ADB:Müller, Otto (Romanschriftsteller)
Herm. Allmers u. A. von diesem schweren Schicksalsschlag erholte. Im Frühjahr 1854 ging er nach Frankfurt a. M. zurück, leitete hier kurze Zeit im Auftrage der Meidinger’schen Verlagsbuchhandlung die „Deutsche Bibliothek“, jene weit verbreitete Sammlung deutscher Originalromane, die aufs glänzendste mit berühmt gewordenen [528] Romanen eines Th. Mügge, H. Kurz, G. Kühne, V. J. Scheffel u. A. debütirte, und gründete darauf mit Th. Creizenach und Ludw. Braunfels die ästhetische Wochenschrift „Frankfurter Museum“. Im Spätherbst 1856 schloß M. mit der Schwester seiner verstorbenen Gattin eine neue Ehe und lebte er seitdem in unausgesetzt fleißiger schriftstellerischer Thätigkeit in Stuttgart. Dort starb er am 6. August 1894.
Müller: Otto M., geboren am 1. Juni 1816 zu Schotten am Vogelsberg in Hessen, erhielt seine erste Bildung auf den Gymnasien zu Büdingen und Darmstadt und wollte sich zuerst auf den Wunsch des Vaters der Theologie widmen, änderte aber nach dem Tode desselben seinen Lebensplan und wählte die kameralistische Laufbahn. Indessen gab er auch diese bald wieder auf, um 1836 die Stelle eines Bibliothekars an der Darmstädter Hofbibliothek anzunehmen, mit welcher später die eines Privat-Bibliothekars des Prinzen Karl von Hessen und bei Rhein verbunden wurde. In diesen, seinen Neigungen und seinem Wissensdrange, besonders auf historischem Gebiete, zusagenden Verhältnissen verblieb er bis 1843, wo er die Redaction des zur fürstlich Thurn- und Taxisschen Oberpostamts-Zeitung gehörenden belletristischen Blattes, „Frankfurter Conversationsblatt“, übernahm, das unter seiner Leitung und Anregung in ästhetischer und litterarischer Hinsicht einen bedeutenden Aufschwung nahm, und an dem sich bald vorzügliche jüngere, später in weitesten Kreisen bekannt gewordene Talente betheiligten. Im J. 1848 trat M., einem Rufe der liberalen Partei folgend, unter den schwierigsten Verhältnissen zur Redaction des „Mannheimer Journals“ über, welches während der Zeit der badisch-pfälzischen Anarchie unter Müller’s besonnener Leitung das einzige unabhängige constitutionelle Organ blieb, das ungeachtet seiner entschieden freisinnigen Tendenz dennoch die Interessen der rechtmäßigen, im Auslande weilenden Regierung vertrat. Wie man nach der Pacifikation des Landes dieses loyale, muthige Verhalten Müller’s in solcher exponirten Stellung gelohnt hat, gehört nicht hierher. Mit Recht konnte er, dem selbst seine politischen Gegner Achtung und Anerkennung zollten, von sich sagen, er sei stolz darauf, daß die Reaction ihm für seine, dem Landesherrn und der gesetzlichen Ordnung geleisteten Dienste mit keinem anderen Dank gelohnt habe, wie mit dem bekannten „Dank vom Hause Oesterreich“. Inzwischen hatte M. sich durch seinen ersten Roman „Bürger“ als Schriftsteller vortheilhaft eingeführt, durch denselben auch die Liebe seiner nachmaligen Gattin Gustava, geborenen Fritze aus Bremen, erworben. Leider verlor er dieselbe schon im J. 1852 durch den Tod, nachdem sie ihm einen Sohn geschenkt, und er siedelte nun nach Bremen über, wo er fast zwei Jahre im angesehenen Hause der Schwiegereltern weilte und sich im Umgange mit treuen Freunden, wie Thomas Arens, F. Ruperti, F. Pletzer,Man hat M. von verschiedenen Seiten in der Presse den, allerdings ehrenden, Vorwurf gemacht, er habe es niemals verstanden, die Lärmtrommel für sich zu rühren, und habe es verschmäht, sich zu einer praktischen Auffassung seines Berufes zu animiren; aber er konnte – wie er mir schrieb – „es nun einmal schlechterdings mit seinem Wesen nicht vereinbaren, sich um den materiellen Erfolg seiner Arbeiten viel zu bekümmern; wenn das Buch möglichst fehlerfrei gedruckt war, so hatte er seiner Meinung nach seine Schuldigkeit gethan, und da er nicht so glücklich war, daß der eine oder der andere bedeutende Zeitgenosse sich damit zufrieden erklärte, so war er in seinem Gemüthe beruhigt und hatte auch meist schon eine neue Arbeit unter der Feder, die seinen ganzen Brüteeifer neuerdings absorbirte, so daß er das ausgeschlüpfte Küchlein ruhig seinem Schicksal überließ“. Müller’s erstes Werk war ein Drama „Rienzi“ (1839), das als Manuscript gedruckt wurde und deshalb ganz unbekannt geblieben ist, aber von Gutzkow in seinem „Telegraphen“ einer ganz besonderen Achtung gewürdigt ward. Alle übrigen Werke Müller’s sind Romane und Novellen, und darin zeigt er sich als ein tüchtiger, ernst zu nehmender und hochverdienter Poet von gesundem Realismus und idealer Gesinnung. „Er hält in seinen Productionen an der Weise des echten deutschen Romans fest, indem sie ihre Inspirationen aus der Tiefe des Gemüths schöpfen, häufig einen lyrischen Grundton vorwalten lassen und einen Zug nach dem Idealschönen offenbaren. Die Darstellung des inneren Lebens bildet den Hauptreiz seiner Schöpfungen. Sie sind die Producte eines nicht bloß berechnenden, scharf combinirenden Verstandes, sie verrathen auch niemals Spuren moderner Blasirtheit, sondern athmen eine warme, hingebende Frische und Lebendigkeit, welche die Herzen gewinnt; und nur selten hat sich M. den reinen Strom seiner auf allgemein menschlichen Intentionen beruhenden Schöpfungen durch das Beiwasser der Tendenz trüben lassen.“ „Bürger. Ein deutsches Dichterleben“ (1845; 3. Aufl. 1870) ist ein biographischer Roman, der mit der ersten Hochzeit Bürger’s beginnt, durch ausführlich psychologische Entwicklung des Charakters Bürger’s Theilnahme für den Dichter zu wecken und das Verhältniß zu Molly, der Schwester seiner Frau, so darzustellen sucht, daß das sittlich Anstößigste bedeckt bleibt. Ein zweiter biographischer Roman ist „Charlotte Ackermann. Hamburger Theaterroman“ (1854), in dem nur die letzten Lebensjahre der talent- und gemüthvollen Künstlerin dargestellt werden, welche sich in unseliger Verblendung von dem wüsten Werbeofficier Major v. Sylburg fesseln und ins Verderben ziehen läßt. Der Roman ist auch noch besonders werthvoll durch seine culturhistorische Unterlage; es werden uns nämlich darin die Theaterzustände in Hamburg zur Zeit Lessing’s und die damals berühmten Schauspieler Schröder, Eckhof, Brockmann u. A. in lebendigster Darstellung vorgeführt. Ferner gehören hierher „Eckhof und seine Schüler“ (II, 1868), ein Roman, von dem der berühmte Schauspieler Theodor Döring bekannte, er sei der einzige gewesen, bei dessen Lesen er Thränen vergossen habe; „Der Professor von Heidelberg“ (III, 1870; 2. Aufl. 1881), der uns ein unheimliches Lebensbild des Professors und Dichters Lotichius bietet; „Altar und Kerker“ (III, 1884), der das Schicksal des edlen hessischen Pfarrers Frdr. Ludw. Weidig († 1837) behandelt.
[529] Zu den culturhistorischen Romanen sind zu zählen „Der Klosterhof. Ein Familienroman“ (1859; 2. Aufl. 1862), „Aus Petrarca’s alten Tagen“ (II, 1862), „Petrus von Vinea“ (Novelle, im Frankfurter Conversationsblatt, 1846), „Diadem und Maske“ (III, 1875), „Schatten und Höhen“ (II, 1881; 2. Aufl. 1884); zu den historischen „Die Mediatisirten“ (II, 1848), „Georg Volker. Ein Roman aus dem Jahre 1848“ (III, 1851), „Roderich. Eine Hof- und Räubergeschichte aus dem Jahre 1812“ (II, 1861), „Der Wildpfarrer“ (III, 1866) und „Der Fall von Constanz“ (III, 1872). Eine Reihe anderer Romane und Erzählungen, wie „Der Majoratsherr“ (1873), „Der Postgraf“ (II, 1876), „Der Stadtschultheiß von Frankfurt“ (1856, 3. Aufl. 1878), „Der Tannenschütz“ (1851), die „Erzählungen und Charakterbilder“, Andrea del Castagno – Die Liebe im Grabe – Der Museumsweiler – Der Delicatessenhändler (III, 1865), „Zwei Sünder an einem Herzen“ (II, 1863), „Die zwei Krüglein“ (1868), „Die Förstersbraut von Neunkirchen“ (1868), „Monika“ (1872), „Münchhausen im Vogelsberg“ (1875) behandeln das gesellschaftliche Leben oder das Leben der Bewohner Oberhessens, des Vogelsberges, und die Erzählungen der letzteren Art haben dadurch einen besonderen Reiz, daß in ihnen auch die dem Dichter innewohnende, nicht geringe Gabe des trockenen Humors und der behaglichen Einzelmalerei mehr zur Geltung kommt.
- Persönliche Mittheilungen. – Ueber Land und Meer, Jahrg. 1874, S. 1034 und Jahrg. 1888, Nr. 32. – Heinrich Kurz, Litteraturgeschichte, Bd. 4, S. 792. – Karl Leimbach, Die Dichter der Neuzeit und Gegenwart, Bd. 7, S. 64.