In einem typischen Takeshi-Kitano-Film hat meist irgendwann irgendjemand völlig unvermittelt ein Stäbchen im Auge oder eine zerborstene Flasche zwischen den Rippen. Der plötzliche Gewaltausbruch ist eines der Markenzeichen des japanischen Regisseurs, der gerne von einsamen Yakuza-Gangster erzählt, die ihre Gefühle entdecken, was man ihnen allerdings nie ansieht.
Dabei sind die im Westen als Kult gehandelten Werke wie "Sonatine", "Hana-Bi" oder auch "Zatoichi" in Japan nicht annähernd so erfolgreich wie Kitanos Fernsehauftritte als Komiker und Moderator wie zum Beispiel in der auch in Deutschland bekannten Nonsense-Spielshow "Takeshi's Castle". Film und Fernsehen sind jedoch nur ein kleiner Teil des großen Talentreservoirs dieses Mannes, der am 18. Januar 60 Jahre alt wird.
Die produktivste gespaltene Persönlichkeit der Welt
Kitano ist Schauspieler, Regisseur, Comedian, Drehbuchautor, Filmcutter, Maler, Dichter, Fernseh- und Radiomoderator, Schriftsteller, hat an der Universität unterrichtet und mehrere Computerspiele entworfen. In frühen Jahren soll er sowohl boxend als auch stepptanzend sein Geld verdient haben. Mittlerweile ist er in Japan in fünf TV-Shows pro Woche zu sehen, und die Anzahl der veröffentlichten Bücher summiert sich auf rund 50, darunter Romane, Gedichtsammlungen und filmtheoretische Texte. "Die produktivste gespaltene Persönlichkeit der Welt", nannte ihn einst die "New York Times". Seine Psyche brauche stets die beiden Extreme des Komischen und Ernsten, sagt Kitano selbst. "Sonst fehlt mir die Energie."
Freigesetzt wird diese Energie immer noch am anschaulichsten in seinen Filmen, die bei aller Brutalität, Kälte und stoischer Einsamkeit Momente geradezu absurder Komik zelebrieren. Dafür hat Kitano lange geübt: Sieben Jahre lang stand er in den 70ern und 80ern als eine Art Extrem-Harald-Schmidt mit Partner Kiyoshi Kaneko in dem Komikerduo The Two Beats auf der Bühne. Daher stammt auch sein Künstlername Beat Takeshi. Die erfolgreiche TV-Show kam zum Ende, als dem Kollegen die Witze zu heftig wurden. Also machte Kitano allein weiter - und das auch im Kino.
Der Anerkennung als seriöser Darsteller ließ allerdings auf sich warten. "Ich musste zehn Jahre lang Serienkiller und Vergewaltiger spielen, um vom japanischen Publikum als ernstzunehmender Schauspieler wahrgenommen zu werden", so Kitanos Kommentar. Internationale Anerkennung gab es 1997, als bei den Filmfestspielen von Venedig sein Yakuza-Drama "Hana-Bi" den Goldenen Löwen gewann. Kritiker, die seine Karriere als Regisseur danach für beendet erklärten, wurden sechs Jahre später eines Besseren belehrt, als er mit der Verfilmung der Legende des blinden, tanzenden Samurai "Zatoichi" Erfolge feierte.
Für tot erklärt
Erfolg und Humor wurden Kitano nicht gerade in die Wiege gelegt. Er wuchs als jüngstes von vier Kindern in einem Arbeitervorort von Tokio auf. Sein Vater habe in seinem ganzen Leben drei Mal das Wort an ihn gerichtet, erzählte Japans Superstar einst. Der Wandmaler soll Mitglied der Yakuza gewesen sein. Kitanos Mutter schuftete dafür, dass ihr Sohn zur Universität gehen konnte. Ein Ingenieursstudium brach er dann ab, um als Komiker zu arbeiten. Über Wasser hielt er sich mit Gelegenheitsjob.
Es gibt auch eine große Zäsur im Leben des hyperaktiven Multitalents. 1994 wurde Kitano bei einem Unfall mit dem Motorroller so schwer verletzt, dass die Presse ihn schon für tot erklärte. Mühsam rappelte er sich wieder hoch, saß lange im Rollstuhl, unterzog sich mehreren plastischen Operationen, seine rechte Gesichtshälfte ist noch immer teilweise gelähmt. Doch selbst den regungslosen Ausdruck hat er mittlerweile zum Markenzeichen gemacht.
Eine Autobiografie hat er auch schon verfasst. Die heißt "Ikiru" (Leben) - wie einer der Filme des japanischen Regiemeisters und Kitano-Vorbild Akira Kurosawa. Darin schreibt Kitano über das Leben, das Sterben und die Kunst. Ausufernde Erklärungen seiner Werke sollte man jedoch nicht erwarten: "Mit einer Botschaft ist es keine Kunst mehr", sagte er anlässlich seines 60. Geburtstags der japanischen Tageszeitung "Mainichi Shimbun". Man würde ja auch einen Picasso nicht fragen: "Warum haben Sie dieses Bild gemalt?"