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«DATTALION»: Wie ukrainische Frauen mit dem Handy gegen Russland kämpfen

Dieses Foto trägt den Beschrieb: «Rohan, Region Charkiw, Folgen der russischen Besetzung».
Dieses Foto trägt den Beschrieb: «Rohan, Region Charkiw, Folgen der russischen Besetzung».bild: dattalion

Das «Datenbataillon» – wie Ukrainerinnen mit dem Handy gegen Putins Schergen kämpfen

Die von Frauen gegründete Initiative «Dattalion» steht in der Ukraine an vorderster Front und wird von Freiwilligen auf der ganzen Welt unterstützt. Ihr Ziel: Russlands illegalen Angriffskrieg als das zeigen, was er ist.
24.04.2022, 08:0125.04.2022, 10:54
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Nur drei Tage nach Beginn der russischen Invasion gründete eine Gruppe weiblicher Freiwilliger eine Einheit, die mit dem Smartphone den Angriffskrieg dokumentiert. Seither sorgt das «Dattalion» mit seiner Arbeit weltweit für Aufsehen.

«Unsere Waffe ist die Wahrheit – es sind die Videos und Fotos in unserer Datenbank, die zeigen, was passiert.»
Marya, Dattalion-Gründerin

Wie es anfing

Am 27. Februar, drei Tage nach Beginn der russischen Invasion, startete die Ukrainerin Mariya* mit Freunden eine Spezialeinheit, wie es sie noch nicht gegeben hat auf der Welt.

Die Freiwilligen-Truppe nennt sich «Dattalion», sie besteht vor allem aus Ukrainerinnen und Helfern im Ausland, und ihre wichtigsten Waffen sind das Smartphone und das Web.

So beschreibt sich die Einheit selbst:

«DATTALION – das ukrainische Datenbataillon – ist ein von Frauen geführtes Kollektiv von etwa 120 Ukrainern (hauptsächlich Mütter und Ehefrauen), die im Krieg gegen Russland kämpfen, indem sie Zeugenvideos von der Frontlinie sammeln und verbreiten.»

Der Name ist eine Kombination aus den beiden englischen Wörtern Data («Daten») und Batallion («Bataillon»).

Die Einheit stellt sich im Video vor:

Eine Reporterin der französischen Frauenzeitschrift «Marie Claire» konnte Marya befragen. Sie verriet, dass die Initiantinnen zunächst ein Brainstorming durchgeführt hätten mit mehreren ausländischen Journalisten.

«Wir haben sie gefragt, was wir tun könnten, damit ausländische Medien zeigen, was wirklich in der Ukraine vor sich geht.»
Ein Foto aus der Reihe «Children of War».
Ein Foto aus der Reihe «Children of War». bild: dattailon

Wie «kämpft» Dattalion?

Seit dem Überfall auf ihr Land sammeln die freiwilligen Helferinnen und Helfer Augenzeugenvideos und Fotos, die direkt an sie übermittelt oder auf eine der bekannten Social-Media-Plattformen hochgeladen werden.

Dann sichten sie das Material, laden es auf die eigenen Social-Media-Kanäle und in die freie Datenbank (siehe unten) hoch und fügen Ortsnamen, Geodaten und Tags hinzu.

Ziel sei es, die Bombardierungen und Attacken auf die Zivilbevölkerung zu dokumentieren und die von den Invasoren begangenen Kriegsverbrechen anzuprangern.

Die Verantwortlichen fragen den Westen, wo die rote Linie zu ziehen sei für Putin. «Wie viele Kriegsverbrechen müssen wir noch erleben? Wir sind bereits Zeugen eines Völkermords auf den Strassen Europ ...
Die Verantwortlichen fragen den Westen, wo die rote Linie zu ziehen sei für Putin. «Wie viele Kriegsverbrechen müssen wir noch erleben? Wir sind bereits Zeugen eines Völkermords auf den Strassen Europas.»screenshot: dattalion.com
  • Hauptanlaufstelle ist die Website dattalion.com, wo über das Projekt und die Hintergründe informiert wird.
  • Dann gibt's die Datenbank mit Augenzeugen-Videos und Fotos, die vor allem zivile Opfer und Schäden zeigen, sie ist über den Online-Speicherdienst Google Drive für Journalisten und alle Interessierten frei verfügbar.
  • Daneben gibt's eine Instagram-Seite.
  • Einen Twitter-Account.
  • Und eine LinkedIn-Seite.
Dieses Foto ist auf den 15. April datiert. Im Beschrieb steht: «Die Besatzer der Region Donezk halten die gesamte Stadt als Geisel und verwandeln sie nach und nach in ein grosses Arbeitslager.»
Dieses Foto ist auf den 15. April datiert. Im Beschrieb steht: «Die Besatzer der Region Donezk halten die gesamte Stadt als Geisel und verwandeln sie nach und nach in ein grosses Arbeitslager.»bild: dattalion

Die Datenbank richtet sich an Reporter, Politiker, Prominente, Dokumentaristen – im Prinzip einfach an jede Person, die über eine Plattform, bzw. Reichweite verfügt.

Gegenüber der Frauen-Zeitschrift «Marie Claire» betonte die Initiantin, dass Dattalion die ukrainische Regierung unter Präsident Wolodymyr Zelensky unterstütze.

«Wir sind unabhängig, aber wir gewähren der ukrainischen Regierung Zugriff auf unsere Daten und Zugriff auf alle Dateien, da sie diese für ihre Kommunikation verwenden. Sie können es auch als Beweismittel in Verfahren gegen Russland vor internationalen Gerichten verwenden.»

Dattalion nutzt die Social-Media-Kanäle auch, um positive Nachrichten im Informationskrieg zu verbreiten. Seien dies Schilderungen von mutigen Mitbürgerinnen, Fotos von geretteten Haustieren oder ungewöhnliche Hilfsaktionen, wie die eines polnischen Bäckers, der nach Bekanntwerden der russischen Gräuel in die Stadt Butscha nahe Kiew reiste, um Brot zu backen für ukrainische Soldaten und Zivilisten.

Bild
screenshot: twitter

Was für Material enthält die Datenbank?

watson hat sich durch Ordnerstruktur und die nach Datum aufgelisteten Videos und Bilder geklickt, um sich einen eigenen Eindruck des Materials zu verschaffen. Warnung: Es finden sich darunter nicht nur Aufnahmen von zerstörten Gebäuden, wie Schulen und Wohnblocks, sondern auch Leichen und zivile Opfer mutmasslicher Kriegsverbrechen.

An einem Baum angebrachte Sprengfalle: Im Beschrieb zum Foto steht, «die Besatzer zogen sich aus der Region Kiew zurück, hinterliessen aber viele schreckliche Überraschungen (...)».
An einem Baum angebrachte Sprengfalle: Im Beschrieb zum Foto steht, «die Besatzer zogen sich aus der Region Kiew zurück, hinterliessen aber viele schreckliche Überraschungen (...)».bild: dattalion

Die Dattalion-Verantwortlichen, die anonym bleiben möchten, nennen auf ihrer Website eindrückliche Zahlen*.

  • Es seien über 1800 Videos verfügbar.
  • Ausserdem mehr als 3400 Fotos.
  • Die Datenbank habe inzwischen schon mehr als 25'000 Downloads zu verzeichnen.

* Stand: 21. April 2022, Quelle: dattalion.com

Dieses Foto ist aus einer Serie mit der Bezeichnung «Children of the War».
Dieses Foto ist aus einer Serie mit der Bezeichnung «Children of the War».bild: dattalion

Wer steckt dahinter?

Die Gründerinnen treten nur unter Pseudonym auf und halten vor der Kamera ihr Gesicht bedeckt, bzw. wollen unerkannt bleiben, weil ihnen Vergeltungsmassnahmen drohen.

Die Gruppe ist seit der Gründung auf mehr als 120 Freiwillige angewachsen, sie besteht hauptsächlich aus Frauen und überwiegend aus Ukrainerinnen. Darunter soll es zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft haben. Aber auch Künstlerinnen und Sportlerinnen gehörten dazu.

Ungefähr die Hälfte der Dattalion-Helferinnen sei in der Ukraine und die andere Hälfte ausserhalb des Landes. Zudem habe man ausländische Freiwillige auf der ganzen Welt.

Im folgenden bei Twitter veröffentlichten Video ist eine ukrainische IT-Unternehmerin zu hören, die sich Martina nennt. Sie erzählt, dass sie nicht mit herkömmlichen Waffen umzugehen wisse, darum habe sie sich entschieden, so zu helfen.

«Ich kenne mich mit den digitalen Möglichkeiten aus. Hier kann ich am meisten bewirken.»
Maria, Dattalion-Mitglied

Viele seien Ehefrauen und Mütter, die, nachdem sie ihre Kinder vor allem im Westen des Landes in Sicherheit gebracht hatten, in die Kriegsgebiete zurückkehrten. Dort versuchen sie, die Gräueltaten mit dem Handy zu filmen.

Was ist mit Fälschungen und Desinformation?

Gemäss Einschätzung von unabhängigen Fachleuten, aber auch den Dattalion-Verantwortlichen selbst, gibt es einen grossen Vorbehalt in Bezug auf das veröffentlichte Material: Die Freiwilligen, die Videos und Fotos bereitstellen, seien keine ausgebildeten Journalisten, und viele Inhalte würden anonym eingereicht.

Zwar versichern die freiwilligen Helferinnen und Helfer, die Authentizität von Fotos und Videos werde basierend auf Zeit- und Ortsangaben überprüft. Genauere Angaben werden dazu allerdings nicht gemacht. Bei Google Drive wird das Material in Ordnern nach den Kriterien «Trusted» (Vertrauenswürdig) und «Not Verfied» (Nicht überprüft) abgelegt.

Wird Dattalion in Russland wahrgenommen?

Das ist fraglich.

Bekanntlich herrscht in Russland eine rigorose Zensur. Das Putin-Regime versucht, das Land abzuschotten und die Bevölkerung mittels Propaganda zu beeinflussen.

Die Dattalion-Verantwortlichen sagen, sie hätten ihre Datenbank allen unabhängigen russischen Medien zur Verfügung gestellt, und mittlerweile sei sie ja frei zugänglich.

Und die Dattalion-Gründerin Marya meint:

«Ich denke, viele Russen sind einer Gehirnwäsche unterzogen, und wir konzentrieren uns im Moment nicht auf sie (...).»

* Marya sagte gegenüber «Marie Claire», es gehe ihr nicht um die physische Gefährdung, wenn sie anonym bleiben wolle, denn nun halte sie sich in der EU auf und fühle sich sicher. Es gehe ihr vielmehr «um Cyber-Bedrohungen». Denn durch einen Angriff auf sie oder irgendein anderes Mitglied des Dattalion-Teams könnten Hacker an die Datenbank gelangen und sie zerstören.

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Päule Freundt
24.04.2022 08:20registriert März 2022
Was für kluge Frauen! So können die Russen ihre Gräueltaten niemals unter den Teppich kehren. Kein Wunder müssen diese Frauen noch für sehr lange Zeit anonym bleiben. Es wird generell russische Racheakte geben, selbst wenn der Krieg irgendwann vorbeisein wird.

Die Bewunderung für die mutigen Ukrainerinnen und Ukrainer steigt immer mehr und die Abscheu vor der russischen Führung mit ihrer unmenschlichen Armee ebenso.
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whoozl
24.04.2022 09:39registriert November 2017
Die Dattalion-Helferinnen haben meinen allergrössten Respekt für ihre wertvolle Arbeit und die hohen Risiken, die sie damit eingehen!

Dafür, dass angeblich nur ausgebildete Journalisten wahrheitsgemäss berichten könnten, habe ich allerdings wenig Verständnis!
Vielmehr glaube ich, dass gerade die freiwilligen Helferinnen, die verständlicherweise anonym bleiben wollen, über die Wahrheit ungeschönter berichten!
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Haarspalter
24.04.2022 11:03registriert Oktober 2020
Gute Sache.

Ein anderes, russisches, „Dattalion“ sollte aber im Auge behalten werden:

Seit Kriegsbeginn hätten an die 30‘000 junge Informatiker Russland verlassen und seien nach Westen „geflüchtet“, hiess es kürzlich.

Das sei ein Beweis, dass die junge russische Intelligenzija kritisch gegenüber dem Regime sei.

Warum ausgerechnet so viele Informatiker?

Sind das effektiv alles Putingegner?

Oder werden nun tausende regimetreue IT-Spezialisten in den Westen geschleust?

Würde ich aktuell ausgerechnet einen Russischen IT-Spezialisten in meiner Firma anstellen wollen?
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