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Das goldene Jubelfest des Wiener Männergesangvereins

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Titel: Das goldene Jubelfest des Wiener Männergesangvereins
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 737, 739–740
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[737]

Vom goldenen Jubelfest des Wiener Männergesangvereins: Das Festkonzert in der Winterreitschule.
Nach einer Originalzeichnung von M. Ledeli.

[739] Das goldene Jubelfest des Wiener Männergesangvereins. (Zu dem Bilde S. 737.) In der reichen Schatzkammer des Wiener Männergesangvereins ist Ueberfluß an goldenen Ehrenbechern und prächtigen Fahnenbändern; wenige Liebesgaben aber hält der mit der Geschichte der Wiener Stadt unlöslich verbundene Verein höher als die folgende handschristliche Widmung Grillparzers:

„Dem Volk der Eichen
Was auch sie schied,
Bleibt Einheitszeichen
Das deutsche Lied.“

Das Dichterwort ist ein Wahrwort. „Frei und treu in Lied und That“, wie der alte Wahlspruch des Vereins lautet, hat der 1843 von dem um das Wiener Musikleben hochverdienten Dr. August Schmidt gegründete Männergesangverein in dem halben Jahrhundert seines Bestandes immer Bedeutenderes geleistet, so daß ihn Oskar Teuber in seiner Festschrift „Fünfzig Jahre in Lied und That“ mit Recht preisen durfte als „großen Künstler“, als „echtes Wienerkind“, als „glühenden deutschen Patrioten“; als „treuen Sohn des deutschen Volkes und kühnen Welteroberer“. Franz Schubert hat keine feurigeren Apostel gefunden als die Wiener Meistersänger, die ihm auch das herrliche Kundmannsche Denkmal im Stadtpark aufgerichtet haben. Die edelsten Schöpfungen der deutschen Tonkunst sind von den Wiener Sängern unter der Leizung von Chormeistern ersten Ranges wie Johann Herbeck u. a., zu hohen Ehren gebracht worden. Bei jedem großen festlichen Anlaß waren sie mit künstlerischen Huldigungen zur Stelle: ihre Ständchen galten dem jungen Gemahl der Kaiserin Elisabeth, Franz Joseph, wie späterhin in Brüssel der Braut des Kronprinzen Rudolf. Und auf 43 Sängerfahrten in die Nähe und in die Ferne erregte der Verein allerorten hellen Jubel. In Nürnberg und in Stuttgart, vor dem deutschen Kaiser, wie vor dem König von Sachsen, in Venedig und in Konstantinopel errang er volle Siege; man hieß seine Leistungen willkommen, zugleich aber mit ihren Liedern gewannen die Gäste selbst durch ihre Leutseligkeit, Gemüthlichkeit und Biederkeit die Herzen ihrer Wirthe und Wirthinnen. So ist die Geschichte des Wiener Männergesangvereins ein Ehrenbuch der deutschen Kunst und Wiener Sitte, ein redendes Zeugniß der Herzensgüte, mit der unsere Sänger sich und ihre Kunst jeder guten Sache zu Gebote stellten. Jahraus, jahrein danken Unzählige dem Verein Stunden köstlicher musikalischer Erhebung, jahraus, jahrein übt er unzählige Wohlthaten – hat er doch bis jetzt gegen 200000 Gulden wohlthätigen Stiftungen zugewendet – jahraus, jahrein findet er neben seiner ernsten künstlerischen Bethätigung Muße zu den tollsten Lustharkeiten; die Narrenabende des Vereins sind ebenso einzige „Wiener Spezialitäten“, wie das „komische Quartett“ Udel, das gleichfalls aus diesem Verbande hervorging und nach wie vor in demselben wurzelt. Der Segen so vielumfassenden Wirkens bleibt nicht aus. Ungesucht fallen dem Vereine immer neue Auszeichnungen und Liebesgaben zu und wahrhaft überwältigend waren die Kundgebungen, welche vom 6. bis 8. Oktober, den Gedenktagen der Begründung des Vereines, zu Wien stattfanden. An 430 Abordnungen von Liedertafeln, Künstlervereinen und Wohlthätigkeitsanstalten beglückwünschten den Vorstand des Vereins, Herrn Dr. v. Olschbaur, beim Begrüßungsabend im Wiener Musikvereinssaal. Aus Rußland und Amerika kamen Festgäste, wie aus [740] allen Gauen Oesterreichs und Deutschlands. Wundervolle Ehrengaben stifteten die Wiener Tochtervereine, die Berliner Liedertafel, die Wiener Schriftsteller („Concordia“), der New Yorker Liederkranz, und die Vereinigten norddeutschen Liedertafeln brachten gar einen Taktierstock aus Holz vom tausendjährigen Rosenstock am Dom zu Hildesheim mit der Inschrift:

„So wie am Dom zu Hildesheim
Der tausendjähr’ge Stock noch blüht,
So blüh’ bei Euch auch tausend Jahr’
Der Rose gleich das deutsche Lied.“

Ausnehmend innig gestaltete sich die Begrüßung des Wiener Vorstandes Dr. v. Olschbaur durch den Vertreter des Stuttgarter Liederkranzes Herrn Steidle: der Schwabe und der Oesterreicher umarmten und küßten sich. Die Stadt Wien widmete dem Verein die große goldene doppelte Salvator-Medaille und entbot die Gäste in den Prunksaal des neuen Rathhauses zu festlichem Empfang. Als Krone der Jubelfeier ist aber das von unserem Zeichner im Bilde festgehaltene große Schauspiel des Festkonzertes in der Winterreitschule, zugleich die 567. öffentliche Aufführung des Vereins, zu betrachten. Der altberühmte, ehedem zu Hoffestlichkeiten, Karussells etc., Anno Achtundvierzig auch als Berathungssaal benutzte Pracht- und Riesenraum faßt 2400 Sitzplätze. An der Schmalseite hatte die Kolossaltribüne für den Männergesangverein und die Philharmoniker Platz gefunden. Als erlauchtester Festgast fand sich der Herr des Hauses, Kaiser Franz Joseph ein, der bei dieser Gelegenheit zum ersten Male die an die Stelle des alten Burgtheaters getretene neuerbaute Riesen Rotunde der Hofburg besuchte. Den Ehrenplatz neben ihm nahm König Albert von Sachsen ein. Alles, was Wien an Berühmtheiten der Musikwelt sein nennt, war versammelt, Brahms, Bruckner, Richter, Jahn, dazu ein Kreis von Damenschönheiten: „Welch reicher Himmel! Stern bei Stern! Wer kennet ihre Namen?“

Als eigentlicher Festgeber bewährte sich der Männergesangverein in den auserlesensten Stücken seines Programms und als Festdichter hatte sich der Sänger der Wiener Elegien, Ferdinand von Saar, eingestellt. Gernsheim, Max Bruch und Bruckner leiteten Chöre, die sie dem Vereine zu Ehren des Festes gewidmet hatten; und die alten Musterleistungen der Wiener, Herbecks „Jung Werner“, Schumanns „Ritornell“ und der Pilgerchor aus „Tannhäuser“ legten neues Zeugniß für den alten Ruhm des Vereins ab. Mit freudiger Zuversicht schreitet so der Wiener Männergesangverein in sein zweites halbes Jahrhundert hinein wie er mit stolzer Genugthuung auf sein erstes zurückschaut.