About: In World War II the Japanese „Unit 731“ developed and tested biological weapons in Manchuria. A museum in Pingfang, China, commemorates one of the most horrendous nadirs of human history.
Pri: En la ĉina urbo Pingfang (apud Harbin) muzeo memoras militkrimojn de la japana „armeparto 731“, kiu produktis kaj testis biologiajn armilojn dum la dua mondmilito.
Sponsors, Sponsoroj: IJP, Krupp-Stiftung
Published, Aperis: Der Standard, 7.12.2001
Die tödliche „Abteilung für Wasserreinigung“
Die japanischen Einheit 731 war ein von Militärs und Wissenschaftern geführtes Vernichtungslabor. Im Zweiten Weltkrieg experimentierte sie an Hunderttausenden Chinesen mit Milzbrand, Pest und Cholera. Danach wurde jahrzehntelang geschwiegen oder verharmlost. Erst jetzt erinnert ein Museum an die Kriegsverbrechen.
Enttäuscht packten die Kameramänner der sowjetischen Armee ihre Fotoapparate wieder ein, als sie im August 1945 in Pingfang ankamen. In dem Vorort der nordchinesischen Provinzhauptstadt Harbin war es den japanischen Truppen gelungen, vor dem Rückzug ihre Anlagen dem Erdboden gleich zu machen. Die Steinhaufen zu fotografieren lohne sich nicht, meinten die russischen Soldaten. Dann bemerkten sie jedoch in den Ruinen Zehntausende Ratten, Hasen und Mäuse, dazu Affen, Kamele und andere Tiere. Außerdem fanden sie große Mengen Menschenknochen. Einheimische aus der Umgebung konnten nur berichten, dass die Japaner hier eine besonders geheime und streng bewachte „Militärische Sonderzone“ eingerichtet hatten.
Mit der Zeit kam heraus, dass Pingfang während des Zweiten Weltkriegs Schauplatz gigantischer Verbrechen war. Japanische Offiziere gestanden in sowjetischer Gefangenschaft, dass die Einheit 731 der Kwantung-Armee biologische Waffen entwickelte, an Menschen und Tieren testete und in großen Mengen produzierte. Noch 1945 verhafteten amerikanische Soldaten in Berlin den Wissenschaftsattaché Japans: Hojo Enyro gab zu, bis 1941 als Bakteriologe in Pingfang gearbeitet zu haben. Danach versuchte er vergeblich, mit Nazi-Deutschland eine gemeinsame Biowaffen-Entwicklung aufzubauen.
Die Aufklärung des grauenhaften Geheimnisses ist bis heute nicht beendet: Diesen September beginnt in Tokio nach vierjährigen Marathon-Anhörungen die letzte Runde eines Gerichtsverfahrens, das chinesische Überlebende des Biokriegs und Angehörige von Opfern gegen die japanische Regierung angestrengt haben. Gleichzeitig bemüht sich China, Pingfang in die Liste des Weltkulturerbes einzuschreiben, dem Ort also den gleichen Status wie Auschwitz oder Hiroshima zu verschaffen.
Im Juni wurde nach umfangreichen Ausgrabungen und Renovierungsarbeiten in Pingfang eine Gedenkstätte eröffnet. Japanische Bürgerinitiativen brachten einen Teil der Kosten von umgerechnet rund 27 Millionen Mark auf. In dem wiedererrichteten Verwaltungsgebäude der Anlage ist nun die „Beweis-Ausstellung der Verbrechen der Einheit 731 der Kaiserlichen Japanischen Armee in China“ zu sehen. Ein Name wird in beinahe alle Räumen erwähnt: Dr. Shiro Ishii – der Vater des japanischen Biowaffenprogramms.
Ishii war vor dem Krieg ein ultranationalistischer Militärarzt in Tokio. Ersten Ruhm verschaffte ihm die Erfindung von Wasserfiltern für die japanische Armee, die gerade den Überfall auf unterentwickelte Nachbarländer vorbereitete und sich um die Gesundheit ihrer Soldaten sorgte. Als 1925 der Völkerbund in Genf eine Konvention zum Verbot chemischer und biologischer Waffen verabschiedete, wurde Ishii auf diese heimtückischen Waffen aufmerksam. Nach einer mehrjährigen Studienreise durch europäische und amerikanische Labors überzeugte der begnadete Redner und Organisator Ishii seine Vorgesetzten, dass Japan zum führenden Biowaffen-Land aufsteigen könne.
Die dazu nötige Forschung wurde allerdings für zu gefährlich gehalten, um in Japan selbst stattzufinden. Daher verlegte Ishii seine sogenannte „Abteilung für Seuchenprävention und Wasserreinigung“ in die Mandschurei, als diese 1931 besetzt und zur japanischen Kolonie unter der Herrschaft der Kwantung-Armee wurde. „Eine ideale Umgebung für wissenschaftliche Forschung“, schwärmte ein Professor, der Ishii begleitete: „Kein Geldmangel und keine Störungen durch Bürokraten oder andere Laien“. Jedes Jahr reiste Ishii allerdings für rund drei Monate nach Japan zurück, um von seinen Forschungsergebnissen zu berichten, an den Universitäten von Tokio und Kyoto Vorträge zu halten und Personal für seine Projekte anzuwerben.
Im großen Stil begannen Tests und Produktion von Biowaffen im Jahr 1936. In Pingfang, 20 Kilometer südlich von Harbin, räumten japanische Soldaten acht Dörfer und riegelten eine 120 Quadratkilometer große „Sonderzone“ ab, in deren Sichtweite keine chinesischen Häuser geduldet wurden. Auf dem mit Stacheldraht und Starkstromzäunen gesicherten Gelände errichteten chinesische Zwangsarbeiter an die 150 Gebäude: zum Beispiel ein Kraftwerk, Verwaltungsgebäude, Gefängnisse für 600 Insassen, Ställe, Gewächshäuser, Autopsie-Säle, aber auch einen Flugplatz für die Luftflotte der Einheit. Rund ein Drittel der 15.000 Zwangsarbeiter starb an Misshandlungen und Unterernährung; medizinische Betreuung wurde ihnen verweigert mit der Begründung „Es gibt so viele Chinesen, es macht nichts, wenn ein paar sterben“.
Möglichst viele Feinde Japans ums Leben zu bringen, war das Ziel der Wissenschaftler, die in der ersten großen biologischen Kampfstoffanlage der Welt untersuchten, wie sich Pest, Cholera, Milzbrand, Typhus, Tetanus, Pocken und eine Reihe anderer Krankheiten für den Krieg nutzen lassen. Zu ihrer Freude konnten die Forscher der Einheit 731 nicht nur Tausende Versuchstiere, sondern auch Menschen gezielt infizieren und – noch lebendig – sezieren. Auf den Einsatz von Betäubungsmitteln wurde bei diesen Operationen verzichtet, um „die Wirkung der Bakterien auf die Organe nicht zu beeinträchtigen“ und die Untersuchungsergebnisse nicht zu verfälschen.
Wegen ihrer hervorragenden, zum Teil in Europa und den USA gekauften technischen Ausrüstung bekam die Einheit 731 auch von anderen Teile der Armee Aufträge. Die Luftwaffe ließ zum Beispiel mit Vakuum und Druck experimentieren: Wann fliegen einem Menschen die Augen raus? Auf einem Freigelände wurden chemische Waffen getestet, etwa Häftlinge festgebunden und mit Senfgas-Granaten beschossen. Zur Vorbereitung des Kriegs mit der Sowjetunion dienten Erfrierungs-Versuche: Bei minus 20 Grad Celsius wurden Versuchspersonen mit Wasser besprüht, die erfrorenen Körperteile anschliessend in heißes Wasser getaucht. Ob Stromschläge, Überdosen von Röntgenstrahlen, Verbrennen, Kochen, Aufhängen oder einfach Verhungern lassen: Es gibt keine Mordmethode, die in Pingfang nicht ausprobiert und systematisch erforscht worden wäre.
Die meisten Opfer waren chinesische Widerstandskämpfer, die von der Kempeitai, der japanischen Gestapo, verhaftet und ohne Gerichtsverfahren in Pingfang ihrem sicheren Tod ausgeliefert wurden. Wenn die Wissenschaftler Sonderwünsche hatten, zum Beispiel schwangere Frauen, Mütter mit kleinen Kindern oder Jugendliche untersuchen wollten, wurden diese auf den Strassen von Harbin eingefangen. Als Transitstation für die geheimen Gefangenentransporte diente der Keller des japanischen Konsulats in Harbin, woraus Historiker heute schließen, dass nicht nur die japanische Armee, sondern auch das Außenministerium in Tokio über Pingfang informiert war. Ob die Einheit 731 in einem Lager bei Shenyang auch mit amerikanischen, englischen und australischen Kriegsgefangenen experimentierte, ist noch umstritten.
Wie viele Versuchspersonen ums Leben kamen, wird sich nie genau feststellen lassen. Während die Gefangenen in den zum Teil erhaltenen Akten der Kempeitai mit Namen und persönlichen Daten registriert sind, wurden sie in Pingfang lediglich mit Nummern von 101 bis 1500 versehen. Wenn Nummer 1500 nach spätestens sechs Monaten tot war, fing die Zählung wieder bei 101 an. Die Japaner nannten ihre Gefangenen „marutas“, Holzklötze. Pro Tag wurden in Pingfang ein bis zwei davon „verbraucht“, was eine Zahl von mindestens 3.000 Ermordeten ergibt.
Insgesamt fielen dem japanischen Biowaffenprogramm sehr viel mehr Menschen zum Opfer, wahrscheinlich an die 300.000. Von Pingfang aus wurden nämlich in ganz Südostasien große „Feldversuche“ koordiniert. Jede japanische Division hatte zu diesem Zweck eine eigene „Abteilung für Seuchenbekämpfung und Wasserreinigung“; insgesamt arbeiteten für Ishiis Imperium rund 20.000 Angestellte. Flugzeuge begleiteten den Vormarsch der Truppen und warfen Porzellanbomben ab, die Ishii für den Transport der in Pingfang gezüchteten Pestflöhe entwickelt hatte. In Nanjing verteilten die Eroberer an Kinder großzügig Schokolade, die mit Milzbrand-Bakterien infiziert worden war. Anderswo legten sie Kuchen mit Typhus-Erregern aus und vergiftete Schreibstifte. Die bis zum Kriegsende aufgebaute Kapazität der Bakterienfabrik in Pingfang hätte ausgereicht, die damalige Weltbevölkerung mehrfach umzubringen.
Militärs schätzen Biowaffen, weil sie nur Menschen und Tiere töten, die Infrastruktur aber intakt lassen und außerdem der Gegner den schwer nachzuweisenden Angriff erst bemerkt, wenn es für eine Verteidigung schon zu spät ist. Ein Nachteil besteht allerdings darin, dass die Krankheitserreger zwischen Freund und Feind nicht so recht unterscheiden können. Zwar wurden in Pingfang Millionen Dosen Impfstoffe für die eigenen Soldaten hergestellt, dennoch überrannten 1942 in der Provinz Zhejiang japanische Truppen unvorbereitet verseuchtes Gebiet – darauf starben auch 1.700 Japaner an Cholera, Typhus und Ruhr.
Auch in Pingfang gab es immer wieder Unfälle. Abgesehen von dem unangenehmen Geruch der Bakterienproduktion, die rund um die Uhr arbeitete, scheint das Personal den Aufenthalt dort aber nicht als belastend empfunden zu haben. Einige Einrichtungen wurden von drei Brüdern Ishiis geleitet. Die Menschenversuche überwachten besonders loyale Soldaten aus Ishiis Heimatdorf Kamo, das nahe des heutigen Tokioter Flughafens Narita liegt. Von den ungefähr 2.000 Japanern in Pingfang waren rund 500 Wissenschaftler. Zu Ausbildungszwecken wurden auch einige tausend Medizinstudenten durchgeschleust, zum Teil erst 15 Jahre jung. Wo sonst hätte der vielversprechende Nachwuchs der japanischen Eliteuniversitäten Vivisektionen an Menschen und „Übungsoperationen“ machen können?
Aufzeichnungen zeigen, dass die Forscher in Pingfang sehr sorgfältig arbeiteten. Aufmerksam beobachteten sie durch Sichtfenster etwa den Todeskampf von Versuchspersonen in den Gaskammern, notierten zum Beispiel, dass sich eine verzweifelte russische Mutter über ihr Kind geworfen habe, um es zu schützen, natürlich vergeblich. Nach Feierabend nutzten die Wissenschaftler dann den Swimming-Pool der Anlage, ließen sich beim fröhlichen Tauziehen fotografieren, suchten den Shinto-Tempel auf, gingen in die Bar oder in die Bibliothek. Tierliebe Ärzte bastelten ein Denkmal für die armen Versuchskaninchen. Kulturell Interessierte gründeten eine Theater-Gruppe. Zu Josef Mengele und den anderen Auschwitz-Ärzten gebe es „interessante Parallelen“, meint der japanische Historiker Yuki Tanaka: „Es waren ganz gewöhnliche Menschen, die keine Anzeichen von psychischen Störungen zeigten. Die außerordentlichen Grausamkeiten in Kriegszeiten haben eine engere Beziehung zum Alltagsleben, als wir vielleicht wahr haben wollen.“
Zu den Gemeinsamkeiten mit den deutschen Nazi-Wissenschaftlern gehören wohl auch die Vertuschungsversuche nach Kriegsende. Am 8. August 1945 vergasten die Japaner in Pingfang die noch lebenden Versuchspersonen, erschossen die letzten 600 Zwangsarbeiter und sprengten innerhalb von drei Tagen alle Gebäude in die Luft. Gewebeproben und in Formaldehyd eingelegte Leichenteile warfen sie in einen nahen Fluss. Die infizierten Versuchstiere ließen sie kurzerhand laufen, was in Harbin noch Jahre später zu Pestepidemien mit insgesamt etwa 30.000 Todesopfern führte. Ishii und andere Leiter der Einheit 731 wurden zusammen mit den wichtigsten Akten nach Japan ausgeflogen. Der Rest des Personals kam in 15 Frachtzügen hinterher, setzte von Dalian aus mit Schiffen nach Japan über und tauchte ebenfalls unter.
Zunächst hatte Ishii Sorgen, wegen seiner Verstöße gegen internationales Recht als Kriegsverbrecher angeklagt zu werden. Die Bewohner von Kamo veranstalteten deshalb ein großes Scheinbegräbnis für ihn. Als er dann nach fünf Monaten vom US-Geheimdienst doch aufgespürt wurde, passierte ihm jedoch nichts. Der amerikanische Oberbefehlshaber in Japan, General Douglas MacArthur, gewährte ihm und seinen Mitarbeitern im Tausch gegen die Forschungsergebnisse Straffreiheit. Fotos von Trinkgelagen zeigen, dass die Verhandlungen mit dem unter Hausarrest gestellten Ishii in entspannter Atmosphäre geführt wurden. „Es geht um Daten, die von japanischen Wissenschaftlern unter Aufbringung von Millionen Dollar und vielen Arbeitsjahren gewonnen worden sind“, heißt es in einem internen US-Bericht. „Es muss alles getan werden, damit dieses Material nicht in fremde Hände gerät“. Bei einem öffentlichen Prozess sei zu befürchten, dass die Sowjets an die militärisch wichtigen Forschungsresultate kämen.
In der Sowjetunion wurden 1949 zwölf ehemalige Mitglieder der Einheit 731 vor Gericht gestellt, darunter Major Tomio Karazawa, ein ehemaliger Chef der Bakterienproduktion. Aus heutiger Sicht erscheinen die veröffentlichten Geständnisse als größtenteils korrekt, damals aber wurden die Aussagen von den westlichen Regierungen als „kommunistische Propaganda“ abgetan und ignoriert. Auffallend ist, dass der Prozess nicht in Moskau, sondern im abgelegenen Chabarowsk stattfand und nur milde Strafen von 2 bis 25 Jahren Zwangsarbeit verhängt wurden. Die Japaner wurden anschließend in Labors bei Moskau beschäftigt und durften bereits 1956 in ihre Heimat zurückkehren. Wahrscheinlich machten sie mit den Sowjets einen ähnlichen Deal wie ihre Kollegen mit den Amerikanern.
Die Regierungen Englands, Australiens und der Niederlande wussten über Pingfang ebenfalls Bescheid: In Singapur war den Briten ein intaktes Labor der Einheit in die Hände gefallen; Heimkehrer gaben an, in japanischer Kriegsgefangenschaft hätten Ärzte mit ihnen experimentiert. Warum sie das Thema bei den Kriegsverbrecherprozessen in Tokio dennoch nicht zur Sprache brachten, ist bis heute ungeklärt. Folgten sie amerikanischen Vorgaben? Oder wollten sie die Bürger ihrer Länder nicht beunruhigen und angesichts des beginnenden Kalten Kriegs die Geheimhaltung der eigenen Biowaffenforschung nicht gefährden?
Die Veteranen der Einheit 731 machten im Nachkriegsjapan unbehelligt Karriere in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Wie die Briten Peter Williams und David Wallace herausfanden, brachte es zum Beispiel Leutnant Shunichi Suzuki zum Gouverneur von Tokio, Ishiis rechte Hand Ryoichi Naito gründete die Pharmafirma „Green Cross“, bei der viele ehemalige Kollegen unterkamen. Dr. Hisato Yoshimura, der die Erfrierungsversuche geleitet hatte, wurde Berater der japanischen Antarktis-Expedition, später Präsident erst der Meteorologischen Gesellschaft Japans, dann der Frauenuniversität in Kobe. Wissenschaftliche Zeitschriften veröffentlichten die in Pingfang gewonnen Ergebnisse zunächst noch schamhaft als Werte von „Menschenaffen“, später sprachen sie ganz offen zum Beispiel von „frischen menschlichen Gehirnen“.
Bevor Ishii 1959 an Kehlkopfkrebs starb, versammelte er ehemalige Mitarbeiter und erklärte: „Es war in Ordnung, dass wir in der Einheit 731 wertvolles menschliches Material haben konnten, um die Nation zu retten“. Auf einem Friedhof in Tokio wurde 1981 über einem Knochen Ishiis ein zwei Meter hohes Denkmal für die Einheit 731 errichtet. Die Veteranen treffen sich bis heute jedes Jahr. Zuweilen gewähren sie Interviews: Ja, man habe in Pingfang experimentiert, aber die Versuchspersonen seien bezahlt worden. Ja, auch mit Müttern und kleinen Kindern, aber nur mit freiwilligen. Im übrigen seien die Väter der Kinder wahrscheinlich Spione gewesen.
Interessanterweise schwiegen dazu lange Zeit auch die Regierungen von Taiwan und der Volksrepublik China. Beide waren auf gute Wirtschaftsbeziehungen zu Japan und günstige Kredite angewiesen; beide wollten von einer detaillierten Aufarbeitung der jüngeren Geschichte nichts wissen, wären doch dabei auch eigene Fehler und Verbrechen zur Sprache gekommen. In der Volksrepublik kam es außerdem mehrfach vor, dass antijapanische Demonstrationen in regimefeindliche Kundgebungen ausarteten – da zog es die Regierung in Beijing vor, die Öffentlichkeit an das Thema Japan möglichst nicht zu erinnern. Das änderte sich erst seit den 80er Jahren, als einerseits im Nationalismus eine Ersatzideologie für den obsoleten Kommunismus gefunden wurde und andererseits China sich nach jahrelangem Wirtschaftsaufschwung stark genug fühlt für eine Auseinandersetzung mit Niederlagen und Wunden der Vergangenheit. 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden erstmals Zeitzeugen befragt. Die 1985 in Nanjing und Beijing eröffneten „Museen des antijapanischen Widerstandskampfes“ gehen auch auf Pingfang ein.
In Japan sickerte im Laufe der Jahre ebenfalls immer mehr über die Einheit 731 durch. Zwar kam von den Leitern der Einheit nie ein Wort des Bedauerns oder ein Beitrag zur Aufklärung der Verbrechen, auch die Einwohner von Ishiis Dorf Kamo schweigen eisern. Verschiedene Veteranen, die untergeordnete Funktionen inne gehabt hatten, veröffentlichten jedoch ihre Kriegserinnerungen oder reisten nach China, um dort auszusagen. Masakuni Kurumizawa etwa gestand Vivisektionen, Yoshiaki Daihaya bezeugte, als Pilot über 50.000 Ratten nach Pingfang gebracht zu haben. Der Gendarm Yutaka Mio, der „marutas“ übergeben hatte, verweigerte nach dem Krieg die Annahme einer Pension. Yoshio Shinozuka, der 1939 als 16jähriger nach Pingfang gekommen war und von der Flöhe-Zucht bis zu Vivisektionen verschiedene Stationen durchlaufen hatte, sagte aus: „Zu Spitzenzeiten produzierten wir über 20 Kilo Bakterien alle 30 Stunden.“
Die meisten Japaner erfuhren von Pingfang zum ersten Mal durch die von Morimura Seiichi verfasste Trilogie „Die Unersättlichkeit des Teufels“, die 1982 zum Bestseller wurde. Bei einer Diskussion im Parlament räumte darauf ein Sprecher der japanischen Regierung erstmals offiziell die Existenz der Einheit 731 ein, machte aber keine Angaben zu ihren Aktivitäten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch bekannt, dass Shiro Ishii bis zu seinem Tod eine fürstliche Pension bezogen hatte. Die japanische Regierung hält ihre Akten zu Pingfang unter Verschluss. Trotzdem tauchen immer wieder Dokumente auf. So fand 1983 ein Student in Tokio zufällig Krankenakten, in denen seltsamerweise der exakte Zeitpunkt der Infizierung eingetragen war. Im September letzten Jahres entdeckte Takao Matsunaga, ein Historiker der Keio Universität, 900 Seiten mit Aufzeichnungen zu Pestversuchen, die zeigen, dass Versuchspersonen vorsätzlich infiziert wurden.
In den USA wurde die Geheimhaltung für Dokumente der Einheit 731, die im Nationalarchiv und im Biowaffenzentrum Dugway in Utah gelagert wurden, ab 1976 aufgehoben. Dem Journalisten John Powell gelang es, unter Nutzung des Freedom of Information Act 20.000 Seiten auszuwerten und den Deal zwischen MacArthur und Ishii aufzudecken. Bis heute gibt es jedoch eine Reihe ungeklärter Fragen, zum Beispiel inwieweit das japanische Kaiserhaus informiert war. Der Bruder des Kaisers, Prinz Mikasa, und sein Vetter, Prinz Takeda, haben sich jedenfalls bei Besuchen in Pingfang fotografieren lassen. Die Anlage wurde „im Namen des Kaisers“ errichtet. Als begeisterter Hobby-Biologe könnte sich Kaiser Hirohito durchaus für die Versuche interessiert haben. Ebenfalls heftig umstritten ist, ob die USA sich 1950 im Korea-Krieg von 731-Veteranen beraten ließen und Biowaffen einsetzten.
Chinesische Bürger wurden lange von ihrer eigenen Regierung daran gehindert, an Japan Schadensersatzforderungen zu stellen. 1997 konnte jedoch erstmals eine Gruppe von 108 Überlebenden japanischer Biowaffenangriffe und Angehörige von Pingfang-Opfern beim Distriktgericht in Tokio Klage einreichen und von der japanischen Regierung eine Entschuldigung und Entschädigungszahlungen fordern. Obwohl der Oberste Gerichtshof Japans in einer Entscheidung zum immerwährenden Schulbuchstreit bereits 1997 festgestellt hatte, dass die Existenz der Einheit 731 „nicht zu leugnen“ sei, entschied das Distriktgericht Tokio nach zwei langen Prozessrunden mit 24 Anhörungen von Zeugen, Veteranen und Wissenschaftlern, es könne noch kein Urteil fällen, da es „nicht genügend Beweise“ gebe.
Auf die dritte und letzte Anhörungsrunde hat sich die mittlerweile auf 180 Personen angewachsene Klägergruppe besonders gründlich vorbereitet. Sie ist überzeugt, die Ermordung von rund 2100 Zivilisten nachweisen zu können. Das neue Museum in Pingfang soll ihre Klage unterstützen. Im Gegensatz zu den antijapanischen Museen in Nanjing und Beijing verzichtet es fast völlig auf kommunistische oder patriotische Parolen. Statt dessen präsentiert es betont sachlich und nüchtern die rund 1200 Relikte, die seit letztem Jahr bei Ausgrabungen auf dem Gelände gefundenen wurden: Gasmasken, Spritzen, Reagenzgläser, Teile von Porzellanbomben, Hochdruck-Boiler, Zuchtkeller für Ratten, Betonbecken für Frostexperimente, chirurgische Instrumente, japanische Waffen, dazu 23 Seiten Aufzeichnungen von Milzbrand-Studien in den Jahren 1931 bis 1940.
Ob das Gericht in Tokio mit diesen Beweisen zufrieden sein und tatsächlich wie vorgesehen im nächsten März endlich eine Entscheidung treffen wird, erscheint ungewiss. Auch muss das Urteil nicht unbedingt im Sinn der Chinesen ausfallen. Schließlich soll an Japans Schulen im nächsten April ein Geschichtsbuch eingeführt werden, das die Einheit 731 mit keiner Silbe erwähnt und Japans Krieg als „Befreiung Asiens von der Kolonialherrschaft“ darstellt. Die Kläger wollen aber auf keinen Fall locker lassen. „Wir sind sehr empört über die Indifferenz der japanischen Regierung und die inhumane Haltung gegenüber den Opfern“, sagt He Yingzhen, eine 70jährige Frau, die angibt, bei einem japanischen Biobombenangriff im Gebiet Zhejiang sechs Angehörige verloren zu haben. „So lange ich lebe, werde ich nicht aufgeben. Und danach wird mein Enkel weiter für Gerechtigkeit kämpfen.“
Martin Ebner
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Foto: Museum of the Japanese „Unit 731“ in Pingfang, China. Muzeo pri la japana „armeparto 731“ en Pingfang, Ĉinujo. Museum für die japanische „Einheit 731“ in Pingfang, China.