Luzerner Theater
Inszenierung von «Network»: Howard Beale hat die Schnauze voll

Ein zorniger Prophet wird zum Quotenrenner: Der visionäre Stoff packt in der originellen Inszenierung «Network» im Luzerner Theater.

Regina Grüter
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Die Glotze ist immer noch die Glotze. Boulevard ist immer noch Boulevard. So gesehen, hat der Film «Network» aus dem Jahr 1976 nichts an Aktualität eingebüsst. Im Gegenteil. Darin geht es um ein Fernsehkonglomerat und den Nachrichtensprecher Howard Beale, der wegen sinkender Quoten den Job verliert.

Die Leute verbringen wohl so viel Zeit mit Medien wie noch nie: Streaming, Instagram und Tiktok haben das lineare Fernsehen abgelöst; neben der Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren und damit zur Meinungsbildung und letztlich zur Demokratie beizutragen, greifen auch sogenannte Qualitätsmedien auf boulevardeske Elemente zurück.

«Explosive Körperlichkeit»: Versprechen eingelöst!

Unter der Regie von Wojtek Klemm feierte das Stück «Network» am Freitagabend im Luzerner Theater fulminant Premiere. Der britische Dramatiker Lee Hall hat das oscargekrönte Drehbuch von Paddy Chayefsky für den Film in ein Stück und in die heutige Zeit übersetzt.

Drei Schauspielerinnen (Helene Krüger, Dagna Litzenberger Vinet, Carina Thurner), drei Schauspieler (Rüdiger Hauffe, Meinolf Steiner, Hugo Tiedje), alle sind sie Howard Beale. Sie sind der Nachrichtenchef und die Quotenjägerin, die mit neuen Formaten das Publikum bei seinem Voyeurismus packen will. Für diejenigen, die den Film nicht kennen, mag das anfangs ein bisschen verwirrend sein, aber genauso aufregend.

In «Network» wird ein glänzendes Ensemble ohne klare Rollenzuteilung multiperspektivisch inszeniert.

In «Network» wird ein glänzendes Ensemble ohne klare Rollenzuteilung multiperspektivisch inszeniert.

Bild: Ingo Höhn/Luzerner Theater

Entscheidend: Worum es geht, versteht man trotzdem. Sie sind mit einem Smartphone ausgerüstet und inszenieren sich gleich selbst; die Bilder werden simultan auf die Leinwand geworfen. Willkommen im heutigen Medienzeitalter! Es fängt an mit Howard Beale, der in seiner letzten Sendung ankündigt, sich vor laufender Kamera das Gehirn rauspusten zu wollen. Ihm sei der Bullshit ausgegangen, sagt er. Die Quoten schnellen nach oben. Die Programmchefin kämpft erfolgreich für eine eigene Show für den «zornigen Propheten».

Zeit, Arbeit, Geld. Mehr Zeit für sich, weniger Erwerbsarbeit, genug Geld für alle, um ein würdiges Leben zu führen. Ja, ja, ja! Hugo Tiedje alias Howard Beale wiederholt seinen Monolog, er spricht jetzt direkt zum Theaterpublikum. Was sind die grössten Probleme unserer Zeit? Klimawandel und soziale Ungleichheit. «Ich bin wütend und habe die Schnauze voll!», schreit Howard Beale. «Wacht auf, Leute!» Das reale Theaterpublikum wird zum fiktiven Fernsehpublikum und umgekehrt. Wenn auch ein bisschen plakativ in der Aussage, eine kluge Art, die vierte Wand niederzureissen und einen von der Imagination in die Realität zu holen. In einer anderen vieler bemerkenswerter Szenen macht Dagna Litzenberger Vinet als Programmchefin in einem äusserst reduzierten Setting den Realitätsverlust dieser Frau sichtbar (sie hat nicht einmal Aktien!).

Im Zusammenhang mit herausragenden schauspielerischen Leistungen spricht man gerne von einer Tour de Force. Regisseur Wojtek Klemm hatte «explosive Körperlichkeit» versprochen. Versprechen eingelöst! Im Film- und Seriengeschäft vergibt man immer wieder gern Preise für ein ganzes Ensemble. Das passt hier, aber alle sechs Schauspielerinnen und Schauspieler bekommen auch ihre individuellen Momente zum Glänzen.

«Ist alles so schön bunt hier»

Wie verabschiedete sich letztes Mal die Nachrichtensprecherin der 18-Uhr-«Tagesschau»? «Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Fernsehabend.» Im Anschluss folgte Eigenwerbung für neue SRF-Serienproduktionen. Und wie beginnt der geniale Song von Nina Hagen? «Einen recht schönen guten Abend, meine Damen und Herren/Ich begrüsse Sie recht herzlich zu unserem heutigen Fernsehprogramm/Und wünsche Ihnen einen recht guten Empfang.» Der Titel, «TV-Glotzer (White Punks On Dope)», sagt schon alles. «Ich kann mich gar nicht entscheiden/Ist alles so schön bunt hier.»

Man fühle sich ertappt, hört man nach Standing Ovations aus dem Zuschauerraum. Ja, «Network» im Luzerner Theater hält einem den Spiegel vor. Und unterhält – was bei einer guten Satire kein Widerspruch ist. Gehen Sie hin, hören Sie Nina Hagen, und schauen Sie den Film! Und – da sind wir wieder beim Stück – lesen Sie ein Buch.

Hinweis: «Network», bis zum 29. Mai im Luzerner Theater.