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Seite:Die Gartenlaube (1884) 472.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

wunschlos erscheint uns der Ausdruck ihres jugendlich schönen Antlitzes! Ob’s hinter der glatten Stirn wirklich so ruhig steht, ob unter dem Mieder gar kein verdächtiges Pochen sich regt? Eitele Fragen! Das Leben wird auch mit ihr keine Ausnahme machen. Jetzt aber freuen wir uns noch des ungetrübten Anblicks der lieblichen Erscheinung; ist es doch, als ob unsichtbar in diesem Raume die Engel des Glücks und des Friedens weilten und als ob man mit dem Dichter ausrufen müßte:

„Mir ist, als ob ich die Hände
Auf’s Haupt dir legen sollt’,
Betend daß Gott dich erhalte
So schön und rein und hold!“


Deutschlands merkwürdige Bäume. Nr. 4: Die Linde auf dem Gottesacker zu Annaberg. Schon vor Jahren haben wir unsere Leser auf den Gottesacker der im sächsischen Obererzgebirge gelegenen Stadt Annaberg geführt, auf welchem sich das Grabdenkmal der Barbara Uttmann, der Erfinderin des Spitzenklöppelns, befindet. In der Nähe dieser interessanten Grabstätte steht auch die merkwürdige Linde, die uns unsere nebenstehende Illustration zeigt. Sie ist ein mächtiger Baum, welcher etwa 400 Jahre zählt und sich durch einen eigenartigen Wuchs auszeichnet. Von ihm berichtet die Sage, „daß er umgekehrt in die Erde gesetzt worden: die Aeste nach unten, die Wurzeln nach oben, welche hernach ausgeschlagen, Blätter getrieben und sich in Aeste ausgebreitet hätten“.

Linde auf dem Friedhof von Annaberg. Originalzeichnung von Franz Dotzauer.

Die Veranlassung zu dieser abweichenden Einpflanzung soll folgende gewesen sein: „Ein Marstaller (Vorstand des städtischen Fuhrwesens) auf St. Annaberg hatte einen ruchlosen Sohn, welcher besonders an die Auferstehung der Todten nicht glauben wollte. Daher gab ein eifriger Priester sich alle Mühe, diesen bösen Menschen auf bessere Gedanken zu bringen. Er ging endlich mit dem jungen Burschen auf den Gottesacker und stellte ihm daselbst vor, daß dieses das Feld des Herrn sei; wie der ausgestreute Same auf dem Felde aufginge und hervorwachse, so würden auch die hier Begrabenen als ein Same am jüngsten Tage wieder aus der Erde hervorkommen. Darauf aber hat der junge Mensch eine noch kleine Linde auf dem Kirchhof erblickt und zu dem Priester gesagt: so wenig als diese Linde, wenn man sie ausreißen und umgekehrt mit den Aesten in die Erde setzen wollte, gedeihen und ausschlagen würde, so wenig würden auch diejenigen, welche einmal todt seien, wieder lebendig werden und auferstehen. Darauf hat der Priester, in göttlichem Eifer entbrannt, geantwortet: er wisse gewiß, daß Gott, um solche Ruchlosigkeit zu strafen, so gnädig sein werde, ein Zeichen seiner Allmacht sehen zu lassen. Er wolle aber diese Linde umgekehrt in die Erde setzen lassen, und würde sie ausschlagen, so solle der Zweifler daran seinen bösen Unglauben erkennen. Und solches ist hernach auch geschehen.“

An der Möglichkeit dieses Wunders brauchen wir gar nicht zu zweifeln, denn es liegt in unserer Macht, dasselbe jeden Augenblick zu wiederholen. Jedermann weiß ja, daß die Wurzeln der Bäume, sobald sie von der Erde entblößt werden, Blätter und Zweige treiben können. Die Botaniker kennen auch das Experiment, den „Baum umzukehren“ oder sozusagen auf den Kopf zu stellen. Wer von unseren Lesern Lust hat, der kann den Versuch des Franzosen Duhamel zu jeder Zeit nachahmen. Dieser nahm eine junge Weide mit langem Schaft, bog denselben derart um, daß die Krone in die Erde eingegraben werden konnte, und nachdem die Zweige derselben nach einer gewissen Zeit Wurzeln getrieben hatten, grub er die ursprünglichen Wurzeln aus, die nunmehr eine neue kahle Krone des Bäumchens bildeten. Nach kurzer Zeit bedeckten sich die in der Luft schwebenden Wurzeln mit Knospen, und bald grünte das umgekehrte Bäumchen von frischen Blättern und Zweigen.

So war auch vor Jahrhunderten das Experiment mit der jungen Linde in Annaberg gelungen. Der jetzige Stamm derselben, welcher eine Höhe von 2 Metern und einen Umfang von fast 6 Metern hat, ist der frühere mit dem Wurzelstock umgekehrte Stamm, soweit er nicht mit den Aesten in die Erde versenkt wurde. Die ursprünglichen Wurzeln sind die nunmehrigen Aeste. Die Faserwurzeln bilden, vom Stamm als 16 starke, ungefähr 6 Meter lange Aeste fast rechtwinkelig ausgehend, ein breites Schirmdach, das nach oben, durch meist gerad emporwachsende Aeste, die vielfach verzweigt sind, sich verjüngt. In der Mitte dieser pyramidenartigen Baumkrone ragt als Fortsetzung des Stammes die zu einem starken Ast mit mehreren Ausläufern erwachsene Pfahlwurzel bis zu einer Höhe von 25 Metern empor. Wegen des langgestreckten, fast horizontalen Wuchses der unteren Wurzeläste, welche einen Umkreis von 30 Meter beschatten und in Folge dieser Gestalt bei Sturm nur einen geringen Stützpunkt hatten, unterbaute man dieselben bereits vor 200 Jahren. Das jetzige Gerüst, welches von 11 steinernen und 12 hölzernen Pfeilern getragen wird, stammt aus dem Jahre 1853.


Die Fuchsfamilie. (Mit Illustration S. 461.) Der aufmerksame, aber mit dem Thierleben weniger vertraute Leser wird in unserem heutigen „Familienbilde“ gewiß etwas vermissen: es wird ihm unvollständig erscheinen, da auf ihm das Haupt des Hausstandes, der alte Fuchs, fehlt. Hat nicht Meister C. F. Deiker einen Fehler begangen, daß er in dem Vorhofe der Burg Malepartus den schlauen Reinecke nicht gezeichnet hat? Er würde wohl eine prächtige Figur abgegeben haben, denn seine Zärtlichkeit gegen Weib und Kind ist ja weit und breit bekannt und selbst durch Sage und Dichtung verherrlicht worden. Wer erinnert sich nicht der rührenden Abschiedsscene in Goethe’s epischem Gedichte, wo Herr Reinecke der Frau Ermelyn seine Kinder empfiehlt und so gefühlsinnig von „Rossel, dem Schelmchen“, und „Reinhart, dem Jüngsten“, spricht, dem die Zähnchen schon so hübsch um’s Mäulchen stehen und der dem Vater gleich werden wird? Nun, wir müssen nicht vergessen, daß die Burg Malepartus und die in ihr geschilderten Familienscenen nur ein Werk menschlicher Phantasie sind und daß die schönen Worte des Dichters mit der Wirklichkeit gar nicht harmoniren. Deiker ist ein vollendeter Meister in der Darstellung der Thiercharaktere, und er hat in der That das Wahre und Richtige getroffen, wenn er in seinem rührenden Familienbilde den „Alten“ nicht berücksichtigt hat.

Reinecke, der Mephisto unserer Wälder, ist, wie die vorzüglichen Kenner unserer heimischen Thierwelt, die Gebrüder Karl und Adolf Müller, mit Recht erklären, der „treuloseste Familienvater“ auf Gottes Erden. Mit den Liebeslauten „Grau“ und „Griau“ wirbt er wohl im Februar um die Huld der jugendlichen Ermelyn und verlebt auch die kurzen Flitterwochen in dem von ihr errichteten Bau. Wenn aber die Jungen zur Welt kommen, dann überläßt er die Sorge für die Kleinen den ganzen Sommer hindurch ausschließlich der Mutter. Wie unser Haushund ist auch er dem Eheleben gar nicht zugethan und findet kein Wohlgefallen an den heiteren und launigen Spielen seiner jungen Nachkommenschaft; er meidet geflissentlich den häuslichen Herd. Wenn wir also in Wirklichkeit eine Familienscene aus dem Fuchsleben belauschen, so kann uns in derselben höchstens die Mutterliebe und das Spiel der Jungen erquicken. So wußte in diesem Falle unser berühmter Thiermaler die Wahrheit von der Dichtung zu scheiden und nicht nur ein kunstvolles, sondern auch lebenswahres Bild zu schaffen.


Kleiner Briefkasten.

G. R. in L. Sie irren! Unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe verbarg sich nicht der Geheime Hofrath Schneider, sondern der verstorbene Berliner Schriftsteller Hermann Goedsche.

G. v. V. und E. v. BL. in Rußland. Leider ungeeignet. Verfügen Sie gefl. über das Manuskript.

J. M. in St. Petersburg. Anstalt für künstliche Fischzucht in Hüningen, Gem. Blotzheim, Ober-Elsaß.

C. W. in Neisse, P. H. in Krakau, F. A. in Wien, Dr. V. St., D 3 G., J. M. in Karbitz, M. S. Sp. in Rußland (Trauerweide), H. W. in G. bei R., H. 50, R. W. in N. bei Wien, F. L. in Königsberg, G. K. in P.: Nicht geeignet.

Abonnent in Holland. Nein, nicht zu empfehlen! Wenden Sie sich an einen tüchtigen prakt. Arzt, der Sie persönlich untersuchen kann.


Inhalt:

[ Verzeichnung des Inhalts von Heft 28/1884; hier z. Zt. nicht transkribiert.]

Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart.0 Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_472.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2024)