Den Zimt kann man schon von der Autobahn riechen. Direkt hinter der Abfahrt von der A33 am Teutoburger Wald türmen sich Duftwolken auf: Erst wabert der Geruch von Weihnachtsgebäck durch die Luft, dann Paprikahuhn, ein Stück weiter Pizza mit viel Oregano. Pfeffer kitzelt in der Nase. Besucher nehmen die größte Gewürzproduktion der Welt also wahr, weit bevor sie das Reich von Dieter Fuchs südlich der 9500-Seelen-Gemeinde Dissen sehen. Auf drei Hallen mit jeweils 10.000 Quadratmeter stapeln sich rund 26.000 Paletten, darauf tonnenweise Papier- und Stoffsäcke mit Gewürzen dieser Welt. Die ätherischen Öle, die der Dampf aus den Gewürzen löst, brennen in den Augen und auch in der Nase. Die Mitarbeiter riechen das schon lange nicht mehr.
Der heute 90-jährige Dieter Fuchs hat in den vergangenen Jahrzehnten ein Imperium geschaffen. Die kleinen Plastikdöschen mit seinen Gewürzen stehen in fast jedem deutschen Haushalt. Doch trotz des Quasi-Monopols war das Unternehmen verschlossen, Fuchs ließ sich ungern in seine Gewürzsäcke schauen. Im Sommer zog sich der Patriarch aus dem Unternehmen zurück. Auf die Fuchs-Gruppe kommt nun ein radikaler Wandel zu.
Dieter Fuchs gründete 1952 mit gerade einmal 24 Jahren seinen Ein-Mann-Betrieb, viel mehr als ein Fahrrad und 200 Mark in der Tasche hatte er nicht. Mit Geschick formte er ein Imperium und eroberte die Welt der Gewürze. 2017 machte die Fuchs-Gruppe einen Umsatz von fast 530 Millionen Euro. Damit ist Fuchs der größte Gewürzhersteller Deutschlands und mit 3.000 Mitarbeitern das größte Gewürzunternehmen weltweit, das in privatem Besitz ist. Dieter Fuchs wurde zum Quasi-Monopolisten, auch weil er in den 1990er Jahren anfing, im großen Stile Wettbewerber aufzukaufen, die sein Reich bedroht hätten. 1998 schluckte die Fuchs-Gruppe Ostmann, dann die Konkurrenten Ubena, Wagner, Kattus und die Asiamarke Bamboo Garden.Die Fuchs-Gruppe deckt in Deutschland knapp 80 Prozent des Umsatzes in der Milliarden-Euro-Gewürzbranche ab.
Dafür laufen die Maschinen im Werk nahezu ohne Pause. Lange Röhren saugen die Gewürze ein, mit Wasserdampf werden Verunreinigungen herausgeholt. In der sogenannten Gewürzmühle, die sieben Stockwerke hoch ist, unterlaufen die Gewürze sämtliche Produktionsschritte: Erst werden sie gereinigt, dann getrocknet, schließlich vermahlen, weiterverarbeitet oder zu Gewürzmischungen vermengt. All das passiert unter ohrenbetäubendem Lärm und hochtechnisiert. Nur eine Handvoll Arbeiter gibt es hier. Was einen immer begleitet, sind die ätherischen Öle, die beim Bedampfen der Gewürze freigesetzt werden.
Der Willy Wonka der Gewürzbranche
Zwischen der alten Produktionshalle und der neuen befindet sich das Anwesen von Dieter Fuchs. Dass der Senior auf dem eigenen Firmengelände wohnt, lässt seinen Führungsstil erahnen. Er galt als Patriarch durch und durch, der mit Kontrolle und einem sturen Kopf regierte. Etwas aus der Hand zu geben, fiel ihm schwer. Ein schlechtes Wort über die Fuchs-Gruppe und auch Senior Fuchs mag niemand öffentlich äußern. Dass unter ihm Angstkultur und Kontrolle geherrscht haben soll, wird nur hinter vorgehaltener Hand erzählt. Kein Wunder, dass die Firma lange einen Nachfolger suchte.
Fast scheint es, als ob Dieter Fuchs ein literarisches Vorbild gehabt hat: Willy Wonka aus "Charlie und die Schokoladenfabrik". Das Kinderbuch erzählt die Geschichte vom Schokofabrikanten Wonka, einem verschrobenem Mann, der sehr erfolgreich mit seinem Unternehmen ist - und der seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen wurde. Wonka erlange Weltruhm mit seiner Schokolade und lebte ebenso auf seinem Fabrikgelände, die Nachfolge entschied er letzten Endes per Los. So weit ging Fuchs zwar nicht, aber auch er haderte lange. Niemand war gut genug. Der erste Kandidat, Carsten D. Wehrmann, schmiss schon nach wenigen Monaten wieder hin. Fuchs, damals auch schon betagte 85 Jahre alt, gefiel die Ausrichtung der Firma nicht. Also ging Wehrmann.
Marmorkuchen steht für die Ära Dieter Fuchs
Inzwischen ist die Nachfolge geregelt - die aber muss jetzt einiges aufholen. Denn Fuchs wollte von der digitalen Welt, jüngeren Produktkategorien oder modernem Marketing nichts wissen. Er hielt an seinen Plastikdöschen genauso fest wie an Gewürzmischungen, die aus der Zeit gefallen schienen. So stand eine Würzmischung für Marmorkuchen viele Jahre im Fuchs-Gewürzregal, weil Fuchs es so wollte. Gekauft wurde sie nur selten.
"Eine der großen Veränderungen ist, Transparenz und Kommunikation - nach innen und nach außen. Das haben wir deutlich gesteigert", sagt der Marketingchef Jan Plambeck im Gespräch mit dem stern. Denn auch im Fuchsbau gibt es einiges zu tun. Die Ära des 90-Jährigen ist zwar beendet. Und doch sind die Vorstellungen des Firmengründers immer noch klar zu sehen. Die Geschäftsführung ist uniform: männlich, weiß und im Anzug. Untereinander wird gesiezt, Frauen im Management gibt es kaum. "In der Geschäftsleitung gibt es eine Frau. Wir haben es uns aber auf die Fahne geschrieben, weibliche Führungskräfte zu suchen", sagt der neue Fuchs-Chef Nils Meyer-Pries auf Nachfrage des stern.
Bis vor kurzem war es undenkbar, dass die Presse einen Blick auf die Produktionsstätten erhaschen könnte. Die Tür war fest verschlossen, Fuchs hielt nicht viel von Öffentlichkeitsarbeit. Jetzt präsentiert die Führung stolz, was Fuchs in den letzten Jahrzehnten geschaffen hat, und was sie nun endlich so weiterführen kann, wie sie es für richtig hält. Sich vor der digitalen Welt verschließen? Von wegen. Meyer-Pries und Plambeck setzen mit vollem Elan alles auf eine Karte: Facebook, Instagram, Pinterest, How-to-Videos, Rezeptempfehlungen, Videos der Kleinbauern, hippe Verpackungen, die die Millennials ansprechen sollen. Volle Fahrt voraus. Und das müssen sie auch. Denn Social Media gibt es bei Fuchs erst seit 2017.
Gewürze müssen transparenter werden
Die Fuchs-Gruppe beugt sich dem Druck der Verbraucher. Transparent sein könnten sie schon lange, aber erst jetzt, weil der Kunde es so will, wird es auch gemacht. Es wirkt alles ein bisschen gewollt: "Der Konsument fängt jetzt stärker an, nachzufragen. Vor ein paar Jahren war es noch nicht so ein großes Thema. Woher die Gewürze stammen und was man damit macht, könnten wir schon seit Jahrzehnten kommunizieren."
Die Ernährungsexpertin Hanni Rützler weiß, dass immer mehr Konsumenten ihre Lebensmittel nicht nur "verbrauchen", sondern auch "erleben" wollen. Das Interesse nach Herstellung und Qualität und diese auch sinnlich erfahren zu können, darauf muss die Lebensmittelindustrie reagieren.
Das Gewürz-Start-up Ankerkraut hat das von Anfang an verstanden: Gründer Anne und Stefan Lemcke haben sich selbst zur Marke gemacht, dass sie aus der Gewürzbranche nicht mehr wegzudenken sind. In einer Garage in Hamburg-Wilhelmsburg mischte Lemcke seine ersten Kräuter zusammen. "Es klingt wie ein Klischee, aber es war wirklich eine Garage", sagt Anne Lemcke dem stern. "Ich wollte etwas Handwerkliches machen", sagt der zuvor Selbständige im Online-Marketing. Dass er sich ausgerechnet die Gewürzbranche ausgesucht hat, kann man im besten Fall als mutig beschreiben.Denn eigentlich ist der Markt gesättigt.
Über eine Milliarde Euro Umsatz machen Gewürze in Deutschland. Dreiviertel davon fließen vor allem in die Kasse von Fuchs. Daneben gibt es die kleinen Mitmischer wie Ankerkraut, Just Spices oder Soul Spice, die volle Transparenz fordern. Deren Anteil am Markt? Nicht mehr als ein Prozent, aber die jungen Wilden greifen an.
Das Gerücht, dass Fuchs Ankerkraut in alter Manier für 20 Millionen Euro übernehmen wollte, hält sich hartnäckig in der Branche. Der Gewürzhersteller dementiert es natürlich, denn Ankerkraut ist weiterhin eigenständig. Der Zukauf wäre für Fuchs mehr als nur noch eine Übernahme gewesen, denn das Start-up macht viel von dem, was Fuchs anstrebt. Die wohl größte Herausforderung: Fuchs hat sich nie als Marke verstanden, ein Problem, das haben die neuen Chefs nun auch begriffen. Ankerkraut ist auf allen Social-Media-Kanälen präsent, auf Youtube haben sie ihre Fans bei ihrer Ernährungsumstellung teilhaben lassen. "Fan" ist hierbei das richtige Wort, ein Fanclub wird gerade registriert. Nicht von den Gründern selbst, sondern von ihren Gewürzgroupies.
In Dissen rattern indes die Maschinen weiter, direkt aus dem Lastwagen werden die Papier- und Stoffsäcke aus aller Welt in der Produktionshalle abgeladen. Oregano kommt mit Ästen und Steinen direkt aus der Türkei und wird vor Ort gereinigt, Paprika in Stoffsäcken als ganze Frucht von firmeneigenen Farmen aus Brasilien. Davon gibt es die ersten Imagefilme, die auch den Mitarbeitern in Dissen gezeigt werden. Die zeigen sich interessiert und verwundert. Denn wie das Geschäft bislang bei Fuchs lief, wissen nur die wenigsten von ihnen. Aber das soll sich ja nun auch ändern.