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Seite:Die Gartenlaube (1886) 285.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
2.

Schon wiederholt in meinem kurzen Leben war es mir begegnet, daß ich einem unliebsamen Ereigniß, einer bedenklichen Situation mit ängstlicher Spannung entgegen gesehen hatte, und wenn das Ereigniß, die Situation nun wirklich eintraten, sie mich völlig ruhig fanden. Dasselbe war diesmal der Fall gewesen. Als der Kammerdiener die Portière zur Thür vor dem Zimmer hob, in welchem ich den Herzog vermuthen mußte, hatte mein Herz zum Zerspringen geklopft; als die Portière hinter mir leise zusammenrauschte, war es in meiner Seele gewesen, wie wenn sie Oel in die Brandungswellen gießen: kein Herzklopfen mehr, kein Stürmen der Lebensgeister mehr – völlige Fassung und Gleichmuth, ja, der muthvolle Wunsch, es möchte sich nun auch etwas recht Bedeutendes ereignen; und höchstens die gespannte Erwartung, wie dies Bedeutende sich wohl gestalten würde. Wollte es mich doch sogar bedünken, als ob mein Blut in diesem Augenblick ruhiger durch die Adern rollte, als das des Herzogs, der mit einer gewissen nervösen Hastigkeit ein Licht auf dem kleinen Marmortisch neben ihm und an dem Licht eine Cigarre entzündete, aus der er ein paar mächtige Züge that. Die Cigarre war wohl sehr stark; ich konnte einen leichten Hustenreiz nicht unterdrücken.

„Sie rauchen nicht?“ fragte der Herzog – und es waren das die ersten Worte, nachdem wir Platz genommen.

„Nein, Hoheit.“

„Man muß mit dergleichen Stimulis auch warten, bis das Leben im Großen an Reiz zu verlieren beginnt,“ warf der Herzog hin.

Ich empfand es nun doch als eine Art von Frechheit und Uebermuth, daß mir sofort einfiel, genau bei derselben Veranlassung genau denselben Gedanken, nur in etwas cynischerer Form, von dem Kammerherrn gehört zu haben; und daß ich mich fragte, ob dies ein Zufall, oder auf wen von den beiden Herren der Ausspruch wohl, als auf den Autor, zurückzuführen sei. Inzwischen hatte ich, während jetzt der Schein des Lichtes dem Herzog voll in das Gesicht fiel, die Möglichkeit gehabt und benutzt, ihn genauer zu betrachten. Man durfte ihn wohl, obgleich das Haupthaar bereits ein wenig gelichtet und, ebenso wie der starke Vollbart, stark angegraut war, noch immer einen schönen Mann nennen. Nur die etwas vorgeschobene Unterlippe wollte mir nicht gefallen; es lag da etwas Trotziges oder Wildes, das auch mit dem Ausdruck der blauen Augen harmonirte, die ebenfalls früher sehr schön gewesen sein mußten, aber jetzt etwas Hartes und Lebloses hatten, als wären sie aus Glas. Die Gestalt, welche in ein joppenartiges Kleidungsstück, das ein Haus- oder auch ein Jagdrock sein mochte, geknöpft war, ragte mit hoher Brust und breiten Schultern massig von dem Sitz auf; den großen, aber wohlgebildeten Händen sah man an, daß sie eine Büchse oder ein Schwert wohl zu führen wußten. Ich meinte: am liebsten so ein fast mannshohes, deßgleichen ich auf Abbildungen von Landsknechten und Rittern bewundert; wie es mir denn auch durch den Kopf fuhr, daß sich der Mann in voller Rüstung auf schnaubendem Roß gar prächtig ausnehmen müsse.

Die Cigarre war ihm nach den ersten Zügen ausgegangen; er zündete sie sich von neuem an (was der sybaritische Kammerherr nicht gethan haben würde) und sagte:

„Sie haben also eine entschiedene Neigung zum Schauspieler?“

„Ja, Hoheit.“

„Seit wann?“

„Ich muß wohl annehmen, seit immer, Hoheit. Wenigstens habe ich immer die entschiedene Neigung gehabt, mich in irgend eine fremde Gestalt, die mir durch die Lektüre oder sonst interessant geworden war, hinein zu versetzen und, besonders als ich noch ein Knabe war, in einer solchen Rolle zu reden und zu agiren. Daß darin möglicherweise das Talent zu einem Schauspieler stecke, wußte ich freilich nicht und wäre auch wohl schwerlich darauf verfallen, wenn –“

„Der Kammerherr von Trechow – weiß!“ unterbrach mich der Herzog. „Er hat mir selbst seiner Zeit davon geschrieben. Ich würde indessen kaum ein Gewicht darauf gelegt haben – des armen Trechow Infallibilität in diesen Dingen steht auf keinen festeren Füßen, als er selber – nur daß Weißfisch es bestätigt hat, auf den man sich verlassen kann. Wie sind Sie mit ihm zufrieden?“

„Er hat sich die erdenkliche Mühe mit mir gegeben, Hoheit; und seine Schuld ist es nicht, wenn ich noch nicht weiter bin. Dennoch –“

„Nun?“

„Nicht wahr, ich darf gegen Hoheit ganz frei sprechen?“

„Ich bitte sogar darum.“

„Ich wollte sagen, Hoheit: dennoch glaube ich, es war die höchste Zeit, daß ich aus seinen Händen kam. Er ist gewiß in vieler Hinsicht ein vortrefflicher Lehrer; aber seine schauspielerischen Produktionen sind doch nur immerhin treffliche Kopien, so daß meine eigenen Leistungen im besten Falle die Kopie einer Kopie sein könnten, eine Gefahr, der ich zu entgehen hoffe, wenn ich Gelegenheit habe, mich an wirklichen, an originalen Schauspielern weiter zu bilden.“

„Und Sie glauben, daß es heute noch originale Schauspieler giebt? Ich meine, auf der Bühne?“ rief der Herzog, die Asche von seiner Cigarre tupfend.

Ich mochte auf diese Frage wohl ein verdutztes Gesicht gemacht haben; der Herzog wartete auch nicht auf die Antwort, sondern fuhr alsbald fort:

„Im Leben, o ja! das macht uns mehr oder weniger alle zu Komödianten, unter denen man freilich die guten, die originalen, wie Sie sagen, ebenfalls mit der Laterne suchen muß. Wir, die wir das Unglück haben, Fürsten zu sein, wissen ein Wort davon zu sprechen. Welche erbärmlichen Komödien müssen wir uns vorspielen lassen! und was schlimmer ist, in welchen erbärmlichen Komödien sind wir gezwungen, mitzuspielen! Grands dieux! Und dabei ernsthaft bleiben zu müssen, eine feierliche Miene machen zu müssen, während – pah!“

Er schnellte, diesmal mit einer heftigen Handbewegung, die Asche in den Becher und fuhr in ruhigerem Tone fort:

„Aber, um auf die wirklichen Komödianten zurückzukommen, man darf mit den armen Schelmen nicht so streng ins Gericht gehen. Ich habe genug vom Künstler in mir, um zu wissen, daß man in keiner Kunst ohne Modelle, ohne Vorbilder was Rechtes zu Stande bringt. Und da soll nun so ein Herrlein einen Fürsten darstellen und hat nie einen Fürsten aus der Nähe gesehen, geschweige denn einen längere Zeit in seinem Thun und Gebahren beobachten und studiren können. Oder ein Anderer einen reichen Banquier und hat nie fünfzig Thaler in seinem Vermögen gehabt; oder einen Roué und Gourmé wie unsern lieben Trechow, und lebt ehrbar von Kartoffeln und Rindfleisch in einer Hofwohnung drei Treppen hoch. Und steht es mit unseren Schriftstellern denn besser? Ich lese gern Romane, aber durch welche Schiefheiten, Albernheiten, Absurditäten muß man sich da durcharbeiten, die alle daraus entstanden sind, daß die Herren das Leben, das sie schildern wollen, kaum vom Hörensagen, geschweige denn durch Autopsie kennen. Da“ – er deutete auf den Schreibtisch – „liegt ein ganz neuer von – nun, ich will den Namen nicht nennen. Die Geschichte spielt zum Theil an einem Fürstenhofe. Aber welche Fratzen macht der Mann aus dem Fürsten, der Fürstin! welche Karikaturen aus den Herren und Damen vom Hofe! Es ist nicht zu glauben. Um so weniger, als der Mann doch wirklich einen und den andern Blick in diese Kreise geworfen, mehr als das: Tage, vielleicht Wochen in dieser Sphäre zugebracht hat. Da, auf dem Platze, wo Sie sitzen, hat er gesessen, mehr als einmal; ich habe ihm meine Ansichten über eine lange Reihe der wichtigsten Dinge mitgetheilt, und doch! als ob er nie aus seinem Studirzimmer, aus seiner gelehrten und litterarischen Gesellschaft heraus gekommen wäre!“

Die widerspenstige Cigarre wollte durchaus nicht brennen; der Herzog stieß sie, wie zur Strafe, kräftig mit der verkohlten Spitze in den Becher und zündete sich eine neue an. Ich dachte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_285.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)