gestern vom Fenster aus. Er machte einen recht guten Eindruck. Anscheinend trug er einen deutschen Soldatenmantel u. gab sich offenbar Mühe, proper u. ordentlich auszusehen. Er hat gestern seine erste Verfügung erlassen, daß die Einwohner ab 10 Uhr abends ihre Häuser nicht verlassen dürfen. Heute ist, wie Paul eben sagt, eine neue Verfügung angeschlagen, daß sofort alle vorhandenen Waffen im Haus von Wilh. Helms abzuliefern seien. Daraus schließe ich, daß der Feldwebel dort wohnt, da das Haus dem Gemeindeamt gegenüber liegt.
Es scheint so, als wollte nach u. nach eine Beruhigung eintreten. Das Geschäft haben sie heute Nacht in Ruhe gelassen, nachdem sich wahrscheinlich herumgesprochen hat, daß dort nichts zu holen ist. Ich selbst habe mich heute Nacht ins Bett gelegt u. geschlafen, seit dem 1. Mai zum ersten Male ohne Kleider. Gestern sind einzelne Soldaten noch in einigen Häusern gewesen u. haben Essen verlangt. Da es aber nirgends etwas gibt außer Eiern, haben sie sich damit begnügt. Sie haben dann selbst Butter u. Speck geholt u. Rotwein oder Schnaps u. Brot u. haben sich die Eier braten lassen. Bei Frau Noelle in Althagen waren sie auch u. haben Zigaretten verlangt. Frau N. soll gesagt haben, daß sie selber gerne eine Zigarette hätte, worauf sie ihr eine Zigarette angeboten hätten. Außerdem haben sie ihr angeblich 50,– Rm. in Interalliiertengeld geschenkt. Dergleichen hört man öfter, ob's stimmt, weiß ich nicht.
Paul war heute früh beim Bauer Paetow, um sich anzubieten ihm in der Arbeit zu helfen, da der polnische Knecht gestern mit allen polnischen u. russischen Hausgehilfinnen in einem requirierten Wagen mit requirierten Pferden abgefahren ist. Typisch ist, daß der polnische Knecht keinen Wagen u. auch nicht die Pferde von Paetow requiriert hat. Wagen u. Pferde waren mir ganz fremd, er muß sie sonst woher besorgt haben. Paetow ist sehr bedrückt gewesen u. hat es abgelehnt, sich helfen zu lassen, er meint, daß er das Vieh allein versorgen könnte. Man hat ihm alle Milchkühe gelassen, nur eine Starke hat einer der durchgekommenen Trosse mitgenommen. Auch Pferdegeschirr haben sie mitgenommen, aber immerhin doch altes Geschirr dafür dagelassen. –
Die Patrouillen am Strande schießen zuweilen, wohl nur zum Spaß. Es macht diesen Russen Spaß, Lärm zu machen. So lassen sie die Motoren ihrer Beutewagen gern im Leerlauf laufen. Motorräder fahren sie kaputt u. verstehen nicht, den Motor wieder in Gang zu bringen, wenn er mal versagt. Sie reiten gern im Gallopp auf dem Bürgersteig, weil das so schön klappert. –
Heute haben wir die Andacht ausfallen lassen. Zwar hatte ich mich darauf vorbereitet, aber gestern Abend war ich doch so müde, daß ich es aufgab. Es wäre wohl ohnedies niemand gekommen.
Man sagt, daß Feldmarschall Paulus mit einigen Generalen aus russ. Kriegsgefangenschaft in Deutschland eine provisorische Regierung bilden werde, was also dem entsprechen würde, was ich immer vorausgesehen habe.
2 Uhr nachm.
Frau Dr. Umnus war mit ihrem Sohn hier. In Ribnitz sind nach ihrer Angabe alle Männer zwischen 17 u. 50 Jahren aufgerufen worden, sich zu melden. Diese Männer sollen heute auf dem Markt zusammengerufen sein, sollen in Lastwagen verladen worden sein u. mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden sein. So hat ihr der Autovermieter Johannsen erzählt, den sie auf dem Wege zwischen hier + Wustrow getroffen hat. Dummerweise hat sie nicht gefragt, warum denn nicht auch er abtransportiert worden wäre, da er doch auch zwischen 17 – 50 Jahren ist. Jedoch haben auch die Männer dieser Jahrgänge
Hans Brass: TBHB 1945-05-06. , 1945, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-05_003.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2024)