Das 450jährige Jubelfest der Befreiung Bernaus von den Hussiten
Das 450jährige Jubelfest der Befreiung Bernaus von den Hussiten.
Die Hussitenkriege bilden eine ruhmvolle, zugleich aber auch prüfungs- und bedeutungsvolle Periode der alt-brandenburgischen Geschichte; ruhmvoll war jene Zeit, weil es der vereinten Kraft des alt-brandenburgischen Bürgerstandes, unterstützt durch die aufblühende Hohenzollernmacht, gelang, die bisher noch nie besiegten Heeresschaaren der böhmischen Glaubensstreiter kraftvoll zurückzuweisen, ja sogar zu zerschmettern; schwer aber waren die der Mark Brandenburg damals beschiedenen Apriltage des Jahres 1432, denn diese hatte die ganze Wucht des andringenden Hussitenheeres auszuhalten: verbrannte Städte und Dörfer kennzeichneten den Weg dieser Horden.
Die erste Niederlage erlitten die Hussiten am 23. April 1432 vor Bernau, einem Städtchen unweit Berlin, und dieser historischen Gedenkfeier galt das Jubelfest, welches am 15. Mai dieses Jahres Bernaus Bewohner begingen.
Die geschichtlichen Thatsachen, auf denen das Erinnerungsfest beruht, sind folgende: das Concil war in Basel versammelt; Kurfürst Friedrich der Erste von Brandenburg, der treueste Rathgeber des Kaisers Sigismund, wohnte demselben bei, und der Schutz der Mark war von ihm seinem ältesten Sohne Markgraf Johann für die Zeit seiner Abwesenheit übertragen worden. — Um auf die Entschließungen des Baseler Conciles einen Druck auszuüben, rückten die Hussiten unter Procop mit Frühlingsanfang 1432 längs der Oder in die Mark Brandenburg ein.
Bereits am 6. April erfolgte ein Ansturm der Hussiten auf Frankfurt an der Oder, ohne jedoch wesentlichen Erfolg zu haben, und ebenso endete ein am 13. April unternommener zweiter Versuch. Die Folge dieser mißlungenen Unternehmungen war die, daß sich die Hussiten in zwei Theile theilten: eine Abtheilung derselben wandte sich nach Pommern, während der größte Theil unter Kosca sich anschickte, in der Mark weiter vorzurücken. Die nunmehr sich vollziehenden Brandschatzungen und Gewaltthätigkeiten brachten über die Mark ein furchtbares Elend: einige Städte kauften sich freilich durch schwere Geldopfer los, die Mehrzahl derselben wurde jedoch mit stürmender Hand genommen und verbrannt; Lebus und Müncheberg bildeten bereits am 20. April rauchende Trümmerhaufen. Schrecken und Entsetzen vor den verübten Gräueln jagten die Landbevölkerung in die vom Feinde noch verschonten Städte, und diese erblickten in der Vertheidigung und der Aufbietung aller Kräfte das alleinige Mittel, um dem Loos der anderen Städte zu entgehen.
Der Markgraf Johann, welcher fremde Hülfstruppen zur Vertheidigung des Landes heranzog, hatte inzwischen beschlossen, in offener Feldschlacht den Hussiten gegenüber zu treten, vor Frankfurt sollte das Schwert entscheiden.
Zu dieser Schlacht sollte es jedoch nicht kommen. Vielmehr hatte Kosca, der nach der Niederbrennung von Alt-Landsberg und Straußberg sich am 2l. April gegen Bernau gewandt hatte, hier am 23. April einen Empfang gefunden, der ihm und seinen Horden weitere Raub- und Streifzüge in der Mark für immer verleidete.
Bernau, der Sage nach von Albrecht dem Bären bei Gelegenheit einer Jagd gegründet, war durch eine Steinmauer und zwei Gräben vor Ueberrumpelung gesichert. Diese Mauer hatte drei Thore, und das eine derselben, das Steinthor, wurde durch einen Thurm flankirt. Der schwächste Punkt der Befestigung war das Mühlenthor, welches nur durch zwei Schulterwehren geschützt war. Die Bewohner Bernaus selbst betrieben damals fast ausschließlich das Brauereigewerbe; fast jedes Haus war ein Bierhaus, und
[425][426] unter solchen Verhältnissen war es für die Bernauer ein Leichtes, heißen Brei und Wasser als Mittel zur Vertheidigung zu benutzen.
So lagen die Verhältnisse, als Kosca am 2l. April nördlich der Stadt vor dem Mühlenthor auf den dortigen Feldern mit seinen Schaaren die Wagenburg aufschlug. Mit Schrecken und Bangen sahen die Bernauer von der Stadtmauer herab, wie der Feind die Vorbereitungen zum Angriff traf; mit fieberhaftem Eifer wurden in der Stadt alle Vertheidigungsmittel an die Mauer herangeschafft; Alles bereitete sich zum energischsten Widerstande vor.
Der Angriff ließ auch nicht lange auf sich warten. Während der Tage vom 21. bis 23. April wurde von den Hussiten die St. Georgs-Capelle vor dem Mühlenthor zerstört; einen Angriff über dieselbe hinaus auf die Stadtmauer wagten sie jedoch für's Erste nicht zu unternehmen, denn sie hatten die energischen Maßregeln der Bernauer gesehen; dennoch ließen sie sich am 23. April zu solchem verleiten. Der Erfolg war ein kläglicher; denn der von der Bevölkerung herabgegossene „heysse Brei“ hatte den feindlichen Schaaren bedeutende Verluste bereitet. Erbittert über den ihnen geleisteten Widerstand und durch die gehabten Verluste eingeschüchtert, standen die Hussiten von weiteren Sturmversuchen ab, zogen sich in ihre Wagenburg zurück und beschränkten sich lediglich auf die Beobachtung des Mühlenthores und seiner Umgebung.
Die Kraft der Bernauer Bürger war durch diese rasenden Angriffe, wenn auch nicht gebrochen, so doch beinahe erschüttert worden. Persönliche Kraft vermochte nichts mehr, und man griff deshalb zur List: das Bernauer Bier sollte die Hussiten verderben.
„War einst ein Brauer in Bernau,
So lang als dick so fromm als schlau!“
So beginnt Schmidt-Cabanis sein „Bernauer Biermärlein“! — Und dieser Brauer war der Sohn des Stadtsyndikus Bütten! Er schlug vor, eine große mit „Tollkirschen, Quassianholz und sonstigem Teufelszeug“ versetzte Quantität des Bernauer Bieres auf Wagen zu laden und diesen Transport aus dem Berliner Thore so zu dirigiren, daß er absolut den Hussiten in die Hände fallen müßte. Dieser Vorschlag wurde mit Freuden begrüßt und angenommen. Die List gelang. Die Hussiten nahmen den Transport mit großem Jubel in Empfang und überließen sich mit noch größerem Behagen dem Genusse des Bieres. Die Wirkung dieses aus „Quassianholz, Tollkirsche und sonstigem Teufelszeuge“ zusammengesetzten Getränkes konnte nicht ausbleiben — ein tiefer Schlaf übermannte bald das ganze hussitische Lager.
Durch genaue Nachrichten waren die Bernauer über die Vorgänge im Hussitenlager unterrichtet worden, und man beschloß, den günstigen Augenblick zu einem Ueberfall zu benutzen. Unter Zurücklassung der nöthigen Posten auf der Stadtmauer rückte, den Bürgermeister Lüttcke an der Spitze, der waffentragende Theil der Bernauischen Bevölkerung auf Schleichwegen an das Hussitenlager; die böhmischen Wachtposten waren bald überrumpelt; die Bernauer bestiegen die Verschanzungen, machten Alles, was sich ihnen entgegenstellte, nieder, und nur ein Theil der Hussiten rettete sich in den nahe gelegenen Wald; selbst dem grimmen Hussitenführer Kosca gelang es nur mit Mühe, auf einem fremden Pferde zu entfliehen. — Das ganze Hussitenlager fiel in die Hände der Bernauer, und die noch heute im Bernauer Rathhause aufbewahrten Beutestücke, unter andern der Küraß und die hölzerne Bratenschüssel Kosca's, sind sprechende Beweise für den Umfang der damals gemachten Beute.
So lebt im märkischen Volksmunde die Geschichte der Belagerung und Befreiung Bernaus. Geschichtlich läßt sich indeß nachweisen, daß durch die glücklich bestandene Belagerung Bernaus allein die Vertreibung der Hussiten nicht herbeigeführt worden ist; auf Grund der historischen Quellen ergiebt es sich nämlich, daß Markgraf Friedrich der Zweite mit 6000 Brandenburgern den belagernden Hussiten in den Rücken fiel, während zugleich die Bernauer einen Ausfall auf den Feind gemacht hatten; nach denselben Quellen fand auf dem „Ruthenfelde“ vor Bernau (Feld vor dem jetzigen Bahnhofe) in Folge dieses gemeinschaftlichen Zusammenwirkens eine Schlacht statt, in welcher die Böhmen total geschlagen wurden.
Die Idee und Ausführung einer würdigen Feier jenes vierhundertfünfzigjährigen Gedenktages in Bernau ist in erster Linie den Bemühungen des dort lebenden bekannten Geschichtsforschers, Herrn Dr. Jacobsen, in zweiter dem aus Bernauer Bürgern bestehenden Festcomité zu danken. Fiel dem letzteren ausschließlich die Erledigung der örtlichen Festarrangements zu, so hatte Herr Dr. Jacobsen die Absicht, dem Feste auch einen künstlerischen Werth zu verleihen, und diese Idee fand einen lebhaften Widerhall in den Berliner Künstlerkreisen. Der Erfolg war, dank dieser Theilnahme, der Art, daß man wohl behaupten darf: das Bernauer Hussitenfest war ein echt deutsches Künstlerfest.
Der Plan des Herrn Dr. Jacobsen fand in dem Maler Herrn C. Röchling-Saarbrücken und dem Herrn Professor von Heyden die lebhafteste Unterstützung. Alle drei Herren entwarfen Costümbilder der damaligen Kriegertracht, und den freudig beistimmenden Jüngern der Kunst, dem Berliner Künstlerverein und den Kunstakademikern blieb es überlassen, auf Grund dieser Bilder sich selbst zu „equipiren“. Ein lebhaftes Schaffen und Treiben regte sich schon wochenlang vor dem Feste in den Berliner jüngeren Malerkreisen; die Mittel zur Beschaffung der Costüme waren gering, und die leihweise Ueberlassung derselben aus Berliner Staatsinstituten stieß vielfach auf Schwierigkeiten; somit blieb nichts Anderes übrig, als selbst Hand anzulegen. Fürwahr! So mancher Künstler, vielleicht einst eine Koryphäe der Zukunft, hat, mit Nadel und Scheere bewaffnet, sich in seinem Atelier das Hussiten- oder Brandenburgerwams selbst angefertigt, und so ist denn auch der nähende Künstler auf dem hübschen Wittig'schen Initial, welches unsern heutigen Artikel schmückt, wirklich dem Leben abgelauscht.
Es handelte sich nicht um schmuckes, tadellos propres Aussehen, sondern um die gewissenhafte Darstellung der Wirklichkeit; es galt, das ernste Werk des Krieges in den Costümen und der Ausrüstung in gleicher Weise plastisch zur Darstellung zu bringen, wie die Wirklichkeit von damals sie vorschrieb. Und die Liebe und Treue zur Sache hat reichliche Früchte getragen: die Costüme waren mit bewundernswerther Gewissenhaftigkeit und den geringsten Mitteln geschaffen; einfache Kaffeesäcke, unten und oben angeschnitten, mit Adler- und Sternenbildern besäet und mit Tuchkanten besetzt, dienten als Wämse; alte, in historische Form gebrachte Filzhüte, mit Graphit überstrichen, vertraten den Helmpanzer; aus Pappe täuschend nachgemachte Brustpanzer, Morgensterne, Sensen, Lanzen, Dreschflegel mit eisernen Spitzen besetzt, Streitäxte, Hämmer, Bogen, Büchsen — alle diese Geräthe waren das Ergebniß langtägiger Arbeit: die Kunst hatte aus geringem Stoff Großartiges gebildet. Das Mittelalter schien wieder auferstanden; das Hussitenwesen zeigte sich in seinem malerischen Schmuck, ebenso aber auch in seiner bizarren Zerlumptheit und Naivetät der Sitten.
Sehr trübe gestalteten sich die Auspicien am Festtage: Regenwetter, mit Hagel untermischt, war ein schlimmes Prognostikon für das Fest, und schon der Anblick der durch den Regen durchnäßten Hussiten- und Brandenburger-Gestalten stimmte das Gemüth herab. Mit der Ankunft des kronprinzlichen Paares stellte sich indessen das Hohenzoller-Wetter ein.
Am Bahnhofe mit Ansprache und Begrüßung empfangen, zog das kronprinzliche Paar durch das Königsthor in die Stadt ein; an demselben hatten sich die Ehrendamen — in mittelalterlicher Tracht, langen Kleidern in „Gretchen-Art“ mit langer Schleppe, den Kopf zum Theil mit weißen spitzen Hauben bedeckt, zum Theil mit einem Hopfenblüthenkranz im Haar — auf einer Estrade niedergelassen, von welcher aus eine Begrüßung des kronprinzlichen Paares und die Ueberreichung von Bouquets erfolgte. Auf der beigegebenen Abbildung (S. 428) versuchte der Künstler möglichst getreue Portraits dieser liebenswürdigen „Ehrenjungfrauen“ den Lesern vor die Augen zu führen. Hierauf begaben sich die hohen Gäste nach der Marien-Kirche, wo der Festgottesdienst stattfand, darauf nach der St. Georgs-Capelle vor dem Mühlenthor, in welcher sie durch den „Kürfürsten von Brandenburg“ mit drei Rittern ehrerbietigst empfangen wurden. Ein Frühstück im Rathhause — dem kronprinzlichen Paare von der Stadt Bernau gegeben — beendete diesen ersten Theil der Festfeier.
Inzwischen lagerten die Hussiten, friedlich mit den Bernauern und Brandenburgern vereint und „lechzend nach Bernauer Bier“, vor dem Mühlenthor. Der Anblick dieser wilden Gestalten, das bunte Durcheinander, war ein ungemein farbenprächtiger und bizarrer, wie auch die Eigenthümlichkeit des im Festzuge darzustellenden Bildes gerade hier noch mehr als beim Festzuge in den Vordergrund trat. Die wilden Horden bewegten sich im buntesten Gewimmel unter einander, wilde Rufe wie: „Slava“, „Zivio“ erschütterten die Luft — das Mittelalter schien vor dem Mühlenthor alle seine Furien [427] entfesselt zu haben, und die eigenthümlichen Waffen und Costüme wirkten auf den Beschauer fast sinnverwirrend — es war eben Alles echt und historisch treu, Alles künstlerisch.
Um eineinhalb Uhr begann der Festzug. Der Kronprinz hatte auf der Rathhaustreppe Stellung genommen, um dem sich nunmehr entwickelnden Festreigen zuzuschauen.
Ob es nothwendig war, daß dem Festzuge circa ein halbes Dutzend Gensd'armen vorauf ritt, mag hier unerörtert bleiben; jedenfalls berührte diese Maßregel eigenthümlich. Auch übergehen wir die Aufzüge der Schützen und Turner von Bernau; ihr Auftreten erinnerte stark an die modernen Schützen- und Turnfeste.
Diesem Vortrabe folgte der eigentliche Festzug; eröffnet wurde er durch die Brandenburger, welche 1432 den Bernauern von Spandau aus zu Hülfe eilten; voran schritt ein Trompeter, dahinter der Bannerträger und hinter diesen, im pelzverbrämten Gewande inmitten seiner Mannen, der Kurprinz (nachmaliger Friedrich der Zweite), welcher sich damals vor Bernau die ersten Sporen verdiente; seine Umgebung bestand aus dem Feldhauptmann und den sich zu jener Zeit in Spandau aufhaltenden fürstlichen Personen. Zwölf berittene Brandenburger schlossen sich an diese an; ihnen folgte das brandenburgische Fußvolk. (Vergl. unsere Abbildung Seite 425.)
Es war ein buntes, farbenprächtiges Bild. Die kriegerischen Gestalten, die phantastische Kleidung, die stählernen, mit emporstarrenden Federn geschmückten Kopfbedeckungen, das bunte Gemisch von Waffen, die urwüchsigen Pantomimen und Geberden mußten auf den Beschauer den Eindruck des Vollendeten machen. Bogen- und Armbrustschützen beschlossen diese Scenerie. Rühmend sei hierbei der Herren Bildhauer Hoffmann, Paulssen und Thomas gedacht, welche sich um die Organisation der „Brandenburger“ besonders verdient gemacht haben. Der „Schmied von Bernau“ (Herr Thomas), der „Münzjude“ (Herr Salzmann, Theilnehmer an der Reise des Prinzen Heinrich um die Welt) und viele Andere waren Erscheinungen, wie sie künstlerisch vollendeter nicht gedacht werden konnten.
Ein grelles Farbenbild boten die den Brandenburgern folgenden Bernauer. Bogenschützen und Lanzenträger umringten das Stadtbanner; ihnen folgten, gemessenen Schrittes und auf den Stab gestützt, der Bürgermeister von Bernau (Herr Maler Hertel) und die Stadträthe; an sie reihte sich der in rothe Tricots gekleidete Scharfrichter mit der Schandmaske, Ketten und Stricken im Gürtel; ihm folgten die Geistlichkeit, Bernauer Bürger und der Ablaßkrämer mit dem Hundewagen. Die Verschiedenheit der Farben war überraschend; die getreue Wiedergabe derselben hätte wohl selbst dem farbengewandten Makart Schwierigkeiten gemacht.
„Die Hussiten, die Hussiten!“ So ertönte es aus tausend Kehlen, als die böhmischen Glaubensstreiter mit landesüblicher, ohrenzerreißender — aber historischer — Musik (Dudelsack, Violine, Tambourin etc.) durch das Mühlenthor hereinzogen. War man schon vorher im Publicum davon unterrichtet, daß der Glanzpunkt des Festes der Hussitenzug sein würde, so wurden doch alle Erwartungen durch die nunmehr folgende Scenerie übertroffen: die Naturwahrheit konnte nicht drastischer zum Ausdruck gelangen, als in dem Hussitenzuge; der Anblick dieser verwegenen, herculischen Gestalten wirkte fast beängstigend. (Vergl. S. 429.)
Unter Vortragung der Hussitenfahne, der die böhmische folgte, zogen die kampflustigen Gesellen wie eine Heerde Wilder dahin; das Haar unter der phantastischen Kopfbedeckung wild herabhängend, den Oberkörper bedeckt mit Bären- und Schafpelzen, bekleidet mit Rüst- und sonstigen Panzerstücken, bewaffnet mit Morgensternen, Lanzen, Keulen, Aexten, Hämmern, gerade gebogenen Sensen! In diesem Zuge befanden sich außerdem Troß- und Streitwagen, von Ochsen gezogen und mit widerlich häßlichen Hussiten besetzt; die Reiter saßen auf fast unbekleideten Pferden; anderes Fußvolk schleppte Sturmleitern und Beutestücke mit sich, und auf einem der Troßwagen stand ein hussitischer Prediger, den Schaaren den Segen spendend; zerlumpt, mit blutigen Binden über den zerfetzten Gesichtern und um die Köpfe, Stroh in den Schuhen, zogen die böhmischen Glaubensstreiter an dem Zuschauer vorüber, und als sie vorbei waren, fragte man sich unwillkürlich: „Traum oder Wirklichkeit?“ Denn man hatte ja soeben die Hussitenzeit in der treuesten Wirklichkeit gesehen.
Die hervorragendsten Hussitenfiguren waren: Kosca, der grimme Hussitenführer vor Bernau, dargestellt durch Herrn Lessing, Sohn des Malers der „Hussitenpredigt“. Eine reckenhafte Erscheinung, bekleidet mit einem wahrhaft infernalischen Costüm, auf dem Haupte einen zweifelhaften Filz mit mächtigen Adlerflügeln, über dem Rücken ein Riesenschaffell, bis an die Zähne bewaffnet! Herr Dr. Jacobsen war als Hussit mit eherner Helmkappe und mit einem ungeheuren Bärenfell bekleidet; Herr Röchling figurirte als Bannerträger. Humoristisch berührte der von den Hussiten in czechischer Sprache oft wiederholte Ruf: „piwo, piwo, piwo cervené!“ („Bier, Bier, braunes Bier!“), welcher an die oben erwähnte Episode aus der Belagerung Bernaus erinnerte.
Der Festzug war mit dem Aufzuge der Hussiten beendet, und das kronprinzliche Paar, von dem Gesehenen sichtbar erfreut, verließ nun die kleine Provinzialstadt, aber die wilden Horden begannen jetzt Bernau als ihre Stadt zu behandeln; „Künstlervolk — ein leichtlebiges Volk“! Gruppenweise zog man durch die Straßen; die Hussitencapelle brachte bald hier, bald dort ein Ständchen, ja sogar ein Minnesänger ließ von der Rathhaustreppe herab seinen Gesang erschallen.
Der Raum gestattet uns leider nicht, auf die am Nachmittage stattgefundene „Hussitenfahrt“ nach Lanke, einem dem Grafen Redern gehörigen Grundbesitze, hier einzugehen; erwähnt sei nur noch, daß dort im frischesten Waldesgrün trotz der ungünstigsten Witterung der ungetrübteste Frohsinn und echt künstlerisches Leben vorherrschend waren. Eine herrliche Scenerie bot sich dem Auge dar, als der bunte Zug, auf Leiterwagen placirt, die Fahrt nach Lanke antrat.
Abends nach Bernau zurückgekehrt, durch die kriegerische Thätigkeit am Tage ermattet, traten die Künstler die Rückfahrt nach Berlin an. — Jeder von ihnen konnte mit Genugthuung das Bewußtsein mit nach Hause nehmen, sein Bestes zu einer hervorragenden Feier beigetragen zu haben.
Hoffen und wünschen wir, daß nach diesem Erfolge die bekannte Schwerfälligkeit und Abneigung des Nord- und Mitteldeutschen gegen solche historische Gedenkfeier mehr und mehr schwinden wird! Gerade durch solche Feier vaterländischer Gedenktage wird das Nationalbewußtsein wach und rege erhalten!