da faßte er den Entschluß, sich ganz von Deutschland abzuwenden und für alles und jedes die Verantwortung dem Bruder zu überlassen. F. übernahm auf sein Gewissen diese Verantwortung, so sehr er auch den Bruder bat, nicht ganz und für immer von der Regierung Deutschlands sich zurückziehen zu wollen. Das brüderliche Verhältniß war inzwischen vollständig wieder hergestellt; wiederholt versicherte Karl, auf Philipps Nachfolge in Deutschland endgültig verzichtet zu haben. F. unternahm es 1553, den Frieden und Besitzstand im Reiche zu schützen; dazu diente ihm das Einverständniß mit Kurfürst Moritz und seinem Nachfolger August, dazu dienten die Bündnisse mit den größeren deutschen Territorien, besonders der Heidelberger Fürstenbund 1553–56 und der Landsberger Bund seit 1556. Das wichtigste aber war, daß er auf dem Augsburger Reichstage 1555 die zeitweilige Duldung des Protestantismus, die in Passau gewährt war, zu einer bleibenden zu machen sich überwand. Gegen Karls Willen, gegen die lebhaft eingreifenden Bemühungen des päpstlichen Nuntius wagte F. diesen großen Schritt principieller Bedeutung und gewaltiger Tragweite: er that, was er mußte; er ließ sich durch nichts in seiner für nothwendig erkannten Entschließung beirren. Freilich, er durfte wol darauf hinweisen, daß er in dem sogen. geistlichen Vorbehalt dem Weitervordringen des Protestantismus eine Schranke gesetzt, daß er grade an den bedrohtesten Stellen, d. h. in den geistlichen Fürstenthümern, die Fortdauer des Katholicismus gesichert habe: er that nicht mehr, als er mußte. Ja er hoffte auf eine Neubelebung und Kräftigung der katholischen Kräfte, deren Schutz er im Religionsfrieden aufgerichtet zu haben sich schmeichelte. Kaiser Karl hatte damals schon, 1555, die Absicht, von allen Geschäften sich zurückzuziehen gefaßt; nach und nach legte er seine Kronen nieder. Schon 1556 hatte er der Kaiserkrone entsagen wollen, nur auf das Zureden Ferdinands behielt er sie noch eine Weile. Erst 1558 führte er seine Absicht aus. Da erschienen auf einem Kurfürstentage in Frankfurt seine Gesandten, die Abdankung dem Reiche zu notificiren; unmittelbar folgte darauf die Krönung des schon 1531 gewählten römischen Königs zum Kaiser (am 24. März 1558). Erst von da ab beginnt formell sein kaiserliches Amt, wenn er auch schon seit 1555 die Regierung vollständig geführt.

Es war sein Bestreben, den 1555 gewonnenen Zustand zu erhalten und zu beschützen. Er widerstand jeder Abänderung seiner Grundlagen. Schon auf dem Regensburger Reichstage (1556) hatten die Protestanten Aufhebung des geistlichen Vorbehaltes gefordert, ein Ansinnen, dem F. sofort sich widersetzte. Andererseits aber hielt er auch die ihnen gegebene „Declaration“ in Kraft, daß in den geistlichen Fürstenthümern der bestehende Protestantismus der Landstände nicht angefochten werden sollte. Im September 1557 wurde in Worms durch ein Religionsgespräch zu einer Versöhnung der Parteien ein Anlauf genommen, dessen einziges Ergebniß Hader und Entzweiung unter den Protestanten selbst war. Der Augsburger Reichstag (1559) mußte bei dem Religionsfrieden als dem passendsten Auskunftsmittel bleiben. 1556 forderten viele ständische Deputirte Oesterreichs von F. die Ausdehnung des Religionsfriedens auch auf die innerösterreichischen Lande; er betonte ihnen gegenüber sein eigenes katholisches Bekenntniß, aber er stellte weitere Schritte zur Religionsvergleichung in Aussicht. Die Praxis seiner Regierung war jedenfalls trotz der verschiedenen strengen Religionserlasse eine milde und nachsichtige. Und ebenso half F. im deutschen Reich manchem Anstande ab durch sein praktisches Verhalten; er gestattete vielfach, daß ein protestantischer „Administrator“ ein geistliches Fürstenthum verwaltete und regierte, wenn er auch einen nichtkatholischen Bischof nicht zuzulassen gewillt war; das war eine factische Connivenz, welche im Augenblicke über die [641] Schwierigkeiten hinweghalf, aber das katholische Princip doch wahrte und eine anders geartete Praxis der Zukunft vorbehielt. Ueberhaupt, es war F. weit entfernt von der Idee, über die Linie des Religionsfriedens irgendwie hinauszugehen; er trachtete vielmehr dahin, der Zukunft des Reiches eine möglichst katholische Richtung wieder zu geben. Aus voller Ueberzeugung und mit allen seinen Kräften unterstützte er alle jene Bemühungen und Versuche, die damals für eine innere Restauration und äußere Kräftigung der katholischen Kirche geschahen. Zwar hatte 1558 der Eifer des Papstes Paul IV. ihm einen ärgerlichen Streit erregt, aus welchem ein weniger devotes Gemüth leicht Anlaß zu ernsten Conflicten mit dem Papstthum entnommen hätte; bei F. hatte es keine bedenklicheren Folgen. Der Papst meinte, ohne seine Zustimmung sei Karls Resignation und Ferdinands Krönung ungiltig; er verweigerte dem österreichischen Gesandten die nachgesuchte Audienz. Das Motiv Pauls war zweifelsohne das Gefühl päpstlicher Omnipotenz, verbunden mit seinem Haß gegen das Haus Habsburg, aber ebenso seine Entrüstung über den von F. geschlossenen Religionsfrieden und seine Besorgniß, daß Ferdinands Sohn, Maximilian, dem Lutherthum anhänge. F., so sehr er vor den Fürsten des Reiches die Kränkung der kaiserlichen Würde betonen und Rechtsdeductionen gegen die päpstlichen Anmaßungen vortragen ließ, suchte doch nach einem Ausweg, den Papst zu beschwichtigen, und bediente dafür gern sich der Vermittlung seines Neffen, Philipps II. von Spanien. Diese Mittel wirkten. Nach Pauls Tode erkannte auch sein Nachfolger Pius IV. sofort ohne Umschweife F. als Kaiser an. Die Beziehungen zwischen diesen beiden Spitzen der Christenheit wurden recht freundliche und intime. So weit des Kaisers Einfluß reichte, bemühte er sich um Läuterung und Besserung der kirchlichen Dinge; dem Orden der Jesuiten eröffnete er Eingang in seine Lande, um Bestellung tüchtiger Prediger bemühte er sich unablässig. Alles was von Spanien auf dem Tridentiner Concil 1562 und 63 geschah, die Kirchenzucht zu heben, wurde von ihm gefördert. Die Berufung dieses Conciles war ihm erwünscht, wurde von ihm wiederholt eifrig betrieben. Zwar hätte er die Versammlung eines ganz neuen Conciles der vom Papste beliebten Wiederaufnahme der 1552 suspendirten Synode vorgezogen; Rücksicht auf die Ansichten der Deutschen lag ihm ja besonders nahe, aber er fügte sich auch in die gegentheilige Entscheidung. Mit reger Theilnahme verfolgte er die Arbeiten des Conciles, immer bereit, seinen Einfluß geltend zu machen, wo es im Interesse der von ihm heiß ersehnten Kirchenreform wünschenswerth erschien; vor allem half er zu dem Versuche, die Unabhängigkeit der conciliaren Verhandlungen vor päpstlicher Einwirkung zu schützen. In allen diesen Dingen schloß er sich der spanischen Politik unbedingt und offen an; überhaupt innigstes Zusammenhalten mit Philipp von Spanien war seine Losung, sowol für das Concil als für die meisten Fragen europäischer Politik. Es gab nur wenige Punkte, in denen er von der spanischen Auffassung abwich. Der wichtigste derselben betraf die Möglichkeit einer kirchlichen Concession, um die Wiedervereinigung abgewichener Christen mit der Kirche zu erleichtern. F. hatte mit vielen hervorragenden deutschen Theologen der katholischen Seite die Ansicht gewonnen, daß eine Aufhebung des Cölibatzwanges und eine Freigebung des Laienkelches für Deutschland nothwendige Maßregeln wären, ja von ihnen versprachen viele Optimisten sich wunderbare Wirkungen. Er betrieb diese Dinge auch gegen den heftigen Widerspruch der Spanier. Er setzte durch, daß das Concil dem Papste diese Concessionen für einzelne Particularkirchen anheimstellte; Papst Pius hatte zugesagt, für Oesterreich und Baiern sie später zu gewähren. Mit dem Gesammtergebniß der conciliaren Arbeiten durfte F. zufrieden sein; er unternahm es, auf der gebahnten Straße noch ein Stück weiter zu schreiten, indem er Wicel’s und Cassander’s theologische Programme [642] zum Ausgangspunkt seiner Regierungsthätigkeit nehmen wollte: sein Tod verhinderte, daß wirkliche Ergebnisse seinen Absichten entsproßten. Als einen großen Erfolg muß man es bezeichnen, daß er seinen dem Lutherthum zugeneigten und zum Anschluß an die Protestanten sich bereitenden Sohn Maximilian bei der katholischen Seite zu bleiben bewog; indem er mit Verlust des Erbes ihn bedrohte, zugleich aber dem katholischen Erzherzog große Aussichten eröffnete (in erster Linie die Kaiserkrone, weiterhin aber auch die Succession in Spanien), fesselte er die Zukunft des deutschen Kaiserthumes der Habsburger unlösbar an die Sache des damals neu erstarkenden und aufstrebenden Katholicismus. Nachdem F. dem Sohne ein bindendes und die Katholiken beruhigendes Versprechen abgenommen, warb er selbst für ihn um die Stimmen der Kurfürsten; auf Ferdinands Betreiben wurde Maximilian im November 1562 zum römischen König gewählt.

In den eigenen Ländern ist die Regierung Ferdinands die Epoche, in welcher die ersten Grundlagen moderner staatlicher Einrichtungen gelegt und in die ständischen Zustände mittelalterlicher Art die Anfänge fürstlicher Souveränetät eingeschoben worden. F. ging darauf aus, die verschiedenen Provinzen zu einem staatlichen Ganzen zusammenzuschmelzen, 1528 versuchte er Oesterreich und Ungarn und Böhmen zu gemeinschaftlichem Münzsystem zu vereinigen, 1529 und 1541 gemeinsame Maßregeln gegen die Türkengefahr in allen Theilen anzuregen. 1556 brachte er wenigstens aus den fünf niederösterreichischen Ländern einen gemeinsamen Ausschußtag in Wien zusammen; doch überwand er den Particularismus der Provinzen nicht bleibend und nicht gründlich. Was die Verwaltung angeht, so war es von Anbeginn seiner Regententhätigkeit seine Absicht, Organe zu schaffen, welche in allen Provinzen gleichmäßig die Regierung ausübten: 1522 rief er den Hofrath (Geheimerrath) ins Leben; im Finanzwesen Oesterreichs suchte er gleichzeitig Ordnung zu schaffen; zu diesem Zwecke setzte er die Raitkammer damals ein. Später widmete er sich der Organisation der ungarischen Finanzen. In Böhmen stärkte er ebenfalls die fürstliche Gewalt über den ständischen Sondertendenzen. 1556 schuf er den ständigen Kriegsrath für seine sämmtlichen Länder zur Leitung des Heerwesens; 1562 bewog er die Ungarn zum Anschluß an das Wiener Münzsystem; er stellte Beamte in den verschiedenen Theilen des Landes an, ohne Rücksicht auf ihre Nationalität oder Landsmannschaft. Dem ältesten Sohne Max hatte er die Nachfolge in Böhmen gesichert, 1563 geschah auch seine Krönung in Ungarn, bei welchem Anlaß es zu principiellen Discussionen über den Gegensatz von Erbrecht und Wahl mit den Ungarn kam. Es war dann aber ein Abweichen von den sonst festgehaltenen Principien der Regierung, daß F. durch sein Testament (am 25. Febr. 1554) zwei Nebenfürstenthümer schuf, indem er dem zweiten Sohne, Erzherzog Ferdinand, Tirol und dem jüngsten, Erzherzog Karl, Steiermark mit Kärnthen und Krain zuwies; es scheint, als ob die väterliche Liebe über den Geist des Herrschers unbilliger Weise den Sieg davongetragen.

F. war eine kleine, zartgebaute Figur, zierlich und lebhaft und anmuthig in allen Bewegungen, mit dunkler Hautfarbe, lang herabhängendem Haar, ein tüchtiger Reiter und Jäger. Lebhaften, leidenschaftlichen Temperamentes redete und gesticulirte er gern und viel: aber er war arbeitsam, thätig in seinen Geschäften, Voll guter Auffassung und Einsicht. Nüchtern und einfach in seinen Lebensgewohnheiten, verschmähte er es doch nicht, bei vorkommenden Gelegenheiten mit Würde und Pracht zu repräsentiren. Nach der junggeschlossenen Ehe bewahrte er der Gattin seine Treue, ohne außerehelichen Liebesfreuden nachzujagen: in recht vielen Stücken war er das Gegentheil seines Bruders! Er war meistens gesund gewesen; erst in den letzten Jahren zeigten sich Krankheitsspuren bei ihm. [643] Er starb am 25. Juli 1564 in Wien. Sein kirchlicher Sinn ist schon wiederholt berührt worden; und doch hatte er trotz des persönlichen Eifers den Religionsfrieden Deutschland gewahrt. Eine merkwürdige Lebensbahn! Aus dem Nationalspanier seiner Jugend war ein deutschen Ideen zugänglicher und deutschen Bedürfnissen nachlebender deutscher Fürst geworden.

Wie das persönliche Leben und die Regierungsgeschichte Ferdinands ganz untrennbar mit den Geschicken und Thaten Karls V. verknüpft und verschlungen ist, so würde auch (mit wenigen Ausnahmen) die gesammte Quellenlitteratur zur Geschichte Karls V. an dieser Stelle aufgezählt werden müssen: alle die zeitgenössischen Darstellungen, die wir besitzen, die großen sowol (wie Giovio, Guicciardini, Adriani, Sleidan, Sepulveda etc.) wie die kleineren, verweben Ferdinands und Karls Lebenswege ineinander. So muß an dieser Stelle auf das verwiesen werden, was der Artikel über Karl V. zu bringen haben wird; hier soll nur das speciell auf F. bezügliche erwähnt werden. Ueber seine Jugend und Erziehung existirt eine Relation jenes Fray Alvaro Osorio, den wir als den ersten Lehrer des Infanten genannt (bei Sandoval, Vida y hechos del emperador Carlos V. [1681], I. § 64). F. als Herrscher haben später venetianische Diplomaten mehrfach eingehend charakterisirt und in ihren Relationen behandelt: 1541 Sanuto, 1543 Cavalli, 1548 L. Contarini, 1551 Cavalli, 1557 Badoero, 1557 Tiepolo, 1559 Mocenigo, 1562 Soranzo, 1564 Micheli (bei Alberi, Relazioni venete und Fiedler, Relationen venetianischer Botschafter über Deutschland im 16. Jahrhundert). Nach seinem Tode schrieb in Venedig sofort der Historiker Alfonso Ulloa aus den ihm dort bekannt gewordenen Nachrichten Vita del potentissimo e christianiss. imperatore Ferdinando primo, 1565, ein Buch, das er Maximilian II. zu widmen den Muth hatte. In Deutschland versuchte es der bekannte Simon Schard, eine Uebersicht seiner Regierung mit einer prägnanten Charakteristik seines Wesens zu liefern, Epitome rerum in variis orbis partibus a confirmatione Ferdinandi I. et electione Maximiliani II. imperatorum hic inde gestarum. – Briefe und Actenstücke zu seiner Biographie enthalten die allgemeineren Sammlungen der Papiers d’état de Granvelle, der Documentos ineditos, die Publicationen von Lanz, Heine-Döllinger, Maurenbrecher, v. Druffel, Sickel etc. Unter den Neueren hat L. Ranke ihn zuerst geschildert in dem trefflichen Aufsatz „Ueber die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II.“ (Histor.-polit. Zeitschr. I. 1832, jetzt Werke VI.) und wiederholt in seiner Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation, 1839 (4. Aufl. 1867). Eine sehr ausführliche Darstellung widmete dem Gegenstande v. Bucholtz, Gesch. d. Regierung Ferdinand d. Ersten. 9 Bde. 1831–38, auf die archivalischen Schätze Wiens gestützt, reichen Inhaltes, aber unkritisch in Forschung und Darstellung. – Der Wiener Archivar v. Gevay stellte das Itinerar Kaiser Ferdinands I. 1521–64 (1843) zusammen (da das Werk nicht im Buchhandel zu haben, ließ Stälin in den Forschungen z. D. G. I. 1862 einen Auszug aus ihm drucken). Derselbe v. Gevay veröffentlichte auch Urkunden und Actenstücke z. Gesch. der Verhältnisse zwischen Oesterreich, Ungarn und der Pforte im 16. und 17. Jahrhundert (4 Lieferg. in 4. 1838–39). In letzter Zeit hat überhaupt die österreichische Historiographie angefangen, in monographischen Beiträgen einzelne Verhältnisse und Beziehungen dieser Regierung detaillirt durchzuarbeiten. Hierhin gehörige Actenstücke sind in verschiedenen Zeitschriften durch Chmel, Stülz, Stögemann, Zeibig, Krones, Firnhaber, Oberleitner u. A. veröffentlicht und erläutert. Was das Ganze betrifft, so sind wir allerdings noch auf das recht ungenügende Werk von Mailath, Geschichte des österr. Kaiserstaates II. 1837, angewiesen (Bidermann’s Geschichte d. österr. Gesammtstaatsidee 1526–1705 [1865] ist [644] ein verfehlter Versuch). Einige der wichtigsten Monographien mögen zuletzt noch verzeichnet werden: Oberleitner, Oesterreichs Finanzen und Kriegswesen unter Ferdinand I. (1859). Firnhaber, Urkunden z. G. des Anrechtes des Hauses Habsburg auf Ungarn (1860). Gindely, Ueber die Erbrechte des Hauses Habsburg auf Ungarn (1873). Oberleitner, Parteikämpfe in Niederösterreich 1519 u. 1520 (1864). v. Krauß, Zur Gesch. Oesterreichs 1519–22 (1873). v. Krauß, Englische Diplomatie im J. 1527 (1871).[2]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 633. Z. 12 v. o. l.: die habsburgischen Brüder (statt Länder). [Bd. 55, S. 889]
  2. S. 644. Z. 7 v. o.: In allerjüngster Zeit hat Krones (Handbuch der Geschichte Oesterreichs) im dritten Bande (1878) eine vortreffliche Uebersicht über Ferdinand I. Regierung geliefert, welche das angeführte Werk von Mailath vollständig überflüssig macht. [Bd. 9, S. 795]