Käthe Leichter

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Käthe Leichter (* 20. August 1895 als Marianne Katharina Pick in Wien; † 17. März 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg, Deutsches Reich) war eine österreichische Sozialwissenschaftlerin, sozialistische Gewerkschafterin und Gründerin und Leiterin des Frauenreferats der Wiener Arbeiterkammer.

Käthe Leichter (österreichische Briefmarke, 1995)

Leben

Käthe Pick wurde 1895 als Tochter des Rechtsanwalts Josef Pick und seiner Frau Charlotte, geb. Rubinstein, in Wien geboren, wo sie in wohlhabenden Verhältnissen aufwuchs und das „Beamtentöchter-Lyzeum“ besuchte. Ihre Schwester war Vally Weigl (geb. Valerie Pick).

Das Studium an der Universität Wien wurde ihr als Frau zunächst verweigert. Durch eine Klage beim Reichsgericht erkämpfte sie die Zulassung und inskribierte im Jahre 1914 Staatswissenschaften an der Universität Wien. Der Jurist und Reichsratsabgeordnete Julius Ofner und der Sozialreformer Josef Popper-Lynkeus weckten bei ihr erstes Interesse für soziale Fragen. Sie arbeitete neben ihrem Studium als Erzieherin von Arbeiterkindern im Döblinger Proletarierviertel „Krim“. Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges begrüßte sie diesen noch als Freiheitskampf gegen die Reaktion und bedauerte, als Frau nicht an der Front dienen zu dürfen. Durch ihre Kontakte mit der Arbeiterklasse und die damit verbundenen Erfahrung war sie jedoch zwei Jahre später eine entschiedene Kriegsgegnerin.[1]

Der Abschluss ihres Studiums war zu dieser Zeit in Österreich nicht möglich, daher übersiedelte sie 1917 nach Heidelberg. Sie war als aktive Pazifistin bekannt, und veröffentlichte Ende November 1917 als Anführerin einer Lesegruppe einen Aufruf gegen den Krieg, was zu einer Anklage wegen Hochverrats und letztlich am 26. Dezember 1917 zu einem Einreiseverbot nach Deutschland für die Dauer des Krieges führte. Mit einer Sondergenehmigung „zwecks Ablegung der nationalökonomischen Doktorprüfung“ promovierte Käthe Pick am 24. Juli 1918 mit Auszeichnung bei Max Weber in Heidelberg.

Nach ihrer Rückkehr nach Wien schloss sie sich der Rätebewegung an, wo sie ihren späteren Mann, den sozialdemokratischen Journalisten Otto Leichter, kennenlernte (er promovierte 1920 in Wien an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät). Ab April 1919 war sie bei Otto Bauer als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Staatskommission für Sozialisierung tätig. 1921 heirateten Käthe Pick und Otto Leichter. 1924 wurde beider erster Sohn, Heinz (der sich später Henry O.[tto] nannte, † 20. Dezember 2010), geboren, am 19. August 1930 Sohn Franz.

1925 übernahm Käthe Leichter den Aufbau des Frauenreferats in der Wiener Arbeiterkammer. In dieser Position baute sie systematisch eine Datenbank mit Material über arbeitende Frauen auf und erhob mit Fragebögen detailliert deren private und berufliche Lebensumstände. Daraus resultierten der Film Frauenleben. Frauenlos.[2] aus dem Jahr 1931, sowie zahlreiche Studien, darunter So leben wir... 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben[3] aus dem Jahr 1932.

Nach der Zerschlagung der Sozialdemokratie durch die austrofaschistische Regierung Dollfuß in den Februarkämpfen 1934 flüchtete die Familie in die Schweiz. Im September 1934 kehrten Käthe und Otto Leichter nach Österreich zurück und betätigten sich im Untergrund für die Partei. Käthe Leichter gehörte dem Schulungsausschuss der Revolutionären Sozialisten Österreichs (RS) an. Ihr Haus in Mauer bei Wien (heute Rosenhügelstraße 245 im 23. Wiener Bezirk) wurde ein Treffpunkt von Funktionären der verfolgten Arbeiterbewegung.

In dieser Zeit erschien in der österreichischen sozialdemokratischen Monatsschrift „Der Kampf“, zu deren Mitarbeitern von 1919 bis 1934 auch Otto Leichter zählte, unter ihrem Decknamen „Anna Gärtner“ Käthe Leichters Artikel Erfahrungen und Aufgaben sozialistischer Schulungsarbeit. Die internationale Revue „Der Kampf“ war eine Weiterführung der österreichischen Zeitschrift im tschechischen Exil. Nach dem Verbot der Partei am 12. Februar 1934 hatte der Parteiapparat der österreichischen Sozialdemokratie seine Arbeit in Brünn, Tschechoslowakei, organisiert. Es kam zu einer engen Zusammenarbeit mit den deutschen Sozialdemokraten in der ČSR, wobei das Organ „Der Kampf“ mit der sozialdemokratischen Monatsschrift „Tribüne“ der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP) vereinigt wurde. Von der daraus entstandenen „Internationalen Revue“ gab es eine Ausgabe für Österreich und eine für die ČSR.

Der Einmarsch der Truppen des nationalsozialistischen Deutschlands am 12. März 1938 in Österreich hatte für die Familie Leichter die Folge, dass sie aufgrund ihrer politischen Gesinnung sowie des Rassenwahns verfolgt wurde.

Otto Leichter konnte im März 1938 mit einem gefälschten Pass in die Schweiz flüchten. Die Söhne Heinz und Franz, später Rechtsanwalt bzw. Politiker in den USA, konnten mit Hilfe einer befreundeten Familie und der ehemaligen Hausgehilfin ins Ausland gebracht werden.

Käthe Leichter wurde, während sie ihre legale Ausreise vorbereitete, nach Verrat durch den Spitzel Hans Pav (geb. 1902), einen ehemaligen Sportredakteur der „Arbeiter-Zeitung“, [4] am 30. Mai 1938 von der Gestapo festgenommen. Sie blieb zunächst in Gestapo-Haft und wurde dann ins Gefängnis im Wiener Landesgericht eingeliefert. Sie verfasste in der Haft ihre Lebenserinnerungen, die sie ihrer Freundin Frieda Nödl übergeben konnte. [5] Hans Pav wurde 1947 vom Volksgericht in Wien zu 15 Jahren Kerkers verurteilt (1953 vorzeitig entlassen).[6]

Trotz zahlreicher ausländischer Interventionen deportierte das NS-Regime Käthe Leichter im Jänner 1940 ins Frauen-KZ Ravensbrück. Ihre Mitgefangene, die Sozialistin Rosa Jochmann, schrieb über Käthe Leichter im Dezember 1945:

„Genossin Leichter war die Seele ihres Blockes und uns ‚Politischen‘ die Lehrerin, die sie draußen gewesen war. Die Juden waren alle auf einem Block untergebracht, 500 im Jahre 1940, niemand wurde so gequält wie sie… Viele wunderbare Gedichte hat Käthe Leichter geschrieben, wir mussten sie über ihren Wunsch alle vernichten, da sie immer sagte: ‚Ich habe sie ja im Kopf, und ich weiß, ich komme bestimmt nach Hause.‘ Leider sind nun alle bis auf ein einziges verloren gegangen.“

Käthe Leichter starb im März 1942. Sie wurde im Alter von 46 Jahren als Häftling des KZ Ravensbrück in der NS-Tötungsanstalt Bernburg in Deutschland im Zuge der sogenannten Aktion 14f13 mit Giftgas ermordet. Zwei Grabsteine erinnern in Wien an sie: Einerseits ist sie am Grab ihres 1973 in New York verstorbenen Ehemanns im Urnenhain der Feuerhalle Simmering mitgenannt, außerdem befindet sich dort eine Urne die laut Aufschrift mit Erde aus Ravensbrück gefüllt ist. Ein zweites Grab befindet sich in Gruppe 16A in der Neuen israelitischen Abteilung des Zentralfriedhofs Wien (Tor 4).

Nach einer Intervention ihres Sohnes Franz wurde Käthe Leichter von der Universität Heidelberg 2013 die Doktorwürde zurückgegeben, die ihr 1939 aberkannt worden war. Die Universität bat die Familie für die zu Unrecht erlittene Entehrung, die unerträgliches Unrecht gewesen sei, um Vergebung.

Anerkennungen

  • Seit 15. Februar 1949 heißt eine Straße im 13. Wiener Gemeindebezirk Käthe-Leichter-Gasse.
  • Am 8. Oktober 1988 wurde die Benennung des Käthe-Leichter-Hofes der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte, 13. Wiener Gemeindebezirk, Auhofstr. 152–156, durchgeführt und eine Gedenktafel angebracht.
  • Käthe-Leichter-Preis[7]
  • 2016 erschien der Dokumentarfilm Käthe Leichter. Eine Frau wie diese. Seine TV-Premiere war am 8. März 2016, dem Weltfrauentag.[8]
  • An Käthe Leichters Geburtshaus in Wien 1., Rudolfsplatz 1, befindet sich eine Gedenktafel.

Veröffentlichungen

  • Marianne Katharina Pick: Was wollen die Frauen in der Politik? Reihe: Lichtstrahlen. Heft 19, Wien, 1910
  • Marianne Katharina Pick: Die handelspolitischen Beziehungen Österreich-Ungarns zu Italien. Staatswissenschaftliche Dissertation, Universität Heidelberg 1918 (Maschinenschrift)
  • Kathe Leichter: Max Weber als Lehrer und Politiker, in: Der Kampf, 19:9 (1926)
  • Frauenarbeit und Arbeiterinnenschutz in Österreich. Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien. Wien: Verlag „Arbeit und Wirtschaft“, 1927, 238 S.
  • Wie leben die Wiener Heimarbeiter? Eine Erhebung über die Arbeits- und Lebensverhältnisse von tausend Wiener Heimarbeitern. Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien. Wien: Verlag „Arbeit und Wirtschaft“, 1928, 146 S.
  • Vom revolutionären Syndikalismus zur Verstaatlichung der Gewerkschaften, in: Festschrift für Carl Grünberg. Zum 70. Geburtstag, Leipzig 1931, S. 243-281.
  • Julius Deutsch: Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Wien: Wiener Volksbuchhandlung
    • Band 1: Von den Anfängen bis zur Zeit des Weltkrieges. 1929-1932, 470 S.
    • Band 2: Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit. Unter Mitarbeit von Käthe Leichter u.a., 1932, 316 S.
  • So leben wir ... 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben; Eine Erhebung. Wien: Verlag „Arbeit und Wirtschaft“, 1932, 156 Seiten
  • Anna Gärtner (Pseudonym): Erfahrungen und Aufgaben sozialistischer Schulungsarbeit. In: Der Kampf, Internationale Revue, Prag, 3. Jahrgang, Nr. 6, Juni 1936, S. 221-260
  • Maria Mahler (Pseudonym): Die Gewerkschaften im Faschismus. In: Internationale Studienwoche, veranstaltet vom Internationalen Frauenkomitee der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, Brüssel, 22. bis 29. August 1936, 1936

Literatur

  • Herbert Exenberger (Hrsg.): Als stünd' die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen. Mandelbaum Verlag, Wien 2000, ISBN 3-85476-037-X. (Antifaschistische Literatur und Exilliteratur; Band 19)
  • Walter Göhring (Hrsg.): Käthe Leichter: Gewerkschaftliche Frauenpolitik. Historische Dimension und politische Aktualität. Wien: Österreichischer Gewerkschaftsbund [u.a.], [1996], 255 S., ISBN 3-7063-0073-7 (Schriftenreihe des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern; Nr. 3)
  • Gabriella Hauch: Käthe Leichter, geb. Pick. Spuren eines Frauenlebens. In: Archiv. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung 8 (1992), S. 97-123
  • Gabriella Hauch: Käthe Leichter (geb. Pick). In: „Gelehrte Frauen“. Frauenbiographien vom 10. - 20. Jahrhundert, Wien, 1996, 10 Seiten
  • Evelyn Lacina: Leichter, Käthe, geborene Pick. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 14, Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 3-428-00195-8, S. 132–134 (Digitalisat).
  • Herbert Steiner (Hrsg.): Käthe Leichter. Leben und Werk Mit einem Vorwort von Hertha Firnberg. Wien: Europaverlag, 1973, 523 S.; ISBN 3-203-50442-1 (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung)
  • Herbert Steiner (Hrsg.): Käthe Leichter. Leben, Werk und Sterben einer österreichischen Sozialdemokratin. Wien: Ibera und Molden, 1997, 520 S., ISBN 3-900436-28-2
  • Käthe Leichter zum 100. Geburtstag. Texte zur Frauenpolitik. Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Abteilung für Frauen- und Familienangelegenheiten in Zusammenarbeit mit der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek und der Sozialwissenschaftlichen Dokumentation. Wien: AK, 1995, 236 S., ISBN 3-7063-0060-5

Anmerkungen

  1. Käthe Leichter - Eine Frau wie diese
  2. [1]
  3. [2]
  4. Wolfgang Neugebauer: Der österreichische Widerstand 1938-1945 - PDF
  5. Herbert Exenberger: Dr. Käthe Leichter. Aus Herbert Exenberger (Hrsg.): Als stünd' die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen, Mandelbaum, Wien 2000, ISBN 3-85476-037-X
  6. Prozessfotos Volksgericht Wien 1947
  7. Preisträgerinnen, abgerufen am 30. März 2014
  8. Dor Film, abgerufen am 3. April 2016