Slowakische Literatur

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Slowakische Literatur ist die Literatur in Slowakischer Sprache im engeren Sinn und auf dem Gebiet der Slowakei entstandene Literatur im weiteren Sinn.

Erste Schriftliche Denkmäler

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Die ältesten bekannten schriftlichen Zeugnisse auf dem Gebiet der heutigen Slowakei – wenn auch keine literarischen – stellen Aufschriften auf keltischen Münzen dar, welche mehr als 2000 Jahre alt sind. Der erste Autor eines literarischen Werkes, welches auf dem Gebiet der Slowakei geschrieben wurde, war der römische Kaiser Marcus Aurelius. Während seiner Feldzüge gegen die Quaden im Jahr 174 verfasste er am Ufer des Flusses Grannus (Hron) sein philosophisches Werk „Ta eis heauton“ (Selbstbetrachtungen).[1]

Altslawische Literatur

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Die ersten heimischen Literaturzeugnisse entstanden zur Zeit des Mährerreiches. Als Verdienst der beiden Slawenmissionare Kyrill und Method entstand im 9. Jahrhundert eine neue slawische Schrift, die Glagoliza (slowakisch: hlaholika), welche die Entwicklung von Schrifttum und Literaturwerken in altslawischer Sprache ermöglichte.[2]

Literatur im Hochmittelalter

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Nationale Erneuerung

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Ján Hollý (1785–1849)

Das erste „slowakische“ Literaturwerk stellte der vom katholischen Priester Jozef Ignác Bajza 1783 bis 1785 veröffentlichte Roman „René mláďenca príhodi a skusenosti“ (Abenteuer und Erfahrungen des Jünglings René) dar, der in einem stark slowakisierten Tschechisch verfasst war, das sich jedoch nicht als Literatursprache durchsetzte. Erfolgreicher war wiederum ein Priester namens Anton Bernolák, der 1787 eine erste, auf dem westslowakischen Dialekt basierende slowakische Schriftsprache schuf (das sogenannte Bernolákisch). Diese erste slowakische Schriftsprache nutzten Juraj Fándly (1750–1811) und Ján Hollý (1785–1849). Fándly brachte 1789 das erste größere literarische Werk in Bernolakischem Slowakisch heraus, das sich satirisch mit den Zuständen in den Klöstern auseinandersetzte. Der Dichter Hollý nutzte das Bernolákische Slowakisch zur Übersetzung klassischer Autoren wie Homer, Vergil und Horaz, sowie für seine nach deren Vorbild geschaffenen Epen über Helden aus der Frühzeit des slowakischen Volkes, so „Svätopluk“ (1833) und „Cirillo-Metodiada“ (1835). Hollý idealisierte in seinen Oden und Elegien auch das slowakische Hirtenleben.[3]

Ján Kollár (1793–1852)

Das Bernolákische konnte sich nicht als allgemeine slowakische Literatursprache durchsetzen, da die nationalbewussten protestantischen Intellektuellen die wiederbelebte tschechische Sprache verwendeten. Deren wichtigste Vertreter waren Ján Kollár (1793–1852) und Pavel Jozef Šafárik (1795–1861). Kollár hob die gemeinsamen Wurzeln der tschechischen und slowakischen Sprache hervor und versuchte, eine „tschechoslowakische“ Schriftsprache unter den gebildeten Slowaken zu popularisieren. In dieser Sprache verfasste er auch sein 1826 erschienenes Meisterwerk „Slávy dcera“ (Tochter der Slava). Kollár vertrat ein idealisiertes Slawenbild, das die slowakische Literatur bis ins 20. Jahrhundert immer wieder tief prägte. Auch legten Kollár wie auch Šafárik eine Sammlung slawischer Volkslieder an.[4] Als allgemein akzeptierte slowakische Hochsprache setzte sich erst die zwischen 1843 und 1846 durch den protestantischen Gelehrten Ľudovít Štúr und dessen Mitstreiter kodifizierte Schriftsprache durch, die auf mittelslowakischen Mundarten basierte. Diese wurde von einer Vielzahl jüngerer Dichter und Schriftsteller angenommen, die die klassischen Werke der slowakischen Romantik schufen, so Samo Chalupka, Janko Kráľ, Ján Botto und Andrej Braxatoris-Sládkovič.[5]

Pavol Országh Hviezdoslav (1849–1921)

Mit Svetozár Hurban Vajanský und Pavol Országh Hviezdoslav kam es zur Epoche des slowakischen poetischen Realismus. Hviezdoslav verfasste die Gedichtsammlungen „Jesenné zvuky“ (Herbstlicher Klang, 1878), „Oblaky“ (Wolken; 1879) und „Krvavé Sonety“ (Blutige Sonette; 1882–1886). Höhepunkt seines umfangreichen Schaffens bedeutender Natur- und Gedankenlyrik war die in drei Bänden veröffentlichte Lyrikanthologie „Leterosti“ (Wachstumsringe; 1885–1886). Darüber hinaus trug Hviezdoslav mit der Übersetzung der Werke von Shakespeare, Goethe, Schiller, Słowacki, Mickiewicz und Petőfi zur Verbreitung der Weltliteratur in seinem Lande bei.[6] Einige der populärsten Werke des slowakischen Realismus wurden von Schriftstellerinnen verfasst, insbesondere Božena Slančíková (1867–1951). In ihren naturalistischen Erzählungen wie „Veľké šťastie“ (Großes Glück; 1906) und „Ťapákovci“ (Die Familie Ťapák; 1914) beschrieb sie das einem raschen Wandel untergeworfene Leben der slowakischen bäuerlichen und städtischen Gesellschaft.[7]

Ladislav Novomeský (1904–1976)

Um die Wende zum 20. Jahrhundert bahnte sich unter Janko Jesenský (1874–1945) und Ivan Krasko (1876–1958) ein Umbruch in der Lyrik an. Krasko, der unter anderem mit den Gedichtsammlungen „Nox et solitudo“ (Nacht und Einsamkeit; 1909) und „Verše“ (Verse; 1912) bekannt wurde, wird als eigentlicher literarischer Begründer der slowakischen Moderne bezeichnet. Die Befreiung von den Vorgaben der ungarischen Kulturpolitik und die Gründung der Tschechoslowakischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg schufen günstige Bedingungen für den literarischen Aufschwung in der Tschechoslowakei der 1920er und 1930er Jahre. Die Kriegsschicksale und die Erfahrungen der Menschen in den veränderten Nachkriegsverhältnissen verarbeiteten Milo Urban (1904–1982) in seinem Roman „Živý bič“ (Die lebendige Geißel; 1927) und Jozef Cíger-Hronský (1896–1960) in den Prosawerken „Chlieb“ (Brot; 1931) und „Jozef Mak“ (1933). Die sozialen Probleme wurden in noch radikalerer Weise von einer linksorientierten Gruppe von Dichtern aufgenommen, als deren bekanntester Dichter Ladislav Novomeský (1904–1976) hervorgegangen ist. Novomeský suchte in seinem reichen dichterischen Werk – darunter die Gedichtsammlungen „Nedeľa“ (Sonntag; 1927) und „Romboid“ (Rhomboid; 1932), „Otvorené okná“ (Offene Fenster; 1935) und „Sväty za dedinou“ (Der Heilige hinter dem Dorf; 1939) – eine experimentelle, artistische Poesie mit dem sozialen Engagement zu verbinden.[8]

Literatur unter dem Sozialismus

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Büste von Milan Rúfus (1928–2009)

Mit Ausnahme einiger Autoren, die dem Tiso-Regime zu nahegestanden hatten und das Land verlassen mussten, erlebten alle literarischen Bewegungen der Slowakei in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einen erneuten Aufschwung. Die Machtübernahme der Kommunisten im Februar 1948 empfanden viele slowakische Dichter und Schriftsteller zunächst nicht als bedrückend. Der weithin angesehene und mit dem Ruhm des Widerstandskämpfers ausgezeichnete Ladislav Novomeský warb 1949 auf dem ersten gemeinsamen Kongress der tschechischen und slowakischen Schriftsteller in Prag für die Unterstützung der Partei beim Aufbau des Sozialismus.[9] Der kommunistische slowakische Schriftstellerverband, dem alle Autoren beitreten mussten, denen an weiteren Veröffentlichungen gelegen war, übte eine absolute Kontrolle über die literarische Produktion aus. 1951 wurde der traditionelle sozialistische Dichterkreis der „Davisten“ aufgelöst und dessen prominentestes Mitglied, Ladislav Novomeský, der inzwischen hohe Partei- und Regierungsfunktionen innehatte, wurde verhaftet und aus der Partei ausgeschlossen.[10]

Nach dem Tod Stalins 1953 verbreitete sich auch in der Tschechoslowakei zögernd das von der neuen Führung in Moskau verordnete „Tauwetter“. Von Machtmissbrauch und Unmenschlichkeit handelte der Gedichtband „Až dozrieme“ (Bis wir reif werden; 1956) von Milan Rúfus, dessen moralisches Pathos als Zeichen einer geistigen Erneuerung verstanden wurde. 1956 trat Dominik Tatarka (1913–1989) mit dem Prosawerk „Démon súhlasu“ (Der Dämon der Zustimmung) wieder an die Öffentlichkeit, das mit dem Personenkult im Sozialismus, dem Konformismus der Stalinzeit und der ideologischen Verstrickung der Menschen satirisch ins Gericht ging.[11] Als herausragende Gestalt der Prosaautoren jener Jahre gilt Ladislav Mňačko (1919–1994), der nach Überwindung einer doktrinär-kommunistischen Phase mit dem Roman „Smrť sa volá Engelchen“ (Der Tod heiß Engelchen; 1959), einer realistischen und nicht unkritischen Darstellung des Partisanenkampfes im Zweiten Weltkrieg, im In- und Ausland Erfolg erzielte. Mit der Brutalität des stalinistischen Regimes und der dumpfen Stagnation der Novotný-Ära rechnete er in der Aufsatzserie „Oneskorené reportaže“ (Verspätete Berichte) und dem Roman „Ako chutí moc“ (Wie die Macht schmeckt. 1966) ab.[12]

Ein reiches Kapitel an slowakischer Literatur waren Gedichte, Geschichten und Romane für Kinder, zu denen neben anderen Milan Rúfus beigetragen hat. Seine in den Nachkriegsjahren entstandenen Gedichte veröffentlichte er erst 1974 unter dem Titel „Chlapec maľuje dúhu“ (Ein Knabe malt den Regenbogen). Seine Richtschnur, die vom Dichter geforderte Ehrlichkeit, durchzieht sein gesamtes lyrisches Werk, bis zu den in den 1990er Jahren erschienenen Sammlungen „Neskorý autoportrét“ (Spätes Selbstporträt; 1992) oder „Čítanie z údelu“ (Lesen als Schicksal; 1996). Rúfus galt bis zu seinem Tod 2009 als der bedeutendste lebende slowakische Dichter,[13] seit 1991 bis zu seinem Tod wurde er jedes Jahr für den Literaturnobelpreis nominiert.[14]

Seit der Wende 1989 boten Literaturzeitschriften mit erneuerter Redaktion wie „Slovenské pohľady“ (Slowakische Ansichten) oder neu gegründete Blätter wie „Literárny týždenník“ (Literarische Wochenzeitung) jungen Autoren wieder ein Podium zur Vorstellung und Diskussion, außerdem fanden viele vor 1989 verbotene Autoren wieder Verlage, so z. B. Ivan Laučik, Ivan Kadlečík, Pavel Hruz, Martin Bútora und Martin Šimečka.[15]

Zeitgenössische Autoren sind beispielsweise Mila Haugová, Michal Hvorecký, Ján Zambor, Milan Richter, Daniel Hevier und Dana Podracká.

Einzelnachweise

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  1. Kollektiv: Slovensko A–Ž [Die Slowakei von A–Ž]. Ikar, Bratislava 2009, S. 226.
  2. Kollektiv: Slovensko A–Ž [Die Slowakei von A–Ž]. Ikar, Bratislava 2009, S. 226. (Slowakisch)
  3. Roland Schönfeld: Slowakei: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2000, ISBN 3-7917-1723-5, S. 245.
  4. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 245–246.
  5. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 246–247.
  6. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 247–248.
  7. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 249.
  8. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 249–250.
  9. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 251–252.
  10. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 253.
  11. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 253.
  12. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 254.
  13. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 256.
  14. www.litcentrum.sk, abgerufen am 23. November 2013, 13:37.
  15. Schönfeld: Slowakei. 2000, S. 257.