Seite:Die Gartenlaube (1885) 728.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Nachdruck verboten. Uebersetzungs-
 recht vorbehalten.

Ein wunderlicher Heiliger.

Novelle von Hans Hopfen.

Ich staunte nicht wenig, als der lachende Mann die schwarze Halbmaske vom Gesicht nahm und mit seiner unverstellten Stimme mir zurief: „Ja, ja, Herr Doktor, ich bin es wirklich! … Grüß Gott! und wie unterhalten Sie sich in diesem Getriebe?“

Mir blieb bei dieser Erkennungsscene nun zwar nicht der Verstand stehen, aber mir blieb doch das Wort in der Kehle stecken. Und das ist begreiflich genug.

„Wie kommen denn Euere Hochwü –“

Nein, das ging doch nicht. Ich konnt’ ihn hier, von Dominos aller Farben und Klassen, von Bajazzos und Karikaturen umschwärmt, doch unmöglich als hochwürdigen Herrn anreden!

Nicht, daß ich ihm den Ausflug in die volle Weltlichkeit verargt hätte. Bewahre! Aber es wäre doch gegen alle Maskenfreiheit gegangen. Brauchten die verlarvten Maulaffen da rund herum, die uns mit Ohren und Ellenbogen nahe genug kamen, zu wissen, daß dies lachende Haupt einem regulirten Chorherrn, dem leibhaftigen, längst mit allen sieben heiligen Weihen und anderen Würden ausgerüsteten Pater Bibliothekar des Stiftes …

Nun ja, den Namen werd ich Euch nennen! Sollte mir einfallen! …

Also irgend eines hochangesehenen altberühmten Stiftes im Erzherzogthum Oesterreich ob oder unter der Enns angehörte. Das brauchte Niemand zu wissen, außer uns alten Freunden, die wir hier eben selbfünft oder -sechst bei einander standen und uns herzlich begrüßend die Hände schüttelten.

Von uns fiel es keinem ein, eine Bemerkung über das Hiersein des Paters zu machen. Und beim ersten Wort, das sich doch etwa wie Verwunderung deuten ließ, brach er in sein herzhaftes, in sein entwaffnendes Lachen aus, das mit einem heftigen: Nil humanum a me alienum puto so viel sagen wollte als: ich thue was mich freut, meine Heiligkeit ficht das nicht an, und ich bin es gewöhnt dem Teufel auf den Buckel zu springen, wenn ich ihm zwischen die Hörner spucken will.

Wir nahmen den kostbaren Mann in unsere Mitte, und ich bot ihm meinen Arm. So ruderten wir gemeinsam, langsam durchs lustige Gedränge, nicht ohne daß ich ihn ermahnt hätte, doch wieder die Larve vors Gesicht zu nehmen; denn er pflegte in wissenschaftlichen und wirthschaftlichen Angelegenheiten seines Klosters des Oefteren nach Wien zu kommen, und es mochte doch dieser oder jene sein Gesicht kennen und daran ein Aergerniß nehmen oder geben. Die Welt ist ja so dumm.

Er aber lachte nur wieder, ließ sein Angesicht leuchten vor dem Schwarme der Sünder, und wir gewöhntens in der nächsten Minute. Was gings auch uns weiter an! Es war ja sein Gesicht und nicht das unsere, das er zu Markte trug. Und überdies wurden die Gedanken hier bald genug abgezogen.

Da stoben ein Paar Bekannte heran mit wichtigen Mienen, als gält’ es den Staat und die Gesellschaft zu retten.

„Haben Sie die Wolter gesprochen? Sie soll da sein! Und die Baudius auch!“

„Nein, aber die Geistinger.“

„Ja, dort! Und da die Gallmeyer! Sehen Sie?“

„Fesche Pepi, grüß Dich Gott tausendmal!“

„Ach, geh weiter, ich bins ja gar nicht!“ …

„Sehen Sie doch dort den Riesendomino, schwarz mit gelb verbrämt! Waschechte Loyalitätsfarben bis in die Mummerei! Wie wird Ihnen?“

„Um Gottes willen! Das ist doch nicht die Baronin Y.?“

„Sie selber mit ihrem Leibhusaren, der bissigen Frau X., an der einen und dem Marineminister an der andern Seite. Rette sich wer kann!“

Wir stoben in wilder Flucht nach der entgegengesezten Seite. Die Menschenwoge schloß sich hinter uns. Wir neckten und wurden geneckt, erkannten jene Maske auf den ersten Blick und zerbrachen uns umsonst den Kopf, welcher allwissende Kobold etwa hinter dieser versteckt sein mochte.

Da versperrte der hübsche Baron Sperber den Weg, der nicht ohne Aerger und Ungeduld an einen schlanken Domino, welchen er Philomen nannte, wiederholte Aufforderung ergehen ließ, sich anständig zu betragen, er werde sonst andere Saiten aufziehen.

Dort schob mit fechtenden Armen der junge Hofrath Ixzet durchs Gedränge, um jeden Preis eine tiefverhüllte Frauengestalt verfolgend, die so auffällig und energisch vor ihm floh, daß er nicht umhin konnte, in ihr seine höchsteigene Gattin zu vermuthen.

Und wir lachten über den einen und lachten über den andern.

Ach, es war eine lustige Zeit! Ich möchte mich nicht als Lobredner der Vergangenheit aufspielen. Man kommt sich gar so alt dabei vor. Aber Gott verzeih mirs, es will mir wirklich scheinen, als unterhielten sich die jungen Leute von heutzutage nicht mehr so wie wir damals.

Das mag Sinnestäuschung sein. Es liegt wohl an einem selber. Aber Eins ist gewiß: Maskenbälle, wie wir sie damals im Theater an der Wien erlebten, die giebt es nicht wieder. Ich habe nirgend anderswo ihres Gleichen oder auch nur annähernd Aehnliches gefunden.

Von allem norddeutschen Mummenschanz gleich von vorn herein zu geschweigen, selbst die berühmten Pariser Opernbälle hab’ ich langweilig und gemein gefunden gegen jene heiteren Feste. Und was ich sonst in großer Herren Ländern Vergleichbares sah, durfte sich mit jenen Maskenbällen im klassischen Theater an der Wien erst recht nicht messen.

Da sah man im Schwarm, was gut und theuer war und was im Dienste der neun Musen sich berühmt gemacht hatte, da sah man auch alte und junge Staatsmänner, Börsengrößen und andere Narren, Frauen aus bevorzugten Ständen und Künstlerinnen, bei deren Namensnennung schon jedem Wiener das Herz höher schlug, und dazwischen Philomena und ihres Gleichen und schöne Frauen, die ihre eigenen Männer wider deren Willen beobachteten oder aber ihnen durchgingen, Reich und Arm, Hoch und Gering, Minister und Ballettänzer und selbst einen leibhaftigen regulirten Chorherrn, wie Figura dicht an meiner Linken zeigte.

Wir waren alte Bekannte, Pater Otto und ich – oder hieß er Pater Odilo? Ich weiß es heute nicht mehr recht; denn wir nannten ihn nicht anders als Pater Odysseus oder auch Pater Fuchs, weil er gar so schlau, durchtrieben und listig war und doch immer ein unbesorgtes, in Gott vergnügtes Wesen zur Schau trug.

Wir Beide hatten uns schon vor Jahren im lieben München, in Sybel’s historischem Seminar getroffen, woselbst der junge Kleriker auf einer Studienreise für längere Zeit einsprach. Zu unserem Befremden, denn Meister Sybel stand nicht eben in gutem Geruch bei der katholischen Klerisei. Aber dem Pater Odysseus war schon damals nichts Menschliches fremd, er nahm es mit der Wissenschaft ernst, war dabei in seinem Glauben und seinen Ueberzeugungen so sicher, daß er in einer ketzerischen, kleindeutschen Gelehrtenstube so wenig für sein Seelenheil zu fürchten brauchte, wie auf einem Maskenball im Theater an der Wien, und zudem mußten ihm schon damaliger Zeit seine Oberen mehr Freiheit und Zutrauen als Anderen gewähren, denen selten oder nie ein kurzer Sprung über die Klausur gestattet werden kann.

Pater Odysseus machte damals ganz unverfroren die historischen Uebungen und anderen gelehrten Zeitvertreib mit, war von dem Meister und den Kommilitonen gern gesehen, kein Kopfhänger und kein Spielverderber, dabei in allen Principienfragen unverhohlen ein starrer unangreifbarer Fanatiker mit lächelnder Miene. Und also lächelnd, starr und frohgemuth war er eines Tages auch wieder gegangen, wie er gekommen war.

Als vielbeschäftigten Bibliothekar des Stiftes Dingsda hatt’ ich ihn unverhofft wiedergefunden, wo ich die Erlaubniß um Einsicht in die Schätze der berühmten Bücherei an einen Wildfremden zu richten gedacht hatte.

Also knüpften sich im kühlen Bücherschatzhause des reichen waldumfriedeten Klosters alte Fäden aufs Erfreulichste wieder an. Wie schon gesagt, Pater Odysseus sprach auch manchmal in der Hauptstadt ein und gab die Besuche zurück, die ich ihm in seiner Zurückgezogenheit machte. Es kam auch vor, daß er die Nacht über in Wien blieb und dann an unseren fröhlichen Gelagen in der „Goldenen Ente“ Theil nahm, ein nicht sehr gesprächiger, mäßiger, aber immer heiterer Tischgenosse, der sich nur alle politischen Gespräche ein- für allemal verbat. Er trug in der Stadt nicht das mönchische Gewand, sondern die Kleidung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_728.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2024)