Der Engersgau war eine mittelalterliche fränkische Gaugrafschaft am Mittelrhein und wurde erstmals 773 im Lorscher Codex erwähnt.[1]

Karte des Engersgaues

Der Engersgau grenzte im Norden an die ripuarischen Landschaften Ahrgau und Auelgau an der Sieg. Vom heutigen Kasbach-Ohlenberg (südlich der Landesgrenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) aus folgte die Grenze der Wasserscheide zwischen Sieg und Wied bis zur Wiedquelle, sprang zur Gelbachquelle über und folgte diesem Bach bis zur Mündung in die Lahn bei Langenau. Lahn und Rhein umschlossen den Gau nach Süden und Westen.

Namensherkunft

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Der Name des Gaues leitete sich von seinem Hauptort her, der ehemaligen Stadt Engers, seit 1970 Stadtteil von Neuwied. Deren Name wiederum geht wahrscheinlich auf das althochdeutsche Wort Angar zurück, das so viel bedeutet wie „freie Ebene“. Die Vokalalternanzen sind auf die Einwirkungen des Primärumlauts sowie auf die Folgen der Endsilbenabschwächung zurückzuführen: ahd. angar > ahd. anger > mhd. enger. Der Begriff Anger bezeichnet noch im Mittelhochdeutschen eine Dorfwiese in Gemeindebesitz und lässt auf die bäuerliche Grundlage der Ansiedlung Engers schließen.

Geschichte

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Wappen der Grafen von Wied
 
Wappen der Herren von Isenburg

Karolingische Zeit (773–906)

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Nach der ersten Erwähnung im Jahr 773 wird 857 ein erster Graf namens Ruodger erwähnt, der in einer Urkunde des Trierer Erzbischofs Theutgaud im Pfarrzehntbezirk zu Rengsdorf auftritt. In dieser Urkunde wird auch die Zugehörigkeit des Gaues zum Königreich Ostfranken und später dem Herzogtum Franken deutlich[2]. Ein weiterer Ruodger, vermutlich der Sohn, besaß 880 ebenfalls im Engers- und Einrichgau Herrschaftsrechte, darunter in den Orten Gemmerich und Immendorf. Er wird als Nachfolger im Gaugrafenamt angesehen[3].

Konradiner (906–1020)

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Nach Graf Ruodker herrschte der erste Konradiner Hermann I. von Schwaben im Engersgau, der im Zent Humbach (Montabaur) wichtige Herrschaftsrechte innehatte, die später den Kern der Konradinischen Herrschaft im Engersgau bildeten[4]. Schon 915 wird das Schönfeld (heute in Heimbach-Weis) erwähnt, das später als Grafengericht diente. Ob der Engersgau nach Hermanns Tod eingezogen wurde oder ob sein Schwiegersohn Liudolf bei seinem Sturz 954 ihn verlor, ist unklar. Nach Liudolfs Tod am 6. September 957 schenkte Kaiser Otto I. Herzog Hermanns Witwe Reginlind 958 im Bereich der Montabaurer Grundherrschaft den Hof Wirges, den sie später dem Florinstift in Koblenz überließ. Hermann Enkelin, Liudolfs Tochter Mathilde, Äbtissin von Essen, besaß hier den Hof Eschelbach, den sie dem Erzbischof Ludolf von Trier (994–1008) überließ, und die Grundherrschaft Schöneberg im nördlichen Grenzsaum des Engersgaues, die später an die Bilsteiner gelangte. Zwischen Hermann und dem nächsten Konradiner Heribert wird auch ein Graf Waltbraht erwähnt, dessen Herkunft unklar ist[5].

Durch Erbschaft gelangte der Engersgau an Heribert, der auch Graf in der Wetterau und im Kinziggau war. Heribert oder sein Sohn Otto erbaute die Burg Hammerstein am Rhein. 1018 ist das gesamte Gebiet des Florinstiftes in Koblenz an das Erzbistum Trier gegangen, darunter die Grundherrschaft Humbach und Anteile an dem Wildbann Spurkenberg. Nach einer Belagerung der Burg Hammerstein im Jahr 1020 verlor Otto nach dem 26. Dezember nicht nur seine Burg Hammerstein, sondern auch seine Grafschaftsrechte im Engersgau. Damit wurde die Konradiner Herrschaft im Engersgau beendet. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschten innerhalb des Engersgaues schon mehrere Herren und Grafen, die auf nicht nachvollziehbarer Weise das Gaugrafenamt nacheinander ergriffen.

Die letzten Grafen (1020–1129)

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In Rommersdorf und im Saynbachtal herrschten auch damals schon die Isenburger, die sich noch Herren von Rommersdorf nannten und oft in Urkunden als sogenannte Vize-Grafen auftauchen. In dieser früheren Linie der Isenburger tauchen häufig die Namen Reginbold (auch Reinbold oder Rembold) und Gerlach auf, zum Beispiel in der bereits genannten Rengsdorfer Urkunde von 857 und im Jahr 959 in der Humbacher Urkunde. Die Güter um Altenwied, Neuerburg und Schöneberg gelangten Anfang des 11. Jahrhunderts an den Grafen Rugger, den Begründer des Hauses Bilstein und Enkel des Markgrafen Wigger I. von Zeitz. Seine Namensähnlichkeit zu den ersten Grafen des Engersgaues könnten die erheblichen Besitztümer im Engersgau erklären, die genaue Verwandtschaft ist aber unklar. Möglicherweise gelangten die rheinischen Güter mütterlicherseits an Rugger. Wie die späteren Grafen von Wied an die Herrschaften um Rengsdorf und Puderbach gelangten ist genauso wie ihre Abstammung unklar.

Nach einem nur wenig erwähnten Grafen Ello oder Hello im Engersgau wird erstmals 1034 ein Graf Wigger Wittechind († nach 1044) erwähnt, Sohn von Rugger I. von Bilstein[6]. Bereits um das Jahr 1025 erbte er die Grafschaft in der Germarmark mit den rheinischen Gütern um Braubach, Linz, Breitbach, Altenwied, Schöneberg und Horhausen[7]. Durch Kunigunde von Bilstein, eine Enkelin von Wigger, kam der gesamte rheinische Besitz um 1098 an die Grafen von Gudensberg, dann 1140 an die Landgrafen von Thüringen, 1215 an die Grafschaft von Sayn und anschließend an Kurköln. Nachdem Wigger nach 1044 nicht mehr als Graf im Engersgau erwähnt wird, taucht nur in wenigen Urkunden, unter anderem im Jahr 1034, ein Arnold von Nassau auf, dessen Herkunft nicht vollkommen nachweisbar ist. Mit von Nassau ist wahrscheinlich in diesem Fall der Einrichgau gemeint. Nach der Namensähnlichkeit könnte Arnold von Nassau auch mit Arnold von Arnstein gleichgesetzt werden, der zu einer ähnlichen Zeit lebte und Graf im Einrichgau um Nassau war.

Spätestens 1084 gelangte schließlich der Grafentitel an Metfried, der erstmals in einer Urkunde als „comitatu Meffridi in pago Engeresgowe“ erwähnt wird. Metfried wandelte zwischen 1103 und 1129 den Engersgau mit dem Bau seiner Burg Altwied in eine erbliche Grafschaft mit einem geschlossenen Herrschaftsbereich um und nannte sich von nun an „Meffridus de Widhe“, Graf von Wied[8]. Seine Nachfahren hielten weiterhin das Grafengericht auf dem Schönfeld ab.

Die Zeit nach dem Engersgau (nach 1129)

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Auch nach der Übertragung des Engersgaues auf die Grafschaft Wied ist der Name des Engersgaues noch lange an den Orten um Engers haften geblieben. So werden 1371 Heimbach „in dem Engerskawe“, 1390, 1439 und 1570 das Kirchspiel Heimbach, 1422 Weis und 1567 Reil im „Engersgauwe“ genannt. Im 16. Jahrhundert greift er über die alte Gaugrenze als geografischer Begriff hinaus, als 1538 die Orte im linksrheinischen Teil des Amtes Engers in Anlehnung an die dortigen Ortsnamen Kaltenengers und Sankt Sebastian zur „Bergpflegen im Engers Gauw“ gerechnet werden.

Grafen im Engersgau

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Die Grafen im Engersgau nannten sich ab 1129 Grafen von Wied. Der Engersgau ging zum kleineren Teil in ihrer Grafschaft, zum größeren im rechtsrheinischen Besitz des Kurfürstentums Trier auf.

Siehe auch:

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Einzelnachweise

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  1. Minst, Karl Josef [Übers.]: Lorscher Codex (Band 5), Urkunde 3604, 24. Juni 773 – Reg. 097. In: Heidelberger historische Bestände – digital. Universitätsbibliothek Heidelberg, S. 226, abgerufen am 15. März 2016.
  2. Hellmuth Gensicke: Die Grafen des Engersgaues. Hrsg.: Landesgeschichte des Westerwaldes (= Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). Wiesbaden, S. 48 (dfg-viewer.de [abgerufen am 29. Oktober 2024]): „Als Erzbischof Tietgaud von Trier um 857 für das Koblenzer Kastorstift den Pfarrzehntbezirk Rengsdorf beschrieb, war ein Ruodger Graf im Ostrheinischen Teil der Trierer Diözese (...) So dürfen wir wohl jene Stelle in dieser Urkunde auslegen, nach der zu jener Zeit „Ruodger comes Franciae prefuit“.“
  3. Hellmuth Gensicke: Die Grafen des Engersgaues. Hrsg.: Landesgeschichte des Westerwaldes (= Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). Wiesbaden, S. 48 (dfg-viewer.de [abgerufen am 29. Oktober 2024]): „Dem Kloster Prüm überließ 880 ein Graf Ruodker Güter zu Gemmerich im Einrichgau in seiner Grafschaft, wofür er Güter des Klosters Immendorf im Engersgau erhielt, (...).“
  4. Stadtgeschichte Montabaur. Verbandsgemeinde Montabaur, Westerwaldkreis, abgerufen am 29. Oktober 2024.
  5. Hellmuth Gensicke: Die Grafen des Engersgaues. Hrsg.: Landesgeschichte des Westerwaldes (= Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). Wiesbaden, S. 48 (dfg-viewer.de [abgerufen am 29. Oktober 2024]).
  6. Gensicke, Landesgeschichte des Westerwaldes S. 136: „Dem Geschlecht der Grafen der Germarmark gehörte ein edler Ruogger an (...) In ihm haben wir wohl Wiggers Vater vor uns“
  7. Hellmuth Gensicke: Die Grafen von Bilstein. Hrsg.: Landesgeschichte des Westerwaldes (= Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). Wiesbaden, S. 142 (dfg-viewer.de): „Am Nord- und Ostrand des Engersgaues gehörte ein ganzer Kranz von Grundherrschaften zum bilstein-gisonischen Erbe. An Altenwied und Waldbreitbach schlossen sich die (...) Grundherrschaften Horhausen und Schöneberg an.“
  8. Wilhelm Tullius: Die wechselvolle Geschichte des Hauses Wied, 1. Auflage, Neuwied, Verlag Kehrein, 2003, Seite 7 ff; ISBN 3-934125-02-6
  9. Die Grafen des Engersgaues: „In Ruodger haben wir somit um 857 den ersten bekannten Grafen des Engersgau vor uns.“ (Hellmuth Gensicke: Landesgeschichte des Westerwaldes)
  10. Die Grafen des Engersgaues: „Kaiser Heinrich II. belagerte seit September 1020 Otto in seiner Burg Hammerstein, bis dieser am 26.12.1020 dem Kaiser die Burg übergab. Otto verlor damals nicht nur Hammerstein, sondern auch die Grafschaft im Engersgau.“ (Hellmuth Gensicke: Landesgeschichte des Westerwaldes)
  11. Die Grafen des Engersgaues: „Als Otto Nachfolger finden wir 1021 hier einen Grafen Ello, 1022 Hello“ (Hellmuth Gensicke: Landesgeschichte des Westerwaldes)
  12. 1034: „Nassauua“ (Nassau) „in pago Loganehe in comitatu Wiggeri et Arnoldi comitum“. 1044: „curtes Overanbergh et Liutwinesdorf sitas in pago Angeresgauwe et in comitatu Wittechindi comitis.“ Schannat, J. F. (1734) Historiæ Episcopatus Wormatiensis, Tome II, Codex Probationem (Frankfurt) („Worms Codex (1734) Tome II“), LV, p. 51.