Die gute Laune war Satya Nadella anzusehen, als er am Dienstagabend mit breitem Lächeln die Bühne in Seattle erklomm. "Heute startet ein neues Rennen – und wir werden schnell sein", kündigte der Microsoft-Chef vor den geladenen Journalisten an. Die Kampfansage war unmissverständlich: Sie galt dem Rivalen Google.
Microsoft hat diese Woche einen neuen KI-Assistenten vorgestellt, der die Qualität der hauseigenen Suchmaschine Bing dramatisch verbessern soll. Die Technologie dahinter kommt von den Schöpfern von ChatGPT. Nadella sprach vom größten Relevanzsprung "in zwei Jahrzehnten". Einen Tag nach der Verkündung zog auch Google mit neuen KI-Funktionen nach, darunter ebenfalls ein intelligenter Assistent namens Bard.
Die Ankündigungen markieren die Neuauflage eines Rennens, das eigentlich schon längst entschieden schien: der Kampf um den Suchmaschinen-Markt. Doch was haben Google und Microsoft zu bieten, und wie unterscheiden sich die Pläne?
Die Ausgangslage
Mit einem Marktanteil von 90,1 Prozent ist Google die unbestrittene Nummer eins unter den Suchmaschinen. Das letzte Mal, dass sich das Unternehmen mit einem ernstzunehmenden Konkurrenten herumschlagen musste, ist lange her: Im Jahr 2002 duellierte sich das einstige Start-up mit Yahoo, beide hatten jeweils ein Drittel des Suchmaschinenmarkts für sich gewonnen. Dann zog Google dank seines überlegenen Algorithmus davon. Der Vorsprung des Giganten aus Mountain View schien lange Zeit uneinholbar. Bis jetzt.
Der Gamechanger
Google forscht in seinen Laboren schon seit langem an neuen KI-Lösungen. Den ersten Schritt in den Massenmarkt wagte jedoch ein anderes Unternehmen: Im November 2022 stellte das amerikanische Start-up OpenAI seinen intelligenten Chatbot ChatGPT vor.
Seine Fähigkeiten verblüffte selbst Experten: Es kann zum Beispiel Gedichte schreiben, Fehler in Programmcodes finden oder ganze Hausarbeiten verfassen. Anders gesagt: ChatGPT kann menschliche Sprache deutlich besser verstehen als alle bisher bekannten KI-Modelle. Schnell war klar, dass die Technologie dahinter auch für die Suche im Web interessant sein könnte.
Die Ambitionen von Microsoft
Microsoft ist bereits seit 2019 am ChatGPT-Schöpfer OpenAI beteiligt, insgesamt hat es mehr als 12 Mrd. US-Dollar in das Start-up gesteckt. Die Investitionen sollen nun offenbar den Weg für ein Comeback ebnen: Am Dienstag stellte Microsoft "das neue Bing" vor: eine mit Künstlicher Intelligenz aufpolierte Version seiner Suchmaschine.
Die wesentliche Neuerung besteht aus einem in der Suchleiste integrierten Chatbot, der auf ChatGPT und dem Nachfolgemodell GPT-3.5 basiert. Im Gegensatz zur alten Suche kann der Chatbot auch komplexe Anfragen verarbeiten. Zum Beispiel:
- Passt der Klippan-Sessel von Ikea in meinen Honda Odyssey?
- Ich suche ein Bastelprojekt ohne Schere. Was eignet sich für Kleinkinder?
- Ich möchte eine Reise nach Mexiko machen und habe fünf Tage Zeit. Kannst du mir einen Reiseplan vorschlagen?
Microsoft hat zudem eine Chatbot-Integration für seinen hauseigenen Browser Edge angekündigt. Das dürfte vor allem für die Arbeitswelt interessant sein: Nutzer können die KI etwa mit wenigen Mausklicks beauftragen, eine E-Mail zu verfassen, einen Text zu übersetzen oder bestimmte Dokumente zusammenfassen.
Eine erste Testversion für das neue Bing hat Microsoft am Dienstagabend freigeschaltet, für die Vollversion gibt es eine Warteliste.
Der Konter von Google
Googles Antwort auf ChatGPT heißt Bard. Der KI-Assistent basiert auf Googles eigenem Sprachmodell LaMDA (kurz für "Language Model for Dialogue Applications).
Unternehmenschef Sundar Pichai hat den Chatbot am Montag in einem knappem Blogeintrag angekündigt, offenbar um Microsofts Bing-Scoop zuvorzukommen. Am Mittwoch folgte dann eine erste Vorschau bei einem Google-Event in Paris.
Der Ansatz ist ähnlich wie bei Bing: Google integriert den Chatbot in die Suchmaske, die Antwort der KI wird dann in einer Spalte neben den normalen Suchergebnissen ausgewiesen.
Ist das die nächste Suchmaschinen-Revolution?
Die Pläne der beiden Tech-Giganten sind das wohl größte KI-Experiment unserer Zeit: Allein Microsoft rechnet damit, bis zu 1,4 Milliarden Geräte mit seinem Chatbot erreichen zu können. Auch bei Google dürfte die Reichweite im Milliarden-Bereich liegen.
Für Microsoft ist der Technologiesprung eine einmalige Chance: Wenn das neue Bing überzeugt, könnte es womöglich eine relevante Nutzerzahl von Google weglocken – und so den Suchmaschinenmarkt neu aufteilen.
Entscheidend dabei ist die Qualität der Chatbots, vor allem mit Blick auf Schnelligkeit, Relevanz und Faktentreue. Die große Schwäche von KI-Modellen liegt aktuell darin, dass sie häufig falsche Antworten geben. Wie Bard in dieser Hinsicht im Vergleich zu Microsofts Copilot abschneidet, ist aktuell noch nicht klar.
Die Präsentation von Bard beschränkte sich am Mittwoch auf eine Handvoll animierter Videos. Google begründete seine Zurückhaltung mit den hohen Qualitätsansprüchen. Peinlich dabei: In derselben Präsentation unterlief Bard ein Faktenfehler. Offenbar hat man noch einige Probleme zu lösen. So sehen es zumindest die Anleger: Der Börsenkurs der Google-Mutter Alphabet fiel nach der Vorstellung in Paris am Mittwoch um acht Prozent. Microsofts Kurs stieg hingegen um vier Prozent.