verschiedene: Die Gartenlaube (1886) | |
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Als es elf Uhr schlug, fragte Friedrich mit vernehmlicher Stimme, wie spät es sei? Man sagte es ihm, und er erwiderte darauf: „Um vier Uhr will ich aufstehen.“ Er wollte weiter sprechen, aber ein trockener Husten beklemmte seinen Athem. Da kniete einer der anwesenden Diener, der Kammerlakai Strützky, nieder, faßte den König unter den Arm und hielt ihn aufrecht, um ihm Erleichterung zu verschaffen.
Es tönte das Mitternachtsglockenspiel von der Potsdamer Garnisonkirche herüber. „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren.“ Friedrich’s Auge öffnete sich noch einmal, und das wunderbare Himmelsfeuer des Genius leuchtete noch darin. Sein Blick haftete auf dem Bruststück des Marc Aurel aus weißem Marmor und vielfarbigem Achat, das neben ihm auf dem Kamin stand; das Auge schweifte noch hinüber nach dem Bilde Josef’s II. vor ihm im offenen Vorzimmer. Dann senkten sich die müden Lider des Königs, sein Röcheln nahm zu. Um zwei Uhr zwanzig Minuten Morgens am 17. August neigte sich sein Haupt zum ewigen Schlummer; er starb in den Armen Strützky’s. Niemand war noch da, als die Kammerhusaren Schöning und Neumann, Minister von Herzberg, General Graf von Görtz und Dr. Selle. Eine Stunde später kam Friedrich Wilhelm II., der neue König von Preußen. Während dieses Tages lag der Leichnam Friedrich’s in der Uniform des ersten Gardebataillons auf einer schwarzbehängten Feldbettstelle. Erst Abends um acht Uhr setzte sich der achtspännige Leichenwagen nach Potsdam in Bewegung. Schluchzen und Seufzer der herbeigeströmten Veteranen und Klagen des Volkes drangen durch die stille Nacht.
Friedrich der Große selbst hatte die Terrassengruft von Sanssouci zu seiner letzten Ruhestätte bestimmt, aber den Ueberlebenden schien sie eines so großen Mannes nicht würdig zu sein, und so wurden seine sterblichen Ueberreste am 8. September unter der Kanzel in der Garnisonkirche zu Potsdam neben der Gruft Friedrich Wilhelm’s I. beigesetzt. Gleich nach dem Tode des Königs erließ der Minister eine Todesanzeige in den Zeitungen, deren folgende Schlußworte noch heute, nach hundert Jahren, im deutschen Volke einen ergreifenden Widerklang wecken: „Wenn die allergerechteste Bewunderung reden will, so macht der allergerechteste Schmerz verstummen. Sein Volk betete Ihn an, Europa suchte Ihn nachzuahmen, die Welt bewunderte Ihn, und die Nachwelt wird erstaunt die Geschichte Seiner Thaten kaum glaublich finden. Wenige Könige waren so groß wie Er, noch wenigere so gut wie Er; kaum Einer so groß und gut zugleich wie Er! Wer Gefühl für Geistesgröße und für Thätigkeit zur Beförderung für Menschenglück hat, wird Seinen Namen nie anders als segnend aussprechen.“
Friedrich der Große in Kamenz.
Hell tönten die Glocken des Cisterzienserklosters von Kamenz in die klare Winterluft – die sonst im duftigen Blau verschwimmenden Berge des schönen Glatzer Landes hingen jetzt mit ihren Schneerücken wie weißes Gewölke am Horizont – und auf dem nahen Kamme der Eule schien die Bergfestung Silberberg, deren Bastionen sich sonst scharf abzeichnen, im Schnee der Winterlandschaft verschüttet zu sein.
Doch es war nicht jener winterliche Frieden der Natur, den sonst nur der Schrei der Schnee-Amsel zu unterbrechen pflegt. Wer aus der Vogelschau auf die Berge und Thäler des Schlesier Landes herabgesehen hätte, der würde viele bunte Punkte und Linien bemerkt haben, die sich durch den Schnee dahinschlängelten – die Uniformen der Kaiserlichen und der Königlichen, Patrouillen und Heereszüge hüben und drüben und Geschütze, die von keuchenden Rossen durch den Schnee geschleppt wurden. Der Preuße war ins Land gebrochen, seine Fahnen wehten den Bergen zu; Breslau hatte dem jungen König gehuldigt und jene stolze schöne Fürstin, zu welcher der Prinz einst flüchten, welcher er Hand und Herz bieten wollte, sandte ihre besten Feldherren und Truppen dem kühnen Eindringling entgegen.
Die Glocken von Kloster Kamenz läuteten, es war eine feierliche Messe, welche der würdige Abt, Tobias Stusche, celebrirte. Anlaß dazu gab die Anwesenheit eines anderen Abtes des Cisterzienserordens, der von einer französischen Abtei herübergekommen; wohl im Auftrage des hohen Rathes, welcher in diesem Orden das Regiment führte. Neben der kräftigen Gestalt des Tobias Stusche, der ein vierschrötiger Mann war und um Haupteslänge hervorragte über die andern Mönche, die unter seiner Botmäßigkeit standen, machte der französische Abbé einen fast unscheinbaren Eindruck; seine Gestalt erschien klein und schmächtig in dem weißen Ordenskleide mit schwarzem Skapulier; aber seine Züge hatten etwas Feines und Vornehmes – und es mußte ein vornehmer Herr sein, der schon in so jungen Jahren die Würde eines Abtes erlangt hatte. Den Namen des französischen Grafen sprachen die Mönche verschieden aus: Tobias Stusche hatte sich keiner besonderen Deutlichkeit beflissen, als er den fremden Gast den Klosterherren vorstellte.
Nach der Messe führte er denselben in seine Zelle; während die andern Mönche im Refektorium sich gütlich thaten nach des Tages Last und Mühen, hatte der Abt für ein kleines köstliches Mahl gesorgt, das er in seiner Zelle rüsten ließ, der Bruder Kellermeister aber schleppte die seltensten Weine herbei, und der feurigste Tokaier funkelte in den werthvollen Krystallgefäßen des Klosters.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_579.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2024)