Liwaa Yazji

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Liwaa Yazji, 2016

Liwaa Yazji (arabisch لواء يازجي, * 1977 in Moskau, Sowjetunion) ist eine syrische Schriftstellerin, Filmemacherin und Dramaturgin, die seit 2016 in Berlin lebt. Neben Veröffentlichungen in arabischen Ländern wurden ihre auf Arabisch verfassten Texte auch ins Englische übersetzt und auf internationalen Bühnen und Festivals aufgeführt. Ihre Werke zählen zur zeitgenössischen syrischen Exilliteratur und handeln unter anderem von Krieg und politischer Verfolgung.

Leben und Wirken

Yazji wurde als Tochter des syrischen Ehepaars Haidar Yazji (1946–2014), eines Künstlers, und Salwa Abdullah, einer Gynäkologin, geboren. Ihre Mutter war von 2020 bis 2021 Ministerin für Soziales und Arbeit. Liwaa Yazji verbrachte ihre frühen Kindheitsjahre in Moskau, wo ihre Eltern studierten. Die Familie kehrte Anfang der 1980er Jahre nach Syrien zurück und wohnte einige Jahre in der nordsyrischen Metropole Aleppo, bevor sie nach Damaskus zog. Nach ihrer Schulzeit studierte Yazji Englische Literatur an der Universität Damaskus (1995–1998) und erwarb ein Postgraduiertendiplom in Literaturwissenschaft (1998–1999). Von 1999 bis 2003 studierte sie Theaterwissenschaft am Higher Institute for Dramatic Arts in Damaskus.[1]

Ab 2003 war Yazji als Dramaturgin und Regieassistentin bei mehreren Theaterprojekten sowie Filmproduktionen in Damaskus tätig. Im Rahmen des kulturellen Programms aus Anlass der Arabischen Kulturhauptstadt 2008 in Damaskus war sie für die Teilnahme syrischer Theater- und Tanzaufführungen verantwortlich. Danach war sie an kreativen Schreibprojekten für Theater und Fernsehen beteiligt und arbeitete als Drehbuchautorin für mehrere panarabische Produktionsfirmen. Seit 2012 ist Yazji außerdem Vorstandsmitglied der syrischen gemeinnützigen Kulturorganisation Ettijahat – Independent Culture.[2] Nach Ausbruch des Kriegs in Syrien emigrierte sie 2014 zunächst nach Beirut und 2016 nach Berlin.[3]

In Beirut begann sie mit der Arbeit an ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm Haunted (2014). Er wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung im Libanon koproduziert und zeigt auf surreale Weise das Leben von neun Menschen, die entweder in Syrien als Binnenflüchtlinge lebten oder im Libanon Zuflucht suchten.[4] Bei seiner Premiere beim Dokumentarfestival Marseille gewann er den Special Mention Award und beim GIGAF Festival in Tunesien 2016 die Al Waha Bronzemedaille.[5] Der Film wurde auch auf anderen internationalen Festivals und in ausgewählten Kinos gezeigt.[6][7]

Ihr surrealistisches Theaterstück Goats handelt von Dorfbewohnern, die von ihrem Bürgermeister eine Ziege als Entschädigung für ihre im Bürgerkrieg gefallenen Söhne erhalten. Es wurde nach einer ersten szenischen Lesung während der Veranstaltung „Told From the Inside“ im Royal Court Theatre, London, im Dezember 2017 uraufgeführt.[8] Goats war auch Teil des PEN World Voices: International Play Festival 2018, in New York, und im Februar 2019 wurde eine szenische Lesung auf Arabisch im Khashabi Theater in Haifa produziert.[9]

Das vom Royal Exchange Theatre in Manchester in Auftrag gegebene Stück Question and Question behandelt sexuelle Gewalt gegen Frauen anhand von Syrerinnen, die in drei verschiedenen Ländern (Syrien, Libanon und Frankreich) von austauschbaren „Fragenstellerfiguren“ verhört werden.[10] Das Stück erfuhr eine szenische Lesung beim Birth Festival 2016. Weiterhin wurde es bei der International Women Playwright Conference in Chile 2018 und beim Edinburgh Festival 2017 aufgeführt, wo szenische Lesungen in Theatern, Akademien und Gesundheitseinrichtungen stattfanden.[11]

Ihr nächstes Stück, Waiting for the guests, ist ein kurzes Theaterstück, das erstmals 2018 in der Zeitschrift Index on Censorship veröffentlicht wurde. Es porträtiert eine Frau, die wegen ihrer Schriften vom Staat verfolgt wird. So steht sie vor der schwierigen Entscheidung, entweder von Soldaten getötet zu werden oder sich und ihre Familie zu töten, bevor die Soldaten eintreffen.[1]

Im August 2023 nahm Yazji an einer mehrsprachigen Lesung vor dem Ischtar-Tor im Pergamonmuseum in Berlin teil. Sie trug dabei ihr Gedicht „Ein schwereloser Vogel“ vor, das die schmerzliche Erfahrung des verlorenen Friedens durch Krieg beschreibt.[3]

Yazjis Werk ist geprägt von ihren Reflexionen über die Grausamkeit des Krieges in Syrien, ihrer Situation als Schriftstellerin mit Familie in Syrien, die sich gegen diesen Krieg stellt, sowie von politischen und surrealistischen Theaterformen wie von Bertolt Brecht und Edward Bond, dessen Stück Saved sie 2015 ins Arabische übersetzte. In einem Interview im Jahr 2016 kommentierte sie ihre Gründe, auch im Exil weiter zu schreiben:[1]

„Wenn ich mich entscheide, mit dem Schreiben aufzuhören, dann gelingt es dem Feind – oder sagen wir mal der Diktatur –, mich zum Schweigen zu bringen, egal, ob ich mich innerhalb oder außerhalb des Landes befinde, [...] Es ist also eine Art Umgang mit der eigenen Zensur und Ängsten.“

Werke

Alle Werke wurden auf Arabisch verfasst und sind im folgenden in englischer Übersetzung genannt.

Bühnenwerke

  • Here in the park, verfasst in Damaskus, 2007-2009
  • Goats, 2017
  • Question and Question, 2016
  • Waiting for the guests, 2018
  • Songs for days to come, Libretto für das Opernprojekt mit den syrischen Musikern Kinan Azmeh, Dima Orsho und Kinan Abou-Afach[12]

Belletristik

  • In peace, we leave home, Lyriksammlung, Beirut, 2014
  • The birds of longing, Kurzgeschichte, als Teil von Kashash, Syrian Sixth Space Curatorial Platform, 2017[13]
  • Apples of my grandmother, Lyrischer Monolog, Dancing on the Edge Festival in Amsterdam, 2019[14]

Filmproduktionen

  • The Brothers, Fernsehserie mit 100 Episoden von Liwaa Yazji and Mohammad Abou Laban. Erstausstrahlung 2014 auf Abu Dhabi TV und danach auf überregionalen arabischen Sendern[15]
  • Haunted, Dokumentarfilm, 114', 2014
  • Qaid Majhol, Drehbuch für eine syrische Fernsehserie, 2021

Auszeichnungen

Literatur

  • Elke Möller: Thinking Trauma, Essayistically: Configurations of Home, Loss and Memory in Liwaa Yazji’s Haunted (Maskoon, 2014). In: Ekphrasis. Images, Cinema, Theory, Media. Band 26, Nr. 2, 15. Dezember 2021, S. 142–158, doi:10.24193/ekphrasis.26.10 (ekphrasisjournal.ro [PDF]).
  • Joscelyn Jurich: Poetic documentary as visual ethnography: Liwaa Yazji's Haunted (Maskoon) (2014). In: Studies in Documentary Film. 15. Jahrgang, Nr. 1, 2021, ISSN 1750-3280, S. 41–58, doi:10.1080/17503280.2019.1696146 (englisch).
  • Marvin Carlson: The Routledge Companion to Theatre and Politics. Hrsg.: Eckersall. Routledge, 2019, ISBN 978-1-351-39911-1, Arab political theatre post-Arab spring (englisch, google.com).
  • Simon Dubois: Négocier son identité artistique dans l’exil. Les recompositions d’un paysage créatif syrien à Berlin:. In: Migrations Société. N° 174, Nr. 4, 14. Dezember 2018, ISSN 0995-7367, S. 45–57, doi:10.3917/migra.174.0045 (französisch, cairn.info).

Einzelnachweise

  1. a b c Charlotte Bailey: Theatre of war: An interview with Syrian playwright Liwaa Yazji. In: Index on Censorship. Band 45, Nr. 1, April 2016, ISSN 0306-4220, S. 60–63, doi:10.1177/0306422016643023a (sagepub.com [abgerufen am 1. Mai 2024]).
  2. Board of Directors and General Assembly. In: ettijahat.org. Abgerufen am 1. Januar 2024 (englisch).
  3. a b Goodbye Ischtar-Tor: Babylonische Lesung im Pergamonmuseum zum Abschied auf Zeit. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 1. Mai 2024]).
  4. Bert Rebhandl: Film "Haunted" erzählt Geschichte vom Syrien-Krieg (Memento des Originals vom 22 Dezember 2016 im Internet Archive) In: Faz.net, 22. Dezember 2016. Abgerufen am 27. April 2022 
  5. Liwaa Yazji. In: Royal Court. Abgerufen am 27. April 2022 (amerikanisches Englisch).
  6. Haunted, Liwaa Yazji, Germany-Syria, 2014, 113' - World Premiere, first film competition. In: Heinrich-Böll-Stiftung. Abgerufen am 27. April 2022 (englisch).
  7. UnionDocsLiwaa Yazji discusses her film HAUNTED (Maskoon). In: UnionDocs. 9. Dezember 2015, abgerufen am 27. April 2022 (amerikanisches Englisch).
  8. Emma Graham-Harrison: A goat for every martyr: the bitterly funny play about the surreal cost of Syria's civil war. In: The Guardian. 28. November 2017, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 1. Mai 2024]).
  9. GOATS - ماعز. In: www.khashabi.org. Khashabi Theatre, Haifa, 9. Februar 2019, abgerufen am 1. Mai 2024 (englisch).
  10. Nicole Rizzo: Why a Staged Reading of ‘Question and Question’ by Liwaa Yazji? In: https://arablit.org. 5. November 2019, abgerufen am 1. Mai 2024 (amerikanisches Englisch).
  11. Ric Knowles: Seeking the International Intercultural: The Seventieth Edinburgh Fringe Festival. In: Canadian Theatre Review. 177. Jahrgang, 1. Januar 2019, ISSN 0315-0836, S. 90–93, doi:10.3138/ctr.177.015 (englisch, utpjournals.press).
  12. Kinan Azmeh's Songs For Days To Come - Commissioned by St Urban. In: Songs For Days To Come. Abgerufen am 26. April 2022 (amerikanisches Englisch).
  13. Kashash | Alma Salem. Abgerufen am 26. April 2022 (britisches Englisch).
  14. The Apples of My Grandmother. In: DOTE Magazine. 14. Oktober 2019, abgerufen am 26. April 2022 (englisch).
  15. The Brothers. In: twofour54. Abgerufen am 26. April 2022 (amerikanisches Englisch).
  16. interviews with the film-maker: mec film. In: mecfilm.com. Abgerufen am 26. April 2022 (englisch).