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Latrine

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Auch dies gewissermaßen eine ländliche Bushaltestelle mit Toilette, aber doch anders.
Auch dies gewissermaßen eine ländliche Bushaltestelle mit Toilette, aber doch anders. © IMAGO/serienlicht

Am Ende der Ferien noch einige Latrinenparolen, hier übrigens im Wahlkreis von Alice Weidel.

Jetzt umgibt der Herbst das Städtchen, die Urlaubssaison geht dem Ende entgegen, noch einmal warten der bald scheidende Tourist und seine Begleitung auf den Bus, der vom Städtchen ins nächste Städtchen fährt und ins übernächste.

An der Haltestelle ein gemütlich-freundlich aussehender, wohlgenährter Herr, der beobachtet, wie der Tourist und seine Begleitung den Aushang am silberfarbenen Toilettenhäuschen begutachten, nicht aus Not, sondern um die Wartezeit zu überbrücken. Das Toilettenhäuschen sei geschlossen, steht da, es werde gebeten, die neue Anlage am gegenüberliegenden Bussteig zu benutzen. Der Herr erzählt, er nehme auch oft die Bahn, aber der Bus bringe ihn zu einem Ort, wo er noch ein Bierchen trinken könne.

Das Häuschen gegenüber sieht fast schon einladend aus, finden der Tourist und seine Begleitung, das Wort „Latrine“ käme ihnen nicht in den Sinn, denn eine Latrine, so steht es im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache, ist nur ein „behelfsmäßiger, einfacher Abort“, und das hier: viel zu komfortabel. Aber, jetzt redet wieder der gemütlich-freundlich aussehende Wohlgenährte, „da kostet es“. Für kostenlose Toiletten habe diese Stadt wohl kein Geld, für „andere Dinge“ sehr wohl. Und dann macht der Mann einen „Witz“ über die neuen Toiletten: „Für Asylanten kostenlos.“ Gefolgt von einer kleinen Beschimpfung aller politischen Parteien außer einer. Latrinenparolen.

Der Tourist und seine Begleitung wenden sich demonstrativ ab, dann kommt der Bus. Der Tourist und seine Begleitung fragen sich noch, ob ihre Reaktion demonstrativ genug war oder ob sie sich zu sehr haben überrumpeln lassen, um auf den „Witz“ angemessen zu antworten, als wenig später zwei Frauen zusteigen. Der vorige Bus, berichten sie empört dem Fahrer, sei zwei Minuten zu früh gekommen, weshalb sie eine halbe Stunde auf diesen hier hätten warten müssen. Dann setzen sie sich in die Nähe des Mannes, der ja gemütlich-freundlich aussieht, und er sagt: „So geht das oft mit den ausländischen Fahrern.“

Die beiden Frauen: überrumpelt. „Das ist ein generelles Problem“, widerspricht die eine, immerhin, und es herrscht Ruhe. Auf den Displays der Busse im Städtchen erscheint regelmäßig die Zeile „Busfahrer dringend gesucht“. Wahrscheinlich wird sich der gemütlich-freundliche Wohlgenährte nicht bewerben, er nimmt lieber den Bus, um abends noch ein weiteres Bierchen zu trinken. Hinter uns liegt das Städtchen, idyllisch wie immer, langsam senkt der Abend sich über den See. Alice Weidel, es ist ihr Wahlkreis, hat bei der Bundestagswahl 2021 „nur“ 9,2 Prozent gewonnen.

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