Verschiedene: Die Gartenlaube (1886) | |
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No. 7. | 1886. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Was will das werden?
Emil war bei Konsul Riekelmann Sohn als Lehrling in das Geschäft getreten und trug von Stund an Stehkragen und einen hohen Hut, was ihn in meinen Augen nicht schöner machte, da er in Folge der steifen Kragen den Kopf stets krampfhaft reckte, als ob er in der Höhe des Nikolaithurmes nach den Tauben von Konsul Riekelmann Vater mit blinzelnden Augen spähe, und ihm in Folge davon der Hut immer tief im Nacken saß, wodurch er wiederum an Konsul Riekelmann Sohn erinnerte, der seinen Hut so zu tragen in England gelernt. Das kluge Jettchen hatte Recht gehabt: ich empfand seinen Abgang von der Schule als eine wirkliche Erleichterung. Es war nun einmal schlechterdings keine Ehre mit dem guten Jungen einzulegen, und ich hatte lange genug seinetwillen mit den Altersgenossen vornehm und gering auf dem Kriegsfuße gestanden, um mich einigermaßen nach einem ehrenvollen Frieden sehnen zu dürfen. Ein solcher aber schien mir jetzt in der Klasse um so mehr gesichert, als einige Wochen später auch Der, welcher der moralische Urheber der leidigen Zwischenstundenscene gewesen war, Astolf von Vogtriz, aus derselben trat. Er hatte mich freilich seit jenem Tage nicht eines Blickes, geschweige denn eines Wortes gewürdigt, trotzdem wir, ich als der Erste der Neuen, er als der Letzte der Alten, neben einander saßen, und lieber keine Antwort gegeben, als sich von mir „vorsagen“ lassen; aber da wir einmal „nicht für einander existirten“, wie mir unnöthiger Weise einer seiner Freunde vermelden mußte, so war es ja besser, wenn unsere Lebenswege sich trennten. Wie bald sie wieder, und wie oft und hart sie noch später sich kreuzen sollten, ahnte ich zum Glück in meiner Freude über sein Fortgehen nicht. Uebrigens war merkwürdiger Weise auch sein Abgang bereits vorher beschlossene Sache und sein Platz auf einem Institute einer nahe gelegenen Stadt der Provinz, in welchem junge Leute von Adel zum Fähnrich „gepreßt“ wurden, schon seit Ostern offen gewesen. Man hatte nur so lange gezögert, um den Schein zu vermeiden, als stehe sein Fortgehen mit der bewußten Affaire in irgend einer Beziehung.
Dies Alles erfuhr ich durch seinen Bruder Ulrich, der inzwischen mein guter Freund geworden war, ohne sich an das Nasenrümpfen seiner zahlreichen adligen Genossen mehr zu kehren als an die Warnungen und Ermahnungen des Direktors, seines „Nährvaters“, wie Schlagododro ihn nannte. So aber hatte ich ihn umgetauft, sobald ich mir diese Vertraulichkeit erlauben durfte, jenes Wortes eingedenk, mit dem er für mich in die Schranken getreten. Ich wollte ihn erst „Löwenherz“ nennen, aber „Schlagododro“ war entschieden besser, wenn er auch beim Himmel das Herz eines Löwen und die Stärke eines Löwen – Beides ins Menschliche übersetzt – hatte. Nur daß seine blonde Mähne stets nach allen Seiten völlig ungesalbt
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_113.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)