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Seite:Die Gartenlaube (1886) 450.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ist eine Großstadt, denn ihre Bevölkerung zählt 160 000 Einwohner, von denen wohl rund 100 000 deutsch sprechen. Dementsprechend herrscht in ihr auch ein recht reges deutsches Leben. Zahlreiche Gesangvereine pflegen das deutsche Lied. Funf Turnvereine blühen, und die neuesten von ihren Hallen würden jeder Großstadt Europas zur Zierde gereichen, so prachtvoll sind sie ausgeführt. Neun deutsche Zeitungen, darunter drei tägliche, „Herold", „Seebote" und „Freie Presse“, versorgen das deutsche Lesepublikum. Von den Wochenblättern verdient die „Germania", deren Auflage 80 000 Exemplare übersteigt, genannt zu werden. Die hauptsächlichsten Aemter der Stadt befinden sich ihrer Mehrzahl nach in Händen der Deutschen, auch das Oberhaupt der Stadt, der Bürgermeister Emil Wallber, ist ein Deutscher. Wer Mllwaukee besucht hat, der erkennt willig an, daß es mit Recht den ehrenvollen Beinamen „Deutsch-Athen" führt.

An der Stelle, wo sich heute die Stadt befindet, wohnten schon in grauer Urzeit Menschen, die jedoch, nach den zu Tausenden gefundenen Schädeln, nicht der Rasse der Rothhäute angehörten. Nach ihrem Verschwinden ließen sich hier verschiedene Indianerstämme nieder. Dr. Rud. Koß erzählt in seiner Chronik, daß die Hügel und Höhen, auf denen Milwaukee liegt, ein geweihter, heiliger Platz waren. Ehe die Indianer denselben betraten, wurden die Tomahawks vergraben, die Waffen abgelegt, und vor Eröffnung des dem Großen Geiste geweihten Festes führten die Rothhäute den Pauwau – Friedenstanz – auf. Dereinst begraben zu werden am Fuße dieser Hügel, war der sehnlichste Wunsch manches Indianers. Als Solomon Juneau, der erste wirkliche Ansiedler und spätere Gründer Milwaukees, sich mit einer Frau und einem Kinde am 14. September 1818 unter den Rothhäuten ansiedelte, lag das Indianerdorf Milwaukee an der Mündung des gleichnamigen Flusses. Es wurde von Pottawatomies bewohnt, deren Häuptling Onaugesa hieß. Im Gegensatz zur Mehrheit der berüchtigten Milwaukee-Indianer, war er ein freundlicher würdiger Mann, der sich die Zuneigung der Weißen in hohem Grade zu gewinnen wußte. Er erreichte ein hohes Alter, und sein Name wird von den noch lebenden alten Ansiedlern mit Achtung genannt.

E. Catenhusen,
Festdirigent des 24. Sängerfestes des N.-A. Sängerbundes.

H. M. Mendel,
Festpräsident des 24. Sängerfestes des N.-A. Sängerbundes.

Nahezu 16 Jahre wohnten Juneau und die Seinen als die einzigen Weißen unter den Rothen. Dann erst kamen andere Pioniere. Der erste Deutsche traf schon 1834, von Detroit in Michigan kommend, ein. Er hieß Bleyer und war seines Handwerks ein Drechsler. Drei Jahre später ließ sich der Büchsenschmied Matthias Stein nieder. Die Illustration auf S. 441 zeigt uns die Blockhütte dieses Pioniers auf einem Berge im Waldesdickicht. Am Fuße des Berges haben Pottawatomies ihre Wigwams aufgeschlagen. Das Wild war so zahlreich, daß es bis an die Behausung der Bewohner kam. Der alte Stein, dessen Bild unten links auf der Illustration sichtbar ist, erfreut sich noch des Lebens, während sein Freund, der Häuptling Onaugesa (dessen Portrait rechts auf der Illustration angebracht ist), nach dem Glauben seiner Stammesgenossen längst in den ewigen Jagdgründen weilt. Nichts ist mehr geeignet, das Emporblühen einer Stadt in den Hinterwäldern des Nordwestens zu veranschaulichen, als wenn man mit diesem Bilde die Gesammtansicht der Stadt vergleicht, die sich jetzt, 50 Jahre später, an demselben Orte erhebt, wo früher nur vereinzelt unter den Bäumen des Urwaldes Blockhütten standen. Welch kurze Zeit! Welch große Veränderung! Dort, wo vor 50 Jahren das Geheul der Wilden durch die Luft erscholl, erklingen heute deutsche Weisen; dort, wo die Rothhäute in ganzen Stämmen nach ihrem Brauche Feste feierten und Gebete zum großen Geiste emporsandten, werden in wenigen Wochen die Sänger aus der ganzen Union zusammenströmen, um deutsche Lieder an dem Ufer des Michigan ertönen zu lassen zum Ruhme und zur Ehre des Germanenthums. G. M. H.     


Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
4.

Da Zeit Geld ist und ich diese Geldsorte im Ueberflusse besaß, hatte ich einen sogenannten Bummelzug gewählt und zu der sonst nicht langen Fahrt von dem kleinen Bade am Fuße des Harzes bis zur großen Stadt an der Spree einen ganzen Tag gebraucht. Wenigstens war der Sommerabend schon stark hereingebrochen, als die Eisenbahnschnecke langsam in die Halle glitt, und der Durchrüttelte das Gefängniß, welches er zuletzt mit dreißig oder vierzig tabakrauchenden Personen getheilt, verlassen durfte, um alsbald von Jemand umarmt zu werden, den er im ersten Augenblicke nicht kannte: einem schmächtigen, in seinem Anzuge vernachlässigten, mit farblosen Augen träumerisch aus blassem Gesichte blickenden Mann, der fünfzig Jahre alt zu sein schien, und in welchem er dann doch Bruder Otto erkennen mußte, der nach seiner Berechnung noch nicht dreißig zählte. Ich hütete mich, der traurigen Empfindung Ausdruck zu geben, die bei diesem Anblicke mein Herz erfüllte und mit dem traurigen Lächeln auf dem blassen Gesichte korrespondirte; konnte aber doch einen leisen Ruf des Schreckens nicht ganz unterdrücken, als jetzt eine schwere Hand auf meine Schulter schlug und eine rauhe Stimme rief: „Haben wir den Ausreißer endlich!“

Nun, es war kein Schutzmann; es war H. H. – Herr Heinrich Hopp – der vor mir stand und mich jetzt in seine Arme schloß, wobei ein böser Fuselgeruch mich rings umhauchte. Und ach, dem bösen Dufte entsprach die Erscheinung des alten Freundes: als wenn der joviale Fuhrherr von ehemals inzwischen zum Fuhrknechte geworden wäre – so vergröbert däuchte mir seine Gestalt, Miene, Stimme, sein Lachen – Alles, Alles!

Ich suchte meine Verlegenheit hinter der Frage nach meinem Gepäcke zu verstecken; H. H. hatte bereits für Alles gesorgt, oder würde doch für Alles sorgen. Ob Einer, wie er, nun schon zwei Jahre lang in dem vertrackten Neste von Berlin wohnen und tagtäglich drei Droschken unterwegs haben solle – dazu eine Nachtdroschke – und den Rummel nicht kennen! Draußen halte seine Droschke – Gepäckdroschke, Nummer einundzwanzig – vierundvierzig; dahin sollten wir uns scheeren. In fünf Minuten habe er den ganzen Krempel auf dem Verdecke, und wenn’s zehn Koffer wären.

Er sagte oder schrie das Alles vielmehr in unserem heimischen Platt zum Ergötzen der Umstehenden und zum Verdrusse eines Schutzmannes, der jetzt herantrat und ihn gelassen hieß, nicht dergleichen ungebührlichen Lärm zu machen. H. H. maß den Mann mit wüthenden Blicken, begnügte sich dann aber doch auf Otto’s ängstlich-leises Zureden mit ein paar in die Bartstoppeln gemurmelten Worten, welche der verständige Beamte lieber nicht hören wollte.

„So ist er nun immer,“ sagte Otto seufzend, während wir bereits, H. H.’s harrend, in der bezeichneten Droschke saßen; „immer wüthend auf die Welt, als ob die an seinem Unglücke schuld wäre. Ich sollte nur die Hälfte von seinem Vermögen gehabt haben – nur ein Viertel, ich wollte jetzt ein anderer Kerl sein.“

Und der gute Mensch seufzte abermals. Ich hatte starke Bedenken an der Richtigkeit dieser Behauptung. „Wie steht es denn bei Dir?“ fragte ich.

„So, so, la, la!“ war die Antwort.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_450.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2024)