Nur ein Jahr nach der Edition der politischen Schriften Lupolds von Bebenburg (ca. 1297-1363) im Rahmen der MGH Staatsschriften 1 liegt nun eine lateinisch-deutsche Fassung des berühmten Traktats über Kaiser und Reich aus der Feder des Würzburger Juristen vor. Lupold, der nach dem Studium der Rechte in Bologna Domherr in Würzburg, Mainz und Bamberg war, dort schließlich 1353 zum Bischof aufstieg, vertrat darin die Auffassung, dass der von den Kurfürsten gewählte deutsche König zur Ausübung seiner Rechte einer gesonderten päpstlichen Zustimmung nicht mehr bedürfe. Der Text behandelt also eine der zentralen Streitfragen des 14. Jahrhunderts: den Zusammenhang zwischen dem Amt des römisch-deutschen Königs und dem Kaisertum sowie den Anspruch des Papstes auf das Recht zur Approbation des erwählten Königs. Das Traktat greift den Bestimmungen der Goldenen Bulle von 1356 vor, und da er spätestens am 26. November 1339 fertig gestellt war (S. 321), dürfte er zu den Ereignissen von Rhens und Frankfurt im Jahre 1338 in Beziehung stehen. Mit seiner in 20 Handschriften breit überlieferten Abhandlung gelang Lupold vielleicht das erste deutsche Staatsrecht, in jedem Fall aber der bedeutendste Entwurf politischer Theorie im ausgehenden Mittelalter.
Die Textausgabe beruht auf der Edition in den Monumenta Germaniae Historica, die hier von textkritischen Anmerkungen entlastet wurde. Spätere Ergänzungen sind typografisch gekennzeichnet. Dem lateinischen Text steht Seite für Seite eine deutsche Übersetzung aus der Feder Alexander Sauters gegenüber. Sie ist präzise und passt sich insbesondere bei schillernden Begriffen wie jurisdictio oder potestas geschickt dem jeweiligen gedanklichen Kontext an. Man findet mitunter recht saloppe Übertragungen wie „übler Tyrann“ (S. 47 für multas tyrannides exercebat ), äußerst selten aber fragwürdige wie die Gleichsetzung des nomen patricii Karls des Großen mit dem „Titel Patrizier“ (S. 37). Insgesamt macht die flüssige Übersetzung aus dem scholastischen Traktat, der bei aller gedanklichen Schärfe gattungsbedingt und wissenschaftstypisch mit Redundanzen sowie ausgedehnten Zitaten und Verweisen auf juristische und geschichtliche Autoritäten gespickt ist, eine zumindest in Portionen verdaubare Lektüre. Das ist eine beachtliche Leistung. In der Übersetzung sind zudem die Quellenverweise und juristischen Allegationen Lupolds bereits aufgelöst, der Leser kann also die jeweiligen Stellen des römischen oder kanonischen Rechts leicht überprüfen. Eine Aufschlüsselung der Abkürzungen am Ende des Bandes erleichtert dabei das Auffinden der Texte.
Wie schon an der MGH-Ausgabe ist auch an der zweisprachigen Version der emeritierte Heidelberger Mediävist Jürgen Miethke federführend beteiligt, einer der unbestritten besten Kenner der politischen Theorie des späten Mittelalters. Ihm ist es zu danken, dass der Leser verlässlich durch die juristisch-politische Vorstellungswelt Lupolds von Bebenburg geleitet wird. In einem ausführlichen Nachwort (Lupold von Bebenburg: Kanonistisches Staatsdenken in der Krise des Reiches im 14. Jahrhundert, S. 280-318) ordnet Miethke den Traktat in das Problemfeld und die geistige Landschaft des 14. Jahrhunderts ein, kennzeichnet die angewandte Methodik und die neuartige politisch-rechtliche Konzeption des Verfassers. Der ausführliche Essay bietet eine souveräne Zusammenschau der Debatte um König, Kaiser und päpstliches Approbationsrecht und ist jedem als Einführung in die Thematik sehr zur Lektüre zu empfehlen. Gerade deshalb wirkt er als „Nachwort“ ein wenig deplatziert. Unglücklich ist auch, dass die Angaben zur Überlieferung des Traktats und zur Einrichtung von Edition und Übersetzung dem Text nicht vorausgehen, sondern ebenfalls in das Nachwort verbannt wurden. Man findet sie – relativ mühsam – auf den Seiten 321-328, unmittelbar vor dem Verzeichnis abgekürzt zitierter Quellenwerke und dem Register der Personen- und Ortsnamen, das leider Miethkes Nachwort unberücksichtigt lässt.
Die insgesamt überzeugende zweisprachige Ausgabe erschließt das wichtige Traktat Lupolds von Bebenburg nun auch einem Publikum, das im Lateinischen weniger versiert ist. Die Lektüre lohnt nicht nur für Interessenten der Staatsrechtsgeschichte und der politischen Wissenschaften. Lupold argumentiert ausgesprochen historisch und nutzt dazu ein Arsenal von Quellen aus früheren Zeiten, transportiert also auch ein Geschichtsbild.
Als ceterum censeo sei ein Plädoyer für das bereits von den Renaissance-Humanisten so geschätzte, auch für Lupolds Werk gewählte Oktav-Format in sorgfältiger Verarbeitung gestattet. Erst diese Handlichkeit erlaubt es, solche Texte wirklich mit Genuss zu lesen – auch im Sessel, in der Bahn oder im Cafe!
Anmerkung:
1 Miethke, Jürgen; Flüeler, Christoph (Hgg.), Politische Schriften des Lupold von Bebenburg, Hannover 2004.