Einleitung
Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 und der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober desselben Jahres führte zu einer Konkurrenzsituation, die die Außenbeziehungen der beiden deutschen Staaten bis zum Ende des Kalten Krieges maßgeblich bestimmen sollte. Bundeskanzler Konrad Adenauer reagierte auf die Gründung der DDR mit einer Grundsatzerklärung im Bundestag: Die DDR hätte keinen Anspruch auf Autonomie, und die Regierung Westdeutschlands verstünde sich als einziger Repräsentant aller Deutschen, und zwar bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem das Land wieder vereinigt wäre.
Aus diesem Grund stilisierte die SED den Antifaschismus zum Gründungsmythos der DDR, der den ostdeutschen Staat zum moralisch überlegenen und darum rechtmäßigen Deutschland erklärte.
Auch der Genozid an den Juden war – zumindest in den ersten Jahrzehnten der DDR – nie Bestandteil der offiziellen kommunistischen Gedenkkultur. Der Begriff "Holocaust" kam im offiziellen Sprachgebrauch des ostdeutschen Staates praktisch nicht vor, weil er die besondere Bedeutung dieses historischen Ereignisses hervorhob. Dieser Umstand fügte sich nicht in die kommunistische Geschichtsauslegung, die den Fokus vor allem auf das Heldentum kommunistischer Gegner des Nationalsozialismus richtete. Aus diesem Grund befand die ostdeutsche Historiografie es weder für wert noch für wichtig, sich mit den deutschen Juden und ihrer Verfolgung zu befassen, und wenigstens bis in die 1980er-Jahre fanden sich in Schulbüchern der DDR kaum Ausführungen zu den millionenfachen, von den Nationalsozialisten ermordeten jüdischen Opfern.
Der Politikwissenschaftler Dan Diner hat darauf hingewiesen, dass die DDR als Staat sich eher durch Antifaschismus als durch Sozialismus zu legitimieren versucht habe.
Jüdisches Leben in der SBZ/DDR nach 1945
Die wichtigsten jüdischen Institutionen und Stätten in Berlin – das ehemalige jüdische Viertel um die teilweise zerstörte Synagoge an der Oranienburger Straße und der Friedhof Weißensee, Europas größter jüdischer Friedhof – befanden sich im sowjetischen Sektor. Daher siedelten sich die meisten Juden, die aus dem Exil oder als Überlebende aus Konzentrationslagern zurückkehrten, im Ostteil Berlins an. Unter ihnen waren viele jüdisch-deutsche Kommunisten, die am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitwirken wollten. Viele jüdische Heimkehrer spielten in politischen und kulturellen Angelegenheiten eine wichtige Rolle, so etwa Albert Norden und Hermann Axen (die Mitglieder des SED-Politbüros wurden), Alexander Abusch (Kulturminister 1961), Klaus Gysi (Kulturminister 1966–1973), die Schriftsteller Stephan Hermlin, Stefan Heym, Anna Seghers, Arnold Zweig und der Philosoph Ernst Bloch.
Der Grund für diese antisemitische Welle, die damals alle osteuropäischen Staaten erreichte, lag in Stalins veränderter Haltung gegenüber Israel. Hatte der sowjetische Diktator die Gründung des jüdischen Staates 1948 noch unterstützt, so distanzierte sich Stalin mit dem Beginn des Kalten Krieges zugunsten der arabischen Welt rasch von Israel. Seither waren der "Antizionismus" und die Solidarität mit den unterdrückten Palästinensern bis in die 1980er-Jahre grundlegend für die Außenpolitik der Sowjetunion und ihrer Verbündeten.
Das hatte auch Konsequenzen für die Innenpolitik. Um die "zionistischen Agenten des Weltjudentums" zu "enttarnen", initiierte Moskau zahlreiche Parteisäuberungsaktionen in Osteuropa. Die Opfer, wie der tschechoslowakische KP-Generalsekretär Rudolf Slansky, wurden des "bourgeoisen Kosmopolitismus", des Liberalismus oder der Spionage bezichtigt. Natürlich wirkten sich die Säuberungsaktionen auch auf die Politik der DDR aus, die sich den sowjetischen "Antizionismus" zu eigen machte und ihn in Verbindung mit dem Thema der Restitution für ihre Propaganda und Außenpolitik nutzte. Die Regierung Israels hatte schon früh auch von der DDR Entschädigungen für die NS-Verbrechen gefordert. Aber die SED war nicht gewillt, eine gesamtdeutsche Verantwortung für den Holocaust anzuerkennen.
Ostdeutsche Politiker wie beispielsweise Politbüromitglied Paul Merker, die sich der besonderen Bedeutung des Genozids an den Juden bewusst waren und darum die Entschädigung jüdischer NS-Opfer als moralische Verpflichtung des deutschen Volks betrachteten, wurden politisch kaltgestellt. Die Partei sah gemäß ihrer antifaschistischen Legitimationsdoktrin keinen Anlass für Entschädigungszahlungen an die Juden.
Als Ergebnis dieser Antisemitismuswelle wurden viele ostdeutsche Juden, ob gläubig oder säkularisiert, ihrer Positionen in Partei und Staat entbunden und in die erneute Emigration getrieben. Die repressive Politik gegenüber Juden änderte sich erst nach Stalins Tod 1953:
Einweihung des Ehrenmals für die jüdischen Opfer des Faschismus auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee, 11. Oktober 1953. (© Bundesarchiv, Bild 183-21734-0002)
Einweihung des Ehrenmals für die jüdischen Opfer des Faschismus auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee, 11. Oktober 1953. (© Bundesarchiv, Bild 183-21734-0002)
Die Verfolgungen endeten, die meisten ehemaligen jüdischen Parteimitglieder wurden rehabilitiert und die finanziell ausgedörrten jüdischen Gemeinden erhielten staatliche Hilfe zur Unterhaltung ihrer Synagogen, Friedhöfe, Gemeindehäuser und Pflegeheime.
Der Historiker Mario Keßler schätzt daher ein, dass die Haltung der SED gegenüber den Juden nach der Phase der Unterdrückung 1953 in eine relativ weitreichende Toleranz umschwenkte. Keßler zufolge unterschied die SED klar zwischen "Antisemitismus", der offiziell verboten war, und "Antizionismus", einer negativer Haltung gegenüber Israel.
Der Umgang der DDR mit den Juden seit Mitte der 1980er-Jahre
Nach einer Konsolidierungsphase infolge der internationalen Anerkennung 1972/73 rutschte die DDR in den 1980er-Jahren in eine schwere wirtschaftliche und politische Krise. Der Staat war nahezu bankrott und der ostdeutsche Lebensstandard hinkte dem der Bundesrepublik weit hinterher. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem autokratischen Regime der SED nahm weiter zu und Tausende Ostdeutsche versuchten, das Land zu verlassen. Zudem sah sich die SED mit der Reformpolitik im angrenzenden Polen konfrontiert sowie mit Michael Gorbatschows Perestroika, die von der SED aus Angst vor einer Destabilisierung des ostdeutschen Staates abgelehnt wurde. Angesichts Moskaus schwindender politischer Unterstützung, bis dahin ein verlässlicher Garant für die Erhaltung des ostdeutschen Staates, musste die SED neue Verbündete finden, um den Fortbestand der DDR dauerhaft zu sichern.
Zudem versuchte die SED, die innerstaatlichen Probleme mit außenpolitischen Erfolgen wettzumachen. Im Laufe der 1980er-Jahre wurde Staats- und Parteichef Erich Honecker in zahlreichen westlichen Hauptstädten empfangen – 1981 in Tokio, 1984 in Helsinki, 1985 in Rom und Athen, 1986 in Stockholm, 1987 in Bonn, Brüssel und Den Haag sowie 1988 in Paris und Madrid. Als Komplettierung seiner Besuchstour in die wichtigsten westlichen Hauptstädte erhoffte sich Honecker eine Einladung des Weißen Hauses. Aus diesem Grund gehörte es zu den vorrangigen Zielen der SED-Außenpolitik in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, sich um das Zustandekommen eines offiziellen Besuchs in Washington zu bemühen, was den Höhepunkt von Honeckers politischer Karriere und die Krönung seines Bemühens um die internationale Anerkennung der DDR markiert hätte.
Vor dem Hintergrund der sich stetig verschlechternden wirtschaftlichen und finanziellen Situation hoffte die SED außerdem darauf, dass die amerikanische Regierung der DDR die Meistbegünstigungsklausel gewähren würde, was ihr Handelsvorteile beschert und ostdeutsche Importe für die USA sehr viel preiswerter gemacht hätte. Seit dem Austausch von Botschaftern 1974 hatte die SED keine nennenswerten Erfolge mehr erzielt bei dem Versuch, die Beziehungen zu den USA zu verbessern, was vor allem ihrer Weigerung zuzuschreiben war, Reparationen an Israel und an die jüdischen Opfer des Holocaust zu zahlen.
Allerdings gab es Mitte der 1980er-Jahre nur noch sehr wenige Juden in der DDR: Die jüdischen Gemeinden dort zählten nur noch wenige Hundert Mitglieder und waren zudem stark überaltert. Das war aus Sicht der ostdeutschen Staats- und Parteiführung problematisch, weil das antifaschistische Image der DDR dadurch gefährdet schien. Dem Staatssekretariat für Kirchenfragen zufolge war es demnach nun noch wichtiger als in der Vergangenheit, die jüdischen Gemeinden zu unterstützen. Es wurde daher vorgeschlagen, den 50. Jahrestag der "Reichskristallnacht" am 9. November 1988 zu nutzen, um die westliche Welt über jüdisches Leben in der DDR zu informieren und die antifaschistische Haltung des Staates zu demonstrieren.
Hermann Axen (2.v.r.) im Gespräch mit dem stellvertretenden Unterstaatssekretär im USA-Außenministerium William Bodde (2.v.l.), dem Botschafter der DDR in den USA, Gerhard Herder (r.) und dem Botschafter der USA in der Ost-Berlin, Francis J. Meehan auf der Andrews Air Force Base bei Washington D.C., 1. Mai 1988. (© Bundesarchiv, Bild 183-1988-0502-020)
Hermann Axen (2.v.r.) im Gespräch mit dem stellvertretenden Unterstaatssekretär im USA-Außenministerium William Bodde (2.v.l.), dem Botschafter der DDR in den USA, Gerhard Herder (r.) und dem Botschafter der USA in der Ost-Berlin, Francis J. Meehan auf der Andrews Air Force Base bei Washington D.C., 1. Mai 1988. (© Bundesarchiv, Bild 183-1988-0502-020)
Im Mai 1988 nahm Hermann Axen, jüdischer Abstammung und im SED-Politbüro für internationale Angelegenheiten zuständig, die Einladung des Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University in Washington an. Das Center war vom State Department angewiesen worden, Axen einzuladen, den die amerikanische Regierung nicht offiziell empfangen wollte, aus Sorge, die DDR dadurch international aufzuwerten. Axen wiederum hatte klare politische Anweisungen: Er sollte mit der Jewish Claims Conference verhandeln und mit amerikanischen Politikern wie Handelsminister William Verity und Außenminister George Schultz zusammentreffen, um diese davon zu überzeugen, der DDR den Status einer meistbegünstigten Nation zu gewähren. Weil die SED wusste, dass dieses Ziel so lange unerreichbar blieb, wie die DDR sich weigerte, der Jewish Claims Conference Reparationen zu zahlen, schlug Axen ein "Pauschalangebot" vor. Auf die wirtschaftlichen Probleme der DDR verweisend erklärte er, dass die DDR ihre Solidarität mit den Opfern des Holocaust mittels "finanzieller Hilfe" bekunden wolle (Axen vermied den Begriff "Reparationen"). Allerdings müsse dieses Geld erst noch verdient werden, und zwar durch die Erweiterung der Handelsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten. Insofern sei es notwendig für die DDR, in den Genuss der Meistbegünstigungsklausel zu gelangen. Auch wenn die DDR nicht von ihrer früheren Weigerung abrückte, Reparationen zu zahlen, und nur in beschränktem Umfang humanitäre Hilfe zu leisten beabsichtigte, schienen die US-Politiker Axens Vorschlägen gegenüber anfangs nicht abgeneigt zu sein und auch bei amerikanischen Juden fanden sie zunächst Unterstützung.
Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, wird von SED-Chef Erich Honecker mit dem Stern der Völkerfreundschaft in Gold ausgezeichnet, 17. Oktober 1988. (© Bundesarchiv, Bild 183-1988-1017-415)
Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, wird von SED-Chef Erich Honecker mit dem Stern der Völkerfreundschaft in Gold ausgezeichnet, 17. Oktober 1988. (© Bundesarchiv, Bild 183-1988-1017-415)
Um die Kontakte zum Jüdischen Weltkongress weiter auszubauen, wurde deren Präsident, Edgar Bronfman, am 16. Oktober 1988 nach Ost-Berlin eingeladen, wo ihm von Erich Honecker der Stern der Völkerfreundschaft in Gold, eine der höchsten Auszeichnungen der DDR, verliehen wurde.
Zwei Wochen nach Bronfmans Besuch in der DDR wurde mit etlichen Veranstaltungen des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht gedacht. Zahlreiche jüdische Gäste aus den USA und aus Israel waren zugegen, und die DDR hatte landesweit Gedenkreden, Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen organisiert.
Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin, 10. November 1988. Am Mikrofon der Ost-Berliner Oberbürgermeister Erhard Krack, links der Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin, Peter Kirchner, in der Bildmitte Staats- und Parteichef Erich Honecker. (© Bundesarchiv, Bild 183-1988-1110-032)
Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin, 10. November 1988. Am Mikrofon der Ost-Berliner Oberbürgermeister Erhard Krack, links der Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin, Peter Kirchner, in der Bildmitte Staats- und Parteichef Erich Honecker. (© Bundesarchiv, Bild 183-1988-1110-032)
Am selben Tag legte Erich Honecker den Grundstein für den Wiederaufbau von Berlins ehemaliger Hauptsynagoge, dem künftigen Sitz des Centrum Judaicum. Die Historikerin Angelika Timm, die als Dolmetscherin bei den Treffen von Vertretern der DDR und Israels anwesend war, sieht in den Gedenkzeremonien um den 9. November einen definitiven Wendepunkt im ambivalenten Annäherungsprozess zwischen der DDR und Israel. Erstmals waren Vertreter des jüdischen Staates offiziell in die DDR eingeladen worden, darunter der Direktor der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem und Josef Burg, Israels Minister für religiöse Angelegenheiten.
Nach den Gedenkfeiern erwartete die SED einen Durchbruch in den Verhandlungen mit der Jewish Claims Conference. Aber ihre Pläne, den Status einer meistbegünstigten Nation als Gegenleistung für die Bereitschaft zur Zahlung von 100 Millionen Dollar zu erlangen, schlugen fehl angesichts aufkommender öffentlicher Proteste von Juden in den USA und vor allem in Israel, wo viele dies als inakzeptablen Tausch für die Hilfe bei der "Rehabilitation" der DDR betrachteten.
Fortan entwickelte die SED deshalb ein besonderes Interesse daran, das Image der DDR in Israel zu verbessern. Anfang 1989 besuchte der Staatssekretär für Kirchenfragen, Kurt Löffler, in Begleitung von zwei Funktionären des Außenministeriums Israel. Ihre offizielle Aufgabe war die Stärkung und Konsolidierung der Kontakte mit dem Jüdischen Weltkongress, mit Yad Vashem und mit anderen kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen in Israel.
Erst die politischen Entwicklungen in der DDR im Sommer und Herbst 1989 veranlassten die SED-Führung schließlich, ihre Politik gegenüber Israel grundlegend zu ändern. Ende 1989 hoffte Ost-Berlin darauf, diplomatische Beziehungen mit Israel ohne Bedingungen aufnehmen zu können.
Die SED schien darauf zu hoffen, die deutsche Wiedervereinigung mithilfe des Jüdischen Weltkongresses bremsen oder sogar verhindern zu können. Aus diesem Grund bat Außenminister Fischer Stern, seine guten Absichten an die Israelis zu übermitteln.
Zwischenzeitlich hatte allerdings Israels Außenminister Bonn besucht und erfahren, dass die Bundesregierung die Aufnahme von Beziehungen zwischen der DDR und Israel nicht unterstütze und in Kürze die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu erwarten sei.
Fazit und Ausblick
In der DDR wurden durch die staatlich vorgegebene Geschichtspolitik bestimmte NS-Opfergruppen wie die der Juden aus der Erinnerungskultur zunächst ausgeklammert und allein das Andenken an die kommunistischen Widerstandskämpfer gepflegt. Erst in den 1980er-Jahren entdeckte die SED die Bedeutung der eigenen jüdischen Bevölkerung, um ihr internationales Image zu verbessern und die Reputation der DDR als antifaschistischer Staat zu stärken. Gleichwohl war die DDR auch schon zuvor mit ihrem "moralischen Alleinvertretungsanspruch" auch international nicht ohne Erfolg geblieben. Angesichts der Tatsache, dass viele Nationalsozialisten nach Kriegsende in der westdeutschen Gesellschaft wieder in hochrangige Positionen gelangt waren, glaubten selbst manche westliche Linke lange Zeit, dass der ostdeutsche "Arbeiter-und-Bauern-Staat" in Bezug auf die antifaschistische Umgestaltung der Gesellschaft – trotz aller Unzulänglichkeiten – das "bessere" Deutschland sei. Aus diesem Grund waren auch viele ostdeutsche Juden bereit, sich in den Dienst der DDR zu stellen, um deren antifaschistisches Fundament zu bezeugen.
Vergleicht man die Erinnerungskulturen sowie das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zum Judentum miteinander, so fallen in erster Linie die großen Unterschiede auf, aber bei näherer Betrachtung lassen sich auch gewisse Parallelen entdecken: In der Bundesrepublik etablierte sich zwar erst nach Jahren der Verdrängung und der Tabuisierung der NS-Vergangenheit eine holocaust-bezogene Erinnerungskultur, die aber – ebenso wie der antifaschistische Gründungsmythos der DDR – für das Selbstverständnis des westdeutschen Staates bedeutsam werden sollte.
Und auch in der Bundesrepublik wurden die Opfer der NS-Herrschaft – analog zur DDR – sehr unterschiedlich gewertet. Kommunistischer Widerstandskämpfer wurde von offizieller Seite nur in Ausnahmefällen gedacht; stattdessen wurde das Andenken vor allem an den militärischen, bürgerlichen und kirchlichen Widerstand gepflegt. Und auch die Entscheidung der ersten Bundesregierung, Israel umfangreiche Entschädigungen für die NS-Verbrechen zu zahlen, war sicherlich nicht nur aus moralischer Verpflichtung erfolgt, sondern auch mit dem außenpolitischen Kalkül verbunden, Deutschland damit den Weg zurück in die westliche Staatengemeinschaft zu ebnen.
Nach der Wiedervereinigung kam zwischen Juden aus Ost- und Westdeutschland eine Diskussion über ihre Rollen in der jeweiligen Gesellschaft auf, die der deutschen Generaldebatte nach 1990 erstaunlich ähnelte. Während westdeutsche Juden und Nichtjuden ihren Landsleuten in der ehemaligen DDR vorhielten, dem kommunistischen System in die Hände gespielt zu haben, versuchten die Ostdeutschen, sich zu rechtfertigen und zu erklären. Der westdeutsche jüdische Historiker Michael Wolffsohn zum Beispiel betonte wiederholt, dass die DDR die Juden für ihre politischen Ziele instrumentalisierte, und kritisierte gleichzeitig die Haltung der ostdeutschen Juden zu ihrem Staat, die sich – überwiegend aus ideologischer Verblendung – von der SED vor den Karren ihrer politischen Ziele hatten spannen lassen. Für Wolffsohn war der Antifaschismus der SED sowie ihre Bemühungen um Annäherung gegenüber den Juden in den 1980er-Jahren durch und durch scheinheilig, da sie nicht auf moralischer Überzeugung gründeten.
Der langjährige Präsident der jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin, Peter Kirchner, verbittert über die autokratische Art, in der die kleinen jüdischen Gemeinden Ostdeutschlands dem westdeutschen Zentralrat der Juden angeschlossen wurden,
Den jüngeren ostdeutschen Generationen, die den Krieg nicht erlebt hatten, reichte die Geschichte zur antifaschistischen Vergangenheit ihrer politischen Führer nicht mehr aus, um deren Herrschaft in den 1980er-Jahren zu rechtfertigen. Just am 9. November 1989, genau ein Jahr nach jenen Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht, mit denen die SED das antifaschistische Image der DDR zu stärken und ihre Herrschaft zu stabilisieren versucht hatte, fiel im Zuge des revolutionären Aufbegehrens der Ostdeutschen die Berliner Mauer.
Neue Synagoge an der Oranienburger Straße in Berlin. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00048235)
Neue Synagoge an der Oranienburger Straße in Berlin. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00048235)
Nach 1990 war der Wiederaufbau der Synagoge an der Oranienburger Straße interessanterweise eines der wenigen DDR-Projekte, die im wiedervereinigten Deutschland weitergeführt wurden. Am symbolträchtigen 8. Mai 1995, in feierlicher Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde das Centrum Judaicum in der wiederaufgebauten Synagoge von Bundespräsident Roman Herzog eingeweiht. Drei Jahre zuvor hatte sich die Bundesregierung entschlossen, die bereits großzügig gehandhabten Einreisegenehmigungen für jüdische Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, zu denen die späte DDR-Regierung den Anstoß gegeben hatte, noch auszudehnen. Das löste eine Renaissance des Judentums in Deutschland aus. Seither hat sich die Zahl der Juden in Deutschland vervielfacht; es wurden neue Synagogen gebaut und jüdische Gemeinden, Schulen, kulturelle Verbände usw. wurden landesweit wieder gegründet.