Im Jahr 2018 erschien mit „Honeckers letzter Hirsch“ ein weiteres Buch von Helmut Suter zur Jagd in der DDR. Dazu gab er dem Deutschland Archiv Online ein Interview, das in zwei Teilen veröffentlicht wird. Der erste Teil beschreibt die grundsätzlichen Neuregelungen der Jagd auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der zweite Teil widmet sich der DDR-Staatsjagd und dem Jagdleben der Repräsentanten der DDR-Staatsführung.
Deutschland Archiv Online (DA) gab er dazu ein Interview, das hier in zwei Teilen veröffentlicht wird.
DA: Sie haben sich in Ihrem Buch „Honeckers letzter Hirsch“ intensiv mit der Staatsjagd in der DDR auseinander gesetzt. Außerdem ist es Ihnen zu verdanken, dass es die Ausstellung „Jagd und Macht“ im Jagdschloss Schorfheide gibt. Was waren die größten Herausforderungen bei der Recherche zum Buch und zur Ausstellung?
Helmut Suter: Die größte Herausforderung war es, die Unterlagen aus den früheren DDR-Staatsjagdgebieten zu finden. Im Gegensatz dazu war es relativ einfach, an Unterlagen aus der Zeit vor 1945 zu kommen. Die Unterlagen aus der DDR-Zeit verteilen sich auf verschiedene Archive. Materialien aus dem früheren Militärforstbetrieb sind nach Freiburg in die Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs gelangt. Anderes liegt im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, ein Teil ist vernichtet worden und manches befindet sich in „Privatarchiven“. Am aussagekräftigsten war der BStU-Bestand (Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik). Dort liegen Dokumente zum Personenschutz, der zur Absicherung von Staatsjagden notwendig war. Und dort befinden sich auch die Unterlagen zum Sonderjagdgebiet von Erich Mielke (Minister für Staatssicherheit – MfS, von 1957 bis zum Rücktritt 1989) in Neuhaus Wolletz in Mecklenburg-Vorpommern.
DA: Als der Zweite Weltkrieg endlich vorbei war, begann die sowjetische Besatzungsmacht erste Regelungen zu treffen. Was ordnete sie die Jagd betreffend an?
Helmut Suter: In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurde sofort ein Jagd- und Waffenverbot verhängt. Die Besatzungsmacht wollte verhindern, dass Deutsche wieder Waffen in die Hände nehmen konnten. Außerdem führte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) ab 1945 eine Bodenreform durch. Grundbesitzer mit einer Fläche von mehr als 100 Hektar wurden enteignet. Das betraf vor allem den Besitz des Adels und der Industriellen und damit auch ihre Jagdgebiete.
DA: Ab 1946 durfte in der SBZ/DDR wieder gejagt werden. Was war die größte Veränderung?
Helmut Suter: In der ersten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gingen nicht Jäger auf die Jagd, sondern Angehörige der Polizei. Dazu wurden spezielle Jagdkommandos gebildet. Es sollte auf dem Gebiet der SBZ/DDR keine privilegierte Einzeljagd mehr geben, sondern die Jagd sollte nur noch im Kollektiv erfolgen. Dazu wurden später Jagdkollektive innerhalb der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), einer vormilitärischen Massenorganisation in der DDR, gebildet. Außerdem waren Jagdwaffen zunächst nur gesellschaftliches Eigentum. Das heißt, sie wurden an die Mitglieder der Jagdkollektive für die Jagd ausgegeben und mussten danach wieder bei der Polizei abgegeben werden. Das waren normale Flintenlaufgeschosse und keine weitreichenden Kugelwaffen. Ehemalige Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands (NSDAP) und ihrer Nebenorganisationen waren von der Jagd ausgeschlossen.
Zu DDR-Zeiten galt im Allgemeinen: Wald und in Wild im Einklang. Nur in den Staats- und Sonderjagdgebieten hieß es Wild vor Wald.
DA: Seit 1953 galt in der DDR ein neues Jagdgesetz, das auch international Beachtung fand. Wie sahen im Vergleich dazu die Regelungen zur Jagd vor 1945 und nach der Wiedervereinigung aus?
Helmut Suter: Während der Nazi-Zeit ab 1933 bis zum Kriegsende durften beispielsweise Juden nicht mehr jagen. Die Jagd wurde gleichgeschaltet: Alle Jäger mussten dem Verband „Deutscher Jäger“ angehören. Jagen konnte nur der, der über eine Eigenjagd verfügte oder sich die Pacht einer Jagd finanziell leisten konnte. Nach 1945 sollte jeder Bürger/in – unabhängig von ihrem oder seinem sozialen Stand – Mitglied eines sozialistischen Jagdkollektives werden können. In der DDR bestand eine zentralistische Jagd- und Wildbewirtschaftung, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen. Es gab keine Eigenjagdbezirke mehr, aber die Herausbildung der Sonder- und der Staatsjagdgebiete für die „Repräsentanten“ der DDR begann bereits sehr früh. Als Grundsatz galt die Einheit von Wald und Wild.
Nach 1990 erfolgten unter anderem die Auflösung der Sonder- u. Staatsjagdgebiete, die Abschaffung des kompletten DDR-Jagdgesetzes und die Übernahme des Bundesjagdgesetzes (nach dem Vorbild des Reichsjagdgesetzes von vor 1945). So erfolgte zum Beispiel die Einführung des Jagdpachtsystems und Wiedereinrichtung der Eigenjagden. Und es kam zur Trennung des Grundsatzes: Wald und Wild. Seitdem heißt es: Wald vor Wild!
Anders als heute, wo das Bundesjagdgesetz Grundsätzliches festlegt, die Jagdhoheit aber bei den Ländern liegt und diese daher eigenständige Regelungen treffen können, galt das Jagdgesetz der DDR von der Ostsee bis zum Thüringer Wald. Es gab einheitliche Bewirtschaftungsregelungen für das Wild. Dabei wurden neueste Erkenntnisse aus der Wildbiologie herangezogen und festgelegt, wie viel Wild auf den jeweiligen Bodenverhältnissen gehalten werden sollte. Außerdem wurde die Wildbewirtschaftung grundsätzlich im Einklang mit der Waldbewirtschaftung betrieben, also Wald und Wild. Es wurde darauf geachtet, dass die Wildbestände nicht überhandnahmen. Aber es galt: „Wild muss leben, Wild muss äsen (Nahrung aufnehmen, die Red.)“. Heutzutage gibt es Waldgebiete, in denen entweder die Holzwirtschaft verfolgt wird oder aber die Vermarktung des Wildbrets. Mischgebiete gibt es auch heute noch, aber das ist nicht die Regel.
Jagdausübung war in der DDR ein Privileg und eine Auszeichnung für die, die sich für den Staat einsetzten und absolut loyal waren.
DA: Das DDR-Jagdgesetz regelte auch die kollektive Jagd. Wer durfte in ein Kollektiv eintreten und zur Jagd gehen?
„Die Jagd gehört dem Volke!“ hieß es im Gesetz. Es konnte beispielsweise auch ein Bauarbeiter oder eine Krankenschwester jagen gehen. Die Jagd sollte nicht mehr der Bereicherung und persönlichen Darstellung dienen. Allerdings wurde klar geregelt, dass nur die Person die Jagd ausüben durfte, die der Gesellschaft diente und der DDR sowie der SED treu ergeben war. Regimekritiker waren ausgeschlossen. Wer nicht in der Partei war, keinen Grundwehrdienst geleistet hatte und es ablehnte in den betrieblichen Kampfgruppen aktiv zu sein, durfte die Jagdprüfung nicht ablegen und kein Mitglied in einem Jagdkollektiv sein. Die Jagdausübung war so gesehen ein Privileg und eine Auszeichnung derjenigen, die sich für ihren Staat einsetzten und ihm gegenüber absolut loyal waren.
DA: Dazu kommt, dass privater Waffenbesitz in der SBZ zunächst verboten war. Doch auch später in der DDR gab es ihn kaum. Was steckte dahinter?
Helmut Suter: Die Staats- und Parteiführung in der DDR war sich dessen bewusst, dass Waffenbesitz eine wichtige Voraussetzung für einen Umsturz gewesen wäre. Das war auch eine paranoide Angst, so dass in der Konsequenz keiner eine Waffe haben sollte, damit die nicht gegen die Führung gerichtet werden konnte. Deshalb übte der Staat die absolute und strenge Kontrolle über den Waffenbesitz aus. Es gab strenge Kontrollen. Illegaler Waffenbesitz war kaum möglich. Privater Waffenbesitz konnte ab 1953 beantragt werden und wurde nur denjenigen gestattet, die außerordentliche Verdienste für den Sozialismus erworben hatten und Mitglied in einem Jagdkollektiv waren.
Private Waffenbesitzer und Kollektivjäger hatten in ihren Wohnungen zum Teil selbstgebaute Metallschränke einfacher Art. Später stellte der Handel kleine Waffenschränke her. Kollektivwaffen wurden zentral zum Beispiel in den Staatlichen Forstbetrieben (StFB) oder in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. (LPG ) in extra eingerichteten Waffenkammern gelagert. Sie wurden durch die Kreisämter der Volkspolizei unangekündigt und streng kontrolliert, auch in der Nacht. Das galt auch für die privaten Waffenbesitzer.
Durch strenge Kontrollen war es in der DDR unmöglich, illegal Wild zu erlegen.
DA: Wie verhielt es sich denn in der DDR eigentlich mit der Wilddieberei?
Helmut Suter: Die sowjetischen Soldaten haben nach dem Krieg und auch später gewildert. Die sowjetischen Offiziere gingen als Sieger auf die Jagd. Sie hielten sich an kein Gesetz. Erst unter Erich Honecker begannen Verhandlungen, um das Jagen des sowjetischen Militärs in geordnete Bahnen zu bringen. Letztendlich waren 6,9 Prozent der Jagdfläche sowjetische Jagdgebiete, in denen die Offiziere eigenständig jagen konnten. Sie sollten Abschusspläne erarbeiten, man hat versucht sie in die Jagdkollektive einzubinden und hat sie als Gäste eingeladen, aber trotzdem fand die Wilderei bis 1989 statt. Ansonsten war es in der DDR durch die beschriebenen Kontrollen äußerst schwer ein Tier zu erlegen, ohne dass es auffiel. Es war Privaten auch nicht möglich, Wild zu verkaufen, und den Gaststätten war es untersagt, von Privaten Wild zu erwerben.
DA: Und wie kamen die Mitglieder der Jagdkollektive üblicherweise an eine Jagdwaffe?
Helmut Suter: Bis 1989 gab es in der DDR 997 Jagdkollektive, in denen rund 42.300 Mitglieder organisiert waren und insgesamt gut 7,7 Millionen Hektar bejagten. 10.886 Jagdkollektivmitglieder hatten eine private Jagdwaffe. Wer keine private Waffe besaß, die Jagdprüfung abgelegt hatte und Mitglied in einem Jagdkollektiv war, konnte sich dort eine volkseigene Jagdwaffe ausleihen und zur Jagd gehen. In einem Buch wurde vermerkt, wer wann und wie lange im Besitz einer Waffe war, wieviel Munition die Person hatte und wieviel Schuss abgeben wurden. Auch Schüsse, die daneben gingen, wurden protokolliert. Zunächst durfte eine Waffe maximal für 24 Stunden ausgeliehen werden. Später waren es drei Tage und schließlich eine Woche. Es kam durchaus vor, dass Jäger Munition horteten und behaupteten, sie hätten daneben geschossen.
Aber das konnte man nicht regelmäßig machen. Wenn das auffiel, kam es zu Hausdurchsuchungen. Illegaler Waffenbesitz konnte mit einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Pro Jahr gab die DDR nur 365 neue Waffen für Jagdkollektive und für den privaten Gebrauch frei. Davon mussten auch kaputte Waffen ersetzt werden. Mangel an Jagdwaffen herrschte bis zum Ende der DDR.
DA: Dabei hat die DDR im thüringischen Suhl selbst Waffen hergestellt. Warum dann diese Knappheit?
Helmut Suter: Es gab in der DDR vor allem die doppelläufigen Flinten, mit denen Federwild gejagt und Haarwild nur auf kurze Distanz von maximal 30 Metern erlegt werden kann. Dann gab es noch die so genannten Drillinge, die zusätzlich zu den zwei Flintenläufen noch einen Kugellauf hatten. Diese beiden Waffen wurden im VEB (Volkseigener Betrieb) in Suhl produziert. Repetierwaffen, die eine Mehrladefähigkeit besitzen, wurden in der DDR nicht hergestellt und mussten importiert werden. Sie durften nur von den Jagdleitern und von den oberen Repräsentanten des Staates geführt werden.
Hier können Sie den zweiten Teil des Interviews lesen:
Interview: Anja Linnekugel
Zitierweise: "Die Jagd gehört dem Volke" - Teil I: Die gesetzlichen Regelungen zur Jagd in der DDR, Interview mit Helmut Suter in: Deutschland Archiv, 21.5.2019, Link: www.bpb.de/291603