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Seite:Die Gartenlaube (1886) 489.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Was will das werden?

(Fortsetzung.)
3.

Wir hatten ein paar Dutzend Schritte schweigend neben einander zurückgelegt, als Christine meinen Arm wieder losließ: dies sei das Haus, in welchem sie den Hut abzugeben habe, ob ich ein paar Minuten warten wolle? Sie verschwand in dem Hause, kam nach kurzer Zeit zurück und nahm wieder meinen Arm. Ich machte die Bemerkung, die scherzhaft sein sollte (trotzdem mir nichts weniger als scherzhaft zu Muthe war), daß eine so elegante Dame mit mir keinen Staat machen könnte. Sie erwiderte darauf nichts, sondern sagte nach einer kurzen Weile:

„Eben erst habe ich mit ihm über Sie gesprochen.“

Wir hatten uns, seitdem wir uns in Berlin wieder begegnet, immer Du genannt wie in unseren Jugendjahren. Daß sie das Du plötzlich in ein Sie verwandelte, war mir nur ein Zeichen, wie schwer ihr Gemüth belastet war. Mit wem sie über mich gesprochen, brauchte ich nicht zu fragen; offenbar nahm sie an, daß ich sie vorhin mit ihm gesehen habe.

„Und weiß er, was ich treibe? wo ich wohne?“ fragte ich.

„Ja,“ sagte sie; „ich habe es ihm gesagt – heute – eben erst.“

„Aber Du weißt, daß es mein dringender Wunsch war, hier in Berlin von meinen früheren Freunden und Bekannten unbehelligt leben zu können,“ sagte ich mit leisem Vorwurf.

„Ich – ich hatte das vergessen. Ich habe Sie ja seit ein paar Wochen nicht gesehen – auch ihn nicht er ist verreist gewesen und muß morgen wieder fort. Er will sich an einer Universität – ich weiß nicht, wie es heißt -“

„Habilitiren?“

„Ja, so was. Er ist eigens um meinetwillen nur für heute hier; ich hatte ihn so dringend gebeten.“

Sie sagte das Alles in einer hastig nervösen Weise, die es mir bei dem Lärmen in der Straße schwer machte, sie zu verstehen. Dabei zitterte die Hand, die sie auf meinen Arm gelegt hatte. Das arme Mädchen, dem ich immer gut gewesen war, that mir von Herzen leid. Wir befanden uns in der Nähe ihrer elterlichen Wohnung; ich fragte, ob ich sie nicht dahin geleiten solle? Sie erwiderte: „Das hat noch Zeit; es ist ein so großes Glück, daß ich Sie getroffen habe.“

Sie wollte in Weinen ausbrechen, beherrschte sich aber doch und sagte: „Nicht wahr, Sie sind so grausam nicht gegen mich, wie die Anderen? Sie sind ja auch ein ganz anderer Mensch.“

„Jedenfalls Einer, der es von Herzen gut mit Dir meint,“ erwiderte ich; „aber weßhalb nennst Du es ein Glück, daß Du mich getroffen? Kann ich etwas für Dich thun? und was ist es?“

Wir waren in eine stillere Querstraße gebogen, auch hatte der Regen fast aufgehört; man konnte ohne größere Anstrengung sprechen und hören. Da sie auf meine letzte Frage nicht antwortete, wiederholte ich dieselbe. Sie müsse einsehen, daß, wenn sie, wie es doch scheine, Hilfe von mir erwarte, die erste Bedingung sei, daß sie mir einen klaren Einblick in die Verhältnisse gewähre.

„Also noch einmal,“ schloß ich, „was kann ich thun?“

„Reden Sie mit ihm!“ sagte sie schnell.

Ich hatte es erwartet, weil ich wußte, daß ich mich gerade dazu am allerschwersten würde entschließen können. Und weil ich fühlte, daß ich würde Ja sagen müssen, und es doch nicht sagen mochte, sagte ich statt dessen: „Warum nennst Du mich heute Sie? Da muß ich ja auch wohl Sie sagen?“

„Das ist etwas Anderes,“ murmelte sie, „ich und – wollen Sie – willst Du mit ihm reden?“

„Was versprichst Du Dir davon?“ fragte ich zurück.

„Er hält so große Stücke auf Sie,“ erwiderte sie hastig; „er hat von Anfang an und immer wieder von Ihnen gesprochen, und daß Sie – ach, verzeih’ mir, ich kann wirklich nicht mehr Du sagen – der einzige Freund seien, den er in seinem Leben gehabt habe. Und als ich ihm jetzt – ich schwöre es, es war das erste Mal – aber ich mußte es ja, wenn ich wollte, daß Sie mit ihm über mich sprächen – als ich ihm sagte, daß Sie schon seit ein paar Monaten hier in Berlin seien, war er ganz außer sich und schalt mich fürchterlich, weil ich es ihm nicht schon früher gesagt. Und dann hat er gefragt, wo Sie wohnten und was Sie trieben; und ich habe es ihm gesagt – wie konnte ich anders? Und da hat er so gelacht! – die Leute blieben ordentlich stehen – er konnte sich gar nicht wieder beruhigen. Und dann hat er gesagt –“

„Nun?“

„Ich glaube, ich sollte es Ihnen nicht wieder sagen,“ fuhr sie zögernd fort. „Aber jetzt ist ja Alles eins, und wenn es wirklich der Fall ist, wird er ja um so eher auf Sie hören.“

„Wenn was wirklich der Fall ist?“

„Daß Sie ein vornehmer Herr sind, viel vornehmer, als er selbst, und daß Sie nur zum Spaß Tischler sind – wie auf einem Maskenball.“

„Ein sonderbarer Maskenball!“ rief ich lachend, meine unbehandschuhte, arbeitsschwielige, in diesem Augenblicke noch dazu mit Oelfarbe betupfte Hand vorstreckend.

Aber mir war keineswegs lächerlich zu Muthe. Wie um Alles in der Welt kam Schlagododro zu einer Kunde, welche geheim zu halten doch gewiß im Interesse aller Betheiligten lag?

„Das beweist nichts,“ sagte sie eifrig; „Sie werden nie Handwerkerhände bekommen, und wenn Sie hundert Jahre arbeiten. Ich habe es immer gedacht, daß Sie etwas Anderes sein müßten, als wir. Und ganz dasselbe sagt Ul – Herr von Vogtriz; und da stand es bei mir fest, daß Sie und nur Sie allein mir helfen können.“

„Aber was wolltest Du gerade jetzt von ihm?“ fragte ich ausweichend.

„Sie dringen Alle so in mich,“ sagte sie, die Augen niederschlagend; „es ist Ihr Wirth, Herr Kunze. Er hat mich ein paarmal gesehen, wenn ich Ihre Verwandten – aber es sind ja gar nicht Ihre Verwandten – besuchte; ich habe auch wohl ein paar Worte mit ihm gesprochen – im Vorübergehen. Und vorgestern ist er gekommen und hat um mich angehalten. Ich war glücklicherweise auf Arbeit; aber sie haben natürlich gleich Ja gesagt. Er will Vater so viel Kapital geben, daß er die große Posthalterei hier, die zu Neujahr frei wird, übernehmen kann. Dann soll auch gleich die Hochzeit sein.“

„Und Du?“ fragte ich zögernd.

„Ich gehe lieber ins Wasser,“ rief sie, in Schluchzen ausbrechend.

„Und was sagt –“

Ich brach jäh ab; ich konnte mir ja denken, was „er“ gesagt hatte.

Sie weinte jetzt still leidenschaftlich vor sich hin, um dann in Tönen, die mir durchs Herz schnitten, zu rufen: „Wie kann er mir das zumuthen, wenn er mich doch liebt! Er hat es mir ja eben noch gesagt!“

„Ich glaube gern, daß er es thut,“ erwiderte ich; „Du bist ein schönes und liebenswürdiges Mädchen, warum sollte er Dich nicht lieben? Aber, gutes Kind, ich würde Dir einen üblen Dienst erweisen, wenn ich Dich in Hoffnungen bestärken wollte, die nie in Erfüllung gehen: Herr von Vogtriz wird Dich nicht heirathen, auch nicht auf mein Bitten und Drängen, was also in diesem Falle ganz nutzlos sein würde. Du mußt mit ihm brechen, selbst wenn Du den Antrag des Herrn Kunze zurückwiesest.“

„Und Sie, Sie rathen mir, wie die Andern, daß ich ihn heirathe?“ rief sie. „Ach, thun Sie es doch nicht, wenn auch Herr Kunze sagt, ich solle Sie nur fragen: Sie würden mir gewiß zureden!“

Mir ging plötzlich ein häßliches Licht auf über das Wohlwollen, welches mir der Holzhändler in, wie ich glaubte, uneigennützigster Weise neuerdings zugewandt. Aber das gehörte vorläufig nicht hierher. So sagte ich denn:

„Ich rathe Dir nur, Dir völlig klar zu machen, daß Du nun und nimmer – es mag geschehen, was da will – Frau von Vogtriz wirst. Vielleicht kommst Du dann doch zu einem anderen Entschluß.“

„Nie!“ rief sie. „Dann werde ich Schauspielerin.“

„Um Himmelswillen!“

„Ganz sicher. Ich habe mir Alles überlegt.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_489.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2024)