brief aus der irrenanstalt

von Annemarie Brenner

 

„Gefangene“, Ölbild auf Leinwand von Annemarie Brenner, 120x90 cm, 1983 [Quelle: Annemarie Brenner]. Zum Vergrößern bitte klicken.
„Gefangene“, Ölbild auf Leinwand von Annemarie Brenner, 120x90 cm, 1983 [Quelle: Annemarie Brenner]. Zum Vergrößern bitte klicken.

und wenn ich schreie laute schreie

sagen sie
verrückt

tobt, schlägt hin und her, gesicht
verzerrt

und wenn ich weine leise tränen
lachen sie
mich aus

depressiv, sieht nichts mehr,
suizidal

und wenn ich still bin
bin ich tot

ruhig, macht kein theater, es geht
gut

 

ich weiß ja nicht
ob sie die schreie hören
die meinen körper
so zerrissen haben
ob sie die tränen spüren
tropfen auf den heißen stein
es ist so still so totenstill

im käfig sitzen seelenknast
gitter zwischen den
zähnen schlüssel im
gehirn giftnadeln
im schenkel gewalt an
den gelenken im gesicht
die fäuste
fäuste

ach menschen ach menschen ach menschen
ach tote ach tote
zehn schritte friedhof
auf und ab
eine skeletthand
schlug auf meinen kopf
damit ich nicht die toten morde
medizin wer die macht hat hat die kraft
ich sitze auf dem boden
und wiege meinen
schädel

und wenn ich schreie
schlagen sie mich tot
und wenn ich weine
bringe ich mich um
tiefe stille
ruhe sanft

 

Zitierhinweis: Annemarie Brenner, brief aus der irrenanstalt, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.03.2022.

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