Verschiedene: Die Gartenlaube (1872) | |
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sie folgte auch dieser Aufforderung, blieb aber plötzlich auf der Schwelle stehen und sagte in scharfem Tone:
„Ehe wir aber eintreten, möchte ich Ihnen doch mittheilen, daß wir Protestanten sind. Verstehen Sie? Ketzer von der echtesten Sorte, da oben aus Norddeutschland! Täuschen wollen wir Sie nicht und bekehren lassen wir uns auf keinen Fall. Wenn Sie uns also darauf hin hinauswerfen wollen, so sagen Sie es lieber gleich, wir müssen dann zusehen, ob wir in dem sogenannten Wirthshause ein Unterkommen finden, obgleich ein anständiger Mensch es nicht ansehen, geschweige denn betreten kann, ohne daß sich sein ganzes Reinlichkeitsgefühl dagegen empört.“
Der Pfarrer mußte doch lächeln über dies seltsame Glaubensbekenntniß zwischen Thür und Angel. „Ich pflege meine Gäste nicht nach ihrer Religion zu fragen,“ entgegnete er freundlich, „und stelle mein einfaches Haus gern jedem Fremden zur Verfügung, weß Glaubens er auch sei.“
„So? Nun da sind Sie eine Ausnahme von Ihren Collegen!“ meinte die Dame trocken. „Entschuldigen Sie, daß es mir so herausfuhr, aber wie gesagt, bekehren lassen wir uns nicht, und man muß sich vorsehen hier zu Lande, ich traue den Katholischen nun einmal nicht. – Wenn ich nur wüßte, was es wieder dabei zu lachen giebt, Lucie! Ich glaube, Sie sind unvernünftig genug, an der ganzen abscheulichen Partie noch Vergnügen zu finden. Wie eine Gemse sind Sie vor mir her den Berg heraufgesprungen, während ich –“ sie sah wehmüthig herab auf die Trümmer ihres Regenschirms – „ohne den da wäre ich verloren gewesen!“
Man war inzwischen in’s Haus getreten und Franziska begann sogleich Shawl und Hut abzulegen, wobei sie ihrem Wirthe ausführlicher erzählte, daß sie von einer kleinen Reise nach A. zurückkäme, daß sie der Kürze wegen den Weg über das Gebirge gewählt hätten, und daß ihr Begleiter, der sich noch unten bei dem übel zugerichteten Wagen befinde, seine Schwester und sie einstweilen vorausgesandt habe, um im nächsten Dorfe auf ihn zu warten, wo sie ein Fuhrwerk zu erhalten hofften, das, da die Pferde zum Glück unverletzt seien, sie noch heute bis Dobra bringen könne.
„Das Fuhrwerk wird wohl zu erhalten sein,“ erklärte der Pfarrer bereitwillig, „vorausgesetzt, daß Ihr Begleiter bald eintrifft, sonst möchte es nicht rathsam sein, noch heute den Rückweg anzutreten, da die Nacht Sie noch im Gebirge überfallen würde. Sie müßten in diesem Falle mit meiner Gastfreundschaft fürlieb nehmen. Das Gastzimmer ist zwar schon seit einigen Monaten von meinem jungen Caplan eingenommen, indeß er wird gern den Damen weichen, und auch für den fremden Herrn wird Unterkommen geschafft werden.“
Lucie hatte bisher ihren Mantel noch nicht abgelegt, sondern sich mit großen Augen in der Studirstube umgesehen, die zugleich das Staats- und Empfangszimmer des hochwürdigen Herrn bildeten. Sie musterte unbefangen die alten einfachen Möbel, die nicht allzu zahlreichen Bücher und die vergilbten Stahlstiche an den Wänden, welche Heiligenbilder oder Scenen aus Legenden darstellten, bei den letzten Worten aber wurde sie plötzlich aufmerksam.
„Wo befinden wir uns denn eigentlich, Hochwürden?“ fragte sie schnell, und der Pfarrer wunderte sich, weshalb das junge Mädchen bei der so einfachen Frage bis an die Schläfe erröthete.
„Ja wohl, wie heißt denn das Nest? – ich bitte um Entschuldigung, ich meine Ihren Pfarrbezirk,“ fiel auch Franziska jetzt ein. „Man hat uns nur nach dem nächsten Dorfe gewiesen, ohne uns den Namen zu nennen.“
„Sie befinden sich in N.“
Es war gut, daß der Pfarrer sich dabei an Franziska wandte, und diese ihn wieder ansah, so entging Beiden die Purpurgluth, welche jetzt das Antlitz Luciens noch dunkler färbte. Sie gab auf einmal all’ ihre kleinen Beobachtungen im Zimmer auf und flüchtete an’s Fenster, wo sie verharrte, den Blick fortwährend auf die Thür gerichtet, als erwarte sie jeden Augenblick dort etwas eintreten zu sehen, das ihr Angst mache.
Fräulein Reich hatte sich indessen bequem im Lehnstuhl zurechtgesetzt und begann nun mit ihrem Wirthe eine Art von Verhör anzustellen, wie lange er schon hier wohne, welches Einkommen er habe, wie er mit seiner Gemeinde stehe und dergleichen. Der alte Pfarrer, völlig eingeschüchtert durch den inquisitorischen Ton der Dame, stand demüthig und ängstlich vor ihr, und bemühte sich, auf all ihre Fragen so genau und pünktlich zu antworten, als stehe er vor seinem Decan, von dessen Wohlwollen seine ganze Stellung abhinge. Das Resultat des Examens war endlich ein halb ärgerliches, halb mitleidiges Kopfschütteln von Seiten Franziska’s.
„Ich möchte nicht an Ihrer Stelle sein, Hochwürden!“ erklärte sie sehr entschieden. „Im Sommer mag das noch zu ertragen sein, aber wie halten Sie nur den ganzen langen Winter hier oben aus, so mutterseelenallein, ohne Weib und Kind?“
Der alte Priester lächelte, aber diesmal war es ein trauriges Lächeln und es lag etwas wie schmerzliche Resignation in dem Blicke, der über die kräftige lebensvolle Gestalt der vor ihm Sitzenden hinglitt und dann auf dem lieblichen Antlitz des jungen Mädchens haften blieb, das in diesem Augenblick zu ihnen herüberschaute. „Das bringt unser Stand so mit sich,“ entgegnete er sanft.
„Das ist aber, nehmen Sie mir’s nicht übel, eine höchst langweilige Einrichtung Ihrer Kirche,“ fuhr Franziska mit ihrer entsetzlichen Aufrichtigkeit ganz ungenirt fort. „Bei uns daheim hat jeder rechtschaffene Pfarrer Frau und Kinder, ein halbes Dutzend von den letzteren gewöhnlich! Wir haben es noch weiter gebracht: wir waren unser Zwölf im Pfarrhause, und wenn die heilige Apostelzahl meinem Vater auch oft genug Kopfzerbrechen machte – ein Landpfarrer hat bei uns gerade auch kein Ministereinkommen –, ich versichere Sie, es lebt und predigt sich so doch besser, wenn auch die ganze geistliche Nachkommenschaft neben dem Studirzimmer lärmt, als in solchem öden todtenstillen Hause, wo keine Maus sich regt. Mein Vater hätte kein einziges von uns missen mögen; wir sind ja auch Gott sei Dank Alle gerathen und wie gerathen!“
Bei den letzten Worten richtete sie sich zu ihrer ganzen stattlichen Höhe empor und blickte den vor ihr stehenden hochwürdigen Herrn so herausfordernd an, als wolle sie fragen, ob er nicht meine, sie ihrerseits sei außerordentlich gut gerathen, und ob er sich etwa erlaube, nach diesem Beispiele noch an dem exemplarischen Gedeihen der übrigen elf Pfarrerssprößlinge zu zweifeln. Zum Glück fiel dem guten Geistlichen Dergleichen nicht entfernt ein. Er machte eine tiefe höfliche Verbeugung, welche mehr als Worte seinen großen Respect vor der Dame und ihrer ganzen Familie auszudrücken bestimmt war, und dadurch zufriedengestellt, setzte sich diese wieder nieder.
„Ich begreife nicht, weshalb Bernhard noch immer nicht kommt!“ mischte sich jetzt Lucie in’s Gespräch. „Er müßte längst hier sein; ich möchte ihm lieber entgegengehen.“
Die Erzieherin schüttelte mißbilligend den Kopf. „Warum nicht gar! Haben Sie etwa noch nicht genug an unserer Kletterpartie, Lucie? Wollen Sie sich durchaus fortwehen lassen?“
„Ich gehe ja nicht weit,“ versicherte das junge Mädchen, „und verfehlen kann ich ihn nicht, wenn ich dem Wege folge, den wir heraufgekommen sind.“
Franziska blieb bei ihrem Kopfschütteln. Der Pfarrer aber, dem die geheime Unruhe der Dame nicht entging und der sie natürlich der Sorge um den abwesenden Bruder zuschrieb, legte sich jetzt in’s Mittel.
„Lassen Sie das Fräulein immerhin gehen,“ sagte er freundlich. „Es geschieht ihr nichts hier oben auf unseren Bergen, und Schluchten und Abgründe, in die sie stürzen könnte, giebt es auch nicht in unmittelbarer Nähe von N., vorausgesetzt, daß die Dame den Fahrweg nicht verläßt.“
Franziska zuckte die Achseln. „Da sehen Sie das sechszehnjährige Blut, Hochwürden! Nicht eine Viertelstunde lang kann es im Zimmer aushalten, das muß durchaus wieder hinaus in Wind und Wetter! Meinetwegen denn, aber gehen Sie ja nicht zu weit. Herr Günther wird Sie auslachen bei seiner Ankunft; er ist auch gerade der Mann, um den man sich ängstigen müßte!“
Lucie hörte die letzten Worte gar nicht mehr, sie war schon aus der Thür, auf der Schwelle hielt sie noch einmal zögernd inne; aber ein Schritt, der die Treppe herunterkam und von dem sie freilich nicht wissen konnte, daß es nur der der alten Magd war, scheuchte sie rasch in’s Freie an den wenigen Häusern vorüber, bis zum Ausgange des Dorfes.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_152.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)