„Reaktion (Politik)“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[ungesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Markierungen: Mobile Bearbeitung Mobile Web-Bearbeitung
K Änderungen von 84.78.245.178 (Diskussion) auf die letzte Version von Pianeur akw zurückgesetzt
Markierung: Zurücksetzung
Zeile 1: Zeile 1:
{{Überarbeiten|grund=<br />Es fehlen für die meisten historischen Abschnitte Belege}}
{{Überarbeiten|grund=<br />Es fehlen für die meisten historischen Abschnitte Belege}}
'''Reaktion''' bezeichnet die gegenrevolutionäre Bewegung. Im historischen Sinne umfasst der Begriff die ideologischen Gegner der Aufklärung, darunter die politischen Denker [[Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald]], [[Joseph de Maistre]] und [[Juan Donoso Cortés]]. Als Monarchisten strebten sie die Wiederherstellung des vorrevolutionären Zustandes an. Die Verteidiger des [[Ancien Régime]] ordneten die [[Revolution]] und ihre Wirkung als Katastrophe abseits des erwartbaren Geschehens ein, deren Schäden beseitigt werden müssen
'''Reaktion''' bezeichnet die gegenrevolutionäre Bewegung. Im historischen Sinne umfasst der Begriff die ideologischen Gegner der Aufklärung, darunter die politischen Denker [[Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald]], [[Joseph de Maistre]] und [[Juan Donoso Cortés]]. Als Monarchisten strebten sie die Wiederherstellung des vorrevolutionären Zustandes an. Die Verteidiger des [[Ancien Régime]] ordneten die [[Revolution]] und ihre Wirkung als Katastrophe abseits des erwartbaren Geschehens ein, deren Schäden beseitigt werden müssen.


Als [[Politisches Schlagwort|Kampfbegriff]] besitzt der Begriff einen abwertenden Charakter. Anhänger des Fortschritts beschreiben sie als die „Gesamtheit der fortschrittsfeindlichen politischen Kräfte im Staat (Klassen, Schichten, Parteien, Personen oder Bewegungen)“<ref>Gerhard Strauß u.&nbsp;a.: ''Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist'' (= Schriften des Instituts für deutsche Sprache, Bd. 2). Gruyter, Berlin/ New York 1989, S. 335.</ref> In binnenideologischen Auseinandersetzungewischen [[Kommunismus|Kommunisten]] und [[Sozialdemokratie|Sozialdemokraten]] oder [[Trotzkismus|Trotzkisten]] und [[Stalinismus|Stalinisten]] wurde die Bezeichnung auf den politischen Gegner übertragen, um ihn als Feind zu markieren.
Als [[Politisches Schlagwort|Kampfbegriff]] besitzt der Begriff einen abwertenden Charakter. Anhänger des Fortschritts beschreiben sie als die „Gesamtheit der fortschrittsfeindlichen politischen Kräfte im Staat (Klassen, Schichten, Parteien, Personen oder Bewegungen)“<ref>Gerhard Strauß u.&nbsp;a.: ''Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist'' (= Schriften des Instituts für deutsche Sprache, Bd. 2). Gruyter, Berlin/ New York 1989, S. 335.</ref> In binnenideologischen Auseinandersetzungen, beispielsweise zwischen [[Kommunismus|Kommunisten]] und [[Sozialdemokratie|Sozialdemokraten]] oder [[Trotzkismus|Trotzkisten]] und [[Stalinismus|Stalinisten]] wurde die Bezeichnung auf den politischen Gegner übertragen, um ihn als Feind zu markieren.


Emil Cioran und in Nachfolge Mark Lilla sehen in der Reaktion weniger eine bloße Antithese zur Revolution, als eine den apokalyptischen Denkmustern der Revolution nachfolgende, jedoch inhaltlich entgegengesetzte Ideologie. Gemein sei Revolutionären wie Reaktionären die Idealisierung einer ahistorischen Vergangenheit als harmonische Ordnung – bei ersteren von Gleichheit, bei Letzteren von Hierarchie.
Emil Cioran und in Nachfolge Mark Lilla sehen in der Reaktion weniger eine bloße Antithese zur Revolution, als eine den apokalyptischen Denkmustern der Revolution nachfolgende, jedoch inhaltlich entgegengesetzte Ideologie. Gemein sei Revolutionären wie Reaktionären die Idealisierung einer ahistorischen Vergangenheit als harmonische Ordnung – bei ersteren von Gleichheit, bei Letzteren von Hierarchie.

Version vom 22. Juli 2020, 11:08 Uhr

Reaktion bezeichnet die gegenrevolutionäre Bewegung. Im historischen Sinne umfasst der Begriff die ideologischen Gegner der Aufklärung, darunter die politischen Denker Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald, Joseph de Maistre und Juan Donoso Cortés. Als Monarchisten strebten sie die Wiederherstellung des vorrevolutionären Zustandes an. Die Verteidiger des Ancien Régime ordneten die Revolution und ihre Wirkung als Katastrophe abseits des erwartbaren Geschehens ein, deren Schäden beseitigt werden müssen.

Als Kampfbegriff besitzt der Begriff einen abwertenden Charakter. Anhänger des Fortschritts beschreiben sie als die „Gesamtheit der fortschrittsfeindlichen politischen Kräfte im Staat (Klassen, Schichten, Parteien, Personen oder Bewegungen)“[1] In binnenideologischen Auseinandersetzungen, beispielsweise zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten oder Trotzkisten und Stalinisten wurde die Bezeichnung auf den politischen Gegner übertragen, um ihn als Feind zu markieren.

Emil Cioran und in Nachfolge Mark Lilla sehen in der Reaktion weniger eine bloße Antithese zur Revolution, als eine den apokalyptischen Denkmustern der Revolution nachfolgende, jedoch inhaltlich entgegengesetzte Ideologie. Gemein sei Revolutionären wie Reaktionären die Idealisierung einer ahistorischen Vergangenheit als harmonische Ordnung – bei ersteren von Gleichheit, bei Letzteren von Hierarchie.

Begriffsgeschichte

Als Begriff der Politik wurde „Reaktion“ von Montesquieu eingeführt. Montesquieu zufolge entwickeln sich politische Prozesse im Wechselspiel von Aktion und Reaktion der politisch Handelnden („l'action des unes et la réaction des autres“).[2] Auf eine Aktion folge, so Montesquieu, stets eine Reaktion („l'action est toujours suivie d'une réaction“).[3] In Montesquieus Sprachgebrauch ist „Reaktion“ demgemäß nicht auf ein bestimmtes politisches Lager bezogen und ohne jede Wertung.[4]

Weite Verbreitung und eine spezifische Bedeutung als Gegenbegriff zu „fortschrittlich“ und „revolutionär“ fand der Begriff „Reaktion“ (franz. réaction) während der Französischen Revolution ab 1789.

Im 19. Jahrhundert wurde „Reaktion“ zum Sammelbegriff für eine reformistische Widerstandsbewegung aus zunächst Adeligen, Klerikalen und bürgerlichen Monarchisten, die sich gegen die Jakobiner positionierten und gegen die von den Revolutionären initiierten Veränderungen stellten, sowie die Rückkehr des Ancien Régimes anstrebten. Die (behauptete) Rückwärtsgewandtheit setzt dabei eine lineare Geschichtsbetrachtung im Sinne des Fortschritts voraus. Was Fortschritt sei, ist in der Politik strittig, und insofern enthält die Bezeichnung „Reaktion“ eine subjektive Wertung.

Als zentrale Theoretiker reaktionärer Ideen im 19. Jahrhundert gelten laut Herfried Münkler vor allem Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald, Joseph de Maistre und Donoso Cortes zu nennen.[5]

Eine andere Setzung betrachtet den Begriff weniger historisch und nennt Reaktion schlicht jene Politik, welche auf eine vorhergehende, innovative politische Entwicklung nur reagiert, anstatt dieser etwa eigene Konzepte entgegenzusetzen.

In der Zeit der Restauration entwickelte sich auch in Teilen der „Reaktion“, aus dem Biedermeier heraus, zunehmend der Wunsch nach dem Beibehalten von liebgewonnenen Grundfreiheiten, sowie dem Streben nach nationaler Selbstbestimmung und damit gegen das Metternichsche System, welches die Veränderungen durch die Französische Revolution komplett zurückdrängen wollte und sich in der Kleinstaaterei verlor. Die Europäischen Revolutionen 1848/1849 waren ein bedeutender Wendepunkt der europäischen Geschichte und Teil eines Prozesses, dem schließlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den meisten Staaten Europas ein übersteigerter Nationalismus und in weltweitem Maßstab das Zeitalter des Imperialismus folgte. Die freiheitliche „Reaktion“ bildete hierbei die bürgerliche Mitte zwischen dem hochadeligen bis großbourgeoisen Chauvinismus und dem libertinistischen Sozialismus in der Arbeiterbewegung; dieser geschichtliche Zeitraum wird Reaktionsära genannt.

Der Kulturphilosoph Julius Evola konnte in den 1930er Jahren dem Begriff „Reaktion“ positive Seiten abgewinnen: „Nach unserer Überzeugung ist eine wahre Reaktion gegen den liberalistischen Verfall nur auf der Grundlage der traditionellen Grundsätze von Hierarchie, Aristokratie und Königtum möglich.“

Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus lässt sich in zwei verschiedene, teilweise unversöhnliche Lager einteilen und so rechneten auch die Vertreter des nationalen Sozialismus ihre Gegner entweder der kommunistischen „Rotfront“ (KPD, linke SPD usw.) oder der freiheitlich-wertkonservativen „Reaktion“ (Bekennende Kirche, Weiße Rose, Deutscher Widerstand usw.) zu. Im Horst-Wessel-Lied haben sie ihre getöteten „Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen“ zum Kult erhoben.

Auch in den Erzählungen der Romane und späteren Spielfilme von Giovannino Guareschi stellen die Hauptfiguren Don Camillo und Peppone zwei ehemalige Resistenzler gegen die faschistischen Mussolini-Diktatur, bzw. die nationalsozialistische deutsche Besatzungsmacht dar, die in dem fiktiven Dorf Boscaccio in der norditalienischen Poebene eine Fehde austragen; dabei repräsentiert der römisch-katholische Priester Don Camillo die „Reaktion“ und der kommunistische Bürgermeister Peppone die „Rotfront“.

In den realsozialistischen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang wurden die westlichen Demokratien u. a. als „faschistisch“ und „reaktionär“ diffamiert und der Konterrevolution bezichtigt.

Politisch werden vor allem Vertreter der sogenannten Neuen Rechten und des Rechtspopulismus von ihren meist links-gerichteten Gegnern als „reaktionär“ betitelt. Reaktionäre Entwicklungen, die wiederum gegen die 68er-Bewegung und die durch sie ausgelösten Veränderungen gerichtet sind, werden als Backlash bezeichnet.

Quellen

  • Gabriel Ambroise Vicomte de Bonald: Essay sur les moeurs et l'esprit des nations. 1796.
  • Joseph de Maistre: Essai sur le principe générateur des constitutions politiques. 1814.
  • Joseph de Maistre: Soirées de Saint-Pétersbourg. Librairie Grecque, Latine et Française, Paris 1821.
  • Joseph de Maistre: Du Pape. Suivi de l'Église gallicane dans son rapport avec le Soverain Pontife. Société National, Brüssel 1838.
  • Juan Donoso Cortés: Ensayo sobre el catholicismo, el liberalismo y el socialism. La Publicidad, Madrid 1851.
  • Nicolás Gómez Dávila: Notas. Edición privada, México 1954.
  • Erik von Kuehnelt-Leddihn: Demokratie. Eine Analyse. Leopold Stocker Verlag, Graz 1996

Literatur

  • Bondy, Beatrice: Die reaktionäre Utopie: das politische Denken von Joseph de Maistre. Köln 1982.
  • Cioran, Emil: Essai sur la pensée réactionnaire. A propos de Joseph de Maistre. Montpellier 1957.
  • Lilla, Mark: The Shipwrecked Mind: On Political Reaction. New York Review Books, New York 2017, ISBN 1-59017-902-1.
Wiktionary: Reaktion – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Reaktion – Zitate

Einzelnachweise

  1. Gerhard Strauß u. a.: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist (= Schriften des Instituts für deutsche Sprache, Bd. 2). Gruyter, Berlin/ New York 1989, S. 335.
  2. Montesquieu: Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence, Kapitel 9. In: Œuvres Complètes. Firmin Didot Frères, Paris 1846, S. 148.
  3. Montesquieu: De L’esprit des Loix, 5. Buch, Kapitel 1. In: Œuvres Complètes. Firmin Didot Frères, Paris 1846, S. 210.
  4. Raymonde Monnier: Un mot nouveau en politique: «réaction » sous Thermidor. In: Equipe „18ème et Révolution“ (Hrsg.): Dictionnaire des usages socio-politiques (1770–1815): Notions pratiques. ENS Éditions, Paris 1999, S. 127–156, darin das Kapitel «Réaction », histoire de la notion avant la Révolution, S. 128–132, hier S. 130.
  5. Herfried Münkler: Politische Ideengeschichte und moderne politische Theorie: ein einführender Überblick. in: Manfred G. Schmidt et al. (Hrsg.): Studienbuch Politikwissenschaft. Springer Verlag 2013 ISBN 978-3-531-18986-4 S. 21–48, hier S. 36