Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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Schritt auf der Bahn der Epik gewagt, bekundet er nunmehr seine volle Meisterschaft in dieser Dichtart. Jahre lang hatte er schon den Plan des Ahasverus im Kopfe herumgetragen und bis in seine Einzelnheiten ausgebucht. Daher bei aller scheinbaren Willkür, die mit dem gewaltigen Stoffe nur zu spielen scheint, die wohldurchdachte Ordnung in der Komposition, daher bei aller Ueppigkeit der Schilderung, bei allem Reichthum und Glanze der Bilder die zielbewußte Strenge, womit die dramatisch belebte Handlung fortgeleitet wird, und daher die kräftige Zeichnung der Charaktere. Wenn wir davon absehen, daß Robert Hamerling aus Rücksichten des Geschmacks abstoßende Züge aus den Berichten eines Tacitus und Suetonius mildern mußte, so müssen wir gestehen, daß wir kein zugleich großartigeres und getreueres Gemälde des römischen Kaiserreichs in seiner Entartung kennen, als dasjenige, welches im Ahasverus vor uns aufgerollt ist. Man hat vom Standpunkte der Moral bedauern wollen, daß der Dichter nicht der Predigt des Genusses die Religion der Entsagung, den Gräueln der Bacchanalien die Feier der christlichen Geheimnisse, dem goldenen Hause Nero’s die Kirche der Katakomben, der Poppäa, Agrippina und Actäa christliche Märtyrerinnen jungfräulicher Keuschheit, endlich dem heidnischen Genußriesen Nero statt des schwachen und verbrecherischen Kain-Ahasverus die christlichen Glaubens- und Tugendriesen Petrus und Paulus gegenüber gestellt habe. Allein der Dichter hat nur von einem souveränen Rechte Gebrauch gemacht, das erste Christenthum blos episodenhaft zu behandeln, nachdem er einmal seinen Ahasver als den ewigen Menschen, nicht blos als den Juden von Jerusalem aufgefaßt, der gegen den Messias trotzt. „Götter kommen und schwinden – ewig wandert Ahasver“. Diesem Vertreter der Menschheit ist das titanisch sich aufbäumende Individuum, der ewigen Todessehnsucht des Unsterblichen der unendliche Lebensdrang des Sterblichen in Nero gegenüber gestellt, und damit allerdings, was der Dichter mit klarem Bewußtsein anstrebte, Grund und Boden für ein wirkliches Epos gewonnen.
Dem durchschlagenden Erfolge seines „Ahasverus in Rom“ dankte Robert Hamerling auch eine Besserung in seinen äußern Lebensverhältnissen. Sein durch Kränklichkeit begründetes Gesuch um Entlassung aus dem Lehramte wurde bewilligt und ihm zugleich von einer ihm persönlich fern stehenden Bewundererin seines Ahasver ein Betrag zugewendet, der ihm über die augenblicklichen Schwierigkeiten der Lage hinweg half. Der Dichter konnte sich jetzt in das liebliche Graz zurückziehen und von nun ganz den Musen leben. Sein leider vielfach durch Krankheit getrübtes Leben theilt sich fortan noch ausschließlicher als seither nach den Stationen ein, die den Namen von seinen Werken tragen.
Während Robert Hamerling für die Dichtung, die uns auf den Boden des alten Roms versetzt, den uns anheimelnden erzählenden Vers von vier Hebungen und Senkungen gewählt hatte, erzählt er uns nun, gleichsam um seinem jungen Stoff antike Würde zu verleihen, in allerdings ungewöhnlich biegsamen und klangvollen Hexametern die „seltsamste, deutsamste aller Geschichten, die auf germanischer Erde geschah’n“, die Geschichte des Johann von Leyden. „Der König von Sion“, an plastischer Gestaltungskraft und Reinheit der epischen Behandlung das Schreckensgemälde des Ahasver noch übertreffend, theilt mit letzterem den Charakterzug, daß das Endliche, Zufällige der geschilderten geschichtlichen Erscheinung, ohne gewaltsames „Hineingeheimnissen“, in die Sphäre des Unvergänglichen, immer Wiederkehrenden empor gehoben erscheint. Man hat mit Recht aufmerksam gemacht, daß niemals in unserer Gegenwart die Kluft zwischen dem Hochsinne geist- und gemüthvoller Volksführer, jene verhängnißvolle Kluft zwischen der selbstlosen Idealität solcher begeisterter Männer und der platten Selbstsucht und Rohheit scheinbar ihnen anhängender und zujauchzender Massen so ergreifend geschildert worden ist als in diesem Epos, in welchem sich Hamerling als echter, mitfühlender und mitstrebender Sohn seiner Zeit erweist.
Als echter Sohn seines Volkes begrüßte er auch jubelnd das neu erstandene Deutsche Reich und setzte er, mit dem Uebermuth und Witz eines Aristophanes, dem in dem großen Kriegsjahre von 1870 endgültig beseitigten Jammer der Kleinstaaterei und der Uneinigkeit der deutschen Stämme in seinem 1872 erschienenen zweiaktigen Lustspiele „Teut“ das verdiente Denkmal. Zürnend erhebt er von Zeit zu Zeit seine gewaltige Stimme, um die Abtrünnlinge zu züchtigen, die in den gegenwärtigen nationalen Kämpfen Oesterreichs dem Deutschthum nicht die Treue bewahren, und mit der göttlichen Zuversicht eines Sehers spricht er denjenigen Muth zu, welche, ermattet vom jahrelangen Ringen, an der Zukunft Oesterreichs und des Deutschthums in Oesterreich verzweifeln möchten.
Der Unerquicklichkeit der öffentlichen Zustände, die ihn umgaben, entrann Robert Hamerling, indem er sich in seine zweite Heimath, nach Hellas, flüchtete: mit dem dreibändigen Romane „Aspasia“ vollendete er den Kreis jener Inspirationen, die ihn von seiner Kindheit an durchs Leben begleitet hatten. In der That würde uns das Charakter- und Lebensbild Hamerling’s unfertig scheinen, wenn er nicht auch dem Hellenenthum, wie dem Römerthum und Germanenthum ein vollwerthiges dichterisches Angebinde dargebracht, wenn er uns nicht auch noch auf die Akropolis geführt hätte, nachdem er uns in Nero’s goldenes Haus und in die Wälder Germaniens geführt. Es ist das Athen des Perikles, Sophokles, Phidias und der Aspasia, welches der Dichter vor uns erstehen läßt, und es ist die Blüthe edelsten Menschenthums, welche wir hier im Spiegel poetischer Verklärung schauen dürfen.
Als ob der Dichter endgültig dem Dichten abgeschworen hätte, hat er sein letztes Werk „Prosa“ genannt. Wir aber wollen auf die Fülle kleinerer Aufsätze, die Hamerling hier zusammengestellt, das Vertrauen gründen, daß er Allem, was unsere Zeit bewegt, seine Theilnahme zu schenken fortfahren und sich daraus den Stoff zu einem großen Zeitgemälde zurechtlegen werde, welches zu schaffen er vor Anderen berufen wäre. Wilhelm Lanser.
Fernher scholl es wie Hundegebell
Ueber die schweigende Halde –
Täusch’ ich mich nicht? – Mein herzliebster Gesell
Kehrt mit der Beute vom Walde!
Schlendert gemächlich, als trieb’ es ihn kaum –
Wart’ nur, ich werde Dich necken!
Ruhig, mein Herz! Dort hinter dem Baum
Will ich mich hurtig verstecken.
Thörichter Waidmann, Tag und Nacht
Warst Du im Wald auf der Suche;
Siehe, Dein Wild, hier lauert’s und lacht
Heimlich im Schatten der Buche.
Arglos nahst Du. – Ist’s Spuk? Ist’s Traum? –
Daß sich der Himmel erbarme!
Wie’s aus dem Stamme sich reckt: – der Baum
Hat zwei lebendige Arme!
Und sie schlingen sich fest um ihn,
Zwei unlösliche Klammern.
Solchem Zauber, wer kann ihm entfliehn?
Hilft kein Flehen und Jammern.
Mein nun bist Du, Du böser Mann!
Leib und Seele verfallen!
Nimmermehr wieder durch Feld und Tann
Wirst Du mir, Frevelnder, wallen!
Der Du vergessen Dein Lieb im Wald,
Falscher, jetzt sollst Du mir büßen!
Ich bin das Waldweib, in Hexengestalt,
Muß Dich zu Tode nun küssen! Ernst Scherenberg.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_148.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2023)