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Kanton Aargau
Das Automobil hatte nach dem Weltkrieg Vortritt – und so passte sich auch die Architektur im Aargau entsprechend an. Wir haben einen Blick ins Archiv gewagt. Simon Bundi, Kurator von Emil Frey Classics in Safenwil, hat zahlreiche Beispiele recherchiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man nur eines: nach vorne schauen, loslegen. Das hiess: Vortritt für das Automobil, dem Motor des Fortschritts. In der ganzen Schweiz und auch im Aargau entstanden erste Bauten, die das Auto explizit integrierten.
Etwa die Wohnsiedlung Telli in Aarau, wo die Zufahrt und teils sogar die Strassen unter dem Gebäude «versteckt» wurden. Simon Bundi, Kurator von Emil Frey Classics in Safenwil, hat zahlreiche Beispiele recherchiert. Er sagt: «Viele Bauten, die ihrer Zeit voraus waren, haben ihr Versprechen gehalten.»
Keine Erfindung hat das äussere Bild der Schweiz so verändert wie das Automobil. Die neue Mobilität des letzten Jahrhunderts brachte aber nicht nur Strassen und Agglomerationen hervor – es entstanden auch viele Bauten, die ganz auf das Auto ausgerichtet waren: Grossgaragen in den Städten, Motels in Ferienorten oder Wohnhäuser mit Tiefgaragen inklusive Reparaturwerkstatt oder Tankstelle. Mit einer Foto- und Fahrzeugausstellung erzählt das Classic Center Schweiz von Emil Frey in Safenwil die Geschichte dieser Architektur. Gezeigt werden auch Werbeaufnahmen, die Autos und Gebäude in Szene setzten. Die Ausstellungsmacher versprechen «eine architektonische Schweizerreise von den späten 1920er- bis in die frühen 1980er-Jahre» – von der fast ungebremsten Autobegeisterung und den Formen des «Neuen Bauens» mit Stahl, Beton und Glas bis zum Versuch, die neue Mobilität mit dem Schweizer Heimatschutz in Einklang zu bringen. Die Ausstellung wurde im Rahmen des Kulturerbejahres 2018 zusammengestellt. (AZ)
9. Februar bis 30. Juni; Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr; Samstag 10-16 Uhr
Zu sehen sind sie in Kombination mit Autos aus den entsprechenden Jahren ab morgen Freitag bei Emil Frey Classics in der Sonderausstellung «Autos & Architektur» (siehe Box).
Eine Episode, die es knapp nicht in die Ausstellung schaffte, ist jene der Raststätte Kölliken Nord. Im Sommer 1967 wurde hier die erste Autobahnraststätte der Schweiz eröffnet, ironischerweise in einem ausrangierten Bahnwaggon. Vier Jahre später wurde das Provisorium durch einen Neubau ersetzt: das «Restauroute 3-Stern Kölliken-Nord».
Die Sektion Aargau des Automobilgewerbeverbands erhielt vom Kanton ein Grundstück im Baurecht für 30 Jahre zugesprochen. Die Aargauer wollten nicht von einer bekannten Benzinmarke abhängig sein, sondern die Raststätte selber betreiben.
Deshalb wählten sie auch selber die Planer Miklos Hajnos und Werner Brauen aus. Die entschieden sich für einen viergeschossigen Bau, gegen die Autobahn hin ausladend auf Säulen ruhend.
Das Magazin «Bauen + Wohnen», das eine moderne Haltung vertrat, fragte die Erbauer 1971, warum man nicht flach gebaut habe wie sonst bei Raststätten üblich: «Damit das Gebäude von weither gut erkennbar ist», sagte Hajnos. Man wolle nicht auf Reklameschriften angewiesen sein, «der Bau selbst soll als Signal wirken».
Restaurantleiterin Vögeli wurde gefragt, ob sich der Betrieb von einem anderen Restaurant unterscheide. Da gebe es keinen grossen Unterschied, sagte «Fräulein Vögeli»: «Einzig, dass es manchmal wirklich sehr nervenaufreibend ist, weil die Gäste schneller wechseln. Viele von ihnen sind oft sehr nervös. Ich war ja schon in mehreren Hotels, aber so nervöse Gäste hatte ich noch nirgends.» Jeder wolle auf der Autobahn möglichst rasch vorwärtskommen, und das merke man natürlich der Küche und dem Service an.
Diniert wurde mit Aussicht auf Autobahn und Suhrental. Suppen und Speisen wurden vorgekocht, angerichtet vakuumverpackt und abgekühlt. So musste das Personal die Menüs nur noch «in einem der drei Mikrowellen-Kochherde» in 30 bis 60 Sekunden «tischfertig machen».
An alles wurde gedacht, wie man der Schweizerischen Bauzeitung vom Februar 1971 entnehmen kann: Telefonanlage, Toiletten (samt Kinder-WC und Wickeltisch), Duschraum, Tankwartraum, Sanitätszimmer, Personalraum, Nachtdienstzimmer, Musikanlage mit 50 Lautsprechern, «drahtlose Personensuchanlage mit drahtlosem Kellnerruf». Auch seine nächste Hotelübernachtung konnte man im «Restauroute» reservieren, und zwar an der elektronischen Buchungsstelle.
Für 120 Tischplätze wurden 56 Parkplätze gebaut, «und das finden wir heute zu wenig», sagte Hajnos nur ein halbes Jahr nach Eröffnung. Auch über nachträgliche Änderungen waren die beiden Architekten nicht glücklich.
Die US-Benzinfirma Gulf, die im Auftrag des Aargauer Automobilgewerbes die Tankstelle betrieb, wagte es, Leuchtreklamen anzubringen. Die seien «scheusslich», sagte Hajnos: sie gäben dem Bau einen ganz falschen Ausdruck, weil die Betonstützen in der Mitte zerschnitten würden (siehe Foto). In der Bevölkerung umstritten, galt der Bau unter Architekten als gelungen. Man habe versucht, «die Autobahn ernstzunehmen»; Landschaft, Luft und Licht seien berücksichtigt worden. 1990 befand ein «Hochparterre»-Redaktor, man sehe dem Gebäude «die Liebe noch an, die darin steckt, trotz späterer verunstaltender Eingriffe».