Francis L. Carsten
Francis Ludwig Carsten (* 25. Juni 1911 in Berlin als Franz Ludwig Carsten; † 23. Juni 1998 in London) war ein deutsch-britischer Historiker.
Der Sohn eines Berliner Augenarztes jüdischer Herkunft studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaft in Genf, Heidelberg und Berlin, wo er im Mai 1933 noch am Kammergericht das Referendarsexamen ablegen konnte. Wegen der Machtübergabe an die Nationalsozialisten war er jedoch daran gehindert, sein Referendariat anzutreten. Aus gleichem Grund konnte sein älterer Bruder Ernst, der im Jahr 1932 mit der Arbeit Die Geschichte der Staatsanwaltschaft in Deutschland promoviert wurde[1], seine Referendarausbildung am Kammergericht nicht abschließen. Carsten arbeitete in einer Bank und betrieb einen Buchladen am Kurfürstendamm. Er engagierte sich in der Widerstandsorganisation Neu Beginnen. Dabei arbeitete er mit Richard Löwenthal, Waldemar von Knoeringen und Fritz Erler zusammen. Im Jahr 1936 emigrierte die Familie Carsten[2], darunter auch die jüngere Schwester Marie, die in den USA eine Karriere als Biochemikerin machte.[3]
Franz Ludwig Carsten gelangte zunächst nach London. Von dort ging es schließlich nach Amsterdam, wo er drei Jahre blieb. Carsten begann sich, durch Norbert Elias angeregt, mit der deutschen Geschichte, vor allem Preußens, zu beschäftigen. Im Jahr 1939 kehrte er nach England zurück. Dort setzte er seine Studien mit einem Stipendium am Wadham College in Oxford fort. Seine akademischen Lehrer waren die Wirtschaftshistoriker George Norman Clark und Michael Postan. Im Jahr 1942 wurde Carsten in Oxford promoviert über das Thema The development of the Manorial System – Grundherrschaft und Gutsherrschaft in Northeastern Germany Until the End of the Sixteenth Century. Von 1947 bis 1960 war er Lecturer am Westfield College der Universität London, wo er sich mit einer Reihe von Aufsätzen als Preußenexperte einen Namen machte und 1954 sein erstes Buch mit dem Titel The Origins of Prussia veröffentlichte.
Carstens nachfolgendes Werk Princes and Parliaments gilt als bahnbrechende Studie. In ihr versuchte Carsten zu zeigen, dass die Ständeversammlungen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts keineswegs erzkonservative, der absolutistischen Staatsorganisation im Wege stehende Institutionen gewesen waren. Mochte der Egoismus der sie dominierenden aristokratischen und städtischen Oligarchien auch stark sein, waren sie zugleich auch Verteidiger der Freiheiten der ständischen Eliten gegen die zunehmenden Übergriffe und Ambitionen der Fürsten.
Im Jahr 1961 wurde Carsten zum Professor der Universität London ernannt. Dort lehrte er Europäische Geschichte und begann seine Untersuchungen zur Rolle der Reichswehr in der Weimarer Republik. Einer seiner Doktoranden war Volker Berghahn. 1988 wurde er emeritiert. Nach seiner Emeritierung folgten Biographien zu sozialdemokratischen Politikern wie August Bebel und Eduard Bernstein. 1971 wurde er zum Mitglied der British Academy gewählt.[4]
Schriften (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Widerstand gegen Hitler. Die deutschen Arbeiter und die Nazis. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-458-16806-0.
- Eduard Bernstein: 1850–1932. Eine politische Biographie. Beck, München 1993, ISBN 3-406-37133-7.
- August Bebel und die Organisation der Massen. Siedler, Berlin 1991, ISBN 3-88680-371-6.
- Geschichte der preußischen Junker (= Edition Suhrkamp. Neue Folge, Bd. 273). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-11273-2.
- Die erste österreichische Republik im Spiegel zeitgenössischer Quellen (= Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek. Bd. 8). Böhlau, Wien u. a. 1988, ISBN 3-205-05087-8.
- War against War. British and German Radical Movements in the First World War. Batsford, London 1982, ISBN 0-71343697-2.
- Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. Fink, München 1977, ISBN 3-7705-1480-7.
- Revolution in Mitteleuropa: 1918–1919. Temple Smith, London 1972, ISBN 0-85117-015-3.
- Die Entstehung Preußens. Übersetzung Margarethe von Knoop. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1968, ISBN 3-548-35081-X.
- Princes and Parliaments from the 15. to the 18. century, Clarendon Press, Oxford 1959.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Peter Alter: German Historical Institute London. Bulletin. Band XX, No. 2. November 1998, S. 124–126 (online).
- Peter Alter: Francis Ludwig Carsten. In: Proceedings of the British Academy. Band 115, 2002, S. 119–129.
- Volker Berghahn: Francis L. Carsten 1911–1998 [Nachruf]. In: Geschichte und Gesellschaft. 25, 1999, S. 504–510.
- Wilhelm Sternfeld, Eva Tiedemann: Deutsche Exilliteratur 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie. Schneider, Heidelberg/Darmstadt 1962.
- Carsten, Francis Ludwig. In: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,1. Saur, München 1983, ISBN 3-598-10089-2, S. 182.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Die Arbeit ist von Erardo Cristoforo Rautenberg fortgeschrieben worden und 2012 in zweiter und 2015 in dritter Auflage erschienen.
- ↑ Siehe zur Familiengeschichte Erardo Cristoforo Rautenberg: Ernst Carsten - Ein vergessener Kammergerichtsreferendar jüdischer Abstammung. Vortrag, gehalten am 18. März 2013. In: Monika Nöhre (Hrsg.): Zerstörte Rechtskultur, Vorträge im Berliner Kammergericht. Berlin 2013, S. 1–18, hier: S. 4 ff.
- ↑ Carsten, Mary E. In: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,1. Saur, München 1983, ISBN 3-598-10089-2, S. 182.
- ↑ Deceased Fellows. British Academy, abgerufen am 12. Mai 2020.
Personendaten | |
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NAME | Carsten, Francis L. |
ALTERNATIVNAMEN | Carsten, Francis Ludwig; Carsten, Franz Ludwig |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-britischer Historiker |
GEBURTSDATUM | 25. Juni 1911 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 23. Juni 1998 |
STERBEORT | London |