Notker III.
Notker III., genannt Notker der Deutsche (lateinisch Notker Teutonicus oder Notker Labeo; * um 950 im Thurgau; † 28. Juni 1022 in St. Gallen), war ein Schweizer Benediktinermönch und Leiter der Klosterschule in St. Gallen. Er war einer der ersten Aristoteles-Kommentatoren des Mittelalters, und seine kommentierenden Übersetzungen biblischer und antiker Schriften ins Deutsche sind eine Hauptquelle für unser Wissen über das Spätalthochdeutsche und das Altalemannische.
Leben
BearbeitenNotker übersetzte einzelne Werke der antiken lateinischen Literatur, die im Frühmittelalter zum Pensum der Klosterschulen gehörten, in das Althochdeutsche. Bedeutend ist insbesondere seine Übersetzung und Kommentierung des Psalters. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören ausserdem Boethius, Martianus Capella sowie das Buch Hiob aus dem Alten Testament. Von Boethius übersetzte er unter anderem Aristoteles-Übertragungen und -Kommentare.
Notker starb an den Folgen einer Infektionskrankheit, welche Teilnehmer des Italien-Feldzugs Kaiser Heinrichs II. nach St. Gallen eingeschleppt hatten.
Werk
BearbeitenNotkers Übersetzungstechnik ist nicht einseitig auf das Verständnis des lateinischen Textes ausgerichtet, sondern zielt vielmehr auch auf einen treffenden (althoch)deutschen Ausdruck ab. Dies machte ihn vor allem bei seinen Schülern hochbeliebt. Notker hat de facto eine neue Wissenschaftssprache und eine mit künstlerischem Feingefühl durchsetzte deutsche Literatursprache geschaffen. Er verfasste unter anderem auch eine musiktheoretische Abhandlung.
Beeindruckend ist auch das graphematische System, das er für seine alemannische Muttersprache mitgeschaffen hat. Hierzu äussert sich Notker in einem Brief an Bischof Hugo von Sitten folgendermassen: «Man müsse wissen, daß die deutschen Wörter nicht ohne Akzent – Akut und Zirkumflex – geschrieben werden dürfen mit Ausnahme der Artikel, die allein ohne Akzent ausgesprochen würden.»[1]
Notkers Anlautgesetz
BearbeitenNotker war ein feiner Beobachter seiner alemannischen Sprache, was sich in seinen Werken auch in der Schreibung der Plosive niederschlug: Im Wortanlaut wechseln in seinem Schreibsystem b und p, d (soweit < germ. þ, nicht < t) und t sowie g und k je nach Auslaut des vorangehenden Wortes. Die stimmlosen Konsonanten p, t, k stehen erstens am Anfang eines Satzes oder Satzteils und zweitens innerhalb eines Satzes, wenn das unmittelbar vorausgehende Wort auf einen stimmlosen Konsonanten endet (bei Notker p, t, k; pf, z, ch; b, d, g; f, h, s). Dagegen stehen die Konsonanten b, d, g im Anlaut, wenn das unmittelbar vorausgehende Wort auf einen Vokal oder einen stimmhaften Konsonanten endet (bei Notker l, r, m, n). Das Anlautgesetz gilt auch für das Grundwort eines Kompositums.[2][3]
Beispiele:
- demo golde, aber des koldes (‚dem Golde‘, ‚des Goldes‘)
- fiurgot, aber erdcot (‚Feuergott‘ ‚Erdgott‘)
Diese Regularität gilt auch in den modernen schweizerdeutschen Mundarten; siehe Heuslersches Gesetz.
Literatur
Bearbeiten- Peter Ochsenbein: Notker der Deutsche. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Anna A. Grotans: Notker Labeo. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 362–364 (Digitalisat).
- Ida Fleischer: Die Wortbildung bei Notker und in den verwandten Werken, eine Untersuchung der Sprache Notkers mit besonderer Rücksicht auf die Neubildungen. (1901). Dissertation, Universität Göttingen
- Ida Fleischer: Erklärungen Einiger Isolierter Wortformen in Notkers Werken. In: Journal of English and Germanic philology. Band 5, Nr. 3, 1905, S. 353–354, JSTOR:27699760.
- Sonja Glauch: Die Martianus-Capella-Bearbeitung Notkers des Deutschen. Tübingen 2000 (Münchener Texte und Untersuchungen 116/117) (Max-Weber-Preis der BADW 1999).
- Dieter Kartschoke: Geschichte der deutschen Literatur im frühen Mittelalter. 4. Notker III. 3., aktualisierte Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000, S. 199 (Buchausgabe).
- Harald Saller: Ein neues Editionskonzept für die Schriften Notkers des Deutschen anhand von De interpretatione. Lang, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-631-50250-8 (Kultur, Wissenschaft, Literatur. Beiträge zur Mittelalterforschung, Bd. 4), Dissertationsschrift 2003 (Demo-CD).
- Notker der Deutsche: Die Werke. Neue Ausgabe. Hg. v. Tax, Petrus W. / King, James C. Band 1A: Notker latinus zu Boethius, »De consolatione Philosophiae«. De Gruyter, Berlin 2008.
- Tibor Pézsa: NOTKER (III.) v. St. Gallen, gen. N. Labeo, N. Teutonicus. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 6, Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-044-1, Sp. 1035–1041 .
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Notker III. im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Notker Labeo. Bibliotheca Augustana, 28. Juli 2008
- Notker Labeo: Kommentierende Übersetzung der Consolatio philosophiae des Boethius. Aus: Edward H. Sehrt, Taylor Starck (Hrsg.): Die Werke Notkers des Deutschen (= Altdeutsche Textbibliothek 32. 33. 34. 37. 40. 42. 43). Halle 1934ff., Bibliotheca Augustana, 28. Juli 2008
- Notker Labeo: Kommentierende Psalmenübersetzung: Psalmus David XXII (Psalm 23), Psalmus David LXIX (Psalm 69), Psalmus David CXXXVIII (Psalm 138). Aus: Edward H. Sehrt, Taylor Starck (Hrsg.): Die Werke Notkers des Deutschen (= Altdeutsche Textbibliothek 32. 33. 34. 37. 40. 42. 43). Halle 1934ff., Bibliotheca Augustana, 28. Juli 2008
- Notker Labeo: De musica: de monocordo. Universität zu Hamburg, 30. April 1999
- Harald Saller: Allgemeines zu Notker III. von St. Gallen. Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, archiviert vom am 9. Februar 2009; abgerufen am 8. September 2017.
- Noah Bubenhofer: Das „Notkersche Anlautgesetz“. 2. April 2003
- Franz Kampers, Klemens Löffler: Notker. The Catholic Encyclopedia 11. Robert Appleton Company, New York, 1911. Veröffentlicht auf newadvent.org, 13. Januar 2017 (englisch).
- Christine Hehle: Neues zur Notker-Edition. IASLonline, ISSN 1612-0442
- Stiftsbezirk St. Gallen (16. März 2022): Zeitenwende – Notker der Deutsche († 1022)
- Katholischer Konfessionsteil des Kantons St. Gallen (23. Juni 2022): Prägende Figur der Klosterzeit: Vor 1000 Jahren starb Notker der Deutsche
Fussnoten
Bearbeiten- ↑ Abschnitt sowie die Übersetzung des Notker-Zitates nach: Dieter Kartschoke (siehe Literatur)
- ↑ Wilhelm Braune: Althochdeutsche Grammatik. I. Laut- und Formenlehre (= Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte. A. Hauptreihe. Bd. 5.1). 16., Auflage, neu bearbeitet von Frank Heidermanns. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2018, S. 145 f.
- ↑ Stefanie Stricker: Notkers Anlautgesetz. In: Metzler Lexikon Sprache. Hrsg. von Hans Glück. Metzler, Stuttgart/Weimar 1993, S. 429.
Personendaten | |
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NAME | Notker III. |
ALTERNATIVNAMEN | Notker Labeo; Notker Teutonicus; Notker der Deutsche |
KURZBESCHREIBUNG | Leiter der Klosterschule in St. Gallen; Übersetzer antiker lateinischer Literatur |
GEBURTSDATUM | um 950 |
GEBURTSORT | Thurgau |
STERBEDATUM | 28. Juni 1022 |
STERBEORT | Fürstabtei St. Gallen |