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Asyl- und Migrationspolitik Warum machen wir es nicht wie Schweden und Dänemark?

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Nach dem Messerangriff in Solingen wird über Verschärfungen in der Asylpolitik in Deutschland debattiert – nach schwedischem und dänischen Vorbild? (Symbolbild)
© Action Press
Nicht nur CDU-Chef Friedrich Merz kann der restriktiven Asylpolitik der nordischen EU-Staaten offenbar einiges abgewinnen. Doch Dänemark und Schweden taugen nur bedingt als Vorbild.

Als Friedrich Merz die Asylpolitik der Ampel zum Totalausfall erklärte, warf der CDU-Chef auch einen demonstrativen Blick nach Norden, um die angebliche Verzagtheit der Bundesregierung zu unterstreichen.

"Das ganze System funktioniert nicht mehr richtig", konstatierte der CDU-Chef am Dienstag, Deutschland habe bei der Begrenzung irregulärer Migration ein "quantitatives Problem", das nicht mehr beherrschbar sei. Aber lösbar, meint Merz. Schweden und Dänemark hätten es schließlich hingekriegt. Warum wir nicht? 

Lange Zeit wurden Dänemark und Schweden für ihre niedrigen Standards in der Asylpolitik kritisiert. Mittlerweile ist der Blick ein anderer, auch in Deutschland. Der mörderische Messerangriff von Solingen, bei dem mutmaßlich ein abgelehnter Asylbewerber aus Syrien drei Menschen tötete, hat die Debatte um eine härtere Gangart in der Asylpolitik neu entfacht. 

Die beiden EU-Staaten werden nunmehr als Beleg dafür herangezogen, wie sich irreguläre Migration signifikant begrenzen lasse, Abschiebungen auch nach Afghanistan durchgeführt werden könnten. Ziele, die auch die Ampel-Koalition in Berlin verfolgt. Also warum machen wir es nicht wie Schweden und Dänemark? 

Weil die nordischen Staaten nur bedingt als Blaupause für Deutschland taugen. Ein direkter Vergleich ist schwierig – politisch, aber auch rechtlich und geographisch. 

Das Prinzip Abschreckung

Seit Jahren verzeichnen Dänemark und Schweden mehr oder weniger kontinuierlich sinkende Asylbewerberzahlen, in Schweden wird in diesem Jahr sogar mit den niedrigsten Zuzügen seit 1997 gerechnet. Der Abwärtstrend lässt sich für beide Länder auf folgende Formel bringen: Schweden und Dänemark setzen darauf, möglichst unattraktiv für Asylbewerber zu sein – und nehmen dafür auch humanitäre Härten in Kauf.

"Schweden schreckt nicht davor zurück, bis an die Grenzen des rechtlich Zulässigen zu gehen, um ein klares Abschreckungssignal zu senden", sagt Bernd Parusel, Migrationswissenschaftler am Swedish Institute for European Policy Studies (SIEPS) in Stockholm, dem stern. "In Schweden hat man das Ziel, alles abzuschaffen, was nicht vom internationalen und europäischen Recht zwingend vorgeschrieben ist."  

Schon Ende 2015 habe die schwedische Regierung eine restriktivere Migrations- und Asylpolitik eingeleitet, die jetzige liberal-konservative Koalition habe diesen Kurs nochmal intensiviert. Beispielsweise wurden die ohnehin niedrigen Sozialleistungen für Asylsuchende seit 1994 nicht erhöht, der Familiennachzug erschwert, auch die Arbeitsmigration drastisch eingeschränkt. 

Das Ergebnis: Schweden werde von Geflüchteten nicht mehr als aufnahmebereites Land gesehen, "in dem man als Schutzsuchender willkommen ist, erwünscht ist und sich gut integrieren kann", sagt Migrationsforscher Parusel. Andere EU-Staaten würden hingegen noch als aufnahmebereit wahrgenommen, wie beispielsweise Deutschland. Man könnte auch argumentieren: Schweden verfolgt einen rigorosen Kurs – auf Kosten anderer EU-Staaten, die stattdessen die Verantwortung übernehmen. 

"Schweden profitiert aber auch von seiner geographischen Randlage in Europa", sagt Parusel. Mehrere EU-Staaten kontrollieren ihre Schengengrenzen – auch Deutschland –, folglich sei es für Aslysuchende schwieriger, auf dem Landweg bis nach Schweden zu gelangen, ohne dabei registriert oder aufgehalten zu werden. Auch das gehört also zur Antwort auf die Frage von CDU-Chef Merz, warum Schweden es im Gegensatz zu Deutschland hinkriege – obwohl das Land ja sogar "große, lange Außengrenzen" habe, wie der Oppositionsführer betonte. Die schwedische Grenze ist schlichtweg schwieriger zu erreichen. 

"Du bist unerwünscht. Akzeptiere, dass du in diesem Land keine Zukunft hast"

Auch Dänemark versucht das Image zu kultivieren, keine angenehme Adresse für Asylsuchende zu sein. Unter dem Eindruck der Fluchtbewegung 2015/2016, ausgelöst durch den Bürgerkrieg in Syrien, verabschiedete die damalige rechtsliberale Regierung umfangreiche Rechtsverschärfungen. 

So wurde der Polizei beispielsweise ermöglicht, Wertgegenstände von Asylsuchenden ab einem Wert von rund 1340 Euro zu beschlagnahmen. Der Familiennachzug wurde erschwert, die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis verschärft. Geldleistungen wurden gekürzt und in Sachleistungen umgewandelt. Asylsuchende dürfen seitdem nur noch in Asylzentren wohnen und müssen dort die Entscheidung über ihren Antrag abwarten. Weitere Verschärfungen folgten 2023: Die von den Sozialdemokraten angeführte Regierung beschloss, dass Asylberechtigte ihren Aufenthaltsstatus verlieren können, wenn sie Urlaub in ihrem Heimatland machen. 

Dass Dänemark in der Asylpolitik härtere Bandagen anlegen kann als beispielsweise Deutschland, liegt an den "Opt-outs", die sich das Land im Rahmen seiner Integration in die EU gesichert hat. So ist Dänemark nicht an das EU-Recht zum Thema Asyl und Einwanderung gebunden, die Asylverfahrensrichtlinie gilt hier beispielsweise nicht. Auch an die Dublin-Verordnung ist Dänemark nicht gebunden, wenngleich es ein gesondertes Abkommen dazu ausgehandelt hat. Trotzdem ist Dänemark an die UN-Flüchtlingskonventionen gebunden, die es ratifiziert hat und auf denen die EU-Regeln basieren. 

Die harte Linie scheint Wirkung zu zeigen, zumindest mit Blick auf die Zahlen. Bis zum Stichtag 31. Juli des laufenden Jahres wurden 1268 Asylsuchende erfasst. Im gesamten Jahr 2023 waren es knapp 2500, wie das dänische Ausländer- und Integrationsministerium berichtet. Allerdings wird der restriktive Kurs auch deutlich kritisiert, etwa vom Dänischen Institut für Menschenrechte. Die strengen Einwanderungsgesetze würden die Menschenrechte von Flüchtlingen und Ausländern unter Druck setzen. Besonders betroffen seien abgelehnte Asylsuchende, Geduldete und ehemalige Flüchtlinge, deren Aufenthaltserlaubnis widerrufen wurde. 

Deutliche Kritik gibt es auch an den so genannten "Ausreisezentren" wie Kærshovedgård, Ellebæk oder Sjælsmark, in denen abgelehnte Asylbewerber untergebracht werden. Die Zustände dort werden als gefängnisartig beschrieben. Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) kritisierte die Zustände in Ellebæk nach einem Besuch im Jahr 2019 als inakzeptabel und verglich diese mit Haftbedingungen in Ländern wie Russland. Aber das ist offensichtlich so gewollt. "Orte wie Kærshovedgård sollten nicht so gestaltet sein, dass man gerne hier in Dänemark bleibt", verteidigt Ausländer- und Integrationsminister Kaare Dybvad Bek, ein Sozialdemokrat, die Einrichtung. "Sie sollen deutlich machen: Du bist unerwünscht. Akzeptiere, dass du in diesem Land keine Zukunft hast."

Ein Vorbild für Deutschland? Das müsse man sich genau überlegen, mahnt Migrationsforscher Parusel mit Blick auf Schweden. Viele der restriktiven Maßnahmen hätten eine "Schattenseite". 

"Wenn man nur befristet Schutz gewährt und Flüchtlinge damit in Unsicherheit lässt und vielleicht auch noch den Familiennachzug erschwert, dann kann sich das negativ auf die Integration auswirken, die man ja eigentlich verbessern will", sagt der Experte. Außerdem sei es aus einer "Kontrollperspektive nicht unbedingt wünschenswert", abgelehnten Asylbewerbern die Wohnung und die Sozialleistungen zu streichen, sollten sie nicht freiwillig ausreisen. Oft wisse man dann nicht mehr, wo sich die Menschen aufhielten. 

Nach Afghanistan abschieben?

Ein Beispiel an Schweden könne man sich beim Thema Abschiebungen nach Afghanistan nehmen, findet nicht nur CDU-Chef Merz, sondern auch sein Generalsekretär Carsten Linnemann. "Schweden zeigt doch, dass es geht", schrieb er nach dem tödlichen Angriff eines Afghanen auf einen Polizisten in Mannheim in einem Gastbeitrag für die "Welt". "Von dort wurden im vergangenen Jahr gleich mehrere Personen wegen Straftaten direkt nach Afghanistan abgeschoben." 

Aktuell sucht die Ampel-Koalition nach Wegen, Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan rechtlich und praktisch zu ermöglichen. Rückführungen sind seit August 2021 ausgesetzt, seinerzeit als Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban. Bis heute erkennt Deutschland die Taliban-Regierung nicht an, eine Kooperation bei Abschiebungen gibt es also nicht. 

Das gilt aber auch für Schweden. Trotzdem wird nach Afghanistan abgeschoben – oder?

Seit Jahresanfang hat Schweden keine Abschiebungen in unsichere Länder wie Afghanistan mehr durchgeführt, berichtet das "Handelsblatt" und beruft sich dabei auf die schwedische Einwanderungsbehörde. Vergangenes Jahr wurden den offiziellen Angaben zufolge fünf straffällig gewordene Afghanen in ihr Heimatland ausgewiesen. Offenbar über einen Umweg: Von Schweden nach Usbekistan, um dann nach Kabul weiterzufliegen – schließlich gibt es keine offizielle Kooperation mit Afghanistan. Auch die Bundesregierung befindet sich aktuell in Verhandlungen, um Abschiebungen über Nachbarstaaten durchzuführen. 

Rückführungen seien in Europa generell schwierig umzusetzen, sagt Migrationsforscher Parusel. Viele Länder seien nicht sicher, andere wollten ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen, mal fehlten Informationen zur Herkunft der Asylsuchenden.  "Mit viel Personal und Geld kann man sicher ein Stück weit Fortschritte machen", so der Migrationsforscher, "aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Rückführungen in absehbarer Zeit perfekt funktionieren werden." 

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