Orte des Ankommens (VII): Das Musterhaus Matz im Freilichtmuseum Kiekeberg
Zofia Durda
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Von der Nissenhütte zum Siedlungshaus. Das Projekt „Königsberger Straße – Heimat in der jungen Bundesrepublik“ im Freilichtmuseum am Kiekeberg. Eine neue Baugruppe gibt dort Einblicke in den Alltag der Nachkriegsjahrzehnte. Doch welchen Stellenwert in der Forschung und in Ausstellungen haben heute noch die Themenkomplexe Flucht und Vertreibung sowie Ankommen in der neuen Heimat? Ab wann wird Geschichte museumswürdig?
Ist das hier noch Freilichtgelände? Wohnen in den Häusern Museumsbeschäftigte? Solche Fragen waren ab und zu im Freilichtmuseum am Kiekeberg zu hören, als Besuchende die Gebäude der neuen Baugruppe namens Königsberger Straße zum ersten Mal erblickten. Die Irritation ist nachvollziehbar: Die Königsberger Straße stellt schon rein optisch einen Kontrast zu den historischen Fachwerkhäusern dar, die bisher den Kern des Freilichtmuseums bildeten. Denn mit der jüngsten Erweiterung hat der Kiekeberg einen Sprung in die Zeitgeschichte gewagt: In der Königsberger Straße sind Gebäude aus den 1950er und 1960er Jahren zu besichtigen, unter anderem eine Tankstelle, ein Fertighaus und zwei Siedlungshäuser.
Das Freilichtmuseum am Kiekeberg liegt im Ort Ehestorf in Niedersachsen, unweit der südlichen Stadtgrenze von Hamburg. Auf dem zwölf Hektar großen Gelände sind derzeit 38 historische Gebäude zu sehen, die größtenteils aus dem Landkreis Harburg stammen, in dessen Grenzen das Museum liegt. 1953 wurde das Freilichtmuseum als eine Außenstelle des Helms-Museums in Harburg (heute Archäologisches Museum Hamburg) gegründet. Im Jahr 1987 ging es in die Trägerschaft des Landkreises Harburg über und wurde 2003 in eine eigenständige Stiftung überführt. Ein aktuell über 13.500 Mitglieder starker Förderverein unterstützt den Kiekeberg ideell und materiell.
Zeitgeschichte im Freilichtmuseum: Das Konzept für die Königsberger Straße
Ende der 1990er Jahre übernahm das Freilichtmuseum eine Nissenhütte, eine in den 1950er Jahren aufgestellte Wellblechbaracke der britischen Armee, die zunächst eingelagert und erst 2006/07 wiederaufgebaut wurde. 2007 folgte ein Milchpilz aus den 1950er Jahren, ein Kiosk in Gestalt eines Fliegenpilzes, der zum Verkauf von Milchprodukten diente. Ungefähr in dieser Zeit begannen im Museum Diskussionen über die Errichtung einer ganzen Baugruppe aus der Zeit nach 1945, die Königsberger Straße heißen sollte – so wie viele Straßen in den Neubausiedlungen der 1950er Jahre, deren Namen sich auf die Herkunftsgebiete der Bewohnenden bezogen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich das Leben auf dem Land fundamental – unter anderem durch den Zuzug von Ausgebombten, Geflüchteten und Vertriebenen, durch die Technisierung der Landwirtschaft sowie ein neues Konsumverhalten. Diesen Wandel wollte man im Museum thematisieren und mithilfe von bestimmten Bauwerken die Entwicklungen der Zeit nachvollziehbar machen. Noch lassen sich passende Gebäude finden und der Sammlungsbestand gezielt ausbauen, argumentierte das Museum, noch können Zeitzeuginnen und Zeitzeugen befragt werden. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass viele Besuchende Erinnerungen und biografische Anknüpfungspunkte an die zu präsentierende Zeit haben.
Das Vorhaben war anfänglich kontrovers: Die Gremien des Freilichtmuseums – der Stiftungsrat und der Fördervereinsvorstand – glaubten zunächst nicht, dass die 1950er und 1960er Jahre bereits museumswürdig sind. Schließlich ging es zum Teil um die eigene Vergangenheit. Bis heute dauern in der Fachwelt zudem Diskussionen darüber an, ob und vor allem in welcher Form es sinnvoll ist, Zeitgeschichte im Freilichtmuseum auszustellen. Freilichtmuseen beschäftigen sich mit der Alltagskultur des ländlichen Raumes. Gebäude sind dort traditionell Hauptexponate: Sie werden an anderen Orten abgebaut, im Museum wiederaufgestellt und in einem sogenannten Zeitschnitt eingerichtet, der eine ganz bestimmte Epoche repräsentiert. So ermöglichen sie einen Einblick in vergangene Wohn- und Arbeitswelten.
Die deutschen Freilichtmuseen sind auf jeweils ein bestimmtes Gebiet fokussiert – sie zeigen regionale Baukultur. Mit den neueren Zeitschnitten ziehen jedoch häufig typisierte und in derselben Form auch landesweit errichtete Bauwerke in die Museen. Daher wird vor Austauschbarkeit gewarnt. Die jeweiligen Bau- und Nutzungsgeschichten der Gebäude und insbesondere die Geschichten von Personen, die in den Häusern gelebt und gearbeitet haben, tragen jedoch dazu bei, Alleinstellungsmerkmale zu schaffen. Gleichzeitig wird allerdings auf das Potenzial zeithistorischer Narrative verwiesen, die Besuchende besonders ansprechen.
Um eine inhaltliche Grundlage für das Bauvorhaben zu schaffen, führte das Museum zunächst ein zweijähriges Forschungsprojekt „Bauen und Wohnen nach 1945. Der Landkreis Harburg im Wandel“ durch, das ausgewählte Bauten und Siedlungen dokumentierte. „In der Bevölkerung trifft das Thema auf großes Interesse, wie das Presseecho während der Bearbeitungszeit des Projektes erkennen ließ“, stellt der Abschlussbericht vom August 2014 fest.
Das Projekt „Königsberger Straße – Heimat in der jungen Bundesrepublik“
Schließlich stieß das Freilichtmuseum am Kiekeberg das Bau- und Forschungsprojekt „Königsberger Straße – Heimat in der jungen Bundesrepublik“ an, dessen Realisierung zwölf Förderinstitutionen ermöglichten. Das Gesamtinvestitionsvolumen belief sich auf über 6 Millionen Euro. Etwa die Hälfte dieser Summe steuerte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien bei. Obwohl der Bund generell keine Museen mit einem regionalen Schwerpunkt fördert, wurde eine Ausnahme gemacht, da dem Konzept eine gesamtgesellschaftliche Relevanz bescheinigt wurde.
Der erste Spatenstich für die Baugruppe erfolgte im Juni 2018. Seitdem wurden am Kiekeberg mehrere Gebäude errichtet, die konkrete Bau- und Familiengeschichten aus der Region erzählen und bauliche, gesellschaftliche und technische Entwicklungen in der jungen Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre hinein verdeutlichen. Die Themenkomplexe Flucht und Vertreibung sowie Neuanfang und Wiederaufbau nehmen darin eine wichtige Rolle ein.
Für das Ankommen im Landkreis Harburg und den Aufbau einer neuen Existenz steht insbesondere das Flüchtlingssiedlungshaus aus Tostedt aus den 1950er Jahren. Im Siedlungsdoppelhaus ist eine Dauerausstellung zur Nachkriegsgeschichte der Region zu finden. Die Tankstelle aus Stade aus den 1950er Jahren versinnbildlicht die aufkommende Motorisierung. Einblicke in die Waren- und Dienstleistungswelt vor allem der 1960er Jahre ermöglicht das Geschäftshaus mit fünf Läden und einer Zahnarztpraxis. Und für das moderne Wohnen steht schließlich das Quelle-Fertighaus aus Winsen (Luhe), ein vom Versandhaus Quelle entwickeltes und vertriebenes Gebäude in Leichtbauweise, eingerichtet im Zeitschnitt der späten 1970er Jahre.
In die Baugruppe integriert wurde auch die bereits angesprochene Nissenhütte aus dem Camp Reinsehlen bei Schneverdingen. In Reinsehlen befand sich ab 1938 ein Militärflugplatz, auf dem später ein Lager für Geflüchtete entstand. Dieses wurde 1950 auf Befehl der britischen Armee geräumt, die Menschen in verschiedene Ortschaften in Niedersachsen übersiedelt. Nach der Räumung stellte das britische Militär auf dem Gelände mehrere Nissenhütten auf.
Eine von ihnen ist nun am Kiekeberg zu sehen. Obwohl das Gebäude nachweislich nie bewohnt war, ist dort eine Mehrpersonenunterkunft inszeniert, die allerdings keine konkrete Wohnsituation einer bestimmten Menschengruppe dargestellt. In der britischen Besatzungszone wurden Nissenhütten vor allem in Städten aufgestellt, um Ausgebombten ein Dach über dem Kopf zu geben. Eine kleine Ausstellung in einem Gebäudeteil thematisiert vor allem die Nissenhüttenlager in Hamburg-Harburg. Innerhalb der Königsberger Straße steht die Nissenhütte für die behelfsmäßige Unterbringung von Ausgebombten, Geflüchteten und Vertriebenen nach Ende des Zweiten Weltkriegs und ist der Anfangspunkt der Erzählung über die Nachkriegsjahrzehnte am Kiekeberg.
Lebendige Vermittlung: die "Gelebte Geschichte"
Die Nissenhütte wird regelmäßig im Rahmen von Living-History-Darstellungen bespielt. Diese haben am Kiekeberg seit beinahe 20 Jahren einen festen Platz im Veranstaltungsprogramm. Neben den länger etablierten Darstellungszeitschnitten 1804 und 1904 gibt es seit dem Baubeginn für die Königsberger Straße auch eine Gruppe der "Gelebten Geschichte 1945", der in und an der Nissenhütte begegnet werden kann. Bereits mehrere Male fand außerdem das Aktionswochenende „1945 – der erste Sommer im Frieden“ statt. Etwa 50 Darstellende spielen hier als britische Soldaten, Alteingesessene oder Geflüchtete den Alltag eines niedersächsischen Dorfes in den ersten Wochen nach Kriegsende nach. Die Szenen zeigen zum Beispiel die Ankunft von Geflüchteten im Dorf oder die Zuteilung von Unterkünften. Seit Sommer 2023 finden Darstellungen in einem weiteren Zeitschnitt statt, der den Namen „Dorfleben in der jungen Bundesrepublik“ trägt: Durch die Königsberger Straße geht beispielsweise ein Briefträger und verteilt Post an die sich am Zaun unterhaltenden Hausfrauen, ein Polizist sorgt für Ordnung im Straßenraum.
In der Fachwelt eher umstritten, kommt die Gelebte Geschichte bei den Besuchenden des Museums sehr gut an. Das Format ist auf Interaktion ausgelegt: Die Darstellenden erzählen über die Tätigkeiten, die sie ausführen, und die Lebensumstände der jeweiligen Zeit. Sie stehen auch für Fragen der Besuchenden zur Verfügung. Das Museumsteam weist den ehrenamtlich tätigen Darstellenden dabei feste Rollen und fiktive Biografien zu und kümmert sich um Kostüme, Requisiten und regelmäßige Fortbildungen.
Das bereits erwähnte Flüchtlingssiedlungshaus mit dem dazugehörigen freistehenden Stallgebäude lassen sich als das Herzstück der Baugruppe Königsberger Straße bezeichnen. Die aus Königsberg stammende Familie Matz errichtete die Bauten Mitte der 1950er Jahre in Tostedt im Landkreis Harburg.Bereits 1948 gab es in Tostedt wie auch in vielen anderen Orten der späteren Bundesrepublik eine Gruppe von Bauwilligen, die Wohnraum für sich und ihre Familien schaffen wollten. Die meisten von ihnen waren Geflüchtete und Vertriebene. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten gründete sich ein Bauverein, die Siedlergemeinschaft Tostedt e. V..
Zu ihren Mitgliedern zählte auch der Fernfahrer Bruno Matz. Als Trägerin des Bauvorhabens gewann der Verein die Niedersächsische Heimstätte. Diese stellte auch die Typenbaupläne für die Siedlungshäuser bereit, die als landwirtschaftliche Nebenerwerbsstellen mit Kleinviehstall und Gartenzulage realisiert werden sollten. Die Pläne der Heimstätte sahen Wohnstallhäuser vor, mit Wohnraum, Stall und Wirtschaftsräumen unter einem Dach – eine in der Zeit noch gängige Lösung, die Baukosten sparen ließ. Matz gefiel sie allerdings nicht: Laut seiner Tochter wollte er sein Haus so bauen, wie er es in Königsberg getan hätte. Er trat daher aus dem Verein aus, behielt aber sein Grundstück in der Siedlung. Schließlich gab Matz sein Wohnhaus als Privatbauherr bei einem örtlichen Bauingenieur in Auftrag. 1955 wurde das Gebäude fertiggestellt.Das ziegelsichtige, anderthalbgeschossige Wohnhaus war teilunterkellert und schloss mit einem pfannengedeckten Satteldach ab. Die straßenseitig liegende, geschlossene und flach gedeckte Veranda mit großen Fenstern war eine für die Zeit fast luxuriös wirkende Besonderheit des sonst an vielen Stellen eher sparsam ausgeführten Gebäudes.
Die Räume im Erdgeschoss – ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, eine Küche, ein WC, eine Speisekammer, eine Diele und die bereits erwähnte Veranda – bildeten die Wohnung von Bruno Matz und seiner Frau Herta. Die aus einem Flur mit Waschgelegenheit, einer Wohnküche und einem Schlafzimmer bestehende Einliegerwohnung im Obergeschoss bewohnten Hertas Eltern. 1963 wurde über der Veranda ein Zimmer für Brunos und Hertas Tochter angebaut, die ihr eigenes Reich über die Wohnküche der Großeltern betrat. Im Zuge des Anbaus wurde das Wohnzimmer im Erdgeschoss um einen Teil der Veranda erweitert.
Neben dem Wohnhaus entstand 1956 ein freistehendes Stallgebäude, das von einem Maurermeister geplant wurde. Anders als bei der Errichtung des Wohnhauses legte Bruno Matz beim Bau des Stalls selbst Hand an, wie Baustellenfotos bezeugen. Neben einem Schweine- und einem Hühnerstall, in denen bis in die 1960er Jahre hinein Tiere gehalten wurden, gab es in dem Gebäude eine Futterküche, eine Räucherkammer, eine Sommerküche und eine Abstellkammer. Die beiden zuletzt genannten Räume wurden spätestens Anfang der 1960er Jahre zu einer Garage zusammengelegt, in der das Familienauto parkte. In dem 2.400 Quadratmeter großen Garten baute Familie Matz zunächst Obst und Gemüse an – teils zur Selbstversorgung, teils zum Verkauf auf dem örtlichen Markt.
Das Anwesen der Familie Matz wies somit Merkmale einer Kleinsiedlung auf. Der Bau von Kleinsiedlungen wurde bereits in der Weimarer Republik gesetzlich reguliert. Im NS-Staat wurde ihnen eine besondere Bedeutung beigemessen, da sie mit der agrarpolitischen Blut-und-Boden-Ideologie verknüpft wurden. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurden Kleinsiedlungen im Rahmen von Wohnungsbauprogrammen gefördert – der Schaffung von Wohnraum und insbesondere auch Wohneigentum wurde eine hohe Priorität eingeräumt. Schon das erste Wohnungsbaugesetz von 1950 definierte Kleinsiedlungen gleichberechtigt mit Eigenheimen als förderungswürdig aus Mitteln des sozialen Wohnungsbaus.
Als eine Kleinsiedlung deklariert wurde das Haus von Matz allerdings nicht: Die Familie beanspruchte offenbar keine Mittel des sozialen Wohnungsbaus. Als das Wohnhaus fertig war, bestand der Stall noch nicht. In der Zählkarte wurde das Gebäude deshalb als „sonstiges Einfamilienhaus ohne Einliegerwohnung“ erfasst.
Im Jahre 2020 übernahm das Freilichtmuseum von den Nachkommen von Bruno und Herta Matz das Wohnhaus und das Stallgebäude. Im darauffolgenden Jahr wurden sie an den Kiekeberg versetzt. Beide Bauten wurden anschließend mit Unterstützung der Familie eingerichtet – bei der Rekonstruktion der Raumausstattung war das Museumsteam insbesondere auf Erinnerungen angewiesen.
Im Wohnhaus können Besuchende nun nachvollziehen, wie Familie Matz um 1963 lebte. Viele Ausstattungsstücke übernahm das Museum dabei zusammen mit dem Gebäude. Dinge, die sich nicht erhielten, wurden aus dem Sammlungsbestand ergänzt oder nachbeschafft. Das Stallgebäude wird in einem etwas früheren Zeitschnitt präsentiert, der den Betrieb der Sommerküche miteinschließt.
Einblicke in die projektbezogene Forschung: die Treuhandstelle für FlüchtlingssiedlungBevor Bruno Matz sein Haus von einem Bauingenieur planen ließ, reichte er einen Bauantrag für eine nicht näher bezeichnete Nebenerwerbsstelle der Treuhandstelle für Flüchtlingssiedlung (TFS) ein, den er aber zurückzog. Die Suche nach dem Typenbauplan für das Gebäude stieß eine Forschung an, die projektbegleitend erfolgt. Ihr Gegenstand sind die Typenentwürfe für Nebenerwerbsstellen der TFS.Die TFS wurde Ende 1949 als eine gesonderte Abteilung der seit 1915 bestehenden Hannoverschen Siedlungsgesellschaft gegründet. Im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten war sie für die Ansiedlung von Geflüchteten und Vertriebenen zuständig, die in der Landwirtschaft tätig gewesen waren.
Von den Bundesländern der westlichen Besatzungszonen verzeichnete Niedersachsen den zweitgrößten Bevölkerungszuwachs infolge des Zweiten Weltkriegs: von 4,2 Millionen 1939 auf knapp 6,8 Millionen im Jahr 1950. Die Unterbringung von Geflüchteten und Vertriebenen stellte daher eine der dringlichsten politischen, sozialen und architektonischen Herausforderungen dar. Bereits 1959 ging die TFS in der Stammgesellschaft auf, die zu Niedersächsische Landgesellschaft mbH (NLG) umbenannt wurde. Als Trägerin wirkte die Treuhandstelle während ihres zehnjährigen Bestehens an der Errichtung von Tausenden Voll- und Nebenerwerbsstellen mit. Das Leistungsspektrum umfasste sowohl Umbauten bestehender Höfe als auch die Errichtung von einzelnen Siedlerstellen und Gruppensiedlungen. Angesichts der Größe und des Aufgabenspektrums der TFS überrascht es, dass die Bautätigkeit der Einrichtung noch nicht wissenschaftlich untersucht wurde.
Die TFS unterhielt zehn Außenstellen, die sich um die Abwicklung von Siedlungsvorhaben in ihrer jeweiligen Region kümmerten. Die Typenbaupläne für Neben- und Vollerwerbsstellen, Stallgebäude, Mehrzweckschuppen et cetera wurden von dem Vertragsarchitekten der TFS Walter Ganske aus Stade entworfen. Wie viele Typen es insgesamt waren, lässt sich noch nicht feststellen. Die bisher gesichteten Pläne wurden zwischen 1950 und 1958 erstellt. Die darauf abgebildete Architektur lässt sich als traditionell bezeichnen – es handelt sich allesamt um kompakte anderthalbgeschossige Häuser mit einem Satteldach.
Bisher konnten zehn verschiedene Typenentwürfe für Nebenerwerbsstellen ausfindig gemacht werden. Sie sind mit einzelnen, seltener mehreren Buchstaben des Alphabets und auch Ziffern gekennzeichnet. Von einigen der Typen gab es mindestens zwei Varianten.Die meisten Gebäudetypen sind als Wohnstallhäuser konzipiert. Ein Beispiel für eine solche Siedlerstelle ist der Typ B2 mit Drempel, der recht häufig zur Ausführung gekommen zu sein scheint. Eine seiner Varianten gab es auch ohne Drempel.
Andere Siedlerstellen verfügten lediglich über eine Wirtschaftsküche am Wohnhaus. Solche Häuser konnten durch freistehende Ställe ergänzt werden, die extra für diese Typen entwickelt wurden. Ein Beispiel ist der Typ S 19 (v) mit Drempel, bezeichnet als „Nebenerwerbsstelle mit Einliegerwohnung (Stall gesondert)“. Der im Archiv des Museumsdorfes Hösseringen lagernde Entwurf ist auf 1953 datiert. Die Pläne für einen freistehenden Stall für diesen Typ konnten noch nicht ausfindig gemacht werden, wohl aber die für den später überarbeiteten Typ S 19 c/58. Für Bruno Matz vorgesehen war vermutlich die Nebenerwerbsstelle KL (HA), bezeichnet als „Kleinsttyp, evtl. Doppelhaus“, die im Februar 1953 entworfen wurde.
In der Bauakte des Hauses Matz gibt es zwar keine Information darüber, welcher Gebäudetyp realisiert werden sollte, auch die Planzeichnung ist nicht erhalten. Da die im Bauantrag angegebene bebaute Fläche die gleiche ist wie die der Siedlerstelle KL (HA), ist davon auszugehen, dass Matz den Kleinsttyp umsetzen wollte. Dazu kam es jedoch, wie bereits beschrieben, nicht.
Die Forschung zu den Typenbauten der Treuhandstelle ist noch nicht abgeschlossen und nicht publiziert. Sie geht nur langsam voran, weil die NLG keine Archivbestände mehr aus den 1950er Jahren aufbewahrt.
Wie geht es weiter?
Die Eröffnung des Flüchtlingssiedlungshauses aus Tostedt und die symbolische Eröffnung der gesamten Baugruppe erfolgte im Juni 2023. Obwohl das Projekt „Königsberger Straße – Heimat in der jungen Bundesrepublik“ zum Jahresende 2023 ausläuft, wird die Beschäftigung mit der Zeitgeschichte am Kiekeberg nicht aufhören. Mit der Königsberger Straße leitete das Museum eine inhaltliche Erweiterung ein, die seine künftige Arbeit sicherlich weiterhin stark prägen wird.Und bereits für das Jahr 2024 ist in der Königsberger Straße die Eröffnung eines weiteren Gebäudes vorgesehen: Die Ley-Bude aus der Lindhorster Heide wurde im April 2023 neben der Nissenhütte wiederaufgebaut – allerdings nicht im Rahmen des Projektes, sondern mit einer eigenen Drittmittelfinanzierung. Es ist ein Typenbehelfsheim des Deutschen Wohnungshilfswerks aus den letzten Kriegsjahren.
Die umgangssprachliche Bezeichnung Ley-Bude erhielt es aufgrund der Tatsache, dass der NS-Funktionär und Reichswohnungskommissar Robert Ley die Leitung des Deutschen Wohnungshilfswerk innehatte. Für die Besuchenden des Freilichtmuseums ist das kleine, ochsenblutrot gestrichene Gebäude in Holztafelbauweise noch nicht zugänglich, da die Ausstellung für den Innenraum erst entwickelt wird. Wenn sie fertig ist, wird die Erzählung der Königsberger Straße hier beginnen: mitten in einem Krieg, der enormes Leid verursachte und Millionen Menschenleben kostete.
Zitierweise: Zofia Durda, Orte des Ankommens (VII): Das Musterhaus Matz im Freilichtmuseum Kiekeberg, in: Deutschland Archiv, 09.07.2024, Link: www.bpb.de/550287. Der Beitrag ist Teil einer Serie "Orte des Ankommens", erstellt in Kooperation des Fachgebietes Städtebauliche Denkmalpflege und Urbanes Kulturerbe der Technischen Universität Berlin, dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner und der Stiftung Berliner Mauer 2023/24, herausgegeben von Stephanie Herold und Małgorzata Popiołek-Roßkamp. Anlass war eine Tagung zum 70. Jahrestag der Gründung des Externer Link: Berliner Notaufnahmelagers Marienfelde am 14. April 1953. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Dr. Zofia Durda studierte Architektur in Berlin und Jerusalem und absolvierte ein postgraduales Masterstudium der Denkmalpflege an der Technischen Universität in Berlin. 2014-2023 mit einem Promotionsvorhaben zur Baugeschichte der Siedlungen der Tempelgesellschaft in Palästina im DFG-Graduiertenkolleg 1913 „Kulturelle und technische Werte historischer Bauten“ an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg assoziiert, 2014-2017 Promotionsstipendium des Landes Brandenburg. Ab 2018 im Freilichtmuseum am Kiekeberg, dort inhaltliche Leitung des Projekts „Königsberger Straße – Heimat in der jungen Bundesrepublik“. Inzwischen tätig als Kuratorin und stellvertretende Leiterin im Goslarer Museum & Besucherbergwerk "Rammelsberg".
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