Verschiedene: Die Gartenlaube (1872) | |
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No. 7. | 1872. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Der Prior sah mit der ganzen hochmüthigen Ueberlegenheit des Vorgesetzten auf Benedict nieder. „Sie scheinen zu vergessen, daß ich das vermittelnde Glied zwischen dem Abte und den Klostergeistlichen bin,“ sagte er streng. „Es ist durchaus unstatthaft, daß man sich mit Umgehung meiner Person direct an Seine Gnaden wendet.“
„Ich habe die Regel nicht als ein Gebot angesehen!“ erklärte Benedict noch immer gelassen; „auch scheint der Herr Prälat es nicht so aufzufassen, da er meine Bitte sofort gewährte. Euer Hochwürden mögen übrigens wegen der Audienz unbesorgt sein, sie betrifft nur meine Privatangelegenheit und nicht etwa – andere Dinge.“
Der Ton der letzten Worte war so eigenthümlich, daß der Prior aufmerksam wurde. „Was meinen Sie damit?“ fragte er noch strenger; aber ein schneller stechender Blick traf dabei die Züge des jungen Mönches.
„Ich meine gewisse Klosterangelegenheiten, zum Beispiel die Auskunft über den Verbleib eines Theiles der Stiftsgelder, die der Herr Prälat dringend wünscht und die er nicht erhalten kann, weil der Rentmeister die Bücher in einer unverantwortlich nachlässigen Weise geführt hat.“
Ueber das Gesicht des Priors flog ein plötzliches Erbleichen, seine stechenden Augen hefteten sich jetzt lauernd auf Benedict.
„Und wären Sie vielleicht im Stande, ihm diese Auskunft zu geben?“
„Die Auskunft selbst nicht, wohl aber einen Wink, wo sie zu erlangen wäre. Hochwürden werden sich erinnern, daß der Rentmeister kurz vor seiner Entlassung plötzlich schwer erkrankte. Sie, sein ausschließlicher Gewissensrath, waren gerade abwesend, und so rief man mich zur Beichte.“
Die Blässe auf dem Gesichte des Priors war fahler geworden. „Ah so! Er hat Ihnen Geständnisse gemacht?“
„Genannt hat er Niemanden!“ sagte Benedict kalt. „Der Mann ist zu gut geschult, und ich mochte nicht noch mit weiteren Fragen in den Schwerkranken dringen, sein Zustand war ohnehin gefährlich genug. Ich habe aber bei der Gelegenheit den Eindruck empfangen, daß der Rentmeister nur das Werkzeug in fremder Hand war und die fehlenden Gelder nicht in seinem Interesse verwendet sind. Ich bin überzeugt, wenn der Prälat mit der vollen Macht seiner Persönlichkeit einen Druck auf ihn übte, so wäre es nicht schwer, umfassende Geständnisse von ihm zu erlangen.“
„Da haben Sie in der That wichtige Entdeckungen gemacht!“ Der Prior vermochte es doch nicht, das Auge seines jungen Untergebenen auszuhalten, das fest und drohend auf ihn gerichtet war. Seine Stimme klang heiser, als er schnell hinzu setzte:
„Ich bewundere nur, daß Sie den Herrn Prälaten nicht sogleich davon unterrichtet haben, die Sache ist ja schon wochenlang her.“
„Wenn es mir nicht so sehr widerstrebte, den Angeber zu machen, so hätte ich es gethan. Ich beschloß, die Angelegenheit ruhen zu lassen, als ich sah, daß der Schaden nicht zu ersetzen war, und daß das sofortige energische Einschreiten unseres Abtes das Stiftsvermögen vor weiteren Angriffen sicherstellte. Der Punkt wäre auch heute nicht berührt worden, sähe ich mich nicht zu der Bitte gezwungen, daß Euer Hochwürden endlich einmal mit den kleinlichen Quälereien und endlosen Verfolgungen aufhören mögen, deren Zielpunkt ich seit der ganzen Zeit meines Hierseins bin und zu denen Sie Ihre Macht als mein Vorgesetzter mißbrauchen. Es sind allerdings nur Nadelstiche, aber man kann Jemand zu Tode hetzen mit solchen Nadelstichen, und ich bin jetzt auf den Punkt gekommen, wo ich sie nicht mehr ertragen kann. Ich bitte dringend um Schonung; es giebt Manchen im Kloster, der mehr zu verantworten hat, als ich.“
Wäre Benedict nur etwas weniger stolz und menschenverachtend gewesen, so hätte er den Blick verstanden, der in giftigem, tödtlichem Haß ihm entgegensprühte. In dem Blicke stand sein Verderben; aber der junge Priester wandte sich verachtungsvoll ab und ging, das Ornat wieder mit dem Ordenskleide zu vertauschen – er ahnte doch wohl nicht, wie grenzenlos unvorsichtig er gehandelt und welchen Feind er gereizt hatte.
Der Prior blickte ihm einige Secunden lang stumm nach. „Steht es so?“ murmelte er endlich. „Du wagst es, mir zu drohen? Der Schwachkopf von Rentmeister muß ihm die Augen geöffnet haben; ich werde sorgen, daß er sich nicht noch mehr verräth. – Hüten Sie sich, Herr Pater Benedict! Bisher waren Sie nur unbequem, jetzt fangen Sie an, gefährlich zu werden; es wird Zeit, daß man Sie beseitigt!“
Die große, mit aller Pracht und allem Ueberfluß reichlich versehene Conventstafel, die dem Hochamte folgte, war vorüber. Das Stift liebte es, an solchen Tagen den vollen Glanz seines Reichthums zu entfalten und eine wahrhaft verschwenderische Gastfreundschaft gegen Hoch und Niedrig zu üben. Jetzt war die Tafel aufgehoben, die Gäste hatten sich zum größten Theil bereits
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_101.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2018)