verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
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das Alles, Haus und Garten, ist sein! Der Besitz macht ruhig, sicher, stolz im guten Sinne; die Zukunft hat für den Miethfreien, der allwöchentlich zurücklegen kann, nichts Erschreckendes mehr: sie lächelt von ferne als die Zeit der wohlverdienten Ruhe. Die beiden Grundsäulen des wahren Lebens: Arbeit und Unabhängigkeit, sind fest eingesenkt, und wer sie so dauernd hingepflanzt, das seid Ihr! Wahrlich, Ihr könnt Euch das Zeugniß geben, in aller Stille groß gewirkt zu haben, und dürft den Aehnlichgestellten in Nähe und Ferne zurufen: ‚So gehet nun hin und thuet desgleichen!‘“
Auch aus des Pfarrers Mienen sprach ein seliges Gefühl. Mehrmals leise nickend, stieß er mit mir an; dann bot er ausstehend sein Glas dem Wirthe hin und sagte mit schwankender Stimme:
„Der Segen des Herrn sei mit Euch heute und immerdar! Mehr vermag ich nicht zu sagen.“
Die drei Gläser klangen glockenrein.
„Wenn man lange mit Euch zu thun hätte,“ wand sich der Geschäftsmann heraus, „würde man unfehlbar eitel. Zum Glück hat man keine Zeit dazu. Wollen Sie diesen Abend mit mir speisen?“
Wir lehnten dankend mit der Bemerkung ab, daß wir Beide reisen müßten.
„Und die linke Seite des Taschenbuchs ?“ fragte ich, als wir draußen waren.
„Spötter!“ lachte mein Freund und führte mich vorwärts.
Wer uns Arm in Arm und Aug’ in Auge dem Gasthause, von da dem Bahnhofe zuschlendern sah, der hätte uns für Brüder halten können. Wir sind’s auch jetzt, unbekümmert um nichtige Meinungsunterschiede, und das verdanken wir – Mülhausen und seiner Arbeiterstadt.
Es sind nicht viel über dreißig Jahre verflossen, als Heinrich Heine schrieb, das; er die Hand des letzten Malers gesehen und geküßt habe. Jener Maler, Peter Cornelius, repräsentirte aber nicht den Abschluß einer Kunstperiode, sondern im Gegentheil den Beginn einer neuen Aera, die sich kein geringeres Ziel gesetzt hat, als wieder zu den Höhen aufzuklimmen, auf denen Raphael, Michel Angelo, Dürer und Rubens gestanden haben. In dieser kurzen Spanne Zeit von dreißig Jahren sind nicht blos einzelne große Künstler, sondern ganze Schulen entstanden. Den Malern haben die Bildhauer emsig nachgestrebt. Schon können wir mit Stolz von einer deutschen Bildhauerei sprechen, deren monumentale Werke die Straßen und Plätze unserer Städte schmücken. Und nicht etwa einzelne Mäcene haben diese neue Kunstblüthe geschaffen, aus dem Volksgeist heraus hat sie sich entfaltet, aus demselben Volksgeist, dem wir auch eine neue Literatur, ein neues und frisches wissenschaftliches, bürgerliches und poetisches Leben verdanken.
Die dritte der bildenden Künste, die Baukunst, ist insofern zurückgeblieben, als sie uns noch keinen neuen Baustyl geschenkt hat. Leben und Thätigkeit herrschen aber auch auf ihrem Gebiet. Mit der wichtigsten ihrer Vorarbeiten, mit der Ausbildung künstlerisch tüchtiger Gehülfen, ist sie fertig. Wir haben wieder Steinmetzen und Maurer, Holzschnitzer und Zimmerleute, die einen Vergleich mit ihren mittelalterlichen Genossen nicht zu scheuen brauchen. Wie das liebevolle Studium der alten Gothik für die Baukunst überhaupt vom höchsten Einflusse gewesen ist, so hat es auch sehr bedeutend zum Aufschwunge der Baugewerke beigetragen, In diesem Sinne ist es ein Glück zu nennen, daß unsere Altvordern uns unvollendete Dome hinterlassen haben und die Zopfzeit das Vorhandene vernachlässigt hat. Um der Ausbaue und Restaurationen willen hat man Bauhütten gegründet, aus denen Schaaren von kunstgebildeten Arbeitern hervorgegangen sind.
Wundern wir uns über die Nichtvollendung von alten Bauen in solcher Zahl, daß man den vollen Ausbau einer großen gothischen Kirche als eine seltene Ausnahme betrachten kann, so können wir uns diesen Umstand damit erklären, daß unsere Vorfahren, theils freiwillig und theils im Drang der Noth, sich Zeit nahmen und daß, ehe sie mit dem Begonnenen fertig wurden, ein neuer Styl, der der Wiedergeburt, die Herrschaft antrat.
So war es mit dem Dom von Köln, einer der größten und wohl der schönste[WS 1] unter den vielen derartigen Bauten, welche das dreizehnte Jahrhundert begann. Ein Theil, das Chor, etwas mehr als ein Dritttheil der ganzen Länge messend, war seit 1322 vollendet, abgeschlossen und zum Gottesdienste geweiht: 1347 begann man am anderen Ende an den Thürmen und der westlichen Façade, der südliche Thurm ward im Laufe etwa eines Jahrhunderts bis zu einer ansehnlichen Höhe hinaufgeführt, dann zugedeckt, und 1437 hing man die Glocken darin auf. Die Langschiffe waren etwa bis zur Höhe von vierzig Fuß in Mauern und Pfeilern aufgeführt, im äußersten nördlichen Seitenschiff eingewölbt und bereits 1508 mit prächtigen gemalten Fenstern versehen, das Uebrige war mit Holz nothgedeckt; vom Querschiff war der nördliche Theil zu einer besonderen Pfarrkirche verbaut, vom südlichen stand nur ein Theil der östlichen Seitenwand.
So übernahm unser Jahrhundert den Bau, aber noch überdies in einem sehr verfallenen trümmerhaften Zustande. Vierhundert Jahre lang hatte man aufgehört zu bauen und endlich gar die Reparaturen unterlassen. Ringsum war das Gebäude mit anderen Gebäuden verbaut: im Süden war eine geräumige Kirche, St. Johann gewidmet, daran gebaut; im Osten stand dicht daran eine andere Kirche, Sta. Maria ad gradus; im Norden hing die Pfarrkirche Sta. Maria in pasculo, auf kölnisch „zum Pesch“, damit zusammen; zwischen die Strebepfeiler der Südseite des Langschiffes waren Häuser und Häuschen eingebaut, und das Ganze steckte halbverborgen in einer formlosen Masse von Baulichkeiten.
Von fern gesehen bildete der Dom zwei große hohe Massen, den Chor und den südlichen Thurmstumpf, auf welchem der Krahnen zum Aufbringen des Materials wie ein wunderliches Ausrufungzeichen emporstand und als Wahrzeichen der Stadt galt. Zwischen den beiden großen Massen streckte sich niedrig langhin das unvollendete Langschiff der Kirche. Es schien, daß dieser Bau das bleiben sollte, als was ihn die große kölnische Chronik bezeichnet, „ein ewiger Bau“, und es war endlich nahe daran, daß diese Ewigkeit des Werkes mit seiner Abtragung ein Ende nahm, als mit Ausbruch der französischen Revolution der Krieg und die Eroberung das Land überzogen, das Domcapitel flüchtete und seine reichen Schätze mitnahm, als 1801 das Erzbisthum Köln aufgelöst und Klöster und Stifter aufgehoben wurden.
Es wäre ein solcher Kunstfrevel vielleicht ziemlich unbemerkt vorübergegangen, denn noch zehn Jahre später klagt Sulpiz Boisserée in einem Briefe an den Baumeister Moller, daß sich in Köln außer ihm selber und einem alten Glasermeister kein Mensch um den Dom bekümmere.
Was diesen rettete, war, daß bei einer neuen Eintheilung der Pfarreien in der Stadt (die Franzosenherrschaft räumte auch in kirchlichen Dingen auf) die aufgehobene Laurentiuspfarre in den Dom verlegt wurde, der somit Pfarrkirche wurde. Mehr aber that der Antheil und die Thätigkeit eines einzelnen Privatmannes, dessen Namen wir eben nannten, Sulpiz Boisserée. Dieser, ein Kölner von Geburt, damals noch jung (1783 geb.), wohlbegütert, ursprünglich kaufmännischen Geschäften gewidmet, dann dilettirend in Philosophie und Geschichte, ist überhaupt, obschon persönlich eben nicht bedeutend, für die ganze neuere Kunst von großer Bedeutung gewesen.
Sulpiz Boisserée war in philosophischen und ästhetischen Dingen ein Schüler von Friedrich Schlegel, der mit Tieck die deutsche Romantik zur höchsten Blüthe brachte und den Sinn für altdeutsche Kunst neu erweckte. Er hatte natürliche Neigung zu romantischen Anschauungen und Gefühlen, die in der alten ruinenhaften Vaterstadt sehr natürliche Nahrung fanden, und er brauchte nicht wie Schlegel erst katholisch zu werden, er war es schon von Hause aus und frommen Sinnes. So widmete er dem Dom eine Art von Cultus, eine Verehrung wie einem Heiligthum und unternahm das große Bauwerk wenigstens idealer Weise herzustellen und zu vollenden. Etwa 1809 begann er mit Zeichnen und Vermessen desselben, und damit ward endlich wieder ein wärmerer Antheil auch in Köln für den Dom erweckt. 1811 kam es endlich so weit, daß die französische Regierung einige Tausend Franken zu Reparaturen auswarf, daß der Baumeister Moller aus
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: schönsten
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_555.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)