ADB:Thugut, Johann Amadeus Franz de Paula
Kaiserin Maria Theresia eines Tages in der Stiegenhalle der Wiener Hofburg einen ausgesetzten Säugling gefunden und sich mit den Worten: „Thugut soll der Name dieses Wurmes sein“ erbarmt habe; derselbe habe gut gethan, denn er sei der spätere Freiherr Franz Maria v. Thugut gewesen. Eine andere Sage lautet dahin, daß die Kaiserin, bei Maria Taferl über die Donau setzend, den Fährmann um den Namen des klug in die Welt schauenden, am Steuer sitzenden Jungen fragte und dieser achselzuckend zur Antwort gab: „Der hat keinen Namen, ist ein Findelkind, ein Thunichtgut!“ Und die Kaiserin erbarmte sich des Waisenknaben und nannte ihn Thugut. Eine dritte Sage endlich läßt unsern Th. als Tunicotta und als den Sohn eines armen Schiffers an der Donaulände in Linz 1736 das Licht der Welt erblicken. Den beiden ersten Sagen liegt die Thatsache zu Grunde, daß sich Maria Theresia des Knaben annahm, den beiden letzten, daß die Familie wirklich früher Thunichtgut hieß, wie aus Thugut’s Verlassenschaftsabhandlung hervorgeht. Darnach war Thugut’s Urgroßvater, Andreas Thuenitguet, Schulmeister in Stein, fürstlich Schwarzenberg’sche Herrschaft Krumau, im Budweiser Kreise. Von diesem stammten, aus zweifacher Ehe, durch zwei Söhne getheilte Linien ab, von denen die ältere heute noch eine endlose Reihe als Schuster, Bauern, Leinweber abgezweigt hat, während unser Minister der durch die zweite Heirath jenes Andreas begründeten Linie angehört. Thugut’s Großvater Urban starb 1744 als Landmann zu Neustift bei Stein. Die Angabe, daß dieser dem Kaiser Karl VI. Dienste geleistet habe, läßt sich nicht erhärten. Urban wird in den Sterbematrikeln des Pfarramtes Stein schon als Thugut aufgeführt. Auch die ältere Linie änderte ungefähr zu derselben Zeit ihren Namen in dieser Weise. Urban’s einziger Sohn, der Vater des Ministers, hieß Johann. Am 9. Februar 1716 verehelichte sich dieser „wohledelgestrenge Herr Johann Philipp Thugut, der römisch-kaiserlichen Majestät Universal-Bancalitäts-Registratursadjunct“ in Gundramsdorf bei Wien mit Eva Maria, der leiblichen Tochter eines wohlhabenden Müllermeisters und Rathsbürgers Namens Sebastian Mösbauer. Der spätere Minister erblickte als jüngster Sohn seines Vaters am 31. März 1736 zu Linz das Licht der Welt, und empfing in der Taufe die Namen Johann Amadeus Franz de Paula – nicht Franz Maria – Th. Sein Vater, damals k. k. Kriegszahlmeister, scheint sich um den kaiserlichen Hof Verdienste erworben zu haben. Denn als er (1760?) starb, nahm sich die Kaiserin Maria Theresia seiner Wittwe und der fünf hinterlassenen Kinder an, und ließ sogar den jüngsten und begabtesten Sohn in der neu gegründeten orientalischen Akademie als einen der ersten Zöglinge ausbilden. Wir besitzen aus dieser Zeit noch eine eigenhändige Prüfungsarbeit desselben: [139] arabische Sprüche mit beigefügter lateinischer Uebersetzung. Am 1. Januar 1754 wurde er gleichzeitig mit Bernhard Jenisch zum orientalischen Sprachknaben ernannt und als solcher der Internuntiatur zu Constantinopel attachirt. Wir treffen ihn hier (seit December 1757) auf dem bescheidenen Posten eines Dolmetsches mit einem Jahrgehalt von 1000 Gulden. Seine leidende Gesundheit zwang ihn indeß, Constantinopel zu verlassen. Er wurde nun einige Zeit in Siebenbürgen als sprachlicher Vermittler zwischen den dortigen Behörden und denjenigen der angrenzenden türkischen Länder verwendet. Da er, wie Kaunitz sich ausdrückte, nicht nur verschiedene Sprachen, sondern auch gute Studia und Fähigkeit besaß, schlug der Staatskanzler vor, ihn zum Hofdolmetsch zu ernennen, zugleich aber, da er als solcher nicht ausreichend beschäftigt sein würde, als jüngsten Hofsecretär in der Staatskanzlei anzustellen.
Thugut: Johann Amadeus Franz de Paula (nicht Franz Maria) Th., geboren am 31. März 1736, † am 28. Mai 1818. Die Jugendgeschichte Thugut’s ist ein Gegenstand der Sagenbildung geworden, und zwar knüpft sich diese an seinen Namen. Bekannt ist die Erzählung, wonach die großeTh. befand sich in dieser Stellung, als er in Beziehungen gerieth, die unläugbar einen tiefen Schatten über seine späterhin so ruhmvolle Laufbahn werfen und sich wie ein unheimlicher schwarzer Faden viele Jahre lang durch sein vielbewegtes Leben ziehen. Ludwig XV. von Frankreich unterhielt an den Höfen Europas neben den officiellen diplomatischen Vertretern geheime Agenten, deren Aufgabe es war, an den betreffenden Orten Verbindungen anzuknüpfen, und dadurch den fremden Staatsgeheimnissen auf die Spur zu kommen. Dies war auch in Wien der Fall, wohin sich zu diesem Zwecke 1766 ein gewisser Barth begab, der daselbst die Bekanntschaft Thugut’s machte. Letzterer fand sich zu einer geheimen Correspondenz bereit, die den König so befriedigte, daß er ihm seit 1768 eine Pension auswarf und das Brevet eines Oberstlieutenants verlieh, kurz, ein Jahreseinkommen von 13 000 Livres und im Nothfall ein Asyl in Frankreich zusicherte. 1769 wurde Th. an Brognard’s Stelle zum Geschäftsträger an der Pforte ernannt. Als solcher setzte Monsieur Freund – das war sein nom de guerre – die Correspondenz mit dem Hofe von Versailles fort, und zwar auf dem Seewege, um vor Entdeckung sicherer zu sein. Uebrigens darf zur theilweisen Entlastung Thugut’s bemerkt werden, daß jene Correspondenz ziemlich belanglos gewesen zu sein scheint, daß er in derselben von den beiden Ministern Choiseul und Kaunitz, die er gleichzeitig bediente, jedenfalls dem letzteren Rechnung trug und Oesterreichs Interesse höher als jenes Frankreichs stellte. Als er in Pera eintraf, fand er Oesterreichs Einfluß daselbst auf ein Minimum reducirt. Erst nach und nach gelang es ihm, denselben bei der Pforte wieder zu befestigen. Derselbe äußerte sich zuerst in der Convention, die er zur Geheimhaltung derselben in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli 1771 in einem Landhause, welches der Gemahlin des Kaimakams, einer Schwester des Großherrn, gehörte, mit der Pforte abschloß, derzufolge Oesterreich die Abtretung der sogenannten kleinen Walachei und eine Kriegsentschädigung von 11 Mill. zugesagt wurde, wogegen der Wiener Hof sich verpflichtete, entweder durch Verhandlungen oder durch Drohungen, ja selbst mit Waffengewalt der Pforte zu einem annehmbaren Frieden mit Rußland, mit welchem sie damals im Kriege lag, zu verhelfen und Polens Unabhängigkeit zu wahren. Die Kaiserin Maria Theresia war zwar nicht ganz einverstanden mit dem Vertrage; sie nehme, bemerkte sie, nicht gerne Geld von diesen Leuten. „Sonsten,“ setzte sie aber hinzu, „finde das Thugutt sich wohl aufgeführet nach seinen (des Fürsten Kaunitz) anleitungen.“ Zum Lohn für seine erfolgreichen Dienste wurde Th. auf Antrag des Staatskanzlers zum österreichischen Internuntius ernannt und in den Ritterstand erhoben. Bald fand er Gelegenheit, sich noch größere Verdienste zu erwerben. Statt dem, seinen eigenen Interessen entsprechenden, und daher sicherlich aufrichtigen Wunsche gemäß der Pforte zu einem leidlichen Frieden verhelfen zu können, sah sich der Wiener Hof vielmehr durch die Haltung Rußlands und [140] Preußens genöthigt, seine Politik völlig zu ändern. Nachdem er dem Vertrage über die erste Theilung Polens beigetreten war, mußte er auf die beiden anderen Theilungsmächte Rücksicht nehmen und war nicht mehr im Stande, die Pforte bei den Friedensverhandlungen mit Rußland so nachdrücklich zu unterstützen, wie dies der, übrigens österreichischerseits formell nicht ratificirten Convention vom 6. Juli 1771 entsprochen hätte. Schon im Januar 1772 mußte Th. der Pforte den vorläufigen Abschluß eines Waffenstillstandes und die Berufung eines Friedenscongresses empfehlen. Bald fiel ihm die noch heiklere Aufgabe zu, den türkischen Staatsmännern klar zu machen, weshalb Oesterreich sich von der Theilung Polens nicht ausschließen, und die Pforte bei den Friedensverhandlungen nur moralisch unterstützen könne, eventuell die Convention gänzlich aufzuheben bereit sei. In heimlicher, nächtlicher Zusammenkunft mit den Pfortenministern (8. und 9. Mai 1772) entledigte sich Th. seines Auftrages, der bei einer zweiten Zusammenkunft in der Nacht vom 6. auf den 7. Juni in ganz unerwarteter Weise dahin erwidert wurde, daß sich in Anbetracht der Verhältnisse der Sultan mit dem Angebot friedlicher Förderung seiner Interessen begnüge, und daß er, falls er durch letztere im Besitz der Donaufürstenthümer und der Tataren verbleibe, die Convention als verbindlich ansehen wolle, wo nicht, wenigstens auf die Rückerstattung der bereits bezahlten Summe von 3 Mill. Piaster verzichte. Am 10. Juni 1772 kam ein Waffenstillstand auf 6 Wochen zwischen der Pforte und Rußland zu Stande. In Fokschani sollte über den Frieden verhandelt werden. Außer zwei türkischen Bevollmächtigten reisten dahin auch Th. und Zegelin als Vertreter der vermittelnden Mächte. Die Pforte warf für Th. 25 000 Piaster aus zum Ersatz der Reisekosten und hinlänglich Ambra, Aloë, Scherbet und eingemachte Früchte, um die Reise zu versüßen. Th. erzählte später gerne, wie er den einen der beiden türkischen Bevollmächtigten auf dem ganzen Wege mit Lesen eifrig beschäftigt fand, und als er ihn fragte, was er denn eigentlich lese, zur Antwort erhielt: er wolle sich über die Grundsätze europäischen Rechtes unterrichten, um den Kunstgriffen der russischen Botschafter um so sicherer begegnen zu können. Er – Th. – habe erwartet, eine Uebersetzung Machiavelli’s oder des Hugo Grotius in den Händen des Türken zu finden, aber zu seinem Staunen eine Uebersetzung des Neuen Testamentes gesehen. – Der Congreß wurde am 19. August eröffnet. Die russischen Bevollmächtigten protestirten gegen die Zulassung Thugut’s und Zegelin’s. Auch zerschlugen sich die Verhandlungen an der Tatarenfrage. Th. kehrte nach Constantinopel zurück, während auf Rußlands Verlangen, das den Abbruch des Congresses mißbilligte, ein neuer zu Bukarest zusammentrat, zu dem jedoch Th. nicht geladen wurde. Da indeß die Pforte die guten Dienste Oesterreichs bald wieder in Anspruch nahm, wollte Kaunitz dies Ansinnen benützen, um den Endzweck der durch die Verhältnisse hinfällig gewordenen Convention von 1771 – die friedliche Erwerbung der kleinen Walachei – auf anderem Wege zu erreichen. Er schlug vor, der Pforte für diesen Landstrich eine ansehnliche Geldsumme anzubieten, welche sie in den Stand setzen würde, sich billigere Friedensbedingungen von Rußland zu erkaufen. Doch sprach sich Kaiser Joseph dagegen aus und bezeichnete vielmehr jenen moldauischen Landstrich – die spätere Bukowina – den er auf einer Bereisung Siebenbürgens kennen gelernt hatte, als eine für Oesterreich wünschenswerthe Acquisition. Th. fiel die Einleitung und Durchführung der Verhandlungen über die Erwerbung dieses Gebietes zu. Es fehlte nicht an Gegenbemühungen. Von dem preußischen Gesandten Zegelin, von dem russischen, Repnin und von dem Hospodar der Moldau, Ghika, gingen dieselben aus. Auch wurde Th. kurz vor Abschluß der betreffenden Convention von einer so bedenklichen Erkrankung befallen, daß er nur seine Aufgabe vollenden wollte, [141] um sodann aus dem Staatsdienste zu scheiden. Aber bis dies geschehen sollte, entwickelte er eine fieberhafte Thätigkeit. Ueberzeugt, daß bloße Verhandlungen mit den Türken nicht zum Ziele führen würden, ertheilte er seinem Hofe den von diesem auch befolgten Rath, das beanspruchte Gebiet vor allem zu besetzen, um sodann die Pforte zu friedlicher Cession des occupirten Landstrichs zu bewegen. Andrerseits kam ihm das Mißtrauen der Pforte wider Ghika, der diese gegen Oesterreich aufzustacheln suchte, zu Statten, sowie auch, daß Ghika’s Schwiegervater, Jakobaki Riso, Oesterreich günstig gestimmt war und in diesem Sinne auch zuletzt seinen Schwiegersohn beeinflußte. Thugut’s Scharfsinn und Gewandtheit wußte schließlich alle Hindernisse zu besiegen, und am 7. Mai 1775 kam die Convention zum Abschluß, durch welche die Bukowina an Oesterreich gelangte.
Obgleich Thugut’s Gesundheit durch den langen Aufenthalt in Constantinopel und durch aufreibende Dienstleistung gelitten hatte, so ließ er sich doch bereit finden, dem Wunsche des Kaisers Folge zu leisten, und noch ferner auf seinem Posten auszuharren; nur erbat er sich einen vorübergehenden Urlaub. Auch Kaunitz ließ seiner hervorragenden Begabung Gerechtigkeit widerfahren, meinte aber, man werde sich von Th. nur dann ersprießliche Dienste versprechen dürfen, wenn man ihn richtig zu leiten verstehe. Denn mit sehr großen Eigenschaften verbinde er überaus große Fehler des Temperaments, welche bei solchen Menschen, wenn sie nicht mit Geschicklichkeit gelenkt würden, oft in sehr gefährliche Fehler des Charakters ausarten. Uebrigens bat Kaunitz die Kaiserin, Th. aus diesem Anlasse das Commandeurkreuz des St. Stephansordens zu verleihen. Es ist bezeichnend für die Kaiserin und für ihre Beurtheilung der Geschäfte, in denen Th. gebraucht worden war, daß sie meinte, auch das Ritterkreuz dieses Ordens sei eine ausreichende Belohnung. Nur ungern gab sie endlich nach. „Finde es stark,“ resolvirte sie, „gleich commandeur, nachdeme der Kayser darzu inclinirt, werde es gehen lassen. wegen seiner Hieherkunft ist es erlaubt.“
Seine geheimen Beziehungen zu Versailles unterhielt Th. auch noch zu dieser Zeit. Man war dort ebenso zufrieden mit ihm, wie in Wien. Einen Augenblick peinlichster Aufregung verursachte ihm der Tod Ludwig’s XV. und der damit erfolgte Zusammenbruch des „geheimen Cabinets“. Der neue Minister Vergennes war wohl in die früheren Geheimnisse eingeweiht, aber ein Feind der Bestechungen und noch mehr war dies bei Ludwig XVI. der Fall. Dürfen wir Soulavie Glauben schenken, so besorgte Th. namentlich, daß die junge Königin hinter seine Schliche kommen und ihn ihrer Mutter verrathen könnte. Doch sandte St. Priest, der französische Botschafter in Constantinopel, zu dem Th. in nahen Beziehungen gestanden hatte, an die ihm vorgesetzte Behörde ein Memoire zu Gunsten Thugut’s, in welchem er an die demselben gemachten Versprechungen erinnerte und ankündigte, daß derselbe demnächst von Constantinopel abberufen werden und nach Frankreich kommen werde, wo er in die Dienste des Königs zu treten wünsche. Er betrachte es als sein Glück, in Frankreich unter einem Ministerium, das ihn kenne, zu stehen. Vergennes erwiderte: Th. könne auf Geheimhaltung, Erfüllung der ihm gemachten Zusagen, und falls er nach Frankreich komme, auf gute Aufnahme rechnen. Nicht so der König, der wohl die von seinem Vorgänger gegebenen Versprechungen erfüllen zu wollen erklärte, aber es ablehnte, ihn in seinen Dienst zu nehmen und erst nach längerer Zeit sich bereit fand, ihm die Verleihung des Postens eines Brigadiers, d. h. die damit verbundenen Bezüge, für die Zukunft in Aussicht zu stellen.
Mit der Grenzberichtigung, welche die Erwerbung der Bukowina erheischte, schloß Thugut’s diplomatische Thätigkeit in Constantinopel. Er trat zunächst [142] eine Urlaubsreise nach Frankreich und Italien an, auf der er sich jedoch gleichfalls einiger diplomatischer Aufträge zu entledigen hatte. Der französischen Regierung sollte er die mißliche Lage der Pforte vorstellen und sie zu deren werkthätiger Unterstützung anregen, zugleich aber für den schon damals gewärtigten Fall eines baldigen Sturzes des türkischen Reiches, die Gesinnungen des französischen Hofes sondiren. In Florenz sollte er für die Herstellung des Friedens mit den Barbaresken thätig sein. In Paris, wo er im Juli 1777 eintraf, fand er das Ministerium so sehr von dem Zwiespalte mit England in Anspruch genommen, daß es den Verhältnissen des Orients fast gar keine Aufmerksamkeit schenkte. Von glücklicherem Erfolge war seine Mission nach Florenz begleitet. Uebrigens scheint Th. in Paris auch seine persönliche Angelegenheit betrieben zu haben. Wenigstens wissen wir, daß damals (1777) der König seine Zufriedenheit über die ihm bisher von Th. geleisteten Dienste aussprach und sich zwar weigerte, ihn sofort als Brigadier anzustellen, aber dies für den Fall des Ausbruches eines Krieges in Aussicht stellte. In diesem Zusammenhange erscheint auch das Gesuch Thugut’s im eigenthümlichen Licht, der noch vor Abschluß des Teschner Friedens um die Erlaubniß bat, nicht mehr auf seinen Posten in Constantinopel zurückkehren zu müssen, vielmehr, wenigstens einstweilen, in den Ruhestand treten zu dürfen. Das hinderte ihn indeß nicht, der Kaiserin im bairischen Erbfolgekriege neue und wichtige Dienste zu erweisen.
Bekanntlich war Maria Theresia diesem Kriege abgeneigt, zumal sie aus den Berichten ihres Sohnes aus dem Feldlager ersah, was dabei auf dem Spiele stand. Daher faßte sie (1778) den Entschluß, von dem sie ihren Sohn erst nachträglich in Kenntniß setzte, unmittelbar mit dem Könige von Preußen zu verhandeln. Zum Unterhändler ersah sie auf den Rath ihres Staatskanzlers Th., der sich mit einem russischen Passe unter dem Pseudonym eines russischen Legationsraths Rosdolf über Neiße und Glatz in das preußische Hauptquartier begab, das sich damals zu Welsdorf im Königgrätzer Kreise Böhmens befand. Er traf daselbst am 16. Juli ein und überreichte schon am folgenden Morgen Friedrich II. ein eigenhändiges Schreiben der Kaiserin, worauf er die Friedensvorschläge der letzteren umständlich entwickelte. Am nächsten Tage händigte ihm der König einen Brief an die Kaiserin, einen von ihm selbst unterzeichneten Paß zur Rückreise nach Wien und außerdem ein Papier ein, auf welchem er zu den Vorschlägen der Kaiserin vorläufig vier weitere Punkte eigenhändig gesetzt hatte, während er die Vorschläge selbst vorläufig nicht erwiderte, sich vielmehr hinter der Abwesenheit seiner Minister verschanzte. Am 18. Juli verließ Th. den König mit dem Eindrucke, daß derselbe den Frieden wolle; am 21. Juli erstattete er Kaunitz seinen Bericht und dieser unmittelbar der Kaiserin. Es handelte sich nunmehr um die Fortsetzung dieser Verhandlungen. Maria Theresia wollte fernerhin nur im Einvernehmen mit ihrem Sohne vorgehen; dieser aber lehnte es ab, an Verhandlungen theilzunehmen, die man, ohne ihn zu Rathe zu ziehen, begonnen habe. Er erklärte, daß er Th., wenn derselbe in seinem Lager erscheine, nicht empfangen werde. Da traf ein neues Schreiben des Königs mit Gegenvorschlägen ein, welche die Hoffnung einer baldigen Verständigung auszuschließen drohten und daher auch die schon ausgearbeitete Instruction, mit welcher Th. zum König zurückkehren sollte, hinfällig machten. Da Joseph auch jetzt der Kaiserin jeden Rathschlag versagte, blieb ihr nichts übrig, als auf eigene Verantwortung zu handeln. Sie wollte jetzt jeder Erwerbung entsagen, wenn auch Friedrich für sich und seine Erben auf Ansbach und Baireuth verzichte. Sie sandte Th. neuerdings nach Welsdorf, wo derselbe am 10. August eintraf. Aber der König erklärte den Vorschlag als unannehmbar. Selbst als Th., hierin eigentlich seinen Auftrag überschreitend, auf seine früheren Instructionen [143] zurückgriff, und dem König die Vortheile vor Augen stellte, welche für ihn in dem eventuellen Austausch der fränkischen Fürstenthümer gegen die Lausitz lägen, meinte zwar Friedrich, er spiele die Rolle eines Versuchers nicht übel, wies ihn aber zuletzt an seine Minister, die damals zu Braunau weilten, wohin sich Th. auch wirklich begab, um indeß nach fruchtlosen Verhandlungen am 16. August auch diesen Ort mit der im Gegensatz zu früheren Eindrücken gewonnenen Ueberzeugung zu verlassen, daß es dem König um eine friedliche Vereinbarung nicht mehr zu thun sei.
Nach Constantinopel kehrte Th. nicht mehr zurück. Zwar wünschte die Kaiserin, daß er seinen dortigen Posten wieder einnehme, um die wichtigen Interessen wahrzunehmen, die daselbst für Oesterreich auf dem Spiele standen, und Th. erklärte sich zuletzt auch bereit, sich noch auf ein oder zwei Jahre nach Constantinopel zu begeben. Allein Kaunitz machte aufmerksam darauf, daß ein so kurz bemessener Zeitraum zur Erreichung der Zwecke, welche der Kaiserin vorschwebten, nicht ausreiche und setzte es durch, daß zum Internuntius Herbert ernannt wurde, während Th., der die kurze Zeit des ihm zu theil gewordenen Ruhestandes zu einer Reise nach Belgien und Holland benützte, hauptsächlich in der Absicht, sein noch in der Levante und in einigen anderwärtigen Hafenplätzen befindliches, übrigens wenig beträchtliches Vermögen an sich zu ziehen, nachdem sein Ansuchen, ihn nach Paris zu senden, unerhört geblieben war, bald nach Abschluß des Teschener Friedens an Stelle Revitzky’s zum Gesandten in Warschau ernannt wurde. Damals (1780) wurde die Pension, die er aus Frankreich bezog, in eine lebenslängliche Rente von jährlich 13 000 Livres verwandelt. Aber auch jetzt scheint Th. dem Gedanken nicht völlig entsagt zu haben, den Zwiespalt seines Gewissens in der allein möglichen Weise durch den Uebertritt in den französischen Staatsdienst zu lösen. 1783 zum Geheimen Rath ernannt, nahm er neuerdings Urlaub und ging nach Paris, wo er vier Jahre verblieb. Er knüpfte hier zahlreiche Verbindungen an. Er lernte Gérard de Rayneval, La Marck, Mirabeau und dessen Secretär Pellenc, Augeard, den Secrétaire des Commandements der Königin, den später so berüchtigten Marquis Poterat kennen und verkehrte auch mit Lafayette. Von besonderem Werth wurde ihm die Freundschaft Mercy’s, dem er in aufrichtigster Verehrung sich hingab. Zu Ende des Jahres 1787 kam er als bevollmächtigter Minister nach Neapel, wo u. a. Gyrowetz von demselben zu einem der durch den damaligen Legationsrath Hadrava veranstalteten Concerte, dem auch Goethe beigewohnt haben soll, geladen wurde. Th. hatte sich in Neapel einer schwierigen Aufgabe zu entledigen. Sein Vorgänger, Graf Richecourt, war infolge eines unliebsamen Auftrittes mit der Königin Caroline abberufen worden. Die Wahl des Kaisers war auf Th. gefallen, „der ein Mann von Geist und Kenntnissen ist und im Stande sein wird, der Königin Rathschläge zu ertheilen, wenn sie anders geneigt sein wird, ihn zu hören“. In der That versäumte Th. im Sinne seines Monarchen keine Gelegenheit, wo er der Königin gute Rathschläge ertheilen, ihre Hitze dämpfen und sie von unklugen Schritten – namentlich gegenüber Spanien – abhalten konnte, während die Königin Th. in ihr Vertrauen zog, da sie schon damals den Wunsch hegte, ihre beiden ältesten Töchter an die beiden ältesten Söhne ihres Bruders Leopold zu vermählen. Doch gerieth Th. dadurch in immer schärferen Gegensatz zu Acton, der seinerseits alle Minen springen ließ, um Th. aus dem Sattel zu heben. Uebrigens lenkte schon damals Th. die Aufmerksamkeit der diplomatischen Welt auf sich. „Das ist ein Arbeiter, den man beobachten muß“, schrieb der französische Gesandte Noailles an seinen Hof. 1789 verließ Th. den Gesandtschaftsposten in Neapel. Zu Anfang des Jahres 1790 wurde er als königl. Commissär nach Bukarest entsendet, [144] um dem Namen nach die Verwaltung der Walachei zu übernehmen, in Wirklichkeit, um sich seiner bei den künftigen Friedensverhandlungen zu bedienen. Joseph II., erzählt Zinzendorf, habe beim Abschied seine Hand ergriffen und gesagt: „La paix, la paix, la paix.“ Th. befand sich, so erzählte später sein Freund Dietrichstein, zu Giurgewo gerade zur Zeit (9. Juni), als die Türken aus der Citadelle den Ausfall machten, der das Ende der Belagerung herbeiführte. Während Coburg abwesend, die obersten Befehlshaber getödtet und alles in Schrecken und Verwirrung befangen war, behielt Th. allein Ruhe und Geistesgegenwart; er zog seinen Galanteriedegen, ermuthigte die Seinigen und gab die treffendsten Anordnungen. Zu Ende des Jahres 1790 treffen wir ihn in Wien, wo er nun offenbar Boden zu neuer Thätigkeit zu gewinnen suchte. Er wußte sich bei Spielmann in Gunst zu setzen, obgleich er dessen Politik (den Congreß von Reichenbach) nicht billigte und beglückwünschte (12. December) Mercy aus Anlaß des Haager Tractates. „Obgleich“, setzt er hinzu, „ich bei meiner Ankunft in Wien vorhatte, nur kurze Zeit daselbst zu verweilen, hielten mich verschiedene Umstände wider Erwarten zurück und ich werde nicht vor dem 26. oder 27. d. M. abreisen können.“ Er wollte zunächst nach Italien gehen, um sodann zur besseren Jahreszeit zu Mercy zu eilen. Die angedeuteten „Umstände“ hielten ihn noch in den ersten Monaten des Jahres 1791 in Wien fest. Th. verließ erst um den 8. April Wien und reiste zunächst nach Paris, ohne aber, wie es scheint, den Zweck seiner Reise dahin, sein Vermögen, das großentheils in französischen Staatspapieren angelegt war, herauszuziehen, erreicht zu haben. Er setzte sich mit Mirabeau in Verbindung und nahm später dessen Secretär Pellenc aus Mercy’s in seinen Dienst.
Im September 1791 ging er nach Brüssel, mit der Absicht, sich von da nach Italien zu begeben, woran ihn jedoch zunächst eine Krankheit hinderte. Er beschloß daher in Brüssel zu bleiben, um womöglich von dort aus seine Geldangelegenheiten in Frankreich zu betreiben, ja um, sofern es die Umstände ermöglichen würden, zu diesem Zwecke noch einmal selbst nach Paris zu gehen. Auch von seiten des Hofes trug man sich (Ende Januar 1792) mit der Absicht, Th. nach Paris zu senden, um den König und die Königin vertraulich von den Plänen des Kaisers in Kenntniß zu setzen. Doch kam es nicht mehr dazu. Noch am 18. März 1792 begegnen wir ihm in Brüssel, von wo aus er den Grafen Colloredo anläßlich der Thronbesteigung Franz II. zu seiner Ernennung zum Cabinetsminister beglückwünschte. Bald nach Ausbruch des Krieges mit Frankreich, im Mai, reiste er nach Wien, wo er am 7. Juni ankam und u. a. in Mercy’s Namen über die Lage in Belgien berichten und den Fürsten Kaunitz über verschiedene Dinge unterrichten sollte, die schwer der Feder anzuvertrauen waren. Er fand wohl die Gelegenheit einer langen Unterredung mit Kaunitz, aber er klagt in einem Schreiben an Mercy (21. Juni 1792) über den langsamen Gang der Geschäfte und über die „erstaunliche Gleichgültigkeit gegen alles, was Frankreich betreffe, trotz der begründeten Ursache, die man habe, die dortigen Vorgänge auf das aufmerksamste zu verfolgen“. In Wien sollte er auch die Wiederanstellung des Grafen La Marck in der kaiserlichen Armee betreiben. Er fand aber die Stimmung dem Grafen nicht günstig. Aus Paris wußte er damals nichts über den Stand seiner Angelegenheiten. Kruthofer ließ nichts von sich hören. In der Hauptsache richtete er in Wien damals nur wenig aus. Der junge König befand sich in Ungarn, wo er gekrönt wurde, und reiste bald darnach zur Kaiserkrönung nach Frankfurt. Th. konnte also die maßgebenden Personen über Staatsangelegenheiten nur flüchtig sprechen. Doch entnahm er diesen Gesprächen allenthalben den Wunsch, daß Mercy mit allem betraut werde, was auf die künftige Pacification mit Frankreich Bezug habe. Er theilte dies [145] Mercy am 4. Juli mit dem Beifügen mit, man halte für nothwendig, denselben mit dem Herzog von Braunschweig in Verbindung zu setzen, es werde vermuthlich all dies zu Frankfurt und bei der Entrevue mit dem König von Preußen beschlossen werden. „Unser neuer Herr“ (Franz II.), bemerkt er, „ist geliebt über alle Begriffe und hat nach dem Urtheil der ganzen Welt ausgezeichnete Eigenschaften, die für die Zukunft zu den größten Hoffnungen berechtigen. Leider verursachen in diesem Augenblick die unglaubliche Anhäufung der Geschäfte, der Kampf der Parteien und andere Umstände unvermeidlich in den Dingen und Maßnahmen eine solche Complication und einen derartigen Wechsel, daß man sich schwer von dem Ganzen eine klare Vorstellung machen und auf nichts von einem Tage zum andern zählen kann.“ Während Th. noch in Wien weilte, sprach man davon, daß sich Kaunitz zurückziehen wolle. Th. meinte, das sei wohl nur momentane Stimmung, wie schon früher zu verschiedenen Zeiten, und werde hoffentlich vorübergehen. „Sollte aber“, bemerkte Th. in einem Briefe an Mercy vom 2. August, „wider alles Erwarten eine Aenderung im Ministerium eintreten, so ist die wahrscheinlichste Vermuthung momentan die, daß Fürst Starhemberg, unter Beibehaltung seines gegenwärtigen Platzes oder unter Verzicht auf denselben zu Gunsten Colloredo’s, die auswärtigen Geschäfte übernimmt und daß Cobenzl zum Kanzler für die Niederlande und Italien ernannt werden wird.“ „Ew. Excellenz“, schließt er, „werden, wenn Sie diesen Brief erhalten, bereits unterrichtet sein von dem Ausgang, den in Polen die von den Nachäffern der französischen Revolution gespielte Farce gehabt. Der Beitritt des Könige zur Conföderation von Targovice und die Unterwerfung unter den Willen der Kaiserin scheint dort alle weitere Feindseligkeit beenden zu sollen. Es ist ein schönes Beispiel, das uns die Russen geben und ich wünsche, daß unsere Unternehmungen sofort von demselben Erfolge gekrönt seien“ (2. August 1792). Endlich, am 7. September 1792, konnte Th. Mercy mittheilen, daß letzterer beauftragt sei, sich unverzüglich zur combinirten Armee zu begeben, um mit allen in die französische Politik einschlägigen Verhandlungen betraut zu werden. Er selbst sei beauftragt, Mercy hierbei zu unterstützen und ihn nöthigen Falls zu vertreten. Spielmann, der sich damals von Wien ins Hauptquartier des Königs von Preußen begab, sollte auf der Rückkehr in Luxemburg mit Mercy zusammentreffen. Die Vollmacht für Mercy und Th. datirt vom 4. September. Th. selbst traf anfangs October in Luxemburg ein, nachdem er unterwegs Gefahr gelaufen, zu Speier den Franzosen in die Hände zu fallen, und nahm nun an den Verhandlungen theil. Schon damals zeigte er sich von dem tiefsten Mißtrauen gegen Preußen erfüllt. Einen Frieden mit Frankreich hielt er unter diesen Umständen für wünschenswerth, aber für unmöglich, da er den Verlust der Nieder1ande nach sich ziehen würde. Unter diesen Umständen empfahl er den Krieg fortzusetzen, zugleich aber andere Mächte als Gegengewicht gegen Preußen zu gewinnen. Er selbst sehnte sich wieder nach einer größeren Thätigkeit. Er verließ Luxemburg, unterwegs erfuhr er (6. November) von der Niederlage der Oesterreicher bei Mons (Jemappes) und begab sich daher nach Lüttich und von da nach Mastricht, wo er mit Mercy zusammentraf, der ihn aufforderte, sich neuerdings nach Wien zu begeben, um dort von den letzten politischen Vorfällen mündlich Bericht zu erstatten. Obgleich damals leidend, so daß er unterwegs zu Kassel einige Tage verweilen mußte, ging er nach Wien, wo wir ihn am 27. December 1792 antreffen. „Am zweitnächsten Tage meiner Ankunft hatte ich“, schreibt er an Mercy (27. December 1792), „die Ehre, mich dem Kaiser zu Füßen zu legen. Se. Majestät richtete mehrere Fragen an mich und schien genau unterrichtet [146] über die Hauptursache der Unglücksfälle in den Niederlanden und fest entschlossen, denselben in Zukunft zu begegnen. Ich glaube, daß dieser Entschluß unabänderlich ist, um so mehr, als die Festigkeit, die der Kaiser in der Regel in seinen nach reiflicher Ueberlegung gefaßten Entschlüssen zeigt, nicht die geringste seiner ausgezeichneten Eigenschaften ist.“
Th. wurde bereits am 19. Januar 1793 zum österreichischen Armeediplomaten in den Niederlanden bestimmt. Es scheint, daß sein wachsender Einfluß Spielmann und Cobenzl lästig wurde und daß sie ihn deshalb entfernen wollten. Allein es sollte anders kommen. Am 23. Januar 1793 kam zwischen Preußen und Rußland der Tractat über die zweite Theilung Polens zu Stande, bei welchem Oesterreich mit leeren Händen ausging. Denn, statt wie Preußen einen sofortigen Landerwerb in Polen einzuheimsen, wurde ihm freigestellt, durch den belgisch-bairischen Tausch eine gleiche Entschädigung zu erlangen oder sich von Frankreich eine solche zu erkämpfen. Auf den Kaiser machte diese Ueberraschung den peinlichsten Eindruck. Der Vicekanzler Cobenzl und der Staatsreferendar Spielmann, denen dieser Mißerfolg zur Last fiel, hatten ihre Rolle ausgespielt, während sich das Vertrauen des Kaisers Th. zuwendete. Schon am 24. Februar erging an den Vicekanzler ein von Th. selbst entworfenes kaiserliches Handschreiben, durch das diesem zur Vorbereitung auf seine Mission der Einblick in alle diplomatischen Actenstücke gestattet und zugleich angeordnet wurde, daß er bis zu seiner Abreise allen Ministerialconferenzen beizuwohnen habe. Unter andern war dies am 11. März der Fall, als es sich um den Entwurf der Instruction für Mercy handelte, der nach London gesandt werden sollte, um eine Allianz mit England zu Stande zu bringen, die einer der Theilnehmer – Rosenberg – unter den gegenwärtigen Umständen als „summum bonum“ bezeichnete. Th. schloß sich der Anschauung Rosenberg’s und des Cabinetsministers Colloredo an, derzufolge bei der Abneigung Englands gegen den bairischen Tausch, dieser nicht mehr als Basis jener Entschädigungen betrachtet werden dürfe, welche der Kaiser zu fordern berechtigt sei. Er legte darüber dem Kaiser selbst eine Denkschrift vor, und wurde am 18. März beauftragt, ein vertrauliches Handschreiben des Kaisers an Mercy zu verfassen, dem ein Promemoria beigeschlossen ist, in welchem er bereits das Programm seiner eigenen künftigen Politik entwirft. Der Kaiser – hieß es in demselben – wolle keineswegs der Verbindung mit Rußland und Preußen entsagen; wohl aber gegen deren bedenkliches Einverständniß durch die Allianz mit England ein Gegengewicht schaffen. Letztere könne in näherer oder fernerer Zukunft zu einer Tripelallianz zwischen Oesterreich, Rußland und England erweitert werden, deren Mittelpunkt natürlich der Kaiser, und die von allen denkbaren Allianzen die dauerhafteste sein würde. Das bairische Tauschproject sollte von der Entschädigungsfrage getrennt behandelt, und – falls England nicht die förmliche Garantie übernehme – für den Moment fallen gelassen werden, mit dem ausdrücklichen Vorbehalt des Rechtes, bei passender Gelegenheit auf dasselbe zurückzukommen. Die Entschädigung sollte auf Kosten Frankreichs erfolgen.
Am 25. März überreichten die Vertreter Rußlands und Preußens in Wien den Theilungsvertrag, dessen Inhalt noch die schlimmsten Erwartungen übertraf. Am 27. erhielten Cobenzl und Spielmann ihre Entlassung. Th. trat an die Stelle des erstem als „Generaldirector der auswärtigen Angelegenheiten“, ein Titel, der wohl mit Rücksicht auf Kaunitz geschaffen wurde. Ein Handschreiben des Kaisers zeigte diesem den Wechsel mit dem Bemerken an, daß Th. sich in Kaunitzens Schule und nach dessen Grundsätzen gebildet zu haben rühme, und daß dies zu den Hauptgründen seiner Ernennung gehöre. Cobenzl’s Sturz war wohl verdient und es war daher eine arge Selbsttäuschung, wenn sich derselbe [147] als das Opfer einer Cabale betrachtete, die von dem Cabinetsminister Colloredo und dem Oberstkämmerer Rosenberg ausgegangen sei. Eine andere Frage ist, wer auf Th. hinwies. Rosenberg ist davon auszuschließen (s. u.); sonst werden noch Mercy und (Graf) Colloredo, auch der alte Kaunitz genannt. Nicht ohne Einfluß dürfte aber – wenn auch gewiß nicht direct auf den Kaiser – das hochinteressante Memoire eines Ungenannten vom 1. Februar 1793 (bei Vivenot, Gesch. Quell. II, 46 f.) gewesen sein, das neben Mercy und Ludwig Cobenzl, damals Botschafter in Petersburg, Th. als den einzigen „homme d’esprit“ bezeichnet. Der offenbar sehr hochstehende, wohlunterrichtete und einsichtsvolle Verfasser – gewiß aber war es nicht, wie Vivenot vermuthet, der damals ganz einflußlose Prinz von Ligne, gegen den auch die stilistische Fassung spricht – hebt zwar als einen Charakterzug Thugut’s dessen Unlust, sich mit Staatsgeschäften abzugeben hervor, führt aber dieselbe auf die geringe Meinung zurück, die er von seinen Auftraggebern hege, die ihn oft als einen Visionär betrachten, während er viel weiter blicke als sie, und schließt mit der Bemerkung, daß man ihn Mercy, mit dem er auf dem besten Fuße stehe, beigesellen möge, da man niemanden mit mehr Beruhigung als ihnen das Heil des Staates anvertrauen könne.
An Thugut’s Erhebung knüpften sich große Erwartungen. Manche erblickten in ihm endlich „den Anker, das Palladium, den Achilles der österreichischen Politik“ (Casti). Ohne Zweifel war Th. eine höchst ungewöhnliche Erscheinung, damals vielleicht der einzige Mann, welcher den Schwierigkeiten der Lage gewachsen war. Schon das war epochemachend in einem Staate wie Oesterreich, daß ein Mann bürgerlicher Abkunft bloß durch Talent und Verdienst sich auf einen Posten emporschwang, der bisher nur Mitgliedern des hohen Adels zugänglich schien. Gesellschaftlich vereinsamt, hatte er gerade von dieser Seite manche Anfechtungen zu erleiden. Die in ihren Erwartungen Getäuschten vereinigten sich bald wider ihn zu einer mächtigen Ligue, der vor allem der niederländische Hofkanzler Trauttmansdorff und der Reichsvicekanzler Fürst Colloredo angehörten. Aber auch die Fürsten Rosenberg und Starhemberg waren ihm abgeneigt. Zu seinen Gegnern zählten ferner der alte Feldmarschall Lacy, dem er dies reichlich dadurch vergalt, daß er ihn von der Kenntniß aller wichtigeren Staatsgeschäfte ausschloß, der geistvolle Fürst von Ligne und – mit Ausnahme La Marck’s – fast der ganze in österreichischen Diensten stehende niederländische Adel. Als seine Gegnerin betrachtete er auch die Erzherzogin Christine, die freilich mit größerem Rechte ihn zu ihren Gegnern rechnete, wozu der Umstand den Anlaß gab, daß ihr Gemahl, der Herzog Albert von Sachsen-Teschen, als sich Th., hierin von der Königin von Neapel unterstützt, bei Kaiser Leopold um den Rang und die Uniform eines Generalmajors bewarb, sich dagegen aussprach. Dazu kamen endlich auch alle diejenigen, welchen die Art der Geschäftsführung Thugut’s zu Klagen Anlaß gab, da sie nun nicht mehr, wie zuvor, ihren persönlichen Einfluß im auswärtigen Amte geltend machen konnten, zumal Th. unverheirathet war und seit er Minister geworden, auch den Besuch von Gesellschaften vermied. Th. duldete keinen derartigen Einfluß. Er hielt allein den Faden der Geschäfte in den Händen, Jenisch und Deiser allein genossen sein Vertrauen. Er selbst trug die Expeditionen zum Kaiser oder zu Graf Colloredo, so daß in seinem Bureau keine Spur derselben zurückblieb. Trauttmansdorff sprach daher gelegentlich gegen den Kaiser die Besorgniß aus, daß, wenn der Minister erkranke, niemand ihn werde ersetzen können. Man klagte über den Despotismus des „Großvezirs“, der alles an sich reißen, dabei aber für nichts die Verantwortung tragen wolle. Man verstieg sich zu der Behauptung, er sei ein Jesuit und, je nach der Parteistellung der betreffenden Verläumder, er sei von England oder vom Convent [148] bestochen. „Il est sûr“, fügt Zinzendorf bissig hinzu, „qu’il y auraient des moyens de le gagner, en le laissant jouir de ses rentes viagères.“ – Doch fehlte es nicht an billigeren Beurtheilern seines Wirkens. Zu seinen älteren Freunden gehörte vor allem Mercy, zu dem er fast in dem Verhältniß eines gelehrigen Schülers stand. Der englische Oberst Crawford sprach in Ausdrücken der Hochschätzung von ihm und der langjährige englische Gesandte in Wien, Sir Morton Eden, nannte ihn den Pitt Oesterreichs. Zu seinen Freunden zählte auch, im Gegensatz zu seinem Vater, Graf Louis Starhemberg, seit 1793 Botschafter in London, Bellegarde, nicht einer der glücklichsten, aber einer der gesinnungstüchtigsten Generale Oesterreichs, vor allem aber jener Graf Franz Dietrichstein, „vielleicht der unabhängigste Charakter der gesammten österreichischen Aristokratie“, für den Th. noch nach seiner Abdankung ein Gegenstand fast enthusiastischer Verehrung war, so daß er aus diesem Anlasse sogar dem Staatsdienst für immer entsagte und den Generalcharakter ablegte, wie er denn auch ihm, als er starb, in seiner eigenen Familiengruft eine Grabstätte bereitete. Wichtig war es für Th., daß er sich auch die Gunst der einflußreichen Kaiserin erwarb, die Hauptsache aber, daß er sich zum Kaiser richtig zu stellen und denselben von dem hohen Werth seiner Dienstleistung zu überzeugen verstand, indem er sich ganz und voll seinem Berufe hingab und zwar in einer Weise, die auch uns mit seiner leider nicht makellosen Vergangenheit einigermaßen versöhnt. Was übrigens diese betrifft, so wurde sie bald offenkundig, da, wie wir sehen werden, man französischerseits durch die Enthüllung derselben seinen Sturz zu erzielen suchte. Auch dem Kaiser konnte sie nicht verborgen geblieben sein. Es ist unter diesen Umständen die von anderer Seite ausgesprochene Vermuthung nicht eben rundweg abzuweisen, daß Th. gelegentlich vor seinem kaiserlichen Herrn eine Art Generalbeichte abgelegt und von diesem die Absolution erhalten habe.
Was sein politisches System betrifft, so kann dasselbe in dieser biographischen Skizze nur kurz berührt werden. Wie er selbst indirect seine Erhebung zum Director der auswärtigen Angelegenheiten der zweiten Theilung Polens verdankte und dieser für Oesterreich so nachtheilige Vertrag ein Werk Preußens war, war fortan in ihm der Haß gegen diese Macht, welche auch sonst ihm allenthalben den Plänen Oesterreichs hemmend entgegen zu treten schien, ebenso unauslöschlich, als der Haß gegen die Umsturzpläne des jakobinischen Frankreich. Demnach äußerte sich diese vorwiegend conservative Politik als Antagonismus gegen das Vordringen Preußens einer- und wider den von Frankreich her drohenden Umsturz andrerseits. Ihren positiven Inhalt aber nahm sie aus sich selbst. In letzterer Hinsicht stellt sich Th. als ein Zögling der Josephinischen Schule dar. Auch er zeigte sich erfüllt von der Idee allseitiger Unabhängigkeit und geographischer Abrundung Oesterreichs, für dessen moderne Großmachtstellung er mit der Virtuosität eines geriebenen Diplomaten und mit dem Eifer eines Enthusiasten den Grund zu legen suchte. Gleich Joseph II. strebte auch Th., wenigstens anfangs, die Erwerbung Baierns an. Zwar mußte er, dem Wunsche des neuen Bundesgenossen England gemäß, auf den Plan eines Eintausches von Baiern gegen das durch die Schlacht bei Neerwinden wiedergewonnene Belgien verzichten. Da ihm aber zugleich die Aussicht auf Englands eventuelle Zustimmung zur Erwerbung Baierns eröffnet wurde, falls diese im Umtausch mit den auf Frankreichs Kosten zu erzielenden Eroberungen bewerkstelligt werden könnte, so war Th. in erster Linie neben der Ausdehnung der österreichischen Niederlande bis an die Somme, zugleich auf die Zurückwerfung Frankreichs bis auf die Grenzen vor dem pyrenäischen Frieden bedacht, und es ist daher die übrigens auch durch den österreichischen Feldzugsplan [149] von 1793 widerlegte Behauptung, es sei Th. mit der Erwerbung des Elsaß nicht Ernst gewesen, ebenso falsch als die Meinung, er habe sich um jeden Preis Belgiens zu entledigen gesucht, dessen Besitz er vielmehr durch die Gewinnung einer festen Barrière zu sichern wünschte. Allerdings hatte er kurz vor seiner Berufung in das Ministerium gegen Crawford den Besitz Belgiens als einen Schaden für Oesterreich bezeichnet, weil es in seiner Entlegenheit ohne Hülfe anderer Mächte schwer zu behaupten und der Kaiser daher für seine Erhaltung genöthigt sei, jenen Mächten Concessionen auf Kosten seiner Würde und seiner Interessen zu machen. Aber Crawford selbst fügt vorsichtig hinzu, es stehe dahin, ob Th. auch als Minister derselben Ansicht sein werde. Auch hatte er allerdings jede Betheiligung Oesterreichs an der Bezahlung jener Subsidien, von denen Preußen seine fernere Theilnahme an dem französischen Kriege abhängig machte, ebenso wie die von Coburg und Mack dringend verlangte Verstärkung der in Belgien stehenden Truppenmacht abgelehnt. Aber die finanzielle Lage Oesterreichs war, wie aus internen Berichten und aus den nachfolgenden Anlehensverhandlungen in England hervorgeht, in der That eine äußerst bedrängte, während andrerseits die Recrutirung in den Erblanden bereits auf die größten Schwierigkeiten stieß. Freilich war im ersteren Falle das tiefeingewurzelte Mißtrauen gegen Preußen mit im Spiele, das als unzuverlässiger Alliirter zu betrachten sei, der desto mehr schaden könne, je mehr man ihn dazu in den Stand setze. Doch war Th. kein principieller Gegner der belgischen Kaiserreise, die bekanntlich trotz des damals erfolgten Aufstandes Kosciuszko’s nicht unterblieb. Die plötzliche Ankunft des Erzherzogs Karl in Wien hatte ihn allerdings sehr verstimmt, doch nur weil dieselbe durch den ihm so widerwärtigen Mack veranlaßt wurde, den er schon damals durch Waldeck ersetzt wissen wollte. In welcher Gesinnung Th. seinem kaiserlichen Herrn nach den Niederlanden folgte, geht aus zwei bisher nicht veröffentlichten Briefen desselben an Mercy hervor, der gleich Mack die unverzügliche Verstärkung der belgischen Armee urgirt hatte. Am 25. März theilt er demselben mit, daß die Reise des Kaisers für die ersten Tage des nächsten Monats definitiv beschlossen sei. Er hoffe ihn bald zu sehen und bitte ihn daher inständig, sein Urtheil über die Dinge bis zu ihrem Wiedersehen zu vertagen. Er werde sich sodann leicht überzeugen, daß vieles, was ohne Zweifel zu wünschen wäre, nicht möglich und daß, wie das Sprichwort sage, nicht alles, was glänze, Gold sei. Bestimmter lautet das zweite Schreiben vom 1. April 1794, wie folgt: „Graf Colloredo übernahm es, Ihnen diesen Brief zu übergeben. Ew. Excellenz werden in ihm einen Mann kennen lernen, der durch die Grundsätze der strengsten Rechtlichkeit und durch seine treue Anhänglichkeit an die Interessen der Monarchie mit vollem Recht sich das Vertrauen eines Monarchen erworben hat, dessen Herz er seit seiner Kindheit zur Tugend formte. Ich muß hier noch bis zum 9. bleiben, um mehrere Geschäfte zu erledigen, deren Zahl die unerwarteten Unruhen in Polen noch vermehren. Ich wage die inständigste Bitte zu erneuern, halten Sie mit Ihrem Urtheil zurück, bis ich Ihnen den wahren Stand der Dinge auseinandersetzen kann. Niemand ist mehr als ich überzeugt, daß man die größten Anstrengungen machen muß. Auch bin ich mit Ew. Excellenz von dem Nutzen überzeugt, den 50–60 000 Mann Preußen gewähren würden, hätte man sich mit einem Hofe, wie dem von Berlin, über ein Abkommen einigen können. Nehmen Sie hinzu, daß physisch gesprochen, wir keinen Heller haben und daß die von Malmesbury vorgeschlagene und zu London formell verworfene Convention sich nicht mit dem Rest unserer politischen Geschäfte verbinden ließ. Es ist beklagenswerth, daß trotz dem, was Se. Majestät selbst hier Mack gesagt hat, dieser General sich in den Kopf setzte, seinen Plan auf Annahmen und Voraussetzungen [150] zu stützen, von deren Unsicherheit er von vornherein in Kenntniß gesetzt war, während er das Project der Vendée, dessen Vortheil Sie seit langer Zeit zu erkennen schienen, unterschätzt … Es scheint ein eigner Unstern über dem Beginn unserer Feldzüge zu walten, denn voriges Jahr war es die schöne Proclamation und die Verhandlungen mit Dumouriez. Uebrigens gebe ich zu, daß unsere Lage keine freundliche ist. Doch wenn ich Ew. Excellenz auf alle Ihre Fragen werde geantwortet haben, so werden Sie sich überzeugen, daß, da man die Uebel nicht heilen kann, man darauf verzichten muß. Man muß machen, was man kann, und ich gestehe Ew. Excellenz, daß ich mir nicht vorzustellen vermag, daß es nicht noch Mittel gibt, und daß man nicht durch Ausdauer noch eine Auskunft finden wird, um wenigstens zu einer erträglichen Lösung zu kommen. Uebrigens bitte ich Sie noch einmal, meine Ankunft abzuwarten, ehe Sie aburtheilen.“
Es wird nun weiterhin behauptet, Th. habe in Belgien die militärischen Fortschritte zu hemmen gesucht und sei Schuld an der länger währenden Unthätigkeit der kaiserlichen Hauptarmee bei Cateau gewesen. Auch die Vorgänge am zweiten Schlachttage von Tourcoing werden mehrfach ihm aufs Kerbholz geschrieben. In Wirklichkeit saß er die ganze Zeit über zu Valenciennes und fand oft wochenlang keine Gelegenheit, den Kaiser, der damals ganz in den Krieg aufgehen zu wollen schien, zu sehen oder auch nur an ihn Bericht zu erstatten, konnte also auch nicht auf die militärischen Actionen Einfluß nehmen, die er sogar auf das tiefste beklagte und eben anläßlich der Schlacht bei Tourcoing als eine „guerre de petits paquets de canaux et de broussailles“ bezeichnete. Auch die Behauptung, daß er mit Frankreich Friedensverhandlungen angeknüpft habe, ist falsch. Denn wohl dürfte die Unterredung zwischen ihm und dem angeblichen Grafen Montgaillard wirklich stattgefunden haben, aber letzterer war gar nicht Agent Robespierre’s und hat selbst, was übrigens auch De Pradt bezeugt, jede Friedensverhandlung mit dem revolutionären Frankreich als aussichtslos hingestellt. Nicht Th., sondern Trauttmansdorff war es, der den Kaiser für den Frieden mit Frankreich zu stimmen suchte und ihm empfahl, die Truppen aus den Niederlanden abzuziehen und den Grenzen der alten Erblande zu nähern. Auch Mack war jetzt ähnlicher Ansicht. Bei einer Conferenz, die zu Tournai in Gegenwart des Kaisers stattfand, kam es zwischen diesem und Mercy zu einem heftigen Wortwechsel. Mack, so wurde in der Folge dem Grafen Zinzendorf von glaubwürdiger Seite erzählt, habe bei jener Unterredung den Vorschlag gemacht, dem feindlichen Commandanten Friedensanerbietungen zu machen und zwar mit der größten Publicität, um den Convent, falls er dieselben ablehne, ins Unrecht zu setzen. Th., den der Kaiser zuerst um seine Meinung befragte, habe sich hinter Mercy verschanzt, der sich zuvor äußern möge, da er Frankreich genau kenne. Da habe aber Mack erklärt, daß das jetzige Frankreich ihm besser als beiden bekannt sei, und als Th. hierauf einwarf, daß der Kaiser nicht einmal einen Waffenstillstand ohne Zustimmung seiner Verbündeten schließen könne, habe sich Mack darüber „moquirt“. Der Kaiser aber sei der Ansicht Mack’s beigefallen und habe Th. beauftragt, die Zustimmung der Verbündeten zur Anknüpfung von Friedensverhandlungen zu erwirken. Infolgedessen hätten die beiden Minister die Abreise des Kaisers betrieben, der sich dazu auch in der That am folgenden Tage entschloß. Es mag dahingestellt bleiben, ob der Kaiser wirklich den Auftrag zu Friedensverhandlungen gab. Sicher aber ist, daß Mercy und Th. dagegen stimmten und daher auch nicht so unwahrscheinlich, daß sie in der Besorgniß, Mack möchte den Kaiser für seine Ansicht gewinnen, diesen zur Abreise aus Belgien zu bewegen gesucht haben. Gelang ihnen dies, so erreichten sie damit auch das andere [151] Ziel – die Entfernung Mack’s, der diesmal sein Verbleiben bei der Armee ausdrücklich von der Anwesenheit des Kaisers abhängig gemacht hatte. Der Aufstand Kosciuszko’s, der sich von Woche zu Woche ernster gestaltete, legte den Gedanken der Rückkehr des Kaisers nach Wien ohnedies so nahe, daß es den beiden Ministern nicht schwer fallen mochte, den Monarchen von der Nothwendigkeit dieses Entschlusses zu überzeugen. Am 29. Mai gab der Kaiser denselben öffentlich bekannt. Am folgenden Tage wurde Mack seiner Stelle enthoben und Waldeck zu seinem Nachfolger ernannt. In diesem Sinne war Waldeck allerdings eine Creatur Thugut’s, die sich aber als Werkzeug seiner Pläne völlig unbrauchbar erwies. Von vornherein ein Anhänger der Richtung, welcher der Besitz der Niederlande werthlos erschien, hat vor allem Waldeck den Verlust derselben verschuldet. Ein tapferer Haudegen, zugleich aber ein ziemlich eng veranlagter Kopf, suchte er zwar anfangs das Feld gegen die Franzosen zu behaupten, als aber dann – infolge der Abreise des Kaisers und später Thugut’s, der nicht mehr Gelegenheit gefunden hatte, mit ihm sich mündlich auseinander zu setzen – durch längere Zeit keine schriftliche Weisung an ihn eintraf und er sich nur auf vorsichtig umschriebene Aeußerungen Mercy’s angewiesen sah, glaubte er, wie er in der Folge selbst reumüthig bekannte, daraus schließen zu müssen, daß die Räumung Belgiens in der Absicht des Kaisers liege und richtete darnach seine überstürzten Rückzugsbewegungen ein, bis ihn ein bisher nicht aufgefundener Brief Thugut’s, dessen Inhalt sich aber aus einem noch nicht veröffentlichten Schreiben des letzteren an Mercy klar ergibt, eines besseren belehrte. Daher auch die aufrichtige Entrüstung, welche Th. über den fortgesetzten Rückzug der belgischen Armee empfand. Hingegen soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden, daß Th. in der Frage über die Verwendung der preußischen Armee im J. 1794 nicht von Eigensinn und Leidenschaftlichkeit frei zu sprechen ist, die aber einmal in dem von ihm angenommenen System begründet war. Coburg und Waldeck wurden auf Wunsch der Engländer des Commandos enthoben. Man wollte Lacy den Oberbefehl übergeben; Th. sprach sich dagegen entschieden aus, er bat sogar um seinen Abschied, falls dies geschehe; auch gegen die Combination Erzherzog Karl-Mack kämpfte er vorzüglich deshalb, weil beide zur Partei Lacy’s gehörten. Der Befehl ging schließlich an den politisch farblosen Clerfayt über, dem Beaulieu als Generalquartiermeister zugesellt wurde.
Th. kehrte nach Wien gerade zur Zeit zurück, als der greise Haus-, Hof- und Staatskanzler Kaunitz aus dem Leben schied. In den aristokratischen Kreisen Wiens nannte man verschiedene Candidaten für diesen Posten: Lacy, Trauttmansdorff, den älteren Metternich und Chotek. Auch der Cabinetsminister Colloredo soll sich Hoffnung gemacht haben. Statt dessen trug auch diesmal der Bürgerliche den Sieg davon: wenige Tage nach dem Tode Kaunitz’ (13. Juli 1794) wurde Th. unter dem Titel eines „Ministers der auswärtigen Geschäfte“ die „einstweilige Vertretung der sämmtlichen zur Stelle eines geheimen Hof-, Staats- und Hauskanzlers sonst gehörigen Verrichtungen“ übertragen. Als solcher brachte er vor allem den Vertrag mit Rußland und Preußen über die dritte Theilung Polens zu Stande. Während nämlich der unglückliche Verlauf des Krieges mit Frankreich nicht nur die Hoffnung auf irgend welche Eroberungen nach dieser Seite hin und damit zugleich die Aussicht auf die Erwerbung Baierns zerstörte, sondern zuletzt auch den Verlust der Niederlande nach sich zog, strebte Th. mit größerem Glücke eine Ausgleichung des Mißverhältnisses an, welches in der einseitigen Vergrößerung lag, die Preußen bei der zweiten Theilung Polens zu theil ward. Daher suchte Th. seit dem Antritt seines Amtes die Beziehungen Oesterreichs zu Rußland neuerdings zu jener „feenhaften“ Innigkeit [152] zu gestalten, wie dieselben zur Zeit Joseph’s II. bestanden hatten. Hingegen ist es unrichtig, wenn behauptet wird, daß Th. einen Krieg mit der Pforte gewünscht habe. Ausdrücklich bezeichnet er vielmehr den Bruch mit dieser Macht, ehe der Krieg mit Frankreich beendet sei, als das größte Unglück, ja er erklärte (10. April 1794) geradezu einen Krieg mit der Pforte als die einzige Eventualität, welche den Kaiser zum Frieden mit Frankreich zwingen würde. Ebenso falsch ist die Angabe, daß er den Aufstand Kosciuszko’s mit Freuden begrüßt habe, da derselbe die Gelegenheit zu einer dritten Theilung Polens bieten werde. Richtig ist bloß, daß jener Aufstand ganz neue Ziele in den Vordergrund rückte, daß Th. die Consequenzen dieses Ereignisses sofort erkannte, namentlich daß bei dem Drängen Preußens eine neue Theilung nicht zu vermeiden sei, bei der Oesterreich nicht wie bei der früheren leer ausgehen dürfe. Es war dem österreichischen Gesandten in Petersburg, Ludwig Cobenzl, vorbehalten, den Mißgriff seines Vetters Philipp durch ein Abkommen mit Rußland – die dritte und letzte Theilung Polens – wett zu machen, deren Bedeutung nicht nur in dem beträchtlichen Ländererwerbe Oesterreichs, dem die Palatinate Krakau, Lublin, Chelm und Sandomir zufielen, sondern auch in dem Umstande lag, daß das minder reich bedachte Preußen seinen Widerstand dagegen ebensowenig, wie zwei Jahre zuvor Oesterreich aufrecht zu erhalten im Stande war. Ja noch mehr. An das Hauptabkommen (3. Januar 1795), welches über den Rest Polens verfügte, schloß sich in der Form einer geheimen Declaration ein Schutz- und Trutzbündniß der beiden Kaiserstaaten, welches sich in erster Linie gegen Preußen zuspitzte, zugleich aber in der orientalischen Frage sich als eine zweite Auflage der einst von Katharina und Joseph gehegten Entwürfe darstellt, indem es im Falle eines neuen Krieges mit der Pforte die Gründung eines aus Moldau, Walachei und Bessarabien bestehenden russischen Fürstenthums und die Zuwendung Bosniens und eines Theiles von Serbien, sowie der venetianischen Küstengebiete an den Kaiser in Aussicht nahm. – Den Angelpunkt der österreichisch-englischen Politik jener Jahre bilden die Anlehensconvention vom 4. und der Allianzvertrag vom 20. Mai 1795, den Höhepunkt der Erfolge Thugut’s die österreichisch-russisch-englische Tripelallianz vom 28. (17.) September 1795.
Der kurmainzische Friedensantrag und das Reichsgutachten vom 22. December 1794, vor allem aber der Separatfriede von Basel veranlaßten Th., auch zu der Reichspolitik Stellung zu nehmen, zu deren officiellem Vertreter, dem Reichsvicekanzler Colloredo, Th. als Träger der österreichischen Staatspolitik wiederholt in Gegensatz kam. Als Organ dieser Verhandlungen im Reiche, wobei es ihm vor allem darauf ankam, die kleineren Reichsfürsten von einem nicht durch das Reichsoberhaupt, sondern durch die Vermittlung Preußens anzubahnenden Friedensschlusse mit Frankreich zurück zu halten, diente ihm der in den Irrgängen des alten Reichsrechtes vielbewanderte Graf Lehrbach, der zu diesem Zweck zum „Generaldirector der geheimen Hof- und Staatskanzlei“ ernannt wurde, doch in voller Unterordnung unter Th. verblieb.
Daß, wie man behauptet hat, Th., während er die gegen Frankreich gerichtete österreichisch-englisch-russische Allianz betrieb und den Reichsfriedensschluß mit Frankreich zu hemmen suchte, insgeheim mit Frankreich über die Abtretung Belgiens und des linken Rheinufers gegen die Ueberlassung Baierns verhandelt habe, ist an sich nicht wahrscheinlich, aber auch nicht nachweisbar. Für die angeblich durch Carletti vermittelten Anerbietungen an den Convent und die darauf anspielende Aussage Merlin’s von Thionville bei dem Hüninger Gastmahl, ist die Aeußerung Merlin’s von Douai an den letzteren vom 20. September 1795 entscheidend: „L’Empereur cependant … comme tu sais, n’a pas encore fait un pas pour la paix.“ Auch die lange Waffenruhe am Rhein [153] vom October 1794 bis September 1795 kann nicht Th. in die Schuhe geschoben werden. Vielmehr beweist die von Vivenot veröffentlichte Correspondenz, wie unzufrieden der Kaiser mit der Unthätigkeit Clerfayt’s war, und diese Briefe des Kaisers sind fast alle von Th. eigenhändig entworfen. Wenn sodann Wurmser den Befehl des linken Flügels der nunmehr unter zwei Commandanten getheilten Rheinarmee übernahm und den unschlüssigen Clerfayt mit zu glänzenden Siegen fortriß, so war diese Wahl gerade Thugut’s Werk. Dagegen soll nicht bestritten werden, daß Friedenssondirungen stattgefunden haben. Die Fäden derselben leiten nach der Schweiz und Dänemark. Dort sollte Degelmann, der durch den Baseler Bürgermeister Burckhardt mit Bacher über die Auslieferung der Kriegsgefangenen, sodann auch über den Austausch der Tochter Ludwig’s XVI. gegen die staatsgefangenen Conventsmitglieder verhandelte, diese Gelegenheit benützen, um die Gesinnungen der leitenden Staatsmänner Frankreichs zu sondiren. Dänemark wurde von der Wiener Regierung als jener neutrale Hof ausersehen, durch den man die ersten Reichsfriedensanträge an Frankreich gelangen ließ. In das Ende des Jahres 1795 fällt auch die Mission Theremin’s an Degelmann, der ausweichend beschieden wurde, und jene Poterat’s nach Wien, wo er sich vergebens bemühte, Th. zu einem Separatabkommen zu bewegen. Wie einst zu Tournai vertrat auch diesmal Th. die Verpflichtungen des Kaisers gegen seine Verbündeten. Als das Gespräch sich auf die Rheingrenze und die Säcularisationen wandte, sprach Th., wie Poterat sich ausdrückt, mit Emphase von Moral und Gerechtigkeit und von den strengen Pflichten des Kaisers als Reichsoberhaupt; unmöglich könne er einwilligen, daß man die geistlichen Fürsten und andere Reichsstände ihrer Besitzungen beraube. Poterat will darauf erwidert haben, nachdem man vor kurzem Polen getheilt und die Beute ohne Gewissensbisse in Besitz genommen habe, seien dergleichen Redensarten nicht mehr angebracht; er setzt aber hinzu, Th. sei bei seinem Widerspruch verharrt, auch die triftigsten Gründe hätten ihn nicht bekehrt. Poterat reiste unverrichteter Dinge ab. Delacroix, der französische Minister des Auswärtigen, versuchte ein Pressionsmittel; er setzte Poterat von gewissen Papieren in Kenntniß, die man in Paris besitze, und deren Veröffentlichung für Th. compromittirend sei. Offenbar bezogen sich die Papiere auf die einst von Th. genossene französische Pension. Poterat theilte dies Th. „halb freundschaftlich schmollend, halb drohend“ mit; Th. würdigte ihn keiner Antwort. Gewiß gab es damals in Wien eine starke Friedenspartei. Wie Morton Eden bemerkt, war eigentlich nur mehr Th. für den Krieg, und selbst dieser, den der Prinz von Ligne deshalb mit Anspielung auf den „Friedensfürsten“ spottweise als „baron de guerre“ bezeichnete, trug der allgemeinen Stimmung Rechnung, obgleich er die Schwierigkeiten, zu einem Frieden zu gelangen, für unüberwindlich hielt. Als (1796) der Wiederausbruch des Krieges bevorstand, ließ er durch Degelmann versichern, daß die Geneigtheit des Kaisers zu billigen Verhandlungen unverändert dieselbe sei. Denn freilich konnte nur von einem ehrenvollen Frieden die Rede sein. Wie Lucchesini berichtet, hatte er dem Grafen St. Priest und andern fremden Gesandten geradezu gesagt, daß so lange er Minister bleibe, kein anderer Friede geschlossen werden würde; denn er habe dem Kaiser erklärt, in dem Augenblicke, wo andere eine furchtsame und niedrige Maßregel anrathen könnten, würde er den Platz verlassen, auf den er gegen seinen Willen erhoben sei. Daher konnte Eden im Juni 1796 an Auckland schreiben: „So lange Th. im Amte bleibt, fürchte ich keine Aenderung des Systems.“ Auch der Kaiser, wenngleich er in so bedenklicher Lage zuweilen den Rath anderer Minister zu hören verlangte und obgleich Colloredo, Lacy, Rosenberg für den Frieden stimmten, hielt an der Ansicht Thugut’s fest. Als der neapolitanische Minister Gallo nach Basel reiste, um mit Barthélemy [154] Friedensunterhandlungen zu eröffnen, gab Th. Degelmann bekannt, daß der Kaiser die Reise bedauere und fest entschlossen sei, auf Verhandlungen ohne Zuziehung Englands niemals einzugehen und trug ihm auf, sich aller Friedensanwürfe zu enthalten. Und als der Geheime Rath Zwanziger aus Nürnberg im Auftrage Clarke’s von Paris nach Wien kam, um den Hof durch die Aussicht auf die Erwerbung Baierns neuerdings zu ködern, als ein Courier Bonaparte’s plötzlich in Wien mit der Drohung erschien, daß man, falls Zwanziger’s Antrag abgelehnt werde, den Hafen von Triest zerstören wolle, ließ Th. den Courier nicht einmal vor, gab auch Bonaparte keine Antwort, hingegen Zwanziger eine Erwiderung, die ebenso würdig als entschieden lautete. „Der Kaiser“, hieß es in derselben, „fahre fort, offen und ehrlich den Frieden zu wünschen, aber er wolle ihn auf einer gerechten Grundlage, vereinbar mit seiner Würde und den Verpflichtungen gegen seine Verbündeten.“ „Man sei“, hieß es mit Bezugnahme auf jenen Courier, „über die beigefügte Drohung überrascht; der kaiserliche Hof habe geglaubt, man würde in Paris nicht verkennen, daß Drohungen, wenn auch auf schwache und kleine Fürsten von Einfluß, doch niemals einer Macht wie Oesterreich gegenüber das Mittel sein könnten, die Geister zu versöhnen. Der Antrag Zwanziger’s sei unannehmbar und würde selbst in dem Falle verworfen sein, wenn ihn Moreau, wie man sich in Paris voreilig geschmeichelt zu haben scheine, unter den Mauern von Wien hätte überbringen können.“ „Ein unerträglicher Stolz herrscht in allem, was dies österreichische Ministerium vornimmt“, sagte Carnot ärgerlich dem Freiherrn v. Sandoz. Als Malmesbury im Herbst sich nach Paris begab, weigerte sich Th. durchaus, auch seinerseits Bevollmächtigte zu senden oder Malmesbury eine Vollmacht für den Kaiser zu übertragen, wobei ihn allerdings in erster Linie die Besorgniß leitete, der Unterstützung der russischen Kaiserin verlustig zu gehen, die endlich nach langen Verhandlungen das Eintreffen eines mächtigen russischen Hülfscorps auf dem Kriegsschauplatze in sichere Aussicht stellte. Der plötzliche Tod der Kaiserin änderte die Sachlage völlig. Th. erkannte sofort die ganze Tragweite des Ereignisses, aber er gab sich noch nicht besiegt. Bald darnach (Anfang des Jahres 1797) fand zu Vicenza eine Unterredung zwischen Clarke und St. Vincent statt. Sie blieb ohne Ergebniß. Th. lehnte die Abtretung des linken Rheinufers, die Trennung von England, die Anerkennung der Republik ab. Selbst als man versuchte, gleichsam über den Kopf Thugut’s hinweg, sich durch Mitglieder der kaiserlichen Familie (Karoline von Neapel, Ferdinand von Toscana) dem Kaiser unmittelbar zu insinuiren, selbst als Clarke den letzten Trumpf ausspielte, indem er den Großherzog von Toscana von jenen für Th. compromittirenden Schriftstücken in Kenntniß setzte, ja selbst als der Feind nur mehr wenige Stunden von der Hauptstadt entfernt war, als in dieser selbst das nach Frieden dürstende Volk gegen Th. eine drohende Haltung zeigte, bewahrte er unerschütterliche Ruhe und hielt an der Ansicht fest, daß Bonaparte’s schnelles Fortschreiten diesen selbst in die größte Gefahr setze, drängte aber zugleich auf die entschiedensten Mittel der Abwehr und auf das Inslebentreten der Insurrection, trotz des Widerspruches, den Lacy aus militärischen, die anwesenden ungarischen Magnaten aus politischen Gründen dem Massenaufgebot entgegensetzten. Erst der bekannte Brief Bonaparte’s an Erzherzog Karl hatte die Anknüpfung der Friedensverhandlungen und die Präliminarien von Leoben zur Folge, welche innerhalb der Grenzen der Möglichkeit die Integrität des deutschen Reiches (resp. des linken Rheinufers) wahrten, für den Verlust von Belgien und Mailand Ersatz auf Kosten Venedigs in Aussicht stellten. Daß Th. wirklich die Integrität des Reiches am Herzen lag, zeigt der Unmuth, mit welchem ihn die Nachgiebigkeit erfüllte, die bei den fortgesetzten Verhandlungen zu Montebello der eine der [155] Bevollmächtigten De Gallo, ohne dazu autorisirt zu sein, in diesem Punkte gezeigt hatte. Er befahl dem Gesandten, streng an den Präliminarien festzuhalten und versagte der Uebereinkunft vom 24. Mai, wonach der in Aussicht genommene Friedenscongreß ohne Betheiligung der Verbündeten des Kaisers, lediglich mit den Reichsständen stattfinden sollte, die Genehmigung. Er suchte die Verhandlungen zu Udine hinauszuzögern, da er noch immer hoffte, daß der Kampf der Parteien in Frankreich eine für Oesterreich günstigere Wendung bringen könne. Bonaparte wußte dies wohl, wenn er an Talleyrand schrieb: „Die gegenwärtige Geschichte des Wiener Hofes liegt in den zwei Worten: der Kaiser und die Nation wollen den Frieden, Th. will den Frieden nicht, aber er wagt nicht, den Krieg zu wollen. Durchhauen Sie mit dem Degen alle Sophismen, in die er sich einzuwickeln sucht, zeigen Sie ihm den Krieg wie das Haupt der Meduse und wir werden Herrn Th. zur Vernunft bringen.“ Aber erst als der 18. Fructidor die letzte Hoffnung Thugut’s zu nichte machte, gab er in der Frage des linken Rheinufers nach, jedoch nur schweren Herzens, wie dies die von L. Cobenzl geführten Verhandlungen zeigen, die zum Frieden von Campo Formio führten. Es kann demnach nicht von einer „fieberhaften Lüsternheit“ Thugut’s nach dem venetianischen Besitz die Rede sein. Allerdings fühlte er sich in erster Linie als österreichischer Minister, der aber doch die deutschen Interessen nicht etwa geringschätzte und dieselben so lange sie seiner Ueberzeugung nach mit denen Oesterreichs vereinbar waren, nachdrücklich genug vertrat. Mit größtem Widerstreben, nur dem ausdrücklichen Befehl des Kaisers folgend, unterzeichnete er den Vertrag, „der Oesterreich aus seinen vorgeschobenen Positionen in Italien hinter die Etsch, auf die terra firma Venedigs zurückwarf“. Er bezeichnete ihn als „einen unglücklichen Frieden, der durch seine Schändlichkeit in den Jahrbüchern Oesterreichs Epoche machen werde, wofern, was sehr zu befürchten sei, die Jahrbücher Oesterreichs nicht bald selbst verschwinden werden“. Um so tiefer betrübte es ihn, zu sehen, daß die Wiener hell aufjauchzten vor Freude, von den Leiden und Lasten des Krieges endlich erlöst zu sein. „Niemand“, klagt er, „sorgt um die Ehre der Monarchie, noch was aus ihr in zehn Jahren geworden sein wird, wenn man nur jetzt auf die Redoute laufen und in aller Ruhe seine Backhähndel verspeisen kann. Wie soll man mit solchen Gefühlen der Energie eines Bonaparte Widerstand leisten, der mit frischem Muth allen Gefahren Trotz bietet? Friede, Friede! Wo ist er? Ich sehe seine Sicherheit auch in diesem Vertrage nicht.“ In der That war die Friedensepoche kurz und ein neuer Kampf, der Coalitionskrieg von 1798–1801 stand bereits an der Schwelle, in den Oesterreich an der Seite Rußlands und Englands eintrat und der zum Ausbruche kam, da man sich über die neue Ordnung der Dinge in Italien nicht zu einigen vermochte. Die Erwartungen, welche Th. an die neue Coalition knüpfte, sollten trotz der anfänglichen Waffenerfolge dies- und jenseits der Alpen nicht in Erfüllung gehen. Rußland fiel fast in dem Augenblicke ab, als Bonaparte aus Aegypten zurückkehrte und das Kriegsglück neuerdings an seinen Siegeswagen fesselte. Die Schlacht bei Marengo begrub Thugut’s Hoffnungen. Die Friedenspartei in Wien, die jetzt an dem von Th. vergebens zurückgedrängten Erzherzog Karl eine mächtige Stütze fand, erhob immer drohender ihr Haupt. Noch sträubte sich Th. gegen jede Ueberhastung eines entehrenden Friedens. Er war über die Eigenmächtigkeit des Diplomaten St. Julien erbittert, der sich ohne Ermächtigung zum Abschluß von Präliminarien hinreißen ließ, die Oesterreich bei dem Verbündeten England blosstellten. Als dann – am 20. September 1800 – auf Rath Lehrbach’s, ohne Vorwissen Thugut’s, der Parsdorfer Waffenstillstand abgeschlossen wurde, kam es in der Conferenz zu einer stürmischen Scene, da Th. die Verpflichtungen geltend machte, die man [156] durch den Vertrag vom 20. Juni 1800 gegen England eingegangen war. Er gab seine Entlassung. Sein Gegner Lehrbach wurde zu seinem Nachfolger ernannt. Doch statt des Eintagsministers Lehrbach wurde schon am nächsten Tage Ludwig Cobenzl als Vicekanzler zum Leiter der auswärtigen Geschäfte im Verein mit dem Cabinetsminister Colloredo ernannt. Nach wenigen Tagen wurde Cobenzl nach Luneville zur Unterhandlung mit Joseph Bonaparte abgeschickt und nun war es thatsächlich wieder Th., der, „ohne Titel zwar und hinter den Coulissen“ die Geschäfte besorgte. Mit dem Tage von Hohenlinden traf Thugut’s System der letzte entscheidende Schlag. Der Kaiser vermochte ihn nicht mehr zu halten. Th. trat definitiv zurück. Er gab die Leitung an Colloredo ab, dem bald darnach einer der Führer der Friedenspartei, Trauttmansdorff, zugesellt wurde. Noch hoffte Th. daß ihm die Leitung der italienischen Hofkanzlei übertragen werde, doch seinen Gegnern genügte die Entlassung aus seiner früheren Stellung nicht, sie behaupteten, er leite die Geschäfte nach wie vor, besitze noch immer das Vertrauen des Monarchen. Sie ruhten nicht, bis der Kaiser jenes Billet erließ, demzufolge Th. Wien sofort verlassen sollte. Franz stellte ihm frei, nach den neuen venetianischen Provinzen als Gouverneur zu gehen oder sich gänzlich von den Geschäften zurückzuziehen. Mit Heldenmuth wehrte sich Th. gegen diese Zumuthung, „warum“, sagte er, „will mich der Kaiser, nachdem ich ihm mit so viel Eifer gedient, bis auf den Tod betrüben, nur allein, um dem ungerechten Hasse meiner Gegner zu genügen?“ Er will gehört, will jener Gunst theilhaftig werden, die selbst dem Verbrecher gestattet ist. Und er ging als Sieger aus diesem Kampf hervor. Doch lehnte er nunmehr jede weitere Verwendung im Staatsdienst ab. Mit Wünschen für eine bessere Zukunft Oesterreichs, dessen Steuer er so lange gelenkt, schied er aus dem Dienst. Am 27. März hatte er die letzte Audienz beim Kaiser, worauf er sich nach Preßburg zu bleibendem Aufenthalt begab.
Th. ist nicht wieder auf die politische Bühne hinausgetreten. Aber sein Schatten wurde noch lange gefürchtet; man vermuthete, mit dem Cabinet Colloredo bleibe auch Thugut’s Einfluß aufrecht. Seit seiner Entlassung lebte Th. in Preßburg, später in Wien, von einer sehr mäßigen Pension (7000 fl.), die auf Güter in Kroatien angewiesen, und von den Zinsen eines bescheidenen Vermögens, dessen Verwaltung treuen Händen anvertraut war. Er hielt ein Haus und gab kleine Diners, bei denen sich ein ausgewählter Kreis von ungarischen Adligen einzufinden pflegte, die es gut aufnahmen, daß er sich das Indigenat verschafft hatte. Er erlebte noch den Sturz Napoleon’s und den Sieg jener Ideen, für die er selbst vergeblich gekämpft hatte. Am 28. Mai 1818 schied er an Altersschwäche aus dem Leben.
Th. war ein Mann von mittlerer Größe, in vorgerücktem Alter sehr gebückt. Hormayr in seiner bekannten Skizze bezeichnet seine Gesichtszüge als „die eines faunischen Mephistopheles“ und meint: „in einem Wachscabinet hätte kein Oesterreicher in dieser Figur einen Landsmann vermuthet, weit eher einen Geheimschreiber Ludwig’s XVI., des Ludovico Moro-Sforza, des Cesare Borgia oder einen der vertrautesten Emissäre Louvois’ oder der chambre ardente.“ Und auch der Prinz von Ligne bemerkt: „Wenn Heinrich IV. nicht König von Frankreich und Navarra, sondern König der Juden gewesen wäre, wenn statt eines freien, liebenswürdigen und heiteren Lächelns, Bitterkeit und Spott, Uebermuth und Verachtung auf seinen Lippen gewohnt hätten, so würde der Freiherr v. Thugut ihm geglichen haben.“ Eine interessante Originalzeichnung, die aus dem Nachlasse seines Freundes, des Fürsten Franz Joseph v. Dietrichstein, stammt, zeigt ein ungewöhnlich mageres Gesicht und zahlreiche Falten, welche schmerzliche Erregungen und Enttäuschungen in dasselbe gruben. Der Ausdruck [157] angespannter, innerlich aufreibender Kraftanstrengung ist unverkennbar. Die großen Augen treten etwas hervor. Die hohe Stirn ist stark modellirt. Eine mächtige Adlernase, der es doch nicht an der Feinheit des Schwunges fehlt, ergänzt den bedeutenden Eindruck eines Antlitzes, das Zinzendorf einmal mit einem Ecce homo–Bild vergleicht, in dem aber eher eine Resignation von jener bitteren Art gelegen ist, die sich im Gefühl der eigenen Ueberlegenheit auf sich selbst zurückzieht und über den Mangel jeder Hoffnung mit seinem Spotte tröstet. „Seine Stimme war“, wie Hormayr sagt, „bestimmt, aber nicht unangenehm, der mündliche, wie der schriftliche Vortrag akademisch correct, folgerecht, klar und präcis – seine Verbesserungen in fremden Concepten überraschend lehrreich, nie frivol, nie kleinlich oder von Besserwisserei inspirirt; eine reine und wohldurchgeführte Dialektik, so besonnen als nachdrücklich, ohne Schmuck, das Gespräch aber reich an kaustischem Witz und nicht ohne Coquetterie.“ Des Französischen war er, wie die meisten österreichischen Diplomaten jener Zeit, weit mächtiger als des Deutschen, wie denn auch seine ganze Bildung eine französische war. Die römischen Classiker kannte er sehr gut und recitirte gern noch in höherem Alter Stellen aus denselben. Für die morgenländischen Sprachen, die er als junger Mann erlernt, bewahrte er sich zeitlebens ein reges Interesse, wie denn gerade durch ihn und den ihm befreundeten Internuntius Herbert der Geschichte und der Litteratur des Morgenlandes in Joseph v. Hammer ein neues Gestirn aufging. Er lebte äußerst einfach. Die Tafel hatte für ihn keinen Reiz. „Ein Glas Wasser und sieben Pflaumen waren sein unverbrüchliches Abendessen, sein Schlaf war kurz, aber noch im hohen Greisenalter so sanft, wie der eines Kindes.“ Er bewohnte nicht einmal die Staatskanzlei (in letzter Zeit hatte er ein Haus in Währing gemiethet), sondern fuhr, wie uns ein Zeitgenosse (Ferning) erzählt, Morgens um 11 Uhr dahin, blieb bis 3 Uhr Nachmittags und kehrte von Abends 6 Uhr bis gegen Mitternacht zu seinem Beruf zurück. Mit den Audienzhabenden pflegte er sprechend auf- und abzugehen. Von dem gewissenhaften Fleiß, mit welchem Th. alle einlaufenden Berichte seines Ressorts, auch die minder belangreichen, stets rechtzeitig erledigte, kann sich jeder Forscher auf dem Wiener Staatsarchiv leicht überzeugen. Wenn es daher bei Hormayr heißt, es hätten sich bei Thugut’s Austritt über 170 unerbrochene Estafetten und über 2000 unentsiegelte Briefe vorgefunden, eine Beschuldigung, die in Fürst Metternich’s Autobiographie wiederkehrt, kann dies nur auf falschen Informationen, wenn nicht auf purer Verläumdung beruhen. – In seinen letzten Lebensjahren verkehrte er zu Wien in einem kleinen Kreise gesinnungsverwandter Freunde, meist Literaten. „Bei dem kurzen, aber niedlichen Mahl war die Unterhaltung lebhaft, artig, unbefangen. Beim Kaffee kamen wohl auch wissenschaftliche Discussionen zum Vorschein, erst sehr lebhaft, dann immer lauer und leiser. Bald schlummerte die ganze Gesellschaft vernehmlich. Der Herr vom Hause blieb, anstandshalber, am längsten wach, unterlag aber auch zuletzt der narcotischen Versteinerung. Gegen die Stunde des Leopoldstädter Volkstheaters ließ der Kammerdiener die Thür unsanft ins Schloß fallen – und plötzlich erstanden die Siebenschläfer zu den Späßen des Casperle.“
In dem Nachrufe, den Graf Franz Dietrichstein seinem Freunde im Oesterreichischen Beobachter widmete, spricht er am Schlusse die Hoffnung aus, daß Thugut’s große Eigenschaften die Geschichte würdigen werde, indem sie mit Gerechtigkeit die Aufgabe schildere die er zu lösen, die Schwierigkeiten, mit welchen er zu kämpfen hatte, den Zweck, der ihm vor Augen schwebte und sein beharrliches, wenn auch nicht immer vom Glück gekröntes Streben nach großen und würdigen Resultaten. Diese Hoffnung sollte indeß lange nicht in Erfüllung gehen. Noch über das Grab hinaus war der Haß gegen ihn lebendig, dessen [158] Entstellungen selbst in bedeutende Geschichtswerke Eingang finden konnten, dies um so mehr, je länger der Forschung der Einblick in die Werkstätte dieses eigenthümlichen Geistes, in seine Briefe und Correspondenzen versagt geblieben ist. Erst die letzten Jahrzehnte haben diesen Schleier in überraschender Weise gelüftet; namentlich war es v. Vivenot beschieden, fast ein Leben an die Aufgabe einer Ehrenrettung Thugut’s zu wenden, den er in seinem fruchtlosen Kampf für eine halb verlorene Sache nicht ganz mit Unrecht einem Helden der antiken Tragödie vergleicht. Vielleicht wäre dieser erste Versuch, einem Manne gerecht zu werden, dessen Bedeutung nicht an seinen Erfolgen zu messen ist, der aber, was Talent, unerschütterlichen Muth und stolzes Bewußtsein der Größe des ihm anvertrauten Werkes betrifft, immerhin zu den hervorragendsten Staatsmännern Oesterreichs zu zählen ist, von nachhaltigerem Erfolg begleitet gewesen, hätte demselben jenes weise Maßhalten zur Richtschnur gedient, welches die Arbeiten seines Gesinnungsgenossen Hüffer in so hohem Grade bevorzugt. Wir selbst wollen diese vielleicht schon zu ausführlich gewordene Skizze mit den Worten schließen, in denen Th. seinen eigenen Epilog sprach: „Je me glorifierai toujours de la haine, des inquiétudes et des injures des Français, Prussiens et autres ennemis de l’Autriche, et je n’envierai jamais ceux qui s’honorent de mériter la bienveillance et les éloges de nos ennemis.“
- Litteratur: Die bekannten Werke von Hormayr (Lebensbilder I), Arneth (über Maria Theresia), Häusser, v. Sybel, Hüffer, Langwerth v. Simmern, Vivenot (Herzog Albrecht von Sachsen-Teschen), Fournier und Wertheimer, Albert Sorel (namentlich auch dessen Aufsatz in der Revue historique 1881), Graf Thürheim, Ludwig Fürst Starhemberg, 1889 und die von demselben edirte Correspondenz Mercy’s mit L. Starhemberg; ferner die Quellenpublicationen von Vivenot: Thugut, Clerfayt, Wurmser, Wien 1869. Vertrauliche Briefe von Freih. v. Thugut. 2 Bde. Wien 1872. – Zur Geschichte des Rastatter Congresses. Wien 1871. – Thugut und sein politisches System (Arch. f. Kunde österr. Gesch.-Quellen XLII. XLIII). – Vivenot-Zeißberg, Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserpolitik Oesterreichs I–V. Außerdem unedirte Briefe u. dergl. des k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchivs in Wien.