Autoritäre Persönlichkeit

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Die Theorie der Autoritären Persönlichkeit bezeichnet ein Syndrom von Persönlichkeitseigenschaften, die ein Potential für antidemokratische und faschistische Einstellungen und Verhaltensweisen darstellen. Diese Eigenschaften bilden ein zusammenhängendes System (Persönlichkeitsstruktur oder Charakterstruktur). Wie alle Charakter- oder Persönlichkeitsstrukturen entwickelt es sich in der Regel durch spezifische psychische Verarbeitungsmuster wesentlicher emotionaler Erfahrungen während der Kindheit und Jugend (Pubertät und Adoleszenz - s. Persönlichkeitsentwicklung).

Begriffsgeschichte

Obwohl die erste Verwendung des Begriffs Autoritäre Persönlichkeit auf Abraham Maslow (1943) zurückgeht, der sich auf Erich Fromms Theorie des autoritären Charakters bezieht, ist er im Wesentlichen durch die Studie The Authoritarian Personality von Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford aus dem Jahr 1950 geprägt. Die Studie war Teil eines großen Forschungsprojektes zur Untersuchung der psychologischen Grundlagen antisemitischer Vorurteile an der Universität Berkeley in Kalifornien (USA). Die Studie wurde unter dem historischen Einfluss des gerade vergangenen Zweiten Weltkrieges und des Holocausts durchgeführt und ist stark davon geprägt.

Vor diesem Hintergrund war es Ziel der Studie, das Auftreten faschistischer und antidemokratischer Einstellungen aus psychoanalytischer Sicht zu erklären und so einen wissenschaftlichen Beitrag gegen den Faschismus zu leisten. Die Theorie der Autoritären Persönlichkeit legte den Grundstein für eine umfangreiche und bis heute reichende Forschungstradition.

Theorie der Autoritären Persönlichkeit

Konzeption

Nach der Theorie der Autoritären Persönlichkeit zeichnen sich Personen, die faschistischen Ideologien anhängen, durch eine unsachgemäße, vorurteilsvolle Betrachtung der sozialen und politischen Verhältnisse aus. Vor dem historischen Hintergrund entstand die Annahme, dass das Auftreten bestimmter Erscheinungen wie Antisemitismus und Ethnozentrismus in engem Zusammenhang mit dieser speziellen Persönlichkeitsstruktur stünde. Da die faschistischen Gruppierungen im Wesentlichen aus dem rechten/konservativen Lager Unterstützung erfuhren, wurden Teile der konservativen Einstellung ebenfalls als Ausdruck dieser Persönlichkeitsstruktur gewertet. Als Messinstrumente für diese Einstellungen wurden die AS-Skala ("Antisemitismus"), die E-Skala ("Ethnozentrismus") und die PEC-Skala (“politisch-ökonomischer Konservatismus”) benutzt.

Instrument für die Erfassung der zugrunde liegenden autoritären Persönlichkeitsstruktur war die sog. F-Skala ("implizite antidemokratische Tendenzen u. Faschismuspotential"). Diese Skala setzt sich aus folgenden Subskalen zusammen:

  • Conventionalism – Festhalten an Hergebrachtem
  • Authoritarian Submission – Autoritätshörigkeit/-unterwürfigkeit
  • Authoritarian Aggression – Tendenz, Verstöße gegen hergebrachte Werte ahnden zu wollen
  • Anti-Intraception – Ablehnung des Subjektiven, Imaginativen und Schöngeistigen
  • Superstition and Stereotype – Aberglaube, Klischee, Kategorisierung und Schicksalsdeterminismus
  • Power and Toughness – Identifikation mit Machthabern, Überbetonung der gesellschaftlich befürworteten Eigenschaften des Ego
  • Destructiveness and Cynicism – Allgemeine Feindseligkeit, Herabsetzung anderer Menschen
  • Projectivity – Veranlagung, an die Existenz des Bösen in der Welt zu glauben und unbewusste emotionale Impulse nach außen zu projizieren
  • Sex – Übertriebene Bedenken bezüglich sexueller Geschehnisse

Die Autoren der Studie erwarteten einen positiven Zusammenhang der Ergebnisse der F-Skala und der Ausprägung von Konservatismus, Ethnozentrismus und Antisemitismus bei einer Person.

Psychoanalytischer Aspekt

Die Grundlage dieses vermuteten Systems von Persönlichkeitseigenschaften und dessen Verbindung zu bestimmten Einstellungen sahen sie, einer psychoanalytischen Sichtweise folgend, in den frühkindlichen Erfahrungen einer Person und deren Verarbeitung.

Die psychoanalytische Theorie nach Sigmund Freud legt nahe, dass Werte und Normen, die zunächst in der Person des Vaters repräsentiert sind, im Laufe der Entwicklung vom Kind internalisiert werden. Dadurch bildet sich die unbewusste Instanz des sogenannten Über-Ich. Die Auseinandersetzung mit einem autoritären, sehr strengen Vater führt zur Entwicklung eines sehr starken Über-Ichs. Somit müssen von frühester Kindheit an unbewusste Wünsche und Triebe (z.B. Macht, sexuelle Freizügigkeit) unterdrückt werden und unbefriedigt bleiben.

Der dadurch verursachte unbewusste Konflikt wird dadurch gelöst, dass die Person ihre durch das Über-Ich "verbotenen" Triebe und Aggressionen auf andere Menschen projiziert. Als Projektionsfläche werden in der Regel ethnische, politische oder religiöse Minderheiten ausgewählt, da hier keine gesellschaftlichen Sanktionen zu befürchten sind. Oft kann sogar auf gesellschaftlich anerkannte Vorurteile zurückgegriffen werden.


Geltungsbereich

Trotz einiger methodischer Unzulänglichkeiten hat die Theorie der Autoritären Persönlichkeit großen Einfluss auf nachfolgende Forschungsarbeiten gehabt. Kritisiert wurde, dass die Theorie der Berkeley-Gruppe nahe lege, "Autoritarismus" gäbe es nur im "rechten" politischen Spektrum. Studien von Eysenck, Rokeach und vielen anderen sind dieser Frage nachgegangen.

Neben dieser Problematik eines evtl. zu weit gefassten Geltungsbereiches der Theorie wurde weiter kritisiert, dass die Autoren Variablen, die den sozioökonomischen Status von Personen widerspiegeln (z.B. Bildungsgrad, Schichtzugehörigkeit), nicht mit einbezogen. Es wurde argumentiert, dass diese unter Umständen einfachere Erklärungen für die gefundenen Zusammenhänge bieten und die praktische Relevanz der Studie erhöhen würden.

Im Kontext der deutschen Studentenbewegung von 1968 sind die Parallelen der protestierenden APO zu eben jenen autoritären Strukturen, die sie zu bekämpfen vorgaben, von Theodor W. Adorno erkannt worden; er schrieb an seinen Freund Herbert Marcuse in einem Brief:

"Die Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus nehme ich viel schwerer als Du... Du müßtest nur einmal in die manisch erstarrten Augen derjenigen sehen, die womöglich unter Berufung auf uns selbst, ihre Wut gegen uns kehren."


In Deutschland sind Forschungen zum Autoritarismus u.a. von Klaus Roghmann, Detlef Oesterreich und Christel Hopf durchgeführt worden.

Siehe auch

Literatur

  • Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-518-28782-6
  • Freyhold, Michaela von: Autoritarismus und politische Apathie, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1971