Kurt Becher

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Kurt Andreas Ernst Becher (* 12. September 1909 in Hamburg; † 8. August 1995 in Bremen) war ein deutscher Kaufmann und Standartenführer der SS.

Kurt Becher wurde als Sohn eines Hamburger Kaufmanns geboren und erlernte den gleichen Beruf in der Futtermittelbranche. Bereits im Alter von 22 Jahren war er Prokurist bei einer Hamburger Firma. Als begeisterter Reiter trat er nach der Machtergreifung Adolf Hitlers 1934 in die Reiter-SS ein.

Becher war dreimal verheiratet. In erster Ehe mit Hermine Grametbauer, verwitwete Gräfin von Platen-Hallermund (1912–1949), der Sohn Thomas Becher (* 1938) starb 1967. In zweiter Ehe mit Käte Marta Frieda Müller (1914–1959). Seine dritte Frau Ilsebill Becher war eine bekannte und erfolgreiche Dressurreiterin.[1] Ab den 1950er Jahren wohnte er zeitweise in Bremen.[2] Seine Frau zog nach seinem Tod wieder nach Hamburg.

Am 2. Juni 1937 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 4.486.195).[3] Er kam zu Kriegsbeginn in die SS-Totenkopf-Reiterstandarte 1 unter ihrem Kommandeur Hermann Fegelein, dem späteren Ehemann von Eva Brauns Schwester Margarete.

Becher wurde bald befördert und Zugführer in der 1. Schwadron, die sich durch ihre Exekutionstätigkeit in Warschau „auszeichnete“. Durch ihre effiziente Grausamkeit bekannt geworden, wurde diese Truppe auch im Krieg gegen die Sowjetunion zur Bekämpfung von Partisanen herangezogen. Die Reitereinheit, spätere Brigade unterstand der SS-Polizeiführung im Bereich der Heeresgruppe Mitte, Erich von dem Bach-Zelewski. Bei der Partisanenbekämpfung im Gebiet der Pripjetsümpfe wurde streng nach Befehl gehandelt, welcher lautete: „Jeder Partisan ist zu erschießen. Juden sind grundsätzlich als Partisanen zu betrachten.“

Während dieser Zeit ermordete seine Einheit rund 14.000 Juden, und Becher wurde immer weiter befördert, zuerst zum 1. Ordonnanzoffizier seiner Einheit, dann zum SS-Obersturmführer (SS-Nummer 234.478). Mitte März 1942 wurde Becher als SS-Hauptsturmführer in das SS-Führungshauptamt versetzt. Dort übernahm er die Inspektion des Reit- und Fahrwesens der SS. Nach zwei weiteren Einsätzen an der Ostfront wurde ihm 1944 das Deutsche Kreuz in Gold verliehen. Er wurde bald SS-Sturmbannführer und schließlich am 30. Januar 1944 SS-Obersturmbannführer.

Nur drei Monate später, im März 1944, wurde er nach dem Einmarsch in Ungarn nach Budapest berufen, um im Auftrag der SS offiziell Ausrüstung und Pferde zu kaufen. Neben der Beschaffung von Material für die Waffen-SS ging Becher auch daran, Vermögen für die SS sicherzustellen.

In diesem Zusammenhang gelang es ihm, die Leitung des von Manfréd Weiss gegründeten Konzerns zu übernehmen. Becher hatte dabei ein leichtes Spiel, da Weiss Jude war und zu dieser Zeit die ungarischen Juden bereits systematisch verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Becher verhandelte nach eigenen Angaben mit dem ehemaligen Vertreter des Konzerns, Franz Chorin, der von der ungarischen Regierung verhaftet worden war. Es wurde vereinbart, dass die Mehrheitsanteile der Familie Weiss gegen eine Zahlung von 3 Millionen Reichsmark in Devisen an die SS überschrieben wurden. Als Gegenleistung durfte die Familie Weiss, die überwiegend aus Juden bestand, unter einer Zurückbehaltung von fünf Geiseln (nach anderen Angaben waren es neun), in die Schweiz und nach Portugal ausreisen. Der Vertrag dazu wurde am 17. Mai 1944 unterschrieben.

Anschließend trat Becher als Konkurrent zu Adolf Eichmann, der bereits die Kontakte aufgebaut hatte, an das jüdische Hilfskomitee in Budapest heran. Heinrich Himmler schien zu diesem Zeitpunkt bereits Interesse daran zu haben, mit jüdischen Organisationen ins Geschäft zu kommen, um so später auch eine Position für Verhandlungen mit den Alliierten aufzubauen.[4] Er bot an, für rund 10.000 LKWs und Winterausrüstung 1 Million Juden freizulassen. Als die Verhandlungen schließlich platzten, hatte Becher den direkten Auftrag von Himmler, weiter Ausschau nach Geschäften unter der Devise „Blut gegen Ware“ zu halten. So wurden im Dezember 1944 gegen Schmuck im Wert mehrerer Millionen Schweizer Franken 1.684 „Austauschjuden“ über eine Zwischenstation im KZ Bergen-Belsen mit Ausreise in die Schweiz freigekauft, 318 von ihnen kamen schon im August 1944, also kurz nach dem Attentat auf Hitler, in die Schweiz. Bei mehreren Treffen mit Saly Mayer, dem Vorsitzenden des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, wurde im Herbst 1944 die Freilassung dieser Häftlingsgruppe aus Bergen-Belsen verhandelt. Mittler war der Ungar Rudolf Kasztner.[5] Becher wurde am 1. Januar 1945 zum SS-Standartenführer ernannt.

Becher baute sich mit den Verhandlungen langsam eine Position auf, die ihn nach dem Krieg in einem günstigeren Licht erscheinen lassen sollte. Seine Uneigennützigkeit bei den Verhandlungen war lange Jahre ein Thema. Doch scheint es aus heutiger Sicht, dass Becher systematisch an seiner Nachkriegslegende gearbeitet hat. Schließlich wurde er am Ende des Krieges, am 9. April 1945, noch zum „Reichssonderkommissar für sämtliche Konzentrationslager“ ernannt.[6] Praktisch hatte er zu diesem Zeitpunkt jedoch keinen Einfluss mehr auf die Geschehnisse in den Lagern. Doch Becher nutzte die Zeit, um sich auf das Kriegsende vorzubereiten.

Im Mai 1945 wurde Kurt Becher durch die amerikanischen Militärbehörden in Nürnberg inhaftiert. Zwar wurde er bei den Nürnberger Prozessen als Zeuge[7] vernommen, aber nicht persönlich angeklagt. Der Anklage entging Becher damals in erster Linie durch die Aussage Kasztners, seines Verhandlungspartners aus der Zeit in Budapest. Becher blieb in Deutschland von jeder weiteren Anklage verschont, sagte aber im Eichmann-Prozess vor dem Bremer Amtsgericht aus.[8] Becher weigerte sich nach Israel zu kommen, da er fürchten musste, dort selbst als Kriegsverbrecher verhaftet zu werden.[9] Durch seine Zeugenaussagen zum Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961[8] sowie im Prozess gegen Hermann Krumey und Otto Hunsche in Frankfurt am Main 1964[10] kam Becher noch einmal zu öffentlicher Aufmerksamkeit.

In Deutschland konnte Kurt A. Becher weiter seinen Geschäften nachgehen und baute sich mehrere Handelsfirmen auf, darunter auch das ungarische Unternehmen Monimpex GmbH,[11] das bis zur Wende den bundesdeutsch-ungarischen Agrarhandel abwickelte. Er wurde ein wohlhabender Geschäftsmann[9] in Bremen[8] und leitete die Bremer Getreide- und Futtermittelbörse.[12] Nach 1960 war er einer der reichsten Männer in West-Deutschland mit einem geschätzten Vermögen von 30 Millionen US-$.[13] In den 1980er Jahren geriet Becher zuletzt in die Schlagzeilen, weil er für einen hohen Posten in der deutschen Wirtschaft vorgeschlagen wurde, den er jedoch wegen seiner Vergangenheit in der NS-Zeit nicht antreten konnte.[14] Becher war als „Gesellschafter bzw. Geschäftsführer Im- und Export sowie Kraftfutterw.“ tätig und Vorsitzender des Bremer Vereins Getreide-Futtermittel-Importeure und Großhändler. Zudem hatte er Aufsichts- und Beiratsmandate.[15]

In revisionistischen Kreisen wird Becher oft als Zeuge genannt, wenn es um die Relativierung von Opferzahlen in den Konzentrationslagern ging. Andererseits war er einer der wenigen, die von Himmlers Versuchen wussten, mit den Alliierten ins Gespräch zu kommen und so einen Sonderfrieden abzuschließen. Bis zum Ende seines Lebens war Becher daher auch immer Ziel diverser Spekulationen. Er wohnte zuletzt in Bremen in der Blumenthalstraße und starb 1995 im Alter von 86 Jahren als reicher Mann,[16] ohne je für seine Taten vor Gericht gestanden zu haben.

Eine mittelständische Handelsfirma in Bremen trägt weiterhin seinen Namen. Diese wurde am 28. Juni 1949 beim Amtsgericht Bremen eingetragen.[17]

  • Lebende Ware, Spielfilm, DDR, 1966, Regie: Wolfgang Luderer[18]
  • Zug um Zug – Budapest 1944, Spielfilm, Deutschland, 2005, Regie: Axel Brandt, Elias Perrig, Bertram von Boxberg[19]
  • Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem : Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München: Piper 2011, ISBN 978-3-492-26478-5, diverse Fundstellen, u. a. S. 238–241.
  • Yehuda Bauer: Freikauf von Juden? Verhandlungen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und jüdischen Repräsentanten 1933 bis 1945. Übersetzt von Klaus Binder und Jeremy Gaines. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-633-54107-1.
  • Becher, Kurt A. In: Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche Who’s who. 24. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1985, ISBN 3-7950-2005-0, S. 63.
  • Gábor Kádár, Zoltán Vági: Self-Financing Genocide. The Gold Train, the Becher Case and the Wealth of Hungarian Jewsi Central European University Press, Budapest u. a. 2004, ISBN 963-9241-53-9.
  • Raul Hilberg: The Destruction of the European Jewsi Band 1. 3. Auflage. Yale University Press, New Haven CT u. a. 2003, ISBN 0-300-09557-0.
  • Karla Müller-Tupath: Reichsführers gehorsamster Becher. Eine deutsche Karriere. Erweiterte Neuauflage. Aufbau, Hamburg 1999, ISBN 3-351-02494-0. (Erstausgabe: Konkret-Literatur, Hamburg 1982).
  • Joachim Jahns: Der Warschauer Ghettokönig. Dingsda, Leipzig 2009, ISBN 978-3-928498-99-9.
  • Ladislaus Löb: Geschäfte mit dem Teufel. Die Tragödie des Judenretters Resző Kasztner. Bericht eines Überlebenden. Böhlau, Köln 2010, ISBN 978-3-20389-4.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2. Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.
  • Andreas Biss: Der Stopp der Endlösung, Kampf gegen Himmler und Eichmann in Budapest. Seewald Verlag, Stuttgart 1966.
  • Towiah Friedman: Die zwei Vertreter Adolf Eichmanns in Ungarn 1944: Kurt Becher, SS-Standartenführer und Hermann Krumey, SS-Obersturmbannführer, die an der Vernichtung der Juden Ungarns und Rumäniens beteiligt waren! : Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel, 1997 (Google Books).

Einzelnachweise

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  1. Nele Maya Fahnenbruck: Pferdesport und Politik im Nachkriegsdeutschland im Zeichen von Kontinuitäen und Diskontinuitäten. In: Die Spiele gehen weiter. Profile und Perspektiven der Sportgeschichte. Campus Verlag, Frankfurt 2014, ISBN 978-3-593-50169-7, S. 191. (Dort heißt es, Ilsebill Becher sei die zweite Frau gewesen)
  2. Berichte im Weser-Kurier am 13./14. September 1969 auf Seite 35 unten: „Ein Geburtstagsgeschenk für den Ehemann“
  3. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/1881133
  4. Der Spiegel 10/1967
  5. Aus der Rede von Thomas Klestil vom 15. März 2004 (PDF; 218 kB)
  6. Kurt Becher (PDF; 26,1 kB) Yad Vashem.
  7. Bechers Aussage im Nürnberger Prozess (1946) (Memento des Originals vom 23. Oktober 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.nizkor.org
  8. a b c Bechers Aussage im Eichmann-Prozess (1961)
  9. a b Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil, first published 1963, this edition Penguin Books, 1994. p. 141.
  10. Weser-Kurier am 27. August 1964, Seite 10: „Schutzpässe für ungarische Juden - Getreidehändler Becher aus Bremen sagte im Krumey-Prozess aus“
  11. Szabolcs Szita: Trading in Lives?: Operations of the Jewish Relief and Rescue, Central European University Press, 2005, S. 209.
  12. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 2007, S. 34.
  13. Hecht, Ben. Perfidy, Milah Press, 1999, S. 84 u. S. 259 Fußnote 48.
  14. Israel Gutman, Eberhard Jäckel: Enzyklopädie des Holocaust, Piper, 1998, S. 162.
  15. Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche Who’s who. 24. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1985, ISBN 3-7950-2005-0, S. 63.
  16. Ronald W. Zweig: The Gold Train: The Destruction of the Jews and the Looting of Hungary, Harper Collins, 2002, S. 232.
  17. Amtsgericht Bremen, Registerauskunft Online, abgerufen am 6. Februar 2014 (Memento des Originals vom 16. Dezember 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.handelsregister.de
  18. Fritz Bauer Institut: Cinematographie des Holocaust (Memento vom 19. Februar 2007 im Internet Archive)
  19. Fritz Bauer Institut: Cinematographie des Holocaust (Memento vom 19. Februar 2007 im Internet Archive)