Wenn die Realität die Fiktion überholt, ist das selten ein gutes Zeichen. Im Jahr 2020 ist das aber gelebte Realität. Vor wenigen Wochen habe ich mit meiner Frau eine Folge der Neuauflage von "Twilight Zone" gesehen. In dieser Geschichte erzählt Regisseur Jordan Peele von einer stolzen Mutter, die mit ihrem Sohn durch die USA fährt, um ihn zu seinem ersten Tag an der Universität zu begleiten.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Während des Road Trips begegnen sie einem weißen Highwaypolizisten, der die beiden - das wird schnell klar - aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe drangsaliert. Durch Rückspulen dieser Situationen (ja, Twilight Zone) kann die Frau die Szene immer und immer wieder neu durchleben, um beim nächsten Mal heil heraus zu kommen, ja, keine Angriffsfläche zu bieten. Doch, was immer sie tun - die Repressalien gegen sie und vor allem den Sohn werden immer schlimmer. Bis hin zum tödlichen Schuss.
Erkenntnis: Du kannst machen was du willst - auch als rechtschaffener Bürger hast du als Schwarzer in Amerika keine Chance auf faire Behandlung. Und doch gibt es ein Happy End: Durch einen Trick gelangen Mutter und Sohn vor das Tor der Universität, werden von dem Cop gestellt und entgehen doch ihrem Schicksal, weil viele andere (schwarze) Menschen die Situation filmen.
Wir sind viele, wir sind stark. Wir sind frei. Ein Ende, das wir offen gestanden etwas pathetisch und hollywoodesk fanden. Nun aber müssen wir Wochen später erkennen: Was in der Twilight Zone funktioniert, gilt leider nicht für Minneapolis. George Floyd ist tot. Trotz Kamera. Ein qualvoller, langer Erstickungstod.
"My execution might be televised", so prangt es auf T-Shirts. Achteinhalb fürchterliche Minuten, die nur die ernüchterte Erkenntnis zulassen: Als Schwarzer, als Person of Colour hast du in den Vereinigten Staaten nicht nur eine größere Wahrscheinlichkeit, Covid-19 nicht zu überleben, es reicht mitunter schon eine Polizeikontrolle. Ein gefälschter 20 Dollar Schein.
Rassismus ist seit 400 Jahren ein Problem
Allein, der Rassismus ist eine Infektionskrankheit, für deren Quelle Donald Trump nicht in China suchen muss. Fairerweise sei gesagt: Nein, den Rassismus hat der amerikanische Präsident (das ist er ja wirklich!) nicht erfunden. Auch sein Vorgänger hat vergeblich versucht, dieses seit rund 400 Jahren in den Staaten währende Problem in den Griff zu kriegen.
Doch, wo Barack Obama inmitten eines Schwelbrandes nachsichtige, versöhnliche Worte fand, rückt Trump mit dem Kerosinfass an. Schon die Bewertung des Todes von George Floyd war eine Zumutung. "Sehr traurig und tragisch."
Traurig und tragisch ist ein Skiunfall oder ein Herzinfarkt. Was mit George Floyd in Minneapolis geschah, mit Eric Garner in Staten Island, Michael Brown in Ferguson war Mord, Polizeigewalt, struktureller Rassismus. Die Tatsache, dunkelhäutig zu sein, hatte gereicht, dass Ahmaud Arbery das Ende seiner Joggingrunde auf der Straße nicht mehr erleben sollte.
Die Hinterbliebenen Floyds rufen zur Gewaltlosigkeit auf - und Trump?
Es war nicht zu erwarten, dass ausgerechnet der Präsident dies klar benennen würde, dem zu White Supremacists nach einem tödlichen Zwischenfall in Charlottesville nichts anderes einfiel als "fine people" und der die Rechten, die unlängst schwer bewaffnet das Capitol in Michigan stürmen wollten, um gegen den Corona-"Lockdown" zu protestieren, für "good people" hält.
Eine Behandlung, die sich der schwarze CNN-Reporter Omar Jimenez sicher gewünscht hätte, als er während einer Live-Übertragung aus Minneapolis verhaftet wurde, weil er ... tja, warum eigentlich?
Eine Welle von Demonstrationen schwappt über das Land, in rund 25 Staaten ist die Nationalgarde im Einsatz. Es kommt zu Ausschreitungen, Gewalt, Plünderungen und der Forderung nach Strafen für die drei mittlerweile entlassenen Polizisten, die ebenfalls anwesend waren, als George Floyd getötet wurde. Während die Hinterbliebenen Floyds zur Gewaltlosigkeit aufrufen.
Eine Nebelkerze, die vom Kern der Unruhen ablenken soll
Und Trump? Der hat längst seinen Ton gefunden, pinkelt "LAW AND ORDER" an seinen persönlichen Hydranten Twitter, fordert die Gouverneure zu mehr Härte auf und trollt "Sleepy Joe" Biden, denn nichts ist so wichtig, als dass man es nicht noch zur persönlichen Show machen könnte.
Unterdessen erwägt er, die ANTIFA zur Terrororganisation zu erklären. Eine Nebelkerze, die wunderbar vom Kern der Unruhen ablenken soll. Hier gibt einer den starken Präsidenten, der einem geneigten oder unkundigen Publikum vorgaukelt, die Dinge wieder einmal selbst regeln zu müssen, während entfesselte Irre mit Duldung schwacher (demokratischer Gouverneure) sein schönes Amerika zerstören wollen.
Die Demonstranten sollten nicht so dumm sein, ihm den Gefallen zu tun. Wer aus berechtigter Wut über Unterdrückung, Frust nach harten Monaten Corona-Lockdowns oder purer Lust an der Zerstörung Gewalt ausübt, mag Erleichterung empfinden, nur: Man erledigt so zielsicher Trumps Geschäft.
Black Lives gewinnen Trump keine Wiederwahl
Wer dem großen Wahrheitsbeuger die Möglichkeit gibt, mit harter Hand Kontrolle über ein aus den Fugen geratenes Land zu simulieren, der ermöglicht das, was doch eigentlich genau verhindert werden soll: dessen Wiederwahl.
Wie viel besser sind da doch die Solidaritätsbekundungen vieler Polizisten überall im Land, die als Zeichen des friedlichen Protests demütig knien und so zeigen: Die gewaltbereiten Cops, die brutalen Polizisten, die KKK-Zeichen - das sind nicht wir. Wir sind auf eurer Seite. Black Lives matter.
Black Lives gewinnen Trump aber keine Wiederwahl. Und weil jemand, der im Labor Reality-TV gezüchtet wurde nur mit starken Bildern existieren kann, ist er gnadenlos in der Durchsetzung ebendieser: Um sich als eine Art Gotteskrieger vor einer Kirche ablichten zu lassen, lässt er friedliche Demonstranten aus dem Weg schaffen. Und droht er mit dem Einsatz von "Abertausenden schwer bewaffneten Soldaten". Im Inland, wohlgemerkt.
"Walk with us"
Das ist schon näher an Erdogan und dem Gezi-Park, als sich selbst die härtesten Kritiker je hätten vorstellen können. Warum gelingt einem Sheriff in Flint, Michigan das, was einem amerikanischen Präsidenten nicht möglich ist: Einer Menge aus Demonstranten gegenüberstehend, nimmt er den Helm ab und fragt, was er tun kann.
"Walk with us" schallt es ihm entgegen. Und so marschiert Chris Swanson mit den Demonstranten. Friedlich. Ohne Visier. Ohne Schlagstock. Für dieselbe Sache.
Make America Great Again? Welches war denn genau gut? Als Schwarze hinten im Bus sitzen mussten?
Wanna make America great? Walk with us.