Bundestagswahl 1972

Wahl zum 7. Deutschen Bundestag am 19. November 1972
1969Wahl zum
7. Bundestag 1972
1976
(Zweitstimmen) [1]
 %
50
40
30
20
10
0
45,8
44,9
8,4
0,9
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu 1969[2]
 %p
   4
   2
   0
  −2
  −4
  −6
+3,1
−1,2
+2,6
−4,5

Die Bundestagswahl 1972 fand am 19. November 1972 statt. Die Wahl des 7. Deutschen Bundestages war die erste vorgezogene Bundestagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und die mit der höchsten Wahlbeteiligung (91,1 % der Wahlberechtigten). Die SPD erhielt erstmals mehr Stimmen als die CDU/CSU.

   
Insgesamt 518 Sitze
Verhältnis Regierung-Opposition im
7. Deutschen Bundestag
  
Insgesamt 518 Sitze

Hintergrund

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Willy Brandt (SPD) und Walter Scheel (FDP) am Wahlabend
 
Rainer Barzel, Kandidat von CDU/CSU, im Wahlkampf
 
Wahlplakate verschiedener Kandi­daten auf dem Kölner Neumarkt (Willy Brandt, Hans Katzer, H.-J. Wisch­newski, Helga Wex)

Notwendig wurde die Wahl, nachdem die Mehrheit der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt im Lauf der Legislaturperiode nach und nach durch Fraktionswechsel bröckelte: je vier Abgeordnete der SPD (u. a. Herbert Hupka) und der FDP (u. a. Erich Mende) verließen aus Ablehnung der Neuen Ostpolitik das Regierungslager und schlossen sich der CDU/CSU-Fraktion an.

Im April 1972 scheiterte ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Willy Brandt, bei welchem Rainer Barzel zum Bundeskanzler gewählt werden sollte, an zwei fehlenden Stimmen. Wie in den 1990ern bekannt wurde, waren dabei mindestens zwei Stimmen gegen Barzel (Julius Steiner, CDU und Leo Wagner, CSU) durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gekauft worden (siehe unter Steiner-Wienand-Affäre); die genauen Hintergründe sind dauerhaft unbekannt (Misstrauensvotum 1972). Trotzdem besaß die Koalition keine handlungsfähige Mehrheit mehr, sodass Bundespräsident Gustav Heinemann nach einer im September 1972 negativ beantworteten Vertrauensfrage von Bundeskanzler Brandt den Bundestag auflöste.

Obwohl bereits unmittelbar nach dem gescheiterten Misstrauensvotum vom April 1972 feststand, dass die Koalition ihre Mehrheit verloren hatte, zögerte Brandt in Übereinkunft mit der Opposition die notwendige Vertrauensfrage bis zum Herbst hinaus. Offizieller Grund waren die Olympischen Sommerspiele im August/September, deren Organisation man weder durch einen Wahlkampf, eine Regierungsbildung noch gar einen Regierungswechsel überlagern wollte. Auch organisatorische Fragen spielten bei allen Parteien eine Rolle. Für die SPD kam überdies hinzu, dass die Umfragewerte im Frühjahr katastrophal ausfielen und erst durch die von Albrecht Müller maßgeblich geplante Kampagne ein Stimmungsumschwung möglich wurde.

Für die Unionsparteien trat der CDU-Parteichef und Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel als Kanzlerkandidat an. Es war ein emotional geführter Wahlkampf mit hoher Wahlbeteiligung, denn es ging um die Bestätigung oder Ablehnung der ersten sozialliberalen Koalition der Bundesgeschichte und ihrer kontrovers aufgenommenen Ostpolitik. Die SPD profitierte von ihrer guten Mitgliederstruktur und Stärke auf Basis der Ortsvereine, die die CDU noch nicht besaß.[3]

Erstmals durften auch junge Menschen im Alter von 18 bis 20 Jahren an der Bundestagswahl teilnehmen, nachdem am 31. Juli 1970 das Wahlalter für das aktive Wahlrecht von 21 auf 18 Jahre gesenkt wurde, also erstmals und zugleich das einzige Mal unter das jeweilige Volljährigkeitsalter, das damals noch bei 21 Jahren lag. Außerdem wurde das Mindestalter für das passive Wahlrecht von bisher 25 Jahren auf 21 Jahre gesenkt, indem es gesetzlich an die Volljährigkeit gekoppelt wurde.[4] Es war die einzige Bundestagswahl, bei der das Mindestalter für das passive Wahlrecht bei 21 Jahren lag, denn mit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre am 1. Januar 1975 wurde auch das erforderliche Alter für das passive Wahlrecht zum Bundestag auf 18 Jahre automatisch weiter abgesenkt, sodass das aktive und passive Wahlrecht seit der darauffolgenden Bundestagswahl 1976 altersmäßig zusammenfallen und zugleich seitdem bei Bundestagswahlen mit der Volljährigkeit verknüpft sind.

Amtliches Endergebnis

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ListenErststimmenZweitstimmenMandateBerliner
Abg.
Stimmen%+/-MandateStimmen%+/-MandateAnzahl+/-
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)18.228.23948,9+4,815217.175.16945,8+3,278230+612
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)13.304.81335,7–1,46513.190.83735,2–1,4112177–169
Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU)3.620.6259,7+0,2313.615.1839,7+0,21748–1
Freie Demokratische Partei (FDP)1.790.5134,8±0,03.129.9828,4+2,64141+111
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)194.3890,5–3,1207.4650,6–3,8
Deutsche Kommunistische Partei (DKP)146.2580,4N/A113.8910,3N/A
Europäische Föderalistische Partei (EFP)7.5810,0±0,024.0570,1–0,1
Freisoziale Union – Demokratische Mitte (FSU)1.8640,0±0,03.1660,0±0,0
Wählergruppen/Einzelbewerber9.4970,0–0,1
Gesamt37.303.77910024837.459.75010024849622
Ungültige Stimmen457.8101,2–1,2301.8390,8–0,9
Wähler37.761.58991,1+4,437.761.58991,1+4,4
Wahlberechtigte41.446.30241.446.302
Quelle: Der Bundeswahlleiter

Die Wahlbeteiligung von 91,1 % war die höchste jemals bei Bundestagswahlen verzeichnete Beteiligung. Die SPD konnte erstmals die stärkste Bundestagsfraktion bilden, dies war vorher immer nur der Unionsfraktion aus CDU und CSU gelungen.

Ergebnisse in den Bundesländern

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Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Baden-Württemberg[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 5.960.714 100,0 5.960.714 100,0
Wähler 5.376.985 90,2 5.376.985 90,2
Ungültig 70.981 1,3 54.852 1,0
Gültig 5.306.004 100,0 5.322.133 100,0 72 36
davon:
CDU 2.679.772 50,5 2.648.810 49,8 36 24
SPD 2.268.696 42,8 2.069.169 38,9 28 12
FDP 296.286 5,6 544.832 10,2 8
NPD 36.134 0,7 40.580 0,8
DKP 16.807 0,3 13.289 0,2
EFP 603 0,0 5.453 0,1
FSU 278 0,0
Einzelbewerber 7.428 0,1
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Bayern[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 7.375.146 100,0 7.375.146 100,0
Wähler 6.626.216 89,8 6.626.216 89,8
Ungültig 97.596 1,5 62.426 0,9
Gültig 6.528.620 100,0 6.563.790 100,0 86 44
davon:
CSU 3.620.625 55,5 3.615.183 55,1 48 31
SPD 2.572.250 39,4 2.483.136 37,8 33 13
FDP 260.019 4,0 399.554 6,1 5
NPD 51.026 0,8 47.140 0,7
DKP 19.890 0,3 13.607 0,2
EFP 2.621 0,0 5.170 0,1
FSU 420 0,0
Einzelbewerber 1.769 0,0
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Bremen[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 540.928 100,0 540.928 100,0
Wähler 492.431 91,0 492.431 91,0
Ungültig 4.861 1,0 3.546 0,7
Gültig 487.570 100,0 488.885 100,0 4 3
davon:
SPD 301.190 61,8 284.028 58,1 3 3
CDU 145.418 29,8 144.471 29,6 1
FDP 34.786 7,1 54.428 11,1
DKP 3.863 0,8 3.335 0,7
NPD 2.313 0,5 2.305 0,5
EFP 318 0,1
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Hamburg[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 1.348.617 100,0 1.348.617 100,0
Wähler 1.242.832 92,2 1.242.832 92,2
Ungültig 7.753 0,6 5.767 0,5
Gültig 1.235.079 100,0 1.237.065 100,0 16 8
davon:
SPD 742.999 60,2 673.517 54,4 9 8
CDU 411.876 33,3 411.974 33,3 5
FDP 65.752 5,3 138.607 11,2 2
DKP 8.650 0,7 6.944 0,6
NPD 4.494 0,4 4.633 0,4
EFP 1.099 0,1 910 0,1
FSU 209 0,0 480 0,0
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Hessen[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 3.841.104 100,0 3.841.104 100,0
Wähler 3.522.483 91,7 3.522.483 91,7
Ungültig 36.907 1,0 23.647 0,7
Gültig 3.485.576 100,0 3.498.836 100,0 47 22
davon:
SPD 1.856.417 53,3 1.697.322 48,5 23 20
CDU 1.411.018 40,5 1.409.771 40,3 19 2
FDP 183.553 5,3 355.558 10,2 5
NPD 17.329 0,5 19.767 0,6
DKP 16.925 0,5 13.214 0,4
EFP 334 0,0 3.204 0,1
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Niedersachsen[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 5.126.515 100,0 5.126.515 100,0
Wähler 4.684.898 91,4 4.684.898 91,4
Ungültig 46.809 1,0 32.424 0,7
Gültig 4.638.089 100,0 4.652.474 100,0 62 30
davon:
SPD 2.389.346 51,5 2.235.911 48,1 30 23
CDU 2.007.358 43,3 1.988.720 42,7 27 7
FDP 207.187 4,5 393.282 8,5 5
NPD 22.068 0,5 22.907 0,5
DKP 11.689 0,3 9.467 0,2
EFP 358 0,0 2.187 0,0
FSU 83 0,0
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Nordrhein-Westfalen[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 11.992.806 100,0 11.992.806 100,0
Wähler 11.005.807 91,8 11.005.807 91,8
Ungültig 128.101 1,2 71.169 0,6
Gültig 10.877.706 100,0 10.934.638 100,0 148 73
davon:
SPD 5.743.844 52,8 5.509.886 50,4 75 52
CDU 4.517.830 41,5 4.484.657 41,0 61 21
FDP 530.974 4,9 856.963 7,8 12
NPD 33.187 0,3 37.628 0,3
DKP 49.611 0,5 37.600 0,3
EFP 1.750 0,0 5.218 0,0
FSU 510 0,0 2.686 0,0
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Rheinland-Pfalz[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 2.623.690 100,0 2.623.690 100,0
Wähler 2.404.007 91,6 2.404.007 91,6
Ungültig 33.295 1,4 26.146 1,1
Gültig 2.370.712 100,0 2.377.861 100,0 31 16
davon:
SPD 1.128.019 47,6 1.067.953 44,9 14 9
CDU 1.105.288 46,6 1.090.339 45,9 15 7
FDP 113.062 4,8 193.499 8,1 2
NPD 14.816 0,6 18.321 0,8
DKP 9.227 0,4 7.749 0,3
Einzelbewerber 300 0,0
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 im Saarland[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 797.605 100,0 797.605 100,0
Wähler 740.910 92,9 740.910 92,9
Ungültig 13.039 1,8 10.998 1,5
Gültig 727.871 100,0 729.912 100,0 8 5
davon:
SPD 367.397 50,5 349.801 47,9 4 3
CDU 320.287 44,0 316.955 43,4 4 2
FDP 29.311 4,0 51.762 7,1
NPD 5.211 0,7 5.649 0,8
DKP 5.665 0,8 5.158 0,7
EFP 587 0,1
Ergebnis der Bundestagswahl 1972 in Schleswig-Holstein[5][6]
Gegenstand der
Nachweisung
Erst-
stimmen
Zweit-
stimmen
Sitze Direkt-
mandate
Anzahl % Anzahl %
Wahlberechtigte 1.839.177 100,0 1.839.177 100,0
Wähler 1.665.020 90,5 1.665.020 90,5
Ungültig 18.468 1,1 10.864 0,7
Gültig 1.646.552 100,0 1.654.156 100,0 22 11
davon:
SPD 858.081 52,1 804.446 48,6 11 9
CDU 705.966 42,9 695.140 42,0 9 2
FDP 69.583 4,2 141.497 8,6 2
NPD 7.811 0,5 8.535 0,5
DKP 3.931 0,2 3.528 0,2
EFP 816 0,0 1.010 0,1
FSU 364 0,0
 
Erststimmenmehrheiten in den Wahlkreisen:
  • SPD
  • CDU/CSU
  • Konsequenzen

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    Mögliche Koalitionen Sitze
    Sitze gesamt 518
    voll stimmberechtigt 496
    Absolute Mehrheit 249
                SPD, FDP 284
     
    Das Brandt-Kabinett beim Amtsantritt.

    Für die FDP war schon im Wahlkampf klar, dass sie nur für die Sozialliberale Koalition zur Verfügung stand. So wurde Brandt im Dezember 1972 als Bundeskanzler von der SPD/FDP-Mehrheit im Bundestag wiedergewählt, die Koalition hatte dieses Mal, im Gegensatz zur Wahl von 1969, die absolute Mehrheit der Wählerstimmen und eine klare Mehrheit im Bundestag erreichen können. Barzel blieb zunächst CDU/CSU-Oppositionsführer, trat aber bereits ein halbes Jahr später zurück. Mit Annemarie Renger (SPD) wurde erstmals eine Frau in das Amt des Bundestagspräsidenten gewählt. Sie war gleichzeitig das erste SPD-Mitglied, das diesen Posten innehatte.

    Siehe auch

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    Commons: 1972 Germany Bundestagswahl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

    Einzelnachweise

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    1. Wahl zum 7. Deutschen Bundestag am 19. November 1972 (Memento vom 30. Januar 2016 im Internet Archive) Der Bundeswahlleiter
    2. Wahl zum 6. Deutschen Bundestag am 28. September 1969 (Memento vom 6. Mai 2012 im Internet Archive) Der Bundeswahlleiter
    3. spiegel.de: Ex-Kanzlerkandidat Barzel - Absturz eines Blitz-Karrieristen, 11. März 2007, abgerufen am 17. September 2011
    4. Siebenundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 31. Juli 1970, BGBl. I S. 1161.
    5. a b c d e f g h i j Ergebnis der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag am 19. November 1972 nach Ländern (Memento vom 12. Januar 2011 im Internet Archive) (XLS; 37 kB)
    6. a b c d e f g h i j Sitze der Parteien am 19. November 1972 nach Ländern (Memento vom 27. Juli 2013 im Internet Archive) (XLS; 21 kB)