Die Angelegenheit mit dem mysteriösen Auto hat sich als harmlos herausgestellt. Es handelte sich um eine Schwarzfahrt eines militär. Fahrers. – Die Familie des Gauleiters Schwede-Coburg ist, wie sich herausstellt, noch nicht hier, wird aber täglich erwartet. Die Flüchtlingsfrau mit ihren 4 Kindern, die bei Dr. Lewerenz wohnt, weigert sich, das Haus zu räumen. –
Heute Abend gehen wir wieder zu Frau Longard, die eines aufmunternden Zuspruches sehr zu bedürfen scheint.
Die Marine-Helferin Regina Treffer, die heute bei der Andacht in Zivil erschien, erzählte Genaueres über den Unfall, den Dr. Krappmann erlitten hat u. von dem ich gestern hörte. Danach ist Dr. K. auf einem Lastauto gewesen. Der Wagen wurde unterwegs von Tieffliegern angegriffen. Dr. K. scheint in voller Fahrt abgesprungen zu sein. Der Schofför hat dann, als er merkte, daß er von hinten angegriffen wurde, gebremst u. ist ebenfalls abgesprungen. Nach dem Angriff ist er auf die Suche nach Dr. K. gegangen, den er mehrere 100 mtr. weiter zurück bewußtlos auf der Straße gefunden hat. Er hat ihn mit seinem Wagen dann dorthin gefahren, wohin er die Familie des Dr. K. gebracht hat. Dort hat man ihn ins Lazarett gebracht, wo er aber bis zur Abfahrt des Autos das Bewußtsein nicht wiedererlangt haben soll. Das Auto selbst ist dann auf der Rückfahrt hierher nochmals verunglückt, indem es in einen Bombentrichter hineinfuhr. Weiter weiß ich nichts. Hoffentlich kommt er durch, es wäre sehr traurig, wenn dieser sonst so angenehme u. sympathische Offizier in den letzten Minuten dieses Krieges noch ums Leben käme.
Gestern am späten Nachmittag große Aufregung: es wurde bekannt, daß in Althagen ausgeklingelt worden war, daß das ganze Fischland innerhalb von 5 Std. geräumt werden solle. Nur wehrfähige Männer sollten dableiben. Diese Nachricht war einfach unfaßlich, denn es war ja nicht einzusehen, wohin diese Leute gehen sollten. Dennoch bewahrheitete sich die Nachricht. Zwar hörte ich, daß Leute wie Koch-Gotha, Frau Müller-Bardey u. Frau Noelle sich weigern wollten, der Anordnung Folge zu leisten u. ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß die Bauern u. Büdner der Anordnung nachgekommen sein sollten; aber man kann nicht wissen, mit welchen Gewaltmaßnahmen die Leute gezwungen werden. Jetzt eben ist es 1/2 10 Uhr u. unsere Trude ist noch nicht hier, sie kommt sonst spätestens um 1/2 9 Uhr. Sollten die Menschen wirklich zum Verlassen ihrer Heime gezwungen worden sein, so wäre das noch zum Schluß das größte Verbrechen, das von diesem idiotischen Gauleiter Hildebrand begangen worden ist. Die Leute würden auf die Landstraßen getrieben als wehrlose Beute der Tiefflieger u. es wäre nirgends auch nur die Möglichkeit, diesen Leuten eine neue Unterkunft zu geben. Der Obergefr. Mehlis war bei uns u. berichtete, daß man in der Batterie von dieser Maßnahme der Partei nichts gewußt hätte. Er berichtete aber auch weiter, daß ab heute der Darss von der SS vollständig abgesperrt sei, sodaß niemand von hier nach Born oder Prerow gelangen kann. Auch davon wußte die Batterie nichts, es ist ihr nichts mitgeteilt worden. Es ist offenbar, daß im Darss schon seit längerer Zeit geheimnisvolle Dinge vor sich gehen. –
Der Krieg geht inzwischen weiter. Wir hatten heute morgen Strom u. konnten außer dem Soldatensender zw. 4 – 6 Uhr
Hans Brass: TBHB 1945-04-29. , 1945, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-04-30_001.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2024)