verschiedene: Die Gartenlaube (1886) | |
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kleine Auflage trotz des hohen Preises in kürzester Zeit vergriffen wurde, beschloß die Verlagshandlung von R. Wagner in Berlin zum hundertsten Gedenktag an den Tod Friedrich’s des Großen eine billigere „Jubiläums-Ausgabe“ jener Illustrationen zu veranlassen. Auch diesmal wurde vom Kaiser die Erlaubniß hierzu nicht verweigert.
Ludwig Pietsch hat zu den 200 Holzschnitten einen erläuternden Text geschrieben, an den wir uns bei der folgenden Erklärung derjenigen Illustrationen halten, welche unsere heutige Nummer schmücken und dem genannten Prachtwerke entlehnt sind.
Das erste dieser Bilder (S. 805) stellt die Grenadiere der Armee Friedrich’s II. dar, ruhig feuernd, ladend, die Munition gefallener Kameraden aus deren Patronentaschen nehmend. Es bildet die Vignette zu Kapitel III von Friedrich’s „Geschichte meiner Zeit“. Im Text ist die vom Könige bei der Schlacht von Mollwitz gewählte Art der Verwendung der Infanterie geschildert und der ruhige Heldenmuth verherrlicht, mit welchem die Infanterie „wie ein Felsen“ den wiederholten Attacken der Kavallerie Neipperg’s Stand hielt.
Die zweite Illustration ist humoristischen Inhalts. In den Werken Friedrich’s des Großen bildet sie die Vignette zu dem Gedichte: „An die Baronin von Schwerin zu ihrer Hochzeit mit dem Schultheiß Lentulus“. Am 17. Januar 1748, als ein Adjutant Friedrich’s, Major Lentulus, ein Schweizer von Geburt, seine Hochzeit abhielt, überreichten demselben 13 Schweizer als Vertreter der 13 Kantone das oben erwähnte Gedicht und als Geschenk des Königs einen kolossalen Schweizerkäse. Diese Schweizer stellt Menzel in den Gestalten reizender Amoretten mit bekränzten, breitkrempigen Strohhüten, die Beinchen mit Kniehosen und Wadenstrümpfen bekleidet, dar. Mit Mühe bewegen sie die enorme Last eines Käses auf unterlegten Rollen dahin, während einer von ihnen, mit der Sackpfeife auf dem Rücken, den auf langem Papierstreifen geschriebenen Text des Gedichtes memorirt.
Das letzte unserer Bilder giebt eine treffliche Probe der symbolischen Darstellungskunst Menzel’s. Es bezieht sich auf den kühnen und glücklichen Aufbruch der preußischen Armee aus dem Lager bei Liegnitz. „Dies Manöver,“
schreibt der König im Kapitel XII der „Geschichte des siebenjährigen Krieges“, „konnte wegen der Nähe des österreichischen Lagers nicht am Tage ausgeführt werden … Sobald die Dunkelheit anbrach, setzte sich die Armee in Bewegung.“ Die geflügelte Schutzgöttin streut dem schlafenden Oesterreicher Mohn auf die Augen und geleitet den Grenadier, welcher die entweichende Armee symbolisirt, glücklich durch die feindlichen Wachtposten. Einer derselben erwacht zu spät und droht in vergeblicher Wuth dem glücklich der Gefahr Entronnenen. *
Alexander von Humboldt und die bildende Kunst. So viel über Humboldt’s wissenschaftliche Leistungen geschrieben und gesprochen worden, so sehr seine Ansichten über bildende Kunst, namentlich über Landschaftsmalerei, wie er sie im „Kosmos“ ausgesprochen, und seine berühmten Naturschilderungen Beifall gefunden haben: nirgends ist bisher erwähnt worden, was er selbst auf dem Gebiete der zeichnenden Kunst versucht hat, mit welchem Verständniß und Urtheil er die Bestrebungen seiner Zeit in dieser Kunst betrachtet hat.
Der Katalog der Berliner Ausstellung 1786, in welcher man auch Arbeiten von Kunstliebhabern und einzelnen Zöglingen der Akademie ausstellte, erwähnt unter Nr. 291 eine Zeichnung des jüngeren Herrn von Humboldt: „Die Freundschaft weint über der Asche eines Verstorbenen“, mit schwarzer Kreide gezeichnet, nach Angelika Kaufmann schon im Jahre 1785, als Alexander von Humboldt erst 16 Jahre alt war, schrieb die Frau des Romantikers de la Motte Fouqué, des Dichters der „Undine“, an ihre Schwester: „Alexander Humboldt ist außerordentlich talentvoll, zeichnete schon, ehe er Unterricht nahm, Köpfe und Landschaften. In der Schlafstube der Mutter hängen alle diese Produkte an den Wänden.“ Zu seinen Lehrern gehörte der berühmte Zeichner und Kupferstecher Chodowiecki. Von seinen damaligen Handzeichnungen hat sich leider nichts auffinden lassen; doch besitzt einer der wärmsten Verehrer Humboldt’s, Julius Löwenberg, Radirungen von ihm aus dem Jahre 1788, zwei Köpfe von etwa 10 Zoll Höhe und 7 Zoll Breite. Es ist der Kopf eines Schülers aus der Schule von Athen, der zweite ein einfaches Brustbild nach Rembrandt. Mit Nachradirungen beschäftigte er sich damals sehr fleißig. Im Portraitiren hat er sich nicht ohne Glück versucht: das Portrait des Staatsraths Kunth, seines Lehrers, das er in Blei gezeichnet, soll ausnehmend ähnlich sein; vor allem aber gehört sein großes, in schwarzer Kreide gezeichnetes Selbstportrait: „Alexander von Humboldt, vor einem Spiegel“ (Paris, 1814) zu den besten Brustbildern, die wir von ihm besitzen. Damals beschäftigte er sich bei François Girard mit Studien nach dem Modell und nach dem Leben. Dem Meister eng befreundet, blieb er mit ihm in brieflichem Verkehr. In dieser Korrespondenz befinden sich interessante Urtheile Alexander’s von Humboldt über neue Richtungen der Malerei: ungünstig äußert er sich über die neuen Nazarener, die sich an jene alte Zeit anlehnen, denen zwar nicht Technik und Wissen fehle, aber der Ausdruck des Lebens, die Freiheit in der Benutzung des Talentes. Sehr strenge Urtheile fällt er über Portraits von Begas und Wack; günstig dagegen spricht sich Humboldt im Jahre 1832 über die vor Kurzem begründete Düsseldorfer Schule und über den Einfluß aus, welchen Schadow auf die jüngeren Talente ausübe.
Natürlich hat Alexander von Humboldt von Hause aus seine Zeichenkunst in den Dienst seiner wissenschaftlichen Arbeiten gestellt, so besonders in der ersten Zeit seiner bergmännischen Studien, wo er einen 20 Bogen langen Bericht über die Salinen von Frauenstein und Reichenhall machte und 25 große Blatt Royal-Papier Zeichnungen dazu anfertigte.
Vor Allem aber hat Humboldt in seinen glänzenden Landschaftsschilderungen aus der Tropenwelt bewiesen, daß er mit dem Auge des Künstlers zu sehen versteht.
Das deutsche „Theater Paradies“ in Moskau, dessen Bild wir unseren Lesern auf Seite 820 vorführen, ist am 10. Oktober von den Spitzen der Behörden und den hervorragendsten Vertretern der deutschen Gesellschaftskreise mit einem allegorischen Festspiel von A. Linde: „Der Einzug der deutschen Muse in Moskau“ und einer Aufführung von Schiller’s „Wilhelm Tell“ eröffnet worden. Das Theater ist eine neue Heimstätte, welche sich die deutsche dramatische Kunst im Herzen Rußlands, in Moskau, begründet hat, nachdem sie bereits seit 1882 alljährlich dort Triumphe gefeiert. Nicht zum kleinsten Theile wurden ihr diese von der russischen Gesellschaft bereitet; mit seltener Einmüthigkeit haben die berufensten Kritiker (wir nennen z. B. Professor Juriew von der Moskauer Universität) der heimischen Bühne die deutsche als leuchtendes Vorbild bezeichnet, da sie mit Recht stets das Ideale hochhalte, während jene dem Realismus zu große Zugeständnisse mache.
Das unbestreitbare Verdienst, der deutschen Muse in Moskau Geltung verschafft zu haben, gebührt dem Direktor Georg Paradies.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_819.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2022)