Verschiedene: Die Gartenlaube (1884) | |
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„Laßt Euch solche Worte nicht anfechten,“ meinte Pujol hastig weiter schreitend, „so schnell geht es für diesmal nicht. Der Richter Bürger Bouilly, in dessen Hand des Grafen Leben liegt, scheint diesen früher gekannt zu haben, ihm sogar befreundet gewesen zu sein, und er wird den Proceß, um einer oder andern Ursache willen, so viel als möglich in die Länge ziehen. Wir werden ihm dabei die rechte Hülfe leisten, und gelingt unser Vorhaben, was ich zu Gott hoffen will, so wird der Bürger Richter sich nicht wenig, wenn auch nur ganz im Stillen, darüber freuen.“
„Ich hörte den Namen nie von ihm,“ sprach Margot sinnend vor sich hin, als Pujol ihr plötzlich zuraunte:
„Aufgepaßt! wir sind wieder in ihrer Nähe und draußen höre ich die Andern nahen. Bleibt drinnen, bis sie vorüber sind, und singt irgend ein Liedchen.“
Der Alte trat auf die vier Wächter zu, die jetzt sammt und sonders eingeschlafen waren. Mit Scheltworten, durch Rütteln und Schütteln trieb er sie vom Boden, von ihren Sitzen empor, während in der Stube Pujol’s die Stimme Margot’s erklang, die mit gedämpftem Ton, doch ohne zu zittern, ein bretagnisches Volkslied angestimmt hatte. Es war eine jene schwermüthigen Melodien, die sich in kleinen Intervallen bewegen und nur einmal, gegen den Schluß, eine Note in höherer Lage kräftig anschlagen lassen. Sie sang:
„Ich kenn’ ein kleines Liebeslied,
Das sang ich, als ich von ihm schied.
So traurig und so hoffnungsreich
Dünkt keins dem Ohr und Herzen gleich.“
Graf René, der in diesem Augenblick, von Le Borgne und den beiden Sansculotten geführt, den Hof betrat, fuhr bei dem Klange der matt aus dem Innern der Wohnung ihm entgegen tönenden Stimme sichtlich zusammen. Doch sofort beherrschte er sich wieder und schritt weiter, wenn auch immerfort nach dem Ort lauschend, woher das Lied erklang. Le Borgne hatte nichts bemerkt, denn gleich beim Betreten des Hofes stieß er gräuliche Verwünschungen gegen den öffentlichen Ankläger aus, der mit dem elenden „Aristo“ unter einer Decke stecken und dafür mit diesem auf die Guillotine müsse. Denn er habe den Gefangenen nur verhören und nicht richten lassen, was erst morgen geschehen – oder auch nicht geschehen werde.
Bilder aus Spanien.
Die Spanier sind, seit Ferdinand und Isabella alle kleinen Königreiche unter ihrem Scepter vereint, als sie die Letzten Mauren über’s Meer getrieben hatten, zu einem gemeinsamen Staate zusammengewachsen; ein einheitliches Volk sind sie indessen noch bis heute kaum geworden. In der Volksart, in Sitten, Trachten, Lebensweise unterscheidet sich das rauhe Castilien, das bergige Aragonien von Valencia, Murcia, ganz Andalusien, die unter einander wieder grundverschieden sind. Das spricht sich aus in dem Aeußern der Menschen, im Straßenleben, in der Beschäftigung, in der Denkart, in allen Lebenserscheinungen, die auch der fremde Besucher wahrnimmt. Jeder Gau, jedes ehemalige kleine Königreich hat sich seine Sonderart bis heute bewahrt.
Allgemeine Züge fehlen natürlich nicht. Das gesammte spanische Volk ist gutmüthig aber beschränkt, gefällig und dienstfertig aber bettelhaft, es ist bedürfnißlos aber lässig und träge, eigentlich ist es auch kaum talentvoll zu nennen. Der Gesang des Volkes ist entweder lärmendes Geräusch oder ein langgezogenes, wie Klageton klingendes Winseln. Musik hört man selten auf der Straße. Man muß dem Volke bald gut werden, um seiner Naivetät und seiner Liebenswürdigkeit willen.
In dieser Buntheit kann man aber zwei große Gruppen unterscheiden, die der Gesammtbevölkerung des ganzen Landes ihre Charakterzüge verliehen haben: die Castilianer und die Andalusier. Jene sind häßlich und plump in der äußeren Erscheinung, starkknochig, derb, ernst. Sie stammen von den Hirtenvölkern der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_784.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2024)