ADB:Maria Theresia
Kaiser Karl VI. (s. Bd. XV S. 206.) und seiner Gemahlin Elisabeth (s. Bd. VI S. 11 f.) von Braunschweig-Wolfenbüttel am 13. Mai 1717 in Wien geboren. Wenige Monate früher, am 4. November 1716 war ihr älterer Bruder Leopold im zartesten Kindesalter gestorben, und da ihrem Vater kein Sohn mehr zur Welt kam, sondern auf M. T. nur noch zwei Töchter folgten, so war Karls unablässiges Bestreben bekanntlich darauf gerichtet, sein schon im J. 1713 erlassenes Hausgesetz, die pragmatische Sanction, kraft deren in Ermanglung männlicher Leibeserben seine älteste Tochter die Nachfolgerin in dem Besitze all seiner, als ein untrennbares Ganzes erklärten Länder werden sollte, sowol von den gesetzlichen Repräsentationen dieser Länder als von einer möglichst großen Anzahl fremder Staaten feierlich anerkennen und von den Letzteren auch noch überdies gewährleisten zu lassen. Neben den unablässigen Verhandlungen hierüber fehlte es, sogar ehe noch M. T. das Kindesalter überschritten hatte, auch nicht an solchen, welche sich direct auf ihre dereinstige Heirat bezogen. Man weiß daß Karl VI. dem lebhaften Wunsche des Herzogs Leopold von Lothringen, seinen Erbprinzen Clemens mit der ältesten Tochter des Kaisers zu vermählen, willfährig gesinnt war. Schon stand der Entschluß fest, den Prinzen nach Wien kommen zu lassen, auf daß dort seine Erziehung vollendet und er vorbereitet werde auf seine zukünftige Verbindung mit der Erbin aller österreichischen Länder, als Prinz Clemens im Juni 1723 plötzlich starb. In Allem und Jedem, auch in der Anwartschaft auf die Hand der Erzherzogin trat nun sein jüngerer Bruder Franz (s. Bd. VII S. 278) an dessen Stelle. Vom August 1723 angefangen befand sich derselbe am kaiserlichen Hoflager, und obgleich er damals erst 15 Jahre zählte, so brachte er doch auf Alle, die mit ihm in Verkehr traten, einen sehr gewinnenden Eindruck hervor. Bestand nun auch zwischen Karl VI. und dem Herzoge Leopold von Lothringen keine bindende Abmachung über die dereinstige Vermählung ihrer zwei ältesten Kinder, so gewöhnte sich doch Jedermann, in dem Erbprinzen Franz den zukünftigen Gemahl der Erzherzogin M. T. zu erblicken. Am Innigsten aber verwuchs diese Idee mit dem Sinnen und Denken der Prinzessin selbst, deren Hand, noch ehe sie hierüber zu rechter Erkenntniß gelangen konnte, schon so eifrig umworben wurde. Am lebhaftesten und mit dem anscheinend günstigsten Erfolge geschah dies von Spanien aus, dessen Königin [341] Elisabeth nirgends auf vollständigere Befriedigung ihres brennenden Verlangens, ihrem Sohne Don Carlos ein glanzvolles Loos zu sichern, hoffen durfte, als es ihm durch Erwerbung der Hand der österreichischen Thronerbin zu Theil geworden wäre. Aber so lockend die Versprechungen Spaniens auch sein mochten, Karl VI. ließ sich durch sie doch nicht verleiten, seinem ursprünglichen Plane, seine älteste Tochter mit dem Erbprinzen von Lothringen zu vermählen, untreu zu werden. Auch denen gelang es nicht den Kaiser auf andere Gedanken zu bringen, die es im Interesse der österreichischen Monarchie gelegen glaubten, daß die Erbtochter ihres Herrscherhauses nicht dem dereinstigen Besitzer eines kleinen, weit entlegenen Herzogthums, sondern dem eines größeren und benachbarten deutschen Staates, als welcher insbesondere Baiern in Betracht kam, ihre Hand reiche. Wenn Karl VI. auch hievon nichts wissen wollte, so wurde er außer seiner persönlichen Sympathie für Franz von Lothringen in der günstigen Gesinnung für dessen Bewerbung wol auch durch die Liebe zu seiner Tochter und durch den Nachdruck bestärkt, mit welchem seine Gemahlin Elisabeth für die Erfüllung ihrer Herzenswünsche eintrat. M. T. war indessen, von der Natur mit wahrhaft glänzenden Gaben aufs reichlichste bedacht, zur holdseligen Jungfrau herangeblüht. Von ihren Lehrern erhoben sich freilich nur Spannagel, der die Geschichte, und Marinoni, der die Mathematik vortrug, endlich der Musiklehrer Caldara (s. Bd. III S. 693) zu einiger Bedeutung, aber die überaus glücklichen Anlagen der Erzherzogin thaten auch hierin das Beste. Um ihrer Schönheit, ihrer Liebenswürdigkeit und ihres Verstandes willen von Allen bewundert, reichte sie am 12. Februar 1736 dem nunmehrigen Herzoge Franz von Lothringen die Hand. Da derselbe kurz darauf genöthigt wurde, sein Erbland gegen Toscana zu vertauschen, begab sich M. T., welche ihm bis dahin schon zwei Töchter geboren hatte, im December 1738 mit ihrem Gemahl nach Florenz, wo sie am 20. Januar 1739 jenen feierlichen Einzug hielten, der durch eine heute noch bestehende Triumphpforte verewigt wurde. Nach viermonatlichem Aufenthalte in Florenz kehrten Beide wieder nach Wien zurück, wo M. T. am 12. Januar 1740 eine dritte Prinzessin zur Welt brachte.
Maria Theresia, Königin von Ungarn und Böhmen, Erzherzogin von Oesterreich, römisch-deutsche Kaiserin, wurde ihrem VaterDaß ihr bisher immer nur Töchter und keine Söhne beschieden waren, bereitete der Erzherzogin und vielleicht mehr noch ihrem Vater den bittersten Schmerz. Ohnedies schon durch die unglücklichen Feldzüge gegen die Türken und den schimpflichen Belgrader Frieden tief darnieder gebeugt, empfand es Karl VI. voll Kummer, daß der heißersehnte Thronerbe sich fruchtlos erwarten ließ. Und wirklich war es dem Kaiser nicht beschieden einen solchen zu schauen, denn fünf Monate bevor sie ihren ältesten Sohn Joseph (s. Bd. XIV S. 542) gebar, sah die Erzherzogin ihren Vater ins Grab sinken. Am 20. October 1740 starb Karl VI., und durch seinen damals noch ganz unerwarteten Tod gelangte M. T. plötzlich in den Besitz aller österreichischen Länder.
In dem Umstande, daß Karl VI. zur Zeit seines Todes erst in seinem 56. Lebensjahre stand, mag die Erklärung der befremdenden Thatsache liegen, daß er bisher nicht das Geringste gethan hatte, seine Tochter mit den Angelegenheiten eines Staates bekannt zu machen, dessen Leitung ihr nun zufiel. Um so schwieriger war diese Aufgabe, als die junge Fürstin weder in ihrem liebenswürdigen, aber geistig nicht hervorragenden Gemahl, noch in den zumeist schon hochbetagten und altersschwachen Männern, welche die vertrauten Rathgeber ihres verstorbenen Vaters gewesen waren, irgend eine verläßliche Stütze fand. Zudem waren die militärischen und die Finanzverhältnisse der Monarchie in trostloser Zerrüttung, während schließlich die Bevölkerung selbst, den Adel und die Geistlichkeit, diese Schooßkinder der früheren Regierungen nicht ausgenommen, entweder den kommenden [342] Ereignissen apathisch entgegensah, oder sogar auf einen fremden Landesherrn, den Kurfürsten von Baiern hülfesuchend die Augen warf.
Von baierischer Seite war es denn auch, von welcher man zuerst Ansprüche auf die Nachfolge in Oesterreich erhob. Das Testament Kaiser Ferdinands I. (s. Bd. VI S. 632), auf das man sie zunächst stützen zu können glaubte, lautete ihnen jedoch nicht günstig, und schon gewann es den Anschein, als ob man der Hoffnung sich hingeben dürfe, es werde gelingen die pragmatische Sanction zur Wahrheit zu machen und die österreichische Monarchie unter dem Scepter der ältesten Tochter des letzten Habsburgers ungeschmälert zu erhalten, als von einer Seite her ein Angriff auf dieselbe ins Werk gesetzt wurde, von der man einen solchen am wenigsten besorgt hatte.
Es soll und kann natürlich hier auch nicht von fern auf die Frage eingegangen werden, ob die Ansprüche, welche König Friedrich II. von Preußen (s. Bd. VII S. 656) plötzlich auf einen großen Theil Schlesiens erhob, irgendwelche Berechtigung besaßen oder nicht. Dagegen wird wol als selbstverständlich hingestellt werden dürfen, daß M. T. die Begehren des Königs nur als ganz unbegründet ansehen konnte. Ihnen mit Entschlossenheit entgegenzutreten und sich um kein Haarbreit von dem Boden abdrängen zu lassen, den sie als den einzig legalen ansehen mußte, darin bestand ihre erste Regung und an ihr hielt sie, von Bartenstein (s. Bd. II S. 87), der rasch einen ähnlichen Einfluß auf M. T. gewann, wie er ihn auf ihren Vater ausgeübt hatte, hierin bestärkt, mit furchtloser Seele auch durch alle Widerwärtigkeiten gleichmäßig fest. Darum wies sie die Forderungen des Königs von Preußen rundweg zurück und ließ sich auch dadurch nicht willfähriger für sie stimmen, daß der Reihe nach Baiern, Sachsen, Frankreich, Spanien, Neapel in Waffen traten wider sie. Durch Bündnisse mit England und später mit Sardinien trachtete sie sich hiegegen zu stärken, ihre Hauptstütze aber suchte und fand sie in ihren eigenen Ländern. Das energische Auftreten der jungen Fürstin erfüllte auch diejenigen, welche Anfangs geschwankt hatten, mit Bewunderung, ja mit Begeisterung für sie. Am lautesten kam dieses Gefühl bei den Ungarn zum Ausdrucke, deren Landtag die Königin im Mai 1741 nach Preßburg zusammenberufen hatte. Ihre persönliche Anwesenheit und ihre rührende Bitte um Beistand wider ihre Feinde entflammten die Mitglieder beider Tafeln zu dem Eide, Blut und Leben für sie hinopfern zu wollen.
Unter dem ermuthigenden Eindrucke dieser Ereignisse wagte es M. T., so ungünstig auch das bisherige Ergebniß ihrer Kriegführung gegen Preußen war, wider zwei andere Gegner, Baiern und Frankreich, sich nicht blos auf die Vertheidigung zu beschränken. In den letzten Tagen des Januar 1742 eroberte Khevenhüller (s. Bd. XV S. 706) das von den Franzosen und den Baiern besetzte Linz. Wenige Monate nachdem sich der Kurfürst Karl Albrecht (s. Bd. XV S. 219) als König von Böhmen hatte huldigen lassen, und zu derselben Zeit, in der er zu Frankfurt zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt wurde, drangen die österreichischen Truppen in seinem Stammlande siegreich vor. Allerdings wurden diese Erfolge durch den Verlust der Schlacht bei Chotusitz wieder mehr als aufgewogen, und M. T. begriff, daß sie sich mit ihrem gefährlichsten Feinde versöhnen müsse, um die übrigen mit um so mehr Nachdruck bekämpfen zu können. Zu Breslau kamen die Präliminarien mit Preußen zu Stande, denen bald der Berliner Friede folgte, der die Abtretung des größeren Theiles von Schlesien an Preußen besiegelte. Nun wurden die Baiern und die Franzosen aus Böhmen vertrieben; zu Prag nahm M. T. die Huldigung der Stände entgegen und am 12. Mai 1743 wurde sie als Königin von Böhmen gekrönt. Bei Dettingen siegte König Georg II. von England (s. Bd. VIII S. 642) mit der pragmatischen [343] Armee über die Franzosen, und da auch in Folge der Niederlage, welche Graf Traun den bourbonischen Truppen bei Camposanto beigebracht hatte, die Oesterreicher in Italien die Oberhand erhielten, stand es im Beginne des Jahres 1744 um die Sache der Königin von Ungarn und Böhmen auf allen Kriegsschauplätzen ungleich besser, als man noch vor Kurzem zu hoffen gewagt hatte. Die Besorgniß, das Neugewonnene wieder zu verlieren, und wol mehr noch die Sehnsucht nach noch ansehnlicherer Gebietserwerbung veranlaßte den König von Preußen, den Frieden ein zweites Mal zu brechen und in Böhmen einzurücken. Unaufhaltsam drang er in dem von Truppen ziemlich entblößten Lande vor und er nöthigte hiedurch M. T. ihre Streitkräfte, die schon den Rhein überschritten hatten, wieder über diesen Strom zurückzuziehen und sie nach Böhmen zu werfen. Mit so großer Geschicklichkeit manövrirten nun Karl von Lothringen und Traun gegen den König von Preußen, daß sie ihn zu allmähligem Rückzuge aus Böhmen zwangen. Im folgenden Feldzuge machte er jedoch die erlittenen Nachtheile reichlich wieder gut. Er schlug die Oesterreicher bei Hohenfriedberg, bei Soor und schließlich bei Kesselsdorf und zwang sie hiedurch mit ihm zu Dresden neuerdings Frieden zu schließen. Die schon zu Breslau geschehenen Abtretungen in Schlesien wurden bestätigt, Friedrich hingegen erkannte nachträglich den Großherzog von Toscana, der nach dem Tode Karls VII. zum römisch-deutschen Kaiser gewählt und als solcher am 4. October 1745 in Gegenwart seiner Gemahlin zu Frankfurt gekrönt worden war, in dieser Würde an.
In Deutschland schwieg nun das Getöse der Waffen, nicht so in Italien und in den Niederlanden. Die Vertreibung der Spanier aus Mailand, ihre Niederlage bei Piacenza, die Unterwerfung Genua’s endlich schienen das Uebergewicht der Oesterreicher in Italien so unumstößlich zu begründen, daß dieselben sogar einen Angriff auf Südfrankreich unternahmen. Die Wiedererhebung Genua’s aber und die Vertreibung der Oesterreicher aus dieser Stadt gaben der Kriegführung in jenen Gegenden wieder eine minder günstige Wendung. Aus Südfrankreich sich freiwillig zurückziehend, setzten die Oesterreicher die Belagerung Genua’s ins Werk; sie kamen jedoch mit derselben nicht zum Ziele. Einigen Ersatz für dieses Scheitern ihres Planes bot ihnen das siegreiche Treffen, in welchem sie, mit den Piemontesen vereint, am 19. Juli 1747 die Franzosen auf dem Col d’Assiette in die Flucht trieben.
Noch ungleich weniger glücklich war für die Oesterreicher die Kriegführung in den Niederlanden. Ein Platz nach dem anderen ging an die Franzosen verloren, die noch überdies in jedem der drei letzten Feldzugsjahre einen glänzenden Sieg, und zwar bei Fontenoy, bei Rocoux und bei Laveld erfochten. Nicht so sehr diese unglücklichen Ereignisse als die feindselige Haltung, welche das ihr verbündete England mehr und mehr gegen sie annahm, nöthigten endlich auch den standhaften Sinn der Kaiserin zur Nachgiebigkeit. Nur mit äußerstem Widerstreben fügte sie sich in die Unausführbarkeit des Gedankens, dem sie sich immer rückhaltloser hingegeben hatte, in Deutschland, und nachdem dies durch die Aussöhnung mit Baiern unthunlich geworden war, in Italien Ersatz für den Verlust Schlesiens zu erlangen. Und als man noch weiter ging und ihr nicht nur keine Gebietserwerbung in Italien gönnte, sondern ihr auch dort ansehnliche Einbuße zumuthete, da vertheidigte sie die Interessen ihres Hauses und ihres Staates mit einem Muthe und einer Ausdauer, die eines besseren Looses würdig gewesen wären. Aber schließlich blieb ihr doch nichts Anderes übrig als ihre Zustimmung zu dem Friedensvertrage zu geben, den Kaunitz (s. Bd. XV S. 487) in ihrem Namen am 23. October 1748 zu Aachen unterschrieb. Wenn auch darin die Abtretungen in Schlesien bestätigt wurden und überdies Parma, Piacenza und Guastalla für Oesterreich verloren gingen, so wurde doch auch gleichzeitig [344] ein Krieg, der in der Absicht, M. T. des größeren Theiles der von ihr ererbten Staaten zu berauben, von weit überlegenen Gegnern wider sie unternommen worden war, mit Verlusten beendigt, die an und für sich gewiß empfindlich, aber doch ungleich geringer waren, als man ihr zufügen zu können geglaubt hatte.
„Bis zum Dresdner Frieden habe ich“, heißt es in einer von der Kaiserin selbst herrührenden Aufzeichnung, die etwa im J. 1751 zu Stande kam, „herzhaft agirt, Alles hazardirt und alle Kräfte angespannt, weil ja meinen Erblanden nichts Unglückseligeres geschehen könnte als in preußische Hände zu fallen, wie denn, wenn ich nicht immer gesegneten Leibes gewesen wäre, gewiß Niemand mich abgehalten hätte, diesem so meineidigen Feinde selbst entgegenzuziehen. Wie ich jedoch gesehen, daß ich zum Dresdner Frieden die Hand bieten mußte, so habe ich auf einmal meine Denkungsart geändert und dieselbe nur auf den inneren Zustand meiner Länder gerichtet, um die erforderlichen Maßregeln zu ergreifen, durch welche die deutschen Erblande“ – unter welcher Bezeichnung M. T. immer auch Ungarn und dessen Nebenländer, nicht aber die Lombardie und die Niederlande verstand – „gegen ihre zwei mächtigsten Feinde, gegen Preußen und die Pforte, trotz des Mangels an Geld und an Festungen, trotz der Schwäche der Heere beschützt werden könnten.“ Daher sei, fährt M. T. fort, schon von dem Augenblicke des Abschlusses des Dresdner Friedens all ihr Trachten dahin gerichtet gewesen, sich über den Zustand ihrer Länder und deren Leistungsfähigkeit genau zu unterrichten und die überall vorherrschenden Mißbräuche zu erforschen, durch welche Alles in die ärgste Verwirrung gebracht worden sei. Auch in dieser Beziehung sei sie Bartenstein, und zwar nicht weniger Dank schuldig als für die trefflichen Rathschläge, die er ihr hinsichtlich der äußeren Politik und insbesondere zu standhaftem Ausharren gegen Preußen jederzeit gegeben. Und nun trat, gerade im rechten Augenblicke, ein Zweiter an ihre Seite, von dem M. T. behauptete, er sei ihr wahrhaftig durch die Vorsehung zugesendet worden. „Denn um durchbrechen zu können, bedurfte ich“, so lauten ihre Worte, „gerade eines solchen Mannes, welcher ehrlich, ohne Nebenabsicht, ohne Ehrgeiz und ohne Anhang ist, der das Gute, weil er es als gut erkennt, unterstützt, der die größte Uneigennützigkeit mit unerschütterlicher Anhänglichkeit an seinen Landesfürsten, die umfassendste Begabung mit Freude und Fleiß zur Arbeit verbindet, der das Licht nicht scheut und noch weniger sich fürchtet vor dem ungerechten Hasse derer, die durch ihn ihre Privatinteressen gefährdet glauben.“
Graf Friedrich Wilhelm v. Haugwitz (s. Bd. XIV S. 66) war es, von dem die Kaiserin in so anerkennenden Worten sprach. Selbst in Schlesien geboren und mit den Zuständen dieses Landes innig vertraut, hatte er immer behauptet, es wäre nie für Oesterreich verloren gegangen, wenn sich zu dessen Schutze genug Truppen im Lande befunden und es nicht monatelanger Märsche bedurft hätte, um solche aus den entlegensten Theilen Ungarns herbeizuziehen. Ja selbst während man im Begriffe stand dies zu thun, seien der Anhäufung von Truppen in Böhmen und Mähren, angeblich um diese Länder zu schonen, nur Hindernisse in den Weg gelegt worden. Bei der bekannten Vergrößerungssucht des Königs von Preußen müßten unfehlbar beide Provinzen früher oder später in seine Gewalt kommen, wenn nicht zu ihrem Schutze eine ausreichende Kriegsmacht aufgestellt würde. Um jedoch gleich bei der Hand zu sein, dürfe sie nicht wie früher tief nach Ungarn, sondern sie müsse wenigstens zum großen Theile in jene Länder verlegt werden, zu deren Vertheidigung sie zunächst bestimmt sei. Um dies thun zu können, bedürfe man jedoch der zum Unterhalt einer hinlänglichen Kriegsmacht nöthigen Summe. Nie werde man sie aufbringen können, wenn stets nur der zum Gutsherrn im Verhältnisse der Unterthänigkeit [345] stehende Landmann und nicht auch der Gutsherr selbst zur Betheiligung an der Steuerzahlung herbeigezogen werde. Außerdem müßten alle das Militärwesen angehende Verfügungen den Landständen entzogen und der Regierung anheimgegeben werden.
Nachdem die eigenen Gedanken der Kaiserin denen des Grafen Haugwitz vollständig entsprachen, beauftragte sie ihn mit der Ausarbeitung eines Planes, dessen Verwirklichung die Bestreitung des Unterhaltes von 108,000 Mann möglich machen würde; 14 Millionen Gulden seien hiezu nöthig. Wenn sich die österreichischen Länder mit Ausnahme der Lombardie und der Niederlande zu deren Aufbringung herbeiließen, so sollten alle ihre sonstigen Leistungen für die Truppen mit Ausnahme der Einquartierung hinwegfallen.
Haugwitz war bald fertig mit seinem Plane, dessen Kernpunkt darin bestand, daß an Stelle der jährlichen Geldbewilligungen von Seite der Stände, welche sich bisher auf ungefähr neun Millionen beliefen, ein Vertrag mit ihnen trat, kraft dessen sie sich zur Zahlung einer um fünf Millionen höheren Summe verpflichteten, wofür sie wieder anderer Obliegenheiten für die Truppen enthoben sein sollten. Alle sogenannten Naturalleistungen seien nach ihrem Geldwerthe zu schätzen und in letzterem zu vergüten. Jede bisher den Ständen obliegende Besorgung einer Militärangelegenheit habe an die hiefür vom Staate aufgestellten Behörden überzugehen. Die mit den Ständen vereinbarten Geldsummen seien in monatlichen Raten zu bezahlen, für ihre Aufbringung habe jedoch ein ganz neuer Maßstab zu gelten. Derselbe werde dadurch gewonnen, daß der Werth jedes unbeweglichen Gutes und dessen Ertrag festgestellt werde, letzterer aber, 20fach genommen, die Summe ausmache, von welcher der besitzende Adel den hundertsten, der Landmann aber den fünfzigsten Theil als Militärsteuer entrichte. Jede Steuerbefreiung, auf welchem Titel sie auch beruhe, werde beseitigt.
Es ist nicht zu verwundern, daß diese Vorschläge des Grafen Haugwitz bei denen, die vorzugsweise von ihnen betroffen wurden, den Landständen der verschiedenen Provinzen vielfachen Anstoß erregten. Vorerst enthielten sie nicht nur eine beträchtliche Erhöhung der bisherigen Abgaben, und außerdem sollten zu deren Entrichtung auch diejenigen herangezogen werden, welche bis jetzt hievon befreit waren. Endlich mußten die Stände ihrem seit Jahrhunderten unangefochtenen Rechte auf Bewilligung der Steuern und Truppen entsagen und hiedurch selbst ihren Wirkungskreis zu Gunsten der Regierungsgewalt einschränken, dadurch aber ihre Bedeutung im Staatsleben beträchtlich verringern. Daß sie sich nicht leicht dazu herbeiließen, sondern hie und da recht hartnäckig widerstrebten, versteht sich daher gewissermaßen von selbst. Aber durch das persönliche Ansehen der Kaiserin nachdrücklich unterstützt, gelangte Haugwitz schließlich doch überall zum Ziele. Auf zehn Jahre lauteten einstweilen die mit den Ständen der einzelnen Provinzen abgeschlossenen Recesse, durch welche die von der Kaiserin gutgeheißenen Anträge des Grafen Haugwitz zu voller Geltung gelangten. Nach Ablauf dieser Frist aber hatten sie sich schon so sehr eingelebt im Volke, daß auch ohne Erneuerung der Recesse eine Wiedereinsetzung der Stände in ihre früheren Rechte Niemand mehr in den Sinn kam.
Auch wer die immer weiter gehende Beschränkung der letzteren sehr schwer empfinden und sie daher aufs schärfste mißbilligen mochte, mußte doch zugeben, daß sich M. T. hiezu nicht durch Eigenwillen und Herrschbegierde, sondern nur durch die Ueberzeugung bewegen ließ, sie erfülle eine ihr durch das Interesse ihres Staates und das Wohl seiner Bevölkerung gebieterisch auferlegte Pflicht. Allgemeiner erkennbar trat ihre Fürsorge für dieselbe in den Maßregeln zu Tage, die sie zur Umgestaltung der obersten Administrativbehörden und zur Trennung der Verwaltung von der Rechtspflege traf. Als erwiesen galt ihr die Schädlichkeit [346] der bisherigen Einrichtung, die österreichischen und die böhmischen Länder durch abgesonderte Kanzleien regieren zu lassen, deren Vorsteher immer aus den vornehmsten Familien dieser Provinzen gewählt wurden. Darum habe Jeder von ihnen, meinte die Kaiserin, stets nur an die Erleichterung der Lasten der ihm untergeordneten und ihre Ueberwälzung auf die anderen Länder gedacht. In nichts seien sie einig gewesen als in dem Widerspruche, den sie jederzeit erhoben, wenn ihnen, sei es zu Gunsten des Militärs, der Finanzen oder sonst im Interesse des Staates irgend eine Leistung zugemuthet wurde. Daraus sei aber auch eine fast gefährliche Eifersucht zwischen den Ländern selbst entstanden, indem regelmäßig die Böhmen behaupteten zu Gunsten der Oesterreicher, diese aber wieder zum Vortheile der Böhmen überbürdet zu werden. Solch verderblichem Uebelstande zu steuern, vereinigte M. T. die zwei bisher von einander abgesonderten Hofkanzleien, die österreichische und die böhmische, in eine einzige oberste Verwaltungsbehörde, der sie den Titel „Directorium in politicis et cameralibus“ gab. Die letztere Bezeichnung deutet an, daß sie auch die Geschäfte, die sich auf die Erhebung der Staatseinkünfte bezogen, dem neuen Directorium übertrug. Hingegen sonderte sie Alles, was die Rechtspflege anging und früher gleichfalls von den Hofkanzleien besorgt worden war, von den Agenden des Directoriums ab und vertraute es der eigens zu diesem Zwecke errichteten obersten Justizstelle an. So wie in der letzten wurde auch in der zweiten Instanz die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung vollzogen und im J. 1753 setzte M. T. eine Commission ein, welche mit der Ausarbeitung eines neuen Civilgesetzbuches für sämmtliche deutsch-österreichische Provinzen betraut wurde.
Wo von den Einrichtungen die Rede ist, welche M. T. in jener Zeit zum Wohle ihrer Unterthanen ins Leben rief, dürfen die neuen Kreisämter nicht unerwähnt bleiben. Die Einführung einer für lange Zeit hinaus festgesetzten, nicht mehr von der Bewilligung der Stände abhängigen Militärcontribution, die Heranziehung aller Volksklassen zu deren Entrichtung, die Uebertragung einer Menge bisher von den Ständen ausgeübter Gerechtsame auf die Staatsbehörden führten eine gänzliche Veränderung des Verhältnisses der Herrschaften zu der ihrer Jurisdiction untergebenen Bevölkerung herbei. Die natürliche Folge hievon war eine Unzahl von Streitigkeiten, bei denen der Vortheil zumeist auf Seite der Herrschaften lag, weil Reichthum und Macht ihnen gar viele Mittel darboten zur Wahrung ihrer Interessen. Hiedurch wurde jedoch die Absicht der Kaiserin, die Lage des Bauernstandes wesentlich zu verbessern und ihn in solcher Weise auch zu ausgiebigerer Betheiligung an der Aufbringung der für den Staatsschatz unentbehrlichen Summen geeigneter zu machen, wenigstens zum großen Theile wieder vereitelt. Endlich mußte man sich mehr und mehr davon überzeugen, daß alle Anordnungen zu Gunsten des Landmannes so lang nur von geringer Wirkung sein konnten, als es an den nöthigen Werkzeugen zu deren wirklicher Durchführung fehlte. Denn bisher standen den Landesbehörden keine anderen Organe als die Stände, diesen aber wieder nur die Herrschaften zu Gebote, von denen der gewissenhafte Vollzug von Aufträgen, die ihrem Vortheile widersprachen, kaum zu erwarten war und auch thatsächlich unterblieb. Unter der Bezeichnung von Kreisämtern traten neue Staatsbehörden ins Leben, denen in einem bestimmten Landestheile die Durchführung der von der Regierung ausgehenden Maßregeln oblag. Daß sie sehr oft auf den Schutz der Unterthanen vor der Willkür der Herrschaften hinausliefen, trug nicht wenig dazu bei, die Anhänglichkeit der Unterthanen an die Regierung zu stärken und die Errichtung der Kreisämter als eine überaus segensreiche Verfügung erkennen zu lassen.
Die umbildende Thätigkeit der Kaiserin, welche damals auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens bemerkbar wurde, konnte natürlich eines ihrer wichtigsten, [347] das des Unterrichtes nicht außer Acht lassen. Schwer ist es zu sagen, ob der Volksschule, der Mittelschule oder der Universität die bessernde und neugestaltende Hand am meisten Noth that. Einige Anläufe, der tief eingewurzelten Rohheit, dem Hange zum Aberglauben nicht so sehr durch Verbote und Strafen als durch Hebung des Volksunterrichtes entgegen zu wirken, finden sich schon in der allgemeinen Anordnung, daß künftighin nur hinreichend gebildete und erfahrene Schullehrer anzustellen seien, so wie in der Schulordnung, die im April 1747 für Tirol erlassen wurde. Auch sonst ergingen hie und da Befehle, welche sich auf die Verbesserung der Volksschulen bezogen, wie der Auftrag zur Einführung neuer und gleichförmiger Lehrbücher, oder das für Böhmen kundgemachte Patent, durch welches neben der deutschen auch die sorgsamere Pflege der czechischen Sprache empfohlen wurde. Aber eigentlich gehört die reorganisatorische Thätigkeit, welche die Kaiserin gerade auf diesem Gebiete in so ruhmvoller Weise entwickelte, doch erst dem letzten Decennium ihrer Regierungszeit an. In dem ersten und zweiten derselben geschah mehr als für die Volksschule im Allgemeinen für den Unterricht an einzelnen Anstalten, wie z. B. an dem großen Waisenhause in Wien, für die Hebung der Mittelschulen und insbesondere für die Wiener Universität, welche gerade damals durch die großartige Wirksamkeit, die van Swieten an ihr und für sie entwickelte, sowie durch die Erbauung des Palastes, den M. T. ihr bestimmte, einen bewunderungswürdigen Aufschwung nahm. Ganz besondere Vorliebe aber widmete die Kaiserin der Errichtung von Specialanstalten zur Erziehung und zum Unterrichte der Jugend, es mochte sich dabei um bestimmte Fächer oder um gewisse Klassen der Bevölkerung handeln. In letzterer Beziehung kommt die von der Kaiserin gegründete und nach ihr benannte Ritterakademie, das Theresianum, in ersterer die Militärakademie zu Wiener Neustadt, der sie die dortige kaiserliche Burg einräumte, die Ingenieurakademie in Wien, endlich die gleichfalls in Wien gegründete Akademie zur Erlernung der orientalischen Sprachen ganz besonders in Betracht.
In dem Umstande, daß M. T. in dem kurzen Zeitraume von zwei Jahren ebenso viele militärische Erziehungsanstalten gründete, wird wol der beste Beweis für die große Sorgfalt erblickt werden, die sie dem Kriegswesen widmete. Mochten auch wohldienerische Menschen, denen das Ohr der Monarchen überall und zu allen Zeiten mit Vorliebe lauscht, sie von dem Gegentheile zu überzeugen bemüht sein, der Scharfblick der Kaiserin täuschte sich keinen Augenblick darüber, wie weit ihre Truppen zwar nicht an persönlicher Tapferkeit, wol aber an militärischer Ausbildung hinter den preußischen zurückstanden. „Wer würde es glauben“, so sprach sie selbst über das Heerwesen sich aus, wie es bei ihrem Regierungsantritte beschaffen war, „daß bei meinen Truppen nicht die mindeste Regel bestand. Jeder machte im Marsche, im Exerciren wie im Allarm ein anderes Manöver. Einer schoß geschwind, der Andere langsam; die nämlichen Worte und Befehle wurden bei dem Einen so und dem Anderen anders ausgedrückt. Da ist es denn kein Wunder, wenn zehn Jahre vor meiner Regierung der Kaiser allzeit geschlagen wurde, und wie ich selbst das Militär gefunden, nicht zu beschreiben ist.“
Aus ihren eigenen Worten sieht man, daß M. T. in der Reform des Heerwesens eines der dringendsten Bedürfnisse des Staates erblickte. Aber freilich konnte sie auf diesem Gebiete als Frau nicht so energisch eingreifen, als es zu wünschen gewesen wäre. Ihrem Gemahl, dem Kaiser Franz, und ihrem Schwager, dem Prinzen Karl von Lothringen, fiel der größere Theil dieser Aufgabe zu, und obgleich der Letztere trotz des Unglückes, das ihn bei der Ausübung des Waffenhandwerkes verfolgte, doch ein wohlunterrichter Kriegsmann genannt werden muß, so fand doch die Thätigkeit, die er entwickelte, an dem sehr hohen [348] Alter des Grafen Joseph Harrach, Präsidenten des Hofkriegsrathes, ein nur schwer zu überwindendes Hemmniß. Und als man es schließlich nicht mehr umgehen konnte, den ganz dienstuntauglich gewordenen Harrach von seinem Posten zu entfernen, da wurde derselbe dem nicht viel jüngeren Neipperg, des Kaisers Günstling, zu Theil. So wenig vermochte sogar M. T., die doch vor Allem das Beste des Staates und ihres eigenen Hauses wollte, dem überwiegenden Einflusse ihrer Angehörigen und des Hofes sich zu entziehen. Dennoch wurde für die Verbesserung des Heerwesens unter eifrigem Zuthun der Kaiserin selbst Ansehnliches geleistet, und der competenteste Beurtheiler, der König von Preußen hob es hervor, wie sehr sich die österreichischen Truppen während der achtjährigen Friedensepoche vervollkommnet hatten. Jedermann weiß jedoch, daß die Kraft eines Staates nicht allein in einem wohlausgebildeten Heerwesen, sondern daß sie in nicht geringerem Maße in einem geordneten Zustande seiner Finanzen besteht. Dieser Satz, theoretisch von Niemand bestritten, wird jedoch praktisch von den Regierenden meistens zu wenig gewürdigt, und auch für M. T. kann das Verdienst nicht in Anspruch genommen werden, daß sie dies ausreichend gethan hätte. An dem Willen hiezu gebrach es ihr nicht, aber einerseits hatte die überlange Kriegführung die Geldmittel des Staates nicht nur vollständig aufgezehrt, sondern auch die Schulden desselben und hiedurch das jährliche Erforderniß zur Bezahlung der Zinsen sehr beträchtlich erhöht. Andererseits zieht eine reformatorische Thätigkeit immer große Geldopfer nach sich, und schließlich verleitete die Herzensgüte der Kaiserin, obgleich sie an ihren Vorfahren deren allzugroße Freigebigkeit scharf getadelt hatte, sie doch sehr häufig zu dem gleichen Fehler. Um all diesen Anforderungen zu genügen, blieb zuletzt nichts übrig als die Erhöhung der bestehenden und die Einführung neuer Steuern. Freilich wurden diese Maßregeln von der Bevölkerung, die zum großen Theile unter den Verheerungen des Krieges schwer gelitten hatte, nur mit Widerwillen aufgenommen und ertragen. Denn was auch die Kaiserin sonst ins Werk setzen mochte, um die Bodenproduktion, die Industrie und den Handel zu fördern, so unmittelbar und ausgiebig waren die Wirkungen derartiger Vorkehrungen doch nicht, um aus einer großentheils armen Bevölkerung rasch eine wohlhabende zu machen, welche den gesteigerten Anforderungen an ihre Steuerkraft anders als nur mit äußerster Mühe und nicht ohne empfindliche Schädigung zu entsprechen vermocht hätte. Unter diesen Verhältnissen war es eine unabweisliche Nothwendigkeit, welche M. T. klar erkannte und sich zur streng zu befolgenden Richtschnur ihres Verfahrens und insbesondere ihrer Haltung gegen die fremden Mächte dienen ließ, daß der durch den Aachener Vertrag wiederhergestellte Friede wenigstens für lange Zeit hinaus von keiner, am allerwenigsten aber von österreichischer Seite gestört werde. Ueberhaupt war es dieser Tractat, den M. T. zum Ausgangspunkte nahm, indem sie kurz nach dessen Abschlusse die Frage, ob Oesterreich an seinem bisherigen politischen Systeme festhalten oder ein anderes annehmen solle, ihren vornehmsten Rathgebern zur Begutachtung vorlegte.
Unter den Letzteren war seit Kurzem eine neue Gestalt, Graf Kaunitz, der sich insbesondere durch die ebenso umsichtige als schneidige Art, in der er die Interessen Oesterreichs auf dem Aachener Congresse wahrnahm, das Vertrauen der Kaiserin in nicht gewöhnlichem Maße erworben hatte, in den Vordergrund getreten. Von ihm rührte nun auch das bei weitem bedeutungsvollste Gutachten her, welches überhaupt von einem der Minister abgegeben wurde. Bekanntlich lief es darauf hinaus, daß, weil der König von Preußen als der ärgste und gefährlichste Feind Oesterreichs anzusehen sei und Letzteres den Verlust Schlesiens unmöglich verschmerzen könne, das vorzüglichste Augenmerk auf Schwächung Preußens und Wiedererlangung Schlesiens zu richten wäre. Auf die Mitwirkung [349] der Seemächte zur Erreichung dieses Zieles habe man nicht zu hoffen; es bleibe daher kein anderer Weg hiezu als der des Einvernehmens mit Frankreich, welches freilich nur durch Erlangung eines sehr großen Vortheils hiezu vermocht werden könnte. Aber auch wenn man sich zur Einräumung eines solchen entschlösse, bleibe der Erfolg noch immer höchst ungewiß, während doch nur dann ein entscheidender Schritt gethan werden dürfe, wenn sichere Aussicht auf ein günstiges Ergebniß vorhanden sein würde.
Die Hinneigung des Grafen Kaunitz zu einer Allianz mit Frankreich wurde von keinem der übrigen Minister der Kaiserin so lebhaft empfunden als von ihm. Dennoch stimmte die Mehrzahl aus ihnen, welche aus den Grafen Khevenhüller (s. Bd. XV S. 706), Ulfeldt und Friedrich Harrach (s. Bd. X S. 634) bestand, Kaunitz wenigstens in der Hauptsache bei. Auch Harrach erklärte, daß wenn eine Gelegenheit sich darbiete, sich Frankreichs gegen Preußen zu bedienen, man hievon Gebrauch machen solle. Ulfeldt und Khevenhüller gingen noch weiter, indem sie meinten, eine Loslösung Frankreichs von Preußen werde zwar ungemein schwierig, aber doch nicht unmöglich sein. Von Bartenstein endlich weiß man, daß er den Gedanken, mit der Beihülfe Frankreichs sich Schlesiens wieder zu bemächtigen, immer in den Vordergrund stellte. Nachdem außer dem Kaiser sich nur Colloredo (s. Bd. IV S. 420) und Königsegg gegen den von Kaunitz entworfenen Plan erklärten, kann ein Zweifel nicht obwalten, daß ihm M. T. durch die Worte „sie falle denen Majoribus bey“, auch ihrerseits zustimmte. Aber darin unterschied sie sich doch wieder sehr wesentlich von Kaunitz, daß während derselbe eine möglichst rasche Verwirklichung seines Projektes für wünschenswerth hielt, sie eine solche als unausführbar, oder doch wenigstens als allzu gefährlich ansah. Der Kaiserin selbst wird es zuzuschreiben sein, daß der langsamere Weg eingeschlagen wurde, auf welchem man einerseits die innere Kräftigung der Monarchie vervollständigen wollte, und andererseits mit klug berechnender Vorsicht die Schritte erwog, die zu geschehen hätten, um sowol Rußland in seinem erst vor wenigen Jahren mit Oesterreich abgeschlossenen Bündnisse festzuhalten, als Frankreich in dasselbe zu ziehen.
Wenn M. T. vorerst nichts sehnlicher als die Forterhaltung des Friedens wünschte und an die Möglichkeit einer nahen Durchführung des Planes, mit Frankreichs Hülfe Schlesien wieder zu erlangen, nicht glaubte, so bewies sie hiedurch, daß sie die einmal obwaltenden Verhältnisse sogar richtiger als Kaunitz beurtheilte. Denn als Botschafter in Paris konnte sich der Letztere gar bald von der Innigkeit der Verbindungen zwischen Frankreich und Preußen überzeugen. Für jetzt wenigstens sei, schrieb er nach einem ungefähr halbjährigen Aufenthalte in Paris nach Wien, auch nicht die leiseste Hoffnung vorhanden, eine Trennung der beiden Regierungen herbeiführen zu können. Ja er ging so weit, daß er es dem Entschlusse der Kaiserin anheimgab, ob an der vor zwei Jahren angenommenen Richtschnur des zu befolgenden politischen Systems auch noch fernerhin festzuhalten oder ob nicht ein neues anzunehmen sei, als dessen Grundlage er ganz offen die definitive Verzichtleistung auf Schlesien und die Bemühung bezeichnete, den König von Preußen dadurch, daß man ihm jede Besorgniß hinsichtlich Schlesiens benehme, für die Theilnahme an der zum mindesten dem äußeren Anscheine nach immer noch fortbestehenden Allianz Oesterreichs mit den Seemächten zu gewinnen.
Ueber die Aufnahme, welchen dieser von den früheren Vorschlägen des Grafen Kaunitz so weit abweichende, ja ihnen gerade entgegengesetzte Gedanke bei der Kaiserin fand, sind wir leider nicht unterrichtet. Nur das wissen wir, daß M. T. sich zwar von einer Allianz mit Preußen so weit entfernt zeigte als je, daß sie jedoch dem, der ihr gegenüber mit einer solchen Andeutung hervorzutreten gewagt [350] hatte, wegen seines Freimuthes nicht im Mindesten zürnte. Ja sie scheint sich von nun an noch ernstlicher als zuvor mit dem Gedanken beschäftigt zu haben, Kaunitz in ihre Nähe zu ziehen und ihm die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu übertragen.
Ein Hinderniß hatte M. T. hiebei zu überwinden, welches in ihren Augen und für ihre Denkungsweise ein schwer zu besiegendes war. Es lag in der persönlichen Rücksicht auf die beiden Männer, von denen der Eine, Graf Ulfeldt, wenigstens dem Namen nach an der Spitze des auswärtigen Departements stand, während der Andere, Bartenstein, nicht nur dessen vornehmster Rathgeber, sondern der eigentliche Leiter der österreichischen Politik, ja der Autor aller von Wien ausgehenden bedeutenderen Staatsschriften war. Beiden Männern, und insbesondere Bartenstein, dessen Verdienste um sie ja gerade an ihr selbst eine so begeisterte Lobrednerin gefunden hatten, fühlte sich M. T. zu lebhafter Dankbarkeit verpflichtet, und nur mit innerem Widerstreben schritt sie an eine Maßregel, von der sie vorhersehen konnte, daß sie sich durch dieselbe tief verletzt fühlen würden. Ulfeldt wenigstens zum Theile zu befriedigen, bot ihr die Erledigung der Stelle eines Obersthofmeisters und die Verleihung derselben an ihn die erwünschte Gelegenheit dar. Bartenstein gegenüber aber war sie so ängstlich und befangen, daß sie sich hiedurch sogar zu einer kleinen Unaufrichtigkeit wider ihn hinreißen ließ. Indem sie, um ihn zu beschwichtigen, seinem ältesten Sohne eine ansehnliche Besoldung verlieh, bemühte sie sich, obwol bei ihr die Ernennung des Grafen Kaunitz zum Staatskanzler schon feststand, doch Bartenstein glauben zu machen, es handle sich nur darum, ihm zur Bewältigung der Arbeit, die für seine Kraft allein allmählich zu schwer werde, einen Gehilfen zu geben, der sich mit nichts Anderem als den niederländischen Angelegenheiten zu befassen haben sollte. Und als sie ihm ihre wahre Absicht nicht länger zu verbergen vermochte, da trachtete M. T. ihm die Durchführung derselben so wenig empfindlich als nur immer möglich zu machen. Anfangs wollte sie ihn zum Conferenzminister ernennen, und erst als sich Bartenstein dies dringend verbat, erhielt er die Stelle eines Vicekanzlers bei dem Directorium und die Würde eines geheimen Rathes.
In dem Augenblicke, in welchem Kaunitz ins Amt trat, fast fünf Jahre nach Abschluß des Aachener Friedens, war noch keine erwähnenswerthe Veränderung in den Beziehungen Oesterreichs zu einer der europäischen Hauptmächte bemerkbar geworden, und sowol M. T. als Kaunitz schienen sehr weit entfernt zu sein von dem Gedanken und der Bestrebung, eine solche herbeiführen zu wollen. Auf nichts so sehr, hieß es in der geheimen Instruction, welche Starhemberg im October 1753 bei seiner Beglaubigung auf dem Pariser Posten erhielt, sei das Augenmerk der Kaiserin gerichtet, als mit allen Mächten in gutem Einvernehmen zu leben, den Frieden in Europa aufrecht zu erhalten und nicht nur selbst jeden Anlaß zu dessen Störung zu vermeiden, sondern sich eifrig zu bemühen, daß dies auch von Seite Anderer geschehe. So tief eingewurzelt auch das Vorurtheil sein möge, daß Oesterreich darauf ausgehe, bald einen Krieg gegen Preußen und dadurch die Möglichkeit einer Wiedereroberung Schlesiens herbeizuführen, so nachdrücklich müsse dasselbe in Abrede gestellt werden. So lang der König von Preußen seinen Verpflichtungen nachkomme und nicht selbst zum Friedensbrecher werde, so lang habe er so wenig als irgend eine andere Macht von Oesterreich Feindliches zu besorgen.
Und in der That, es ist nicht zu bezweifeln, daß durch diese Worte die innerste Gesinnung der Kaiserin zu ganz unverfälschtem Ausdrucke gelangte. Nicht das geringste Anzeichen wird sichtbar, als ob sie noch fortan an die Möglichkeit eines Bündnisses mit Frankreich behufs der Wiedererlangung Schlesiens auch nur gedacht hätte. Wenngleich nicht gerade so gespannt wie gegen Preußen, waren [351] die Beziehungen Oesterreichs zu Frankreich doch fortwährend kühl, so daß man, als dieser Staat wegen der nordamerikanischen Colonien in offenen Zwiespalt mit England gerieth, nicht zweifelte, bei dem Ausbruche eines Krieges auf dem europäischen Continente würden sich Oesterreich und Frankreich wieder feindlich gegenüberstehen. Und die Antwort, welche die französische Regierung auf die Anfrage ertheilte, ob sie in einem solchen Falle wirklich den Aachener Frieden brechen und die österreichischen Niederlande angreifen werde, war nichts weniger als geeignet, die hierauf gerichteten Besorgnisse zu zerstreuen.
Bei der Wahrscheinlichkeit, binnen kürzester Frist durch französische Streitkräfte auf ihrem eigenen Gebiete angegriffen zu werden, mußte M. T. natürlicher Weise nach etwaigem Beistande ausschauen. Vor Allem war ein solcher von Rußland zu erwarten, das jedoch nur gegen Preußen, nicht aber wider Frankreich Hülfe leisten konnte. Nur England wäre im Stande gewesen dies zu thun, während es seinerseits auf dem Festlande ohne Oesterreichs Beistand kaum Krieg gegen Frankreich zu führen vermochte. Da Letzteres hingegen noch fortwährend in innigster Verbindung mit Preußen stand, konnte man mit ziemlicher Bestimmtheit auf Zustandebringung eines Bündnisses zwischen Oesterreich, England und Rußland gegen Frankreich und Preußen rechnen.
Hierauf ließ denn auch M. T. so wenig Sympathien sie auch für England empfinden mochte und so sehr sie es vorgezogen hätte, den Krieg ganz vermeiden zu können, durch Kaunitz mit Nachdruck hinarbeiten. Der Letztere that dies mit einem Eifer, als ob ihm niemals die Verwirklichung eines gerade entgegengesetzten politischen Planes in den Sinn gekommen wäre. Aber freilich läßt sich nicht verkennen, daß die Haltung Englands die Erreichung dieses Zieles fast unmöglich machte. Ohne sich selbst zu irgend einer Leistung zu verpflichten, forderte es kategorisch die unverweilte Absendung einer ansehnlichen Streitmacht nach den Niederlanden. Außerdem sollte die Kaiserin, wenn Hannover angegriffen würde, nicht nur Truppen dorthin schicken, sondern noch überdies eine Diversion gegen Preußen ins Werk setzen. Und mit so heftigen Vorwürfen und Drohungen begleitete England sein Begehren, daß sich M. T. hievon aufs tiefste verletzt fühlte. Dennoch erklärte sie sich, um sich wenigstens zum Theile willfährig zu erweisen, zur Absendung von etwa der Hälfte der geforderten Truppenzahl nach den Niederlanden, aber nur unter der Bedingung bereit, daß dort auch solche von den Seemächten aufgestellt würden. Als jedoch England jede befriedigende Erklärung hierüber verweigerte und trotzdem auf seinem früheren Begehren hartnäckig bestand, als hiezu die Nachricht von der Wahrscheinlichkeit eines demnächstigen Einbruches eines französischen Heeres in die österreichischen Niederlande kam, da traten die dereinstigen Gedanken an die Herbeiführung eines Bündnisses mit Frankreich mit erneuerter Stärke vor die Seele der Kaiserin und ihres Staatskanzlers Kaunitz. Die ersten Schritte hiezu versprachen jedoch nur wenig Erfolg, bis endlich England und Preußen durch das Bündniß, das sie am 16. Jan. 1756 zu Westminster abschlossen, Frankreich fast wider dessen Willen zur Allianz mit Oesterreich trieben. Am 1. Mai 1756 wurden von den Repräsentanten beider Mächte zu Jouy, unfern von Paris, zwei Tractate unterzeichnet. In dem Einen, eigentlich einer Neutralitätsacte, wurde erklärt, daß die Kaiserin an den Streitigkeiten zwischen England und Frankreich nicht Theil nehmen, sondern sich ihnen gegenüber ganz parteilos verhalten werde. Frankreich versprach hiegegen, unter gar keinem Vorwande die österreichischen Niederlande oder ein anderes Besitzthum der Kaiserin angreifen zu wollen. In einem zweiten, einem Defensivvertrage verpflichteten sich beide Staaten für den Fall eines Angriffes, den Einer von ihnen erfahren würde, ein Hülfscorps von 24,000 Mann zu stellen, das je nach Wunsch des Angegriffenen auch durch eine Geldleistung ersetzt [352] werden könnte. Auf den zwischen England und Frankreich schon ausgebrochenen Krieg solle jedoch das Vertheidigungsbündniß mit Oesterreich keine Anwendung finden.
Der große Gewinn dieser Verträge lag offenbar darin, daß Frankreich, welches damals noch unbestritten als die erste continentale Kriegsmacht galt, von Preußen ab und auf die Seite seines langjährigen Gegners gezogen wurde. Aber mit diesem unverkennbaren Erfolge, den man noch ein Jahr zuvor kaum für möglich gehalten hätte, war zwar zur Deckung Oesterreichs gegen einen feindlichen Angriff, der nach der damaligen Sachlage nur von Preußen oder höchstens noch von der Pforte ausgehen konnte, Ausgiebiges geschehen, aber für die Verwirklichung der von Tag zu Tag an Stärke gewinnenden Gedanken, welche nicht nur auf die Wiedereroberung Schlesiens, sondern auf eine noch viel weitergehende Schwächung Preußens sich richteten, noch wenig gethan worden. Darum waren mit dem Abschlusse der Verträge vom 1. Mai die Verhandlungen zwischen Oesterreich und Frankreich keineswegs an ihr Ende gelangt, sondern sie wurden von diesem Augenblicke an mit noch erhöhtem Eifer fortgeführt. Dem Könige von Preußen blieben sie nicht lang mehr verborgen; begreiflicher Weise erregten sie in höchstem Grade sein Mißtrauen. Er setzte nicht nur die schon seit längerer Zeit begonnenen Kriegsrüstungen mit verdoppelter Thätigkeit fort, sondern er drang auch in den Wiener Hof um Aufklärung über die Beweggründe seiner Haltung. Daß jedoch sein eigenes Verfahren nicht von der Antwort abhängen werde, die er von der Kaiserin zu gewärtigen hatte, bewies er dadurch, daß er, schon ehe sie ihm zuging, der englischen Regierung den Entschluß, seinen Feinden zuvorzukommen, und den Zeitpunkt ankündigte, in welchem dies geschehen werde. Obgleich nun die Kaiserin mit Vorbedacht ihre Antwort so einrichtete, daß sie dem Könige von Preußen nicht als Vorwand dienen konnte zum Friedensbruche, vollzog er dennoch denselben und fiel in den letzten Augusttagen des Jahres 1756 urplötzlich in Sachsen und bald darauf in Böhmen ein.
Fest sei sie entschlossen, hatte M. T. erst vor Kurzem der französischen Regierung erklären lassen, „bei einem von preußischer Seite etwa erfolgenden Angriffe den Muth nicht sinken zu lassen, sondern der Gefahr standhaft entgegenzugehen“. Nicht eitle Worte waren es, die sie da sprach, sondern ihre Handlungen stimmten mit denselben überein. Als nach dem Eintreffen der Nachricht von dem Einbruche Friedrichs in Sachsen in dem obersten Rathe der Kaiserin kleinmüthige Stimmen sich erhoben, welche riethen, an den König eine begütigende Mittheilung zu richten, da pflichtete M. T. mit größter Entschiedenheit denjenigen bei, die sich dagegen erklärten. Und auch als ihre Armee bei Lobositz zum Weichen gezwungen wurde, die sächsischen Streitkräfte aber bei Pirna sich den Preußen ergaben, wurde M. T. nicht anderen Sinnes. Rastlos setzte sie die Verhandlungen mit Rußland und Frankreich fort. Schon am 11. Januar 1757 kam in St. Petersburg die Convention, durch welche Rußland dem Defensivvertrage Oesterreichs mit Frankreich beitrat, und drei Wochen später die Vereinbarung über die gemeinschaftliche Kriegführung gegen Preußen zu Stande. Jede der zwei Mächte, hieß es darin, werde wenigstens 80,000 Mann regulärer Truppen ins Feld stellen und nicht eher die Waffen niederlegen, als bis es gelungen sei, ganz Schlesien und Glatz wieder unter die österreichische Herrschaft zu bringen und außerdem der Macht Preußens noch engere Schranken zu ziehen.
Die gleichen Zielpunkte wurden bei den langen Verhandlungen verfolgt, die endlich, gerade ein Jahr nach dem Defensivvertrage, zwischen Oesterreich und Frankreich am 1. Mai 1757 in Versailles zum Abschlusse gelangten. Mehr als 100,000 Mann sollte Frankreich zu dem Kriege gegen Preußen verwenden und während dessen Dauer 12 Millionen Gulden als jährliche Subsidien an Oesterreich [353] bezahlen. Während der Kaiserin die Rückeroberung Schlesiens und der Grafschaft Glatz sowie die Erwerbung des Fürstenthums Crossen und noch anderer Preußischer Gebietstheile, endlich eine hierüber noch weit hinausgehende Verringerung der preußischen Macht in Aussicht gestellt wurde, verpflichtete sie sich als Kaufpreis hiefür zur Abtretung der Niederlande, und zwar des einen Theiles derselben an Frankreich, des zweiten aber an den Infanten Don Philipp. Dessen italienische Herzogthümer hätten hingegen neuerdings an Oesterreich zu fallen.
Trotz der namhaften Opfer, welche diese Vereinbarung mit Frankreich ihr auferlegte, begrüßte M. T. ihr Zustandekommen doch mit lebhafter Genugthuung, denn weit größer und werthvoller als die Einbuße war ja noch der Gewinn, der ihr durch dieselbe versprochen wurde. Die Zuversicht, mit der man auf ihn hoffen zu dürfen glaubte, wurde freilich durch das erste kriegerische Ereigniß des Feldzuges von 1757, die für Oesterreich so unglückliche Schlacht bei Prag wesentlich beeinträchtigt. Mit ihr begann nun jene lange Reihe wechselvoller Vorfälle, welche dem siebenjährigen Kriege ein so eigenthümliches Gepräge verlieh. Auf die Niederlage bei Prag, die dem Könige von Preußen die Eroberung dieser Stadt, ja die Besetzung ganz Böhmens in ziemlich sichere Aussicht zu stellen schien, folgte die Schlacht von Kolin, die den Rückzug der Preußen aus Böhmen herbeiführte. Hadik’s (s. Bd. X S. 301) kühner Vormarsch bis Berlin, die Eroberung von Schweidnitz, der Sieg bei Breslau und die Einnahme dieser Stadt waren ebenso viele Unglücksereignisse für Friedrich, der sie jedoch durch die entscheidenden Schläge, die er bei Roßbach und Leuthen gegen seine Widersacher führte, wieder mehr als wettzumachen verstand.
So tief auch der Schmerz war, welchen M. T. über diese zwei Niederlagen empfand und dem sie in ihrer lebhaften Weise unverhohlenen Ausdruck verlieh, so standhaft blieb sie doch und so wenig ließ sie sich abwendig machen von gleich nachdrucksamer Verfolgung der Zwecke, um derentwillen sie eingetreten war in den erneuerten Krieg gegen Preußen. Die gezwungene Aufhebung der Belagerung von Olmütz und der Rückzug Friedrichs nach Schlesien, seine schweren Verluste in der Zorndorfer Schlacht und die noch viel empfindlicheren, die er bei Hochkirch erlitt, bestärkten die Kaiserin nur noch in dieser Haltung, und jegliche Anregung zu einem Frieden mit Preußen wies sie weit von sich ab. Ja sie befestigte ihre Allianz mit Frankreich durch neue Verträge, und wenn darin auch die frühere Bedingung, nur nach der Wiedereroberung von Schlesien und Glatz dürfe man an die Beendigung der Feindseligkeiten denken, nicht ausdrücklich wiederholt war, so wurde doch auch die Verpflichtung zur Abtretung der Niederlande fallen gelassen und der Kaiserin hiedurch das so ansehnliche Opfer, durch das sie das Gelingen ihrer Entwürfe erkaufen sollte, von vorneherein erspart.
Glücklicher noch als der Feldzug des Jahres 1758 verlief der darauffolgende für M. T. Durch die Niederlage Friedrichs bei Kunersdorf, durch die Vertreibung seiner Truppen aus Dresden und die Gefangennehmung eines ganzen preußischen Armeecorps bei Maxen schien seine Sache verloren. Er selbst konnte sich dieser Besorgniß nicht länger entschlagen und suchte dringend den Frieden. Während jedoch Frankreich, seiner ruhmlosen Kriegführung müde, gern hiezu die Hand geboten hätte, einigten sich Oesterreich und Rußland in neuen Tractaten zu standhaftem Ausharren. Es gewann den Anschein, als ob M. T. hiefür durch die Ereignisse des Feldzuges von 1760 glänzend belohnt werden sollte. Die Gefangennehmung des preußischen Generals Fouqué (s. Bd. VII S. 201) und seines Corps bei Landshut, die Einnahme von Glatz, die Zurückweisung König Friedrichs von Dresden waren gewiß ein vielversprechender Anfang. Da [354] trat mit Laudon’s Abmarsche von Breslau, seiner Niederlage bei Liegnitz und Friedrichs Siege über Daun (s. Bd. V S. 109) bei Torgau der Umschwung ein. Nachdrücklicher noch als zuvor redete Frankreich dem baldigen Abschlusse des Friedens das Wort, und die Befürchtung trat drohend an die Kaiserin heran, ihr bisheriger Alliirter werde, wenn sie sich seinem Wunsche nicht willfährig erweise, in dem Bündnisse mit ihr nicht länger festzuhalten sein. Der von ihr so lange Zeit zurückgewiesene Gedanke, sich auch ohne die Wiedererwerbung Schlesiens zum Frieden bequemen zu müssen, gewann nun immer mehr Gewalt über sie, und auch ein vereinzeltes glückliches Kriegsereigniß wie die Erstürmung von Schweidnitz brachte in der allgemeinen Lage keine merkbare Veränderung mehr hervor, denn in der allmählichen Versiegung jener Hülfsquellen, die zu einer nachdrücklichen Fortführung des Krieges unerläßlich gewesen wären, lag ein ganz unwiderstehliches Zwangsmittel zum Frieden. Als noch überdies durch den Tod der Kaiserin Elisabeth und die Thronbesteigung Peters III. Rußland aus einem Verbündeten zu einem Feinde Oesterreichs wurde, da betrachtete auch M. T. ihre Pläne als gescheitert und Niemand wünschte sehnlicher als sie den aussichtslos gewordenen Krieg bald beendigt zu sehen. Allerdings hoffte sie noch aus demselben wenigstens mit einem kleinen Gewinne hervorgehen und die Grafschaft Glatz, die sich noch immer in ihren Händen befand, auch im Frieden behalten zu können. Obgleich sich jedoch schließlich selbst diese Erwartung nicht erfüllte, war M. T. doch froh, als der Hubertsburger Vertrag endlich zu Stande kam. Nie wolle sie mehr, wiederholte sie oft, sich zu einem Kriege verleiten lassen. Nur darauf schien sie von nun an ihre Sorgfalt richten zu wollen, ihre Völker der Segnungen des endlich zurückgekehrten Friedens in so reichlichem Maße theilhaft werden zu lassen, als sich dies bei der Beschränktheit der ihr zu Gebote stehenden Mittel als ausführbar darstellte.
Mit der Aera des Friedens trat jedoch nicht auch eine solche der Freude und des Glückes für M. T. ein. Wol ruhte auf ihrer nur aus Liebe geschlossenen Ehe der Segen des Himmels, und nicht weniger als 16 Kinder, 5 Söhne und 11 Töchter gebar sie ihrem Gemahl. Wie es jedoch bei einer so zahlreichen Familie fast immer der Fall ist, so blieben auch in der ihrigen die Heimsuchungen nicht fern. Im Januar 1761 verlor sie ihren zweitgebornen Sohn Karl, der damals schon fast 16 Jahre zählte und den sie ganz besonders liebte. Im December 1762 folgte ihm, beinahe 13 Jahre alt, seine Schwester Johanna, von welcher die Kaiserin sagte, ihr Hinscheiden sei der erste Kummer, den sie ihr bereite. Und mit fast noch tieferem Schmerze als den Tod ihrer eigenen Kinder empfand sie den ihrer Schwiegertochter Isabella, der Gemahlin des Kronprinzen Joseph. „Wir nähern uns“, schrieb die Kaiserin, als alle Hoffnung für sie verloren war, an Kaunitz, „dem tragischen Lebensende eines Engels; all meine Freude stirbt mit dieser reizenden, unvergleichlichen Tochter.“
Als M. T. diese Worte zu Papier brachte, da ahnte sie nicht, daß sie binnen wenig Jahren von einem noch härteren, ja dem schwersten Schicksalsschlage betroffen werden sollte, der für sie überhaupt im Bereiche der Möglichkeit lag. Am Abende des 18. August 1765 starb plötzlich ihr Gemahl, Kaiser Franz, und nicht nur in dem ersten Augenblicke dieses Verlustes gab M. T. ihrem unermeßlichen Schmerze wahrhaft ergreifenden Ausdruck, sondern während ihrer ganzen noch übrigen Lebenszeit zeigte sie sich von diesem Gefühle gleichmäßig beherrscht.
Wo von den Heimsuchungen gesprochen wird, welche über die Kaiserin kamen, kann der Tod von zwei ihr besonders nahestehenden Männern, der Grafen Haugwitz und Daun, sowie das Hinscheiden ihrer Tochter Josepha und ihrer Enkelin Therese nicht unerwähnt bleiben. Die Erstere war die Braut des Königs [355] Ferdinand von Neapel und erlag vor ihrer schon unmittelbar bevorstehenden Abreise dorthin den Blattern. Den Tod ihrer Enkelin Therese aber beweinte M. T. nicht nur um dieses Kindes, sondern auch um seines Vaters willen, denn in seiner einzigen Tochter verlor Joseph das Wesen, das er nach seiner ersten Gemahlin Isabella am Innigsten geliebt hatte.
Ueberhaupt war es ja ihr ältester Sohn, mit welchem sich die Gedanken der Kaiserin am meisten, ja man wird wol sagen dürfen, unablässig beschäftigten. Seit dem Tode seines Vaters zum Träger der römisch-deutschen Kaiserkrone und zum Mitregenten seiner Mutter in den Ländern der österreichischen Monarchie geworden, machte Joseph seinen Einfluß auf die öffentlichen Geschäfte in immer höherem Maße geltend, ja er griff manchmal recht herrisch, fast gewaltsam in dieselben ein. Anfangs hatte M. T. sich seiner Unermüdlichkeit, seiner Selbstaufopferung gefreut und mit mütterlichem Stolze war sie Zeugin des rastlosen Eifers, mit dem er sich den Staatsgeschäften widmete, und der seltenen Begabung, die er hiebei bewies. Allmählich aber traten die in der Unähnlichkeit ihres beiderseitigen Charakters wurzelnden Meinungsverschiedenheiten zwischen Mutter und Sohn immer mehr hervor. Die Sucht des Letzteren, die bestehenden Einrichtungen, auch wenn sie zweckmäßig sein mochten, verwerflich zu finden und sie durch andere ersetzen zu wollen, mußte die Kaiserin verletzen, von der so manche dieser Einrichtungen herrührte. Mit Recht hob sie oftmals hervor, daß das Neue nicht schon dadurch besser als das bisher Bestehende, und es daher nur dann einzuführen sei, wenn eine günstige Wirkung hievon sich mit ziemlicher Bestimmtheit vorhersehen lasse. Mit ganz besonderem Nachdrucke aber mißbilligte M. T. meistens die Art, in der Joseph die von ihm beabsichtigten Aenderungen ins Werk setzen wollte. Denn nicht selten sollten hiedurch bejahrte und hochverdiente Männer ihrer bisherigen Stellungen verlustig und dadurch am Abende eines arbeitsamen Lebens empfindlich gekränkt werden. Dankbarkeit war jedoch eine der schönsten Eigenschaften der Kaiserin, und darum empfand sie die Zurücksetzung eines Manues, dem sie sich zu Dank verpflichtet glaubte, jederzeit schmerzlich. Und selbst wo es nicht so weit kam, war ihr doch die schroffe, manchmal sogar höhnische Sprache, deren sich Joseph gar leicht gegen Männer in hervorragender Stellung und von glänzenden Leistungen bediente, gründlich zuwider. „Glaubst Du Dir“, schrieb sie ihm einmal, „in solcher Weise brauchbare Leute zu erhalten? Ich fürchte Du wirst in die Hände von Schurken gerathen, welche, um ihre Zwecke zu erreichen, sich alles Dasjenige gefallen lassen, was eine edle und wahrhaft anhängliche Seele niemals ertragen kann. Wer wird auch Joseph anhänglich sein, auf den Du doch so viel hältst, denn weder von dem Kaiser noch dem Mitregenten gehen diese beißenden, ironischen, ja böswilligen Züge aus, sondern von dem Herzen Josephs. Das ist es, was mich beunruhigt, was das Unglück Deines Lebens sein, das der Monarchie und unser Aller nach sich ziehen wird. Welch ein Leben, aus dem die Menschlichkeit, die Nächstenliebe verbannt ist!“
Mißbilligte M. T. die Art und Weise des Kaisers im Verkehre mit anderen Personen, so war sie auch über sehr viele und wichtige Angelegenheiten einer ganz anderen Meinung als er. Besonders schroff trat diese Verschiedenheit in Allem zu Tage, was sich auf religiöse Anschauungen bezog. Gewiß kann der Kaiserin die Anerkennung nicht versagt werden, daß sie sich auch auf kirchlichem Gebiete gegen Reformen, die sie als heilsam erkannte, nicht ablehnend verhielt, sondern zu ihrer Durchführung die Hand bot. Die Einschränkung des Asylrechtes der geistlichen Häuser, die ansehnliche Verringerung der Zahl der katholischen Feiertage, die Festsetzung eines weit ausgedehnten Termins zur Ablegung geistlicher Gelübde sind Regierungsmaßregeln von unleugbarem Verdienste, in deren [356] Einführung M. T. sich durch Widerspruch von geistlicher Seite keineswegs irre machen ließ. Aber darum kann sie doch von einem bedauerlichen Hange zur Bigotterie nicht freigesprochen werden, und für sich wie für Andere legte sie auf Formsachen in kirchlichen Dingen ein übertriebenes Gewicht. Es blieb ihr verborgen, wie leicht sie hiedurch Anlaß zur Scheinheiligkeit gab und die Heuchelei Anderer, die ihrer eigenen Seele fern war, für Frömmigkeit nahm. Oftmals gerieth sie hierüber in Widerspruch mit Joseph, und ihr Streit mit ihm über Toleranz gegen Andersgläubige wurde von beiden Seiten mit ganz ungewöhnlicher Heftigkeit geführt. Soweit kam es hiebei, daß Joseph seiner Mutter erklärte, wenn die überaus harten Maßregeln, welche gegen die Dissidenten in Mähren ergriffen worden waren, nicht widerrufen würden, werde er sich von allen Geschäften lossagen und von der Stelle eines Mitregenten zurücktreten. Und wirklich gelang es ihm hiedurch seine Mutter zur Milderung des von ihr bisher beobachteten Verfahrens zu bewegen.
Wie auf dem Gebiete der inneren, so waltete auch auf dem der auswärtigen Angelegenheiten des Staates vielfache Meinungsverschiedenheit zwischen M. T. und Joseph ob. Zu ganz besonderer Bedeutung erhob sie sich in der Zeit, in der es sich um das von dem Könige von Preußen ersonnene und gemeinschaftlich mit ihm durch Katharina von Rußland in die Hand genommene Project handelte, die drei Nachbarmächte Polens durch ansehnliche Gebietserwerbungen auf Kosten der Republik zu vergrößern. Während Joseph für nichts als für die Machtvermehrung Sinn hatte, welche nach seiner Meinung der Monarchie hieraus erwuchs, und darum keinerlei Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des eingeschlagenen Verfahrens in sich aufkommen ließ, waren gerade umgekehrt die letzteren für M. T. von allergrößtem Gewichte. Je bitterer sie es empfunden und je nachdrücklicher sie sich zur Wehre gesetzt hatte, als man ihr selbst schweres Unrecht gethan, um so mehr schrak sie davor zurück, solches an Anderen zu verüben. Ja sie ging noch weiter und zog es sogar in Zweifel, ob denn eine Aneignung polnischen Gebietes der österreichischen Monarchie wirklich so viele Vortheile gewähren würde als man sich von ihr versprach. Beide Gesichtspunkte, die Rechtsbedenken und die Zweifel an dem Gewinne, der für Oesterreich aus einer solchen Transaction hervorginge, standen sich bei M. T. in ganz eigenthümlicher Weise zur Seite und flossen gleichsam in einander. „Ich für meinen Theil“, sagte sie schon im Sommer des Jahres 1771 zu dem englischen Gesandten in Wien, „wünsche kein Dorf zu behalten, das mir nicht zukommt. Ich will keine Uebergriffe machen, und soweit ich es vermag, auch nicht dulden, daß solche von Anderen gemacht werden. Kein Theilungsplan, wie vortheilhaft er auch sein möge, wird mich auch nur einen Augenblick in Versuchung führen; ich werde vielmehr alle Entwürfe solcher Art mit Verachtung verwerfen. Ich mache mir hieraus kein Verdienst, denn ich muß so handeln, sowol aus Grundsätzen der Klugheit und der Politik als aus Beweggründen der Billigkeit und des Rechtes.“
Gewiß kann man keinen Augenblick daran zweifeln, daß es der Kaiserin mit diesen Aeußerungen vollkommener Ernst war und daß sie sich selbst über die Festigkeit ihrer Vorsätze täuschte, wenn sie Erklärungen abgab und sie als gewissenhaft zu beobachtende Richtschnur ihres Verfahrens hinstellte, die zwar ihren persönlichen Anschauungen und Begriffen, nicht aber auch denen des Kaisers und des Staatskanzlers Kaunitz entsprachen. Durch ihre eigene Erfahrung hätte sie schon seit geraumer Zeit darüber belehrt sein sollen, daß wenigstens in den auswärtigen Angelegenheiten nicht mehr das, was sie, sondern vielmehr dasjenige geschah, was der Kaiser wollte. So hatte M. T. es mißbilligt, daß schon im J. 1769 die Besetzung der bis dahin zu Polen gehörigen Zips, und im folgenden [357] Jahre diejenige mehrerer an Ungarn grenzender polnischer Districte vorgenommen wurde, wodurch Preußen und Rußland einen Vorwand erhielten, Oesterreich als die Macht hinzustellen, welche die erste Veranlassung zu der von ihnen geplanten polnischen Theilung gegeben habe. Nicht weniger eifrig war M. T. gegen die Verhandlungen, welche mit der Pforte gepflogen wurden, um zum Abschlusse einer Convention zu gelangen, durch welche sich Oesterreich gegen ansehnliche türkische Subsidien verpflichten sollte, nöthigenfalls mit Waffengewalt zu hindern, daß Rußland sie zu einem ihr nachtheiligen Frieden zwinge. Dennoch war in Bezug auf beide Punkte gegen ihren Willen gehandelt worden; wie ließ sich annehmen, daß sie in einer dritten, noch ungleich wichtigeren Frage die Siegerin bleiben werde gegen die Bestrebungen des Kaisers, denen diesmal auch Kaunitz nachdrucksvoll beistand? Dennoch ließ M. T. auch durch diese für sie so ungünstige Constellation sich nicht abhalten, tapfer für das zu streiten, was sie allein als gerecht und als heilsam für Oesterreich ansah. „Seit dem Beginne meiner unglücksvollen Regierung“, schrieb sie in jenen Tagen an Kaunitz, „haben wir wenigstens darnach getrachtet, in Allem eine wahre und gerechte Haltung, Worthalten, Mäßigung und treue Erfüllung unserer Verpflichtungen zu zeigen. Das gewann uns das Vertrauen, ja ich wage es zu sagen, die Bewunderung von ganz Europa, die Ehrfurcht und die Verehrung selbst unserer Feinde. Seit einem Jahre ist dies Alles verloren gegangen. Ich bekenne, daß ich es kaum zu ertragen vermag und daß nichts auf der Welt mich mehr geschmerzt hat als der Verlust unseres guten Rufes. Unglücklicher Weise muß ich Ihnen gestehen, daß wir es verdienen. Hier ist es, wo ich wünsche, daß man das Heilmittel anwende, indem man den Grundsatz, aus diesen Wirren Vortheil zu ziehen, als schlecht und verderblich verwirft und darüber nachdenkt, auf welche Weise man am schnellsten und am wenigsten übel aus dieser unglücklichen Lage herauskommen kann, ohne an Erwerbungen für uns zu denken, wol aber, indem wir unseren guten Ruf, indem wir Treue und Glauben und, soweit es sein kann, das politische Gleichgewicht wiederherstellen.“
Die Aufrechthaltung des politischen Gleichgewichtes, auf welche M. T. so viel Werth legte, war jedoch nur auf einem zweifachen Wege denkbar. Entweder vermochte man die Absicht Rußlands und Preußens, sich durch Erwerbung polnischen Gebietes ansehnlich zu vergrößern, zu vereiteln, und dann blieb das frühere Machtverhältniß aufrecht. Oder man konnte die Ausführung ihrer Projecte nicht hindern, dann aber mußte man darauf bestehen, gleichfalls einer Vergrößerung theilhaft zu werden. Dem Könige von Preußen käme es dann zu, so meinte wenigstens M. T., Oesterreich durch die Abtretung von Glatz und eines Theiles von Schlesien, oder durch Ueberlassung der brandenburgischen Fürstenthümer in Franken, vielleicht auch durch die clevischen Lande zu der ihm gebührenden Befriedigung zu verhelfen. Von der Acquisition polnischer oder türkischer Gebietstheile wolle sie, erklärte die Kaiserin, auch jetzt wieder durchaus nichts wissen.
Mit welcher Entschiedenheit auch M. T. in diesem Sinne sich aussprach, so gelang es doch Joseph und Kaunitz in vereinter Bemühung, ihr die Zustimmung abzuringen, daß vorerst Glatz und ein Theil Schlesiens, dann Belgrad sammt einigen Stücken von Serbien und Bosnien, und erst in dritter Linie Anspach und Baireuth begehrt würden. Sollte all dies zurückgewiesen werden, dann müßte man sich endlich doch entschließen, die ausgleichende Vergrößerung in Polen zu suchen.
Es ließ sich unschwer vorhersehen, daß der König von Preußen jeden Antrag auf Abtretung eigenen Gebietes weit von sich abweisen werde. So geschah es denn auch wirklich; desto willfähriger zeigte er sich jedoch, allerdings nur zum [358] Scheine, Oesterreich eine Vergrößerung zum Nachtheile der Türkei zu verschaffen. Als aber die Meldung hievon nach Wien kam, da erwachten in der Kaiserin neuerdings und mit verdoppelter Stärke die früheren Bedenken, sich auf Kosten der Pforte zu bereichern. Ja sie bestritt sogar die Richtigkeit des Grundsatzes, daß wenn solches Unrecht von zwei Staaten geschehe, der dritte es aus wichtigen politischen Gründen ebenfalls begehen müsse. „Es handelt sich nicht mehr darum“, schrieb sie an Kaunitz, „eine Wahl treffen zu können, sondern man muß sich aufzuopfern wissen und nicht um eines winzigen Gewinnes willen seinen Ruf und seine Redlichkeit vor Gott und den Menschen verlieren.“
Der in Aussicht stehende Gewinn war aber nichts weniger als „winzig“, und darin lag ja gerade der bestimmende Beweggrund für Joseph und Kaunitz, der Hoffnung auf denselben nicht so leichthin zu entsagen. Um auch die Kaiserin umzustimmen, stellte Kaunitz ihr vor, sie würde sich gegen die geheiligten Pflichten eines Staatsoberhauptes arg versündigen, wenn sie Millionen ihrer Unterthanen den Schrecknissen des Krieges preisgeben wollte, welche der Umsturz des Gleichgewichtes zwischen den benachbarten Staaten mit der Zeit herbeiführen müßte. Anfangs etwas schwankend geworden, kehrte jedoch M. T. bald wieder zu ihrem ursprünglichen Gedankengange zurück. „Aller Partage“, antwortete sie Kaunitz, „ist unbillig in seinem Grund und für uns schädlich. Ich kann diesen Antrag nicht genug bedauern und muß bekennen, daß ich mich sehen zu lassen schäme. Es ist nicht ohne, daß die Idee von der Moldau, der Walachei und Bessarabien weniger Aufsehen mache und weniger unbillig scheine, weil die Russen andurch ihre Eroberungen uns überlassen. Allein warum? Um desto größere Vortheile in Polen zu erlangen. Hieran sind wir indirecte Ursache. Beide Mächte, Rußland und Preußen werden damit prahlen und vorschützen, daß um uns ein so großes Stück Landes zuzuschanzen, sie auch stärker auf Polen greifen müßten. Ohnedies eignet uns der König von Preußen seine Vergrößerungsideen schon zu, mithin werden wir jetzt und in der Folge den Tadel dieses Planes allein und nicht ohne Grund tragen müssen. Ich bekenne, daß ich Zeit meines Lebens mich nicht so beängstigt befunden habe. Als mir alle meine Länder bestritten wurden, steifte ich mich auf mein gutes Recht und den Beistand Gottes. Allein im gegenwärtigen Falle, wo nicht nur das Recht nicht auf meiner Seite steht, sondern Verbindlichkeiten, Recht und Billigkeit wider mich streiten, bleibt mir keine Ruhe, sondern nur der Vorwurf eines Herzens übrig, das niemals Jemand oder sich selbst zu betäuben, oder Doppelzüngigkeit für Aufrichtigkeit geltend zu machen gewohnt war. Treue und Glauben sind für alle Zeit verloren, die doch das größte Kleinod und die wahre Stärke eines Monarchen gegen die Anderen sind. Ich kann mich nicht entbrechen, es nochmals zu wiederholen. Ich bin nicht mehr stark genug allein die Affairen zu führen, mithin lasse ich sie, nicht ohne meinen größten Gram, ihren Weg gehen.“
Mit diesen letzteren Worten charakterisirte die Kaiserin ganz treffend das Verfahren, das sie von nun beobachtete. Denn noch war man zu Wien in dem früheren Meinungsstreite begriffen, als man die Nachricht von dem am 19. Februar 1772 zwischen Rußland und Preußen unterzeichneten Theilungsvertrage erhielt. Jeden Versuch, wurde von russischer Seite erklärt, die Ausführung dieser Verabredungen zu hindern, möge man nur gleich von vorneherein als vergeblich betrachten. Sie würden auch dann vollzogen werden, wenn Oesterreich sich weigern sollte, der Einladung zum Beitritte und zur Betheiligung an dem gleichen Verfahren zu folgen.
Mit all dem Ansehen, das er bei der Kaiserin genoß, drang nun Kaunitz in sie, sich der Bezeichnung der polnischen Districte, die man für Oesterreich in Anspruch nehmen solle, nicht länger zu widersetzen. Wolle sie sich nicht hiezu [359] herbeilassen, dann müsse sie entweder die Verwirklichung des schon abgeschlossenen Theilungsvertrages mit gewaffneter Hand zu verhindern trachten, oder unthätig zusehen, wie Oesterreich durch die unverhältnißmäßige Vergrößerung Rußlands und Preußens in die höchste Gefahr gebracht werde; beides müsse er entschieden widerrathen. So aufs Aeußerste getrieben, gab endlich M. T. mit den Worten nach: „Ich finde, daß für jetzt nichts Anderes mehr zu thun ist, kann mich aber noch nicht beruhigen über die Vergrößerung dieser beiden Mächte und noch weniger, daß wir mit ihnen theilen sollen.“
Der Meinung, daß diese Handlungsweise eine verwerfliche gewesen sei, gab M. T. nach den verschiedensten Richtungen hin gleichmäßig Ausdruck; die Theilung Polens koste sie, schrieb sie ihrem Sohne Ferdinand, zehn Jahre ihres Lebens. „Wie lange habe ich mich“, fuhr sie fort, „dagegen gesträubt! Nur die Schlag auf Schlag einander folgenden Unglücksfälle der Türken, die Aussichtslosigkeit, an Frankreich oder England Beistand zu finden, die Besorgniß, allein gegen Rußland und Preußen die Waffen ergreifen zu müssen, das Elend, die Hungersnoth und die Sterblichkeit in meinen eigenen Ländern machten mich auf diese unglückseligen Vorschläge eingehen, die meiner ganzen Regierung einen Makel aufdrücken. Gott gebe, daß ich hiefür nicht auch noch in der anderen Welt verantwortlich werde!“
Nicht nur unter dem ersten Eindrucke, welchen die Theilung Polens auf sie hervorbrachte, sprach sich M. T. in solchem Sinne aus; auch während ihrer ganzen noch übrigen Lebenszeit blieb sie der gleichen Anschauung treu. Noch oft kam sie klagend, ja mit Ausdrücken der Scham, daß sie schwach genug war sich eine Zustimmung abdrängen zu lassen, die sie im Interesse des Rechtes und ihrer eigenen Ehre niemals hätte ertheilen sollen, hierauf zurück.
Je größer die innere Beunruhigung der Kaiserin über die polnische Theilung, um so lebhafter war ihre Freude, als die ganze Angelegenheit und die mit ihr in Verbindung stehende Erwerbung der Bukowina vertragsmäßig abgeschlossen war. Als sie Kaunitz hiefür ihre ganze Dankbarkeit kundgab, mochte sie hoffen, nichts Aehnliches mehr erleben zu müssen, sondern während des Restes ihrer Tage friedliche Verhältnisse mit ihren Nachbarn aufrecht erhalten zu können. Aber nur sehr kurze Zeit hindurch sollte ihr die ersehnte Ruhe beschieden sein. Nach jeder Richtung hin ausschauend, ob sich nicht ein Anlaß zu einer Vergrößerung oder sonst einem Gewinne für Oesterreich darbiete, hatte Joseph lang schon die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens des kurfürstlich baierischen Hauses ins Auge gefaßt und sich wegen Geltendmachung der wirklichen oder vermeintlichen Ansprüche Oesterreichs auf Baiern mit dem nächsten Erbberechtigten, dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz (s. Bd. VI S. 250), in Verbindung gesetzt. Noch waren die Verhandlungen zwischen ihnen nicht beendigt, als am 30. December 1777 Maximilian Joseph von Baiern plötzlich starb. Als der Kaiser diese Nachricht erhielt, sprach er sich für unverzüglichen Abschluß der Convention mit Karl Theodor und für den Einmarsch österreichischer Truppen in Baiern aus, um sich des Objectes seiner Ansprüche gleich von vorneherein zu versichern. M. T. hingegen erklärte sich mit Lebhaftigkeit gegen diesen letzteren Vorschlag, der nach ihrer Ansicht einem Gewaltstreiche glich und daher sorgfältig vermieden werden sollte. Auf dem Wege friedlicher Abmachungen möge, so meinte sie, Alles ausgeglichen werden. Biete man hingegen Streitkräfte auf, so laufe man Gefahr, daß die eine oder die andere Macht, welcher eine Vergrößerung Oesterreichs durch baierisches Gebiet unwillkommen wäre, insbesondere Preußen den gleichen Weg einschlüge. „Niemals sah ich“, schrieb sie ihrem Sohne, „eine ähnliche Unternehmung gelingen, außer der gegen mich im J. 1741, als ich Schlesien verlor. Alle haben die zu Grunde gerichtet, die sie ins Werk setzten. [360] Noch verspüren wir die Folgen davon: 200 Millionen Schulden mehr und der Wohlstand unserer Völker vernichtet.“
Ohne Zweifel war es für die Kaiserin eine Kränkung empfindlichster Art, als ihre lebhafte Gegenvorstellung bei ihrem Sohne ganz unbeachtet blieb und er nicht nur den Befehl zum Einmarsche der Truppen in Baiern ertheilte, sondern ihn auch ungesäumt ausführen ließ. Allerdings that er dies in der Meinung, König Friedrich werde sich hüten, sich der Verwirklichung der Verabredungen, welche soeben durch den Abschluß der Convention mit dem Kurfürsten von der Pfalz in eine feste und für beide Theile bindende Form gebracht worden waren, mit Waffengewalt zu widersetzen. M. T. aber bewies, als sie dies vorhersagte, auch jetzt wieder einen richtigeren Blick als Joseph ihn besaß. Bald standen sich an den beiderseitigen Grenzen zwei zahlreiche Heere gegenüber, das Eine von seinem sieggewohnten Führer, dem Könige von Preußen befehligt, während an der Spitze des Anderen der Kaiser stand, vor Begierde brennend, mit einem so ruhmreichen Gegner seinen ersten Waffengang zu thun.
Das war jedoch nichts weniger als im Sinne der Kaiserin gelegen. Von peinigendster Besorgniß erfaßt, erblickte sie in einem erneuerten, einem vierten Kriege mit Preußen den Ruin ihres Hauses und ihrer Monarchie. Als sie nun die Nachricht von dem Einmarsche des Königs von Preußen erhielt und aus der Art, in welcher der Kaiser dieses Ereigniß aufnahm, die Ueberzeugung schöpfte, dasselbe habe, statt ihn mit Kampfbegierde zu erfüllen, entmuthigend auf ihn gewirkt, da hielt sie es für ihre Pflicht, wenn auch mit Hintansetzung ihres eigenen Ansehens, dem Kriege womöglich noch Einhalt zu thun. Ohne sich zuvor der Zustimmung ihres Sohnes zu versichern, sandte sie den Freiherrn v. Thugut mit Friedensvorschlägen ins preußische Lager. Aber einerseits mißlang es, eine annehmbare Verständigung mit Friedrich herbeizuführen, und andererseits zog sich M. T. den heftigen Unwillen des Kaisers zu, der in dem Schritte seiner Mutter eine Erniedrigung ihrer selbst und ihres Hauses erblickte, die er aufs schärfste mißbilligte. In den bittersten Anklagen erging er sich gegen die Kaiserin, mit wahrhaft edlen Worten wies sie jedoch dieselben zurück. „Ich weiß nichts davon“, antwortete sie ihm, „daß ein Monarch irgend eines Vorwandes für seine Handlungen bedarf. Niemand hat er Rechenschaft zu geben und glücklicher Weise hat mich nie Jemand beschuldigt Komödie zu spielen oder Andere irre zu leiten. Ich erfreute mich im Gegentheile des Trostes, daß ich in der Fremde sowol als bei meinen eigenen Unterthanen volles Vertrauen genoß, die einzige Belohnung für einen Fürsten.“
In ihrer Herzensangst wurde der Kaiserin nur dadurch einige Erleichterung zu Theil, daß der Feldzug gegen Preußen nicht so unglücklich verlief, als sie dies in ihrer düsteren Weltanschauung vorhersagen zu sollen geglaubt hatte. Und auch daß es zu einem zweiten Feldzuge nicht kam, sondern noch vor Beginn desselben der Krieg durch den am 13. Mai 1779 zu Teschen abgeschlossenen Frieden mit der Erwerbung des bisher baierischen Innviertels beendigt wurde, betrachtete sie als ein Glück, für das sie der Vorsehung nicht genug dankbar sein könne. „Ich habe heute“, schrieb sie am 23. Mai, dem Tage, an welchem im Dome zu St. Stephan der feierliche Gottesdienst abgehalten wurde, an Kaunitz, „glorios mit einem Te Deum meine Laufbahn beschlossen und das, was ich wegen der Ruhe meiner Länder mit Freuden übernommen, so schwere Opfer es mich auch gekostet, mit Gottes Hülfe beendigt. Das Uebrige wird nicht mehr in Vielem bestehen!“
Auf die „Ruhe ihrer Länder“ und auf das, was M. T. als gleichbedeutend ansah, das Wohl ihrer Unterthanen kam sie immer wieder zurück, denn es lag ihr wahrhaft am Herzen. Wirft man noch rasch einen Blick auf das, was sie [361] während der letzten zehn Jahre ihrer Regierungszeit für dieselben gethan, so wird zunächst ihre rastlose Thätigkeit für Hebung des Volksschulwesens Erwähnung verdienen. Von aufgeklärten und menschenfreundlichen Mitgliedern des katholischen Klerus, der damals noch in der Verbesserung des Volksunterrichtes eine seiner edelsten Aufgaben erblickte, von dem aus Preußen nach Oesterreich berufenen Abte Felbiger (s. Bd. V S. 610), von den nachmaligen Bischöfen Kindermann (s. Bd. XV S. 758) und Gall (s. Bd. VIII S. 317), von dem Bischofe von Brixen, Grafen Leopold Spaur, dem Schulinspector Tangl und anderen Ehrenmännern in den verschiedenen Provinzen ihres Reiches eifrigst unterstützt, hat die Kaiserin auf diesem Gebiete eine überaus heilsame Thätigkeit entwickelt. So überzeugt war sie von den günstigen Wirkungen eines verbesserten Unterrichtes, daß sie denselben auch auf die schon in Eid und Pflicht stehenden Soldaten und deren Kinder auszudehnen sich bestrebte. Durch persönlichen Besuch dieser Schulen legte sie ihre warmen Sympathien für deren Gedeihen an den Tag. Die in Wien erreichten Erfolge ermuthigten sie zu der Anordnung, auch in den übrigen größeren Städten, in denen sich eine ansehnlichere Menge von Truppen befand, ähnliche Einrichtungen zu treffen. Der Plan, welchen Felbiger hiefür entwarf, fand jedoch vor den Augen des Kaisers keine Gnade und blieb unausgeführt.
Glücklicher als in dieser Beziehung war die Einwirkung Josephs auf eine andere Angelegenheit von sehr großer Bedeutung. Am 31. December 1768 war das auf Anordnung der Kaiserin verfaßte neue Criminalgesetzbuch kundgemacht und hiedurch der gewiß nicht hoch genug anzuschlagende Gewinn erreicht worden, daß von nun an für sämmtliche deutsch-österreichische Länder ein und dasselbe Strafgesetz Geltung besaß. Der Inhalt dieses Gesetzbuches aber entsprach den damals immer kräftiger sich bahnbrechenden milderen Anschauungen in gar keiner Weise. Die Verschärfung der Todesstrafe und die Art, in der sie eintrat, ließen das Urtheil und dessen Vollziehung nicht selten als wahre Grausamkeit erscheinen. Und ebenso war auch die Folter als rechtliches Zwangsmittel, einen stark verdächtigen, aber doch leugnenden Uebelthäter bei Abgang eines vollständigen Beweises zum Bekenntnisse zu bringen, beibehalten worden. Gerade damals war jedoch der althergebrachte Glaube an die Nothwendigkeit ihres Fortbestehens durch Beccaria’s unsterbliches Werk über die Verbrechen und deren Bestrafung aufs tiefste erschüttert worden; in Wien kämpften Martini und insbesondere Sonnenfels für Abschaffung der Folter. Einflußreiche Mitglieder des Staatsrathes schlossen sich ihnen an und auch Joseph ergriff für ihre Anschauung Partei, während M. T. von tausend Zweifeln bestürmt wurde. Ihr Herz sprach für Beseitigung der Tortur, ihre Aengstlichkeit für das Staatswohl ließ sie jedoch in einer solchen Maßregel vielfache Gefahr für die öffentliche Sicherheit erblicken. Ueberhaupt war in der Kaiserin die Abneigung gegen jede Neuerung damals schon so stark geworden, daß sie eigentlich die Beibehaltung der Folter ihrer Aufhebung vorgezogen hätte. Dennoch stellte sie die Entscheidung ihrem Sohne anheim, der sie jedoch gleichfalls nicht auf sich nahm. Eine eigene Commission zur Beurtheilung dieser Frage setzte er nieder; bei der Gleichheit der Stimmen ihrer Mitglieder gab endlich der oberste Kanzler Graf Blümegen den Ausschlag. Von der Kaiserin neuerdings um seine Meinung befragt, stimmte er der Ansicht Josephs bei, und am 2. Januar 1776 befahl endlich M. T. die Abschaffung der Folter.
In gar keiner Beziehung trat jedoch die Liebe der Kaiserin zu ihren Unterthanen und ihre Sorgfalt für deren Wohl unverkennbarer als in den Angelegenheiten der bäuerlichen Verhältnisse und der Regulirung der Stellung des Landmannes zu seinem Grundherrn hervor. Aufs schärfste mißbilligte M. T. die vielfache, [362] oft ganz unerträgliche Bedrückung der Bauern von Seite ihrer Dominien. Ihr kräftig zu steuern, war das Ziel ihrer eifrigsten Bemühungen, und durch die zu diesem Ende erlassenen Robotpatente wurde die Lage des Landmannes zwar wesentlich, aber doch nicht in dem Grade verbessert, wie M. T. es gewünscht hätte. Auch in Ungarn führte sie, und zwar aus eigener Machtvollkommenheit, ohne Zusammenberufung und Mitwirkung eines Landtages die Urbarialregulirung durch. Gern wäre sie noch einen Schritt weiter gegangen und hätte insbesondere in Böhmen die Leibeigenschaft gänzlich beseitigt. Aber merkwürdiger Weise stieß sie hiebei gerade dort, von wo später die Durchführung ausging, auf Widerstand. „Ich glaube daß“, schrieb M. T. zu der Zeit, in welcher aus Anlaß der Bedrückung der Bauern und ihrer Unzufriedenheit mit dem hinter ihrer Erwartung zurückbleibenden Inhalte des Robotpatentes nicht ganz unbedenkliche Unruhen in Böhmen entstanden waren, am 30. Januar 1777 an ihren Sohn Ferdinand, „wenn der Kaiser, ich sage nicht mich unterstützen, aber nur neutral bleiben wollte, ich noch an das Ziel kommen könnte, die Leibeigenschaft und die Frohnen abzuschaffen. Dann würde sich noch Alles beilegen lassen.“ Und zwei Wochen später kam M. T. auf diesen Gegenstand noch einmal zurück. „Unsere böhmischen Angelegenheiten“, schrieb sie jetzt, „bereiten mir viel Schmerz, und das um so mehr, als der Kaiser und ich über die zu ergreifenden Mittel nicht einig sind. Die Unterdrückung dieser armen Leute und die Tyrannei, unter der sie leiden, sind bekannt und bewiesen, man mußte also billigere Grundsätze feststellen. Ich war auf dem Punkte ihrer Durchführung, als plötzlich die Grundherren, zu denen, im Vorbeigehen gesagt, alle Minister gehören, den Kaiser wieder wankend zu machen wußten. Von einem Schritte zum anderen verstanden sie es, das ganze Werk von zwei Jahren zu vernichten. Ich wünsche daß die Mittel, zu denen man jetzt sich entschloß, ausreichend seien zur Wiederherstellung der Ruhe und des Gehorsams. Aber ich besorge, man werde zu Thätlichkeiten zu schreiten gezwungen sein; Menschen ohne alle Hoffnung haben nichts zu verlieren und sind zu fürchten. Ich wollte daß man ihnen zugleich mit der Forderung ihres Gehorsams Erleichterungen gewähre, aber man behauptet, das sei zu viel, da sie es jetzt nicht verdient hätten. Ich gebe das zu, aber die Noth kennt kein Gebot.“
Wenn die Kaiserin für Menschen, die zwar ihre Unterthanen, aber doch ihr persönlich fernstehend und gerade damals in gewaltthätiger Auflehnung gegen ihre Anordnungen begriffen waren, so viel Theilnahme und Fürsorge zeigte, so kann man hieraus den Grad der Liebe ermessen, die sie für die ihr Nächsten, für ihre zahlreichen Kinder empfand. Nichts glich der Umsicht, mit der sie persönlich die eingehendsten Instructionen für die Erzieher und die Erzieherinnen ihrer Söhne und Töchter entwarf, und die Verhaltungsvorschriften, die sie denjenigen ihrer Kinder ertheilte, die sich vermählten, werden auch heutzutage noch mit Bewunderung gelesen. Damit war jedoch ihre Sorgfalt für ihre von ihr scheidenden Kinder noch keineswegs erschöpft. Mit Allen unterhielt sie einen eifrig geführten Briefwechsel und für Alle war sie unermüdlich in Ertheilung von Rathschlägen, von Ermahnungen, ja man muß auch hinzufügen, von Vorwürfen, wenn sie dieselben verdienten. Am wenigsten blieben die fern von ihr Weilenden von den letzteren verschont. Doch war es bei Leopold, dem Großherzoge von Toscana, nur die erste Zeit nach seiner Uebersiedlung nach Florenz, während deren M. T. zum mindesten nach ihrer Auffassung Ursache zur Unzufriedenheit mit ihm besaß. In den letzten zehn Jahren ihres Lebens kam solches nicht mehr vor; er war vielmehr ein Mann des besonderen Vertrauens seiner Mutter geworden. Weniger bedeutend als Leopold war Ferdinand, Generalstatthalter von Mailand. Obwol sie gar vieles an ihm auszusetzen fand, war M. T. doch [363] diesem Sohne, durch seine ungewöhnliche Herzensgüte bestochen, und in nicht geringerem Maße seiner ausgezeichneten Gemahlin, der Erbprinzessin Maria Beatrix von Modena sehr gewogen. Von ihren nach dem Auslande und zwar an drei bourbonische Prinzen verheiratheten Töchtern liebte sie am meisten die Königin Caroline von Neapel, von der sie behauptete, daß sie ihr von allen ihren Kindern am ähnlichsten sei. In traurigem Gegensatze hierzu steht das Verhältniß der Kaiserin zur Infantin Amalie von Parma, die sich durch extravagantes Benehmen das Mißfallen ihrer Mutter zuzog, so daß M. T. zuletzt alle Verbindung mit ihr abbrach. Freilich gelang es allmählich die Kaiserin wenigstens äußerlich mit dieser Tochter wieder zu versöhnen; innige Beziehungen kamen jedoch zwischen ihnen nicht mehr zu Stande und die Infantin blieb ihrer Mutter fortan mehr als irgend ein anderes ihrer Kinder entfremdet.
Ungleich größere Beachtung verdient natürlicher Weise das Verhältniß der Kaiserin zu ihrer jüngsten Tochter Marie Antoinette. Weit mehr noch als bei der Verheirathung der älteren Erzherzoginnen verfolgte M. T. politische Zwecke von höchster Bedeutung, als sie diese Erzherzogin mit dem Dauphin vermählte. Und es war wol ein ganz eigenthümliches Ineinanderfließen unablässiger Beachtung dieser politischen Zwecke und mütterlicher Liebe, wenn die Kaiserin dem Auftreten ihrer Tochter am französischen Hofe, ihrer Haltung an demselben und jedem ihrer Schritte mit gespannter Aufmerksamkeit zusah, wenn sie geradezu unerschöpflich war in Rathschlägen, in Befehlen, ja in Zurechtweisungen, zu denen das nicht immer lobenswerthe Verhalten der Dauphine vielfache Veranlassung gab. Alles das steigerte sich, seit Marie Antoinette Königin geworden, in fast unglaublichem Maße. Aber man weiß nicht, worüber man mehr erstaunen soll, über die Leichtfertigkeit, mit welcher die junge Fürstin, ohne sich jemals eines schweren Vergehens schuldig zu machen, doch den äußeren Schein mißachtete, ihren Gemahl vernachlässigte, der Günstlingswirthschaft immer freieren Spielraum gewährte, in rastlosem Jagen nach Vergnügungen der glänzendsten und daher auch der kostspieligsten Art in Schulden gerieth und jede ernstere Beschäftigung sorgfältig mied, oder über die Strenge, mit der ihre Mutter sie zu tadeln und, allerdings erfolglos, zurecht zu weisen fortfuhr, als ob sie nicht eine Königin, sondern noch immer die kleine Prinzessin vor sich habe, die sich in Wien und Schönbrunn so sehr vor ihrer mütterlichen Strenge gefürchtet. Darum versetzte auch die gänzliche Fruchtlosigkeit ihrer Ereiferung die Kaiserin zuweilen in die bitterste Stimmung wider ihre Tochter. Aber dieselbe wurde doch dadurch wieder besänftigt, daß M. T., wenn sie auch Ursache hatte mit der persönlichen Haltung der Königin unzufrieden zu sein, die politischen Dienste, die sie ihr leistete, durchaus nicht gering anschlagen durfte. Mit einer Treue, einer Hingebung ohne Gleichen wirkte Marie Antoinette in Frankreich für ihre Mutter, ihr Haus und ihr Vaterland Oesterreich. In wahrhaft entscheidendem Maße gab sich dies während des Krieges über die Erbfolge in Baiern und auch noch später kund, als es darum sich handelte, dem Erzherzoge Maximilian den Kurhut von Köln und die Nachfolge im Bisthum Münster zu sichern. Ja so weit ging die Königin in der Vertheidigung der österreichischen Interessen, und es ist dies ein Vorwurf, der ihrer Mutter, die sie hiezu antrieb, nicht ganz erspart werden kann, daß sie hiedurch selbst Veranlassung gab zu mancherlei Anschuldigungen, welche, wenngleich nicht hinreichend begründet, doch darum nicht weniger verhängnißvoll für sie wurden.
Von den Töchtern der Kaiserin, die bei ihr in Oesterreich blieben, stand ihr wol die Erzherzogin Marie Christine am nächsten. Es beglückte M. T., daß während sie bei der Verheirathung von drei Töchtern sich zunächst durch politische Beweggründe leiten lassen mußte, sie wenigstens eine derselben nach ihrem Herzen [364] vermählen konnte. In der überaus glücklichen Verbindung der Erzherzogin Marie Christine mit dem Prinzen Albert von Sachsen-Teschen (s. Bd. I S. 319) glaubte die Kaiserin eine Erneuerung ihrer eigenen Ehe erblicken zu dürfen. Je weniger Prinz Albert mit Glücksgütern gesegnet war, um so freigebiger erwies sich M. T. gegen ihn und seine Gemahlin. Immer mehr erwarb sich die Letztere die Stellung einer vertrauten Freundin ihrer Mutter, und man wird wol sagen dürfen, daß in dem Augenblicke, in welchem M. T. starb, Niemand in ihrem Herzen einen so bevorzugten Platz einnahm als ihre Tochter Marie Christine.
Als einen sehr schweren Schlag empfand es daher auch M. T., als durch den Tod ihres Schwagers, des Prinzen Karl von Lothringen, der Augenblick näher gerückt wurde, in welchem Marie Christine und ihr Gemahl das ihnen bei ihrer Vermählung zugesicherte Generalgouvernement der österreichischen Niederlande antreten sollten. Eifrig war sie bemüht, die Abreise ihrer Tochter nach Brüssel soweit hinauszuschieben als nur immer möglich, und es freute sie, daß sich ihre Wünsche mit denen des Kaisers begegneten, der freilich aus ganz anderen Gründen das Eintreffen seiner Schwester und seines Schwagers in den Niederlanden gleichfalls verzögern wollte. Denn er trug sich mit der Einführung weitgehender Reformen daselbst, während M. T. hiegegen lebhafte Einsprache erhob. Die Niederlande seien ja, schrieb sie ihrem Sohne, das einzige glückliche Land unter österreichischem Scepter, das noch überdies immer eine reichliche Hülfsquelle dargeboten habe. „Du weißt“, fuhr die Kaiserin wörtlich fort, „wie versessen dieses Volk auf seine alten, ja selbst lächerlichen Privilegien, wie gehorsam und anhänglich es dagegen andererseits ist und um wie viel mehr Abgaben es entrichtet als unsere ausgesaugten und unzufriedenen deutschen Erbländer. Was will man noch mehr verlangen? Bei der weiten Entfernung und der gänzlichen Trennung dieser Provinz von der übrigen Monarchie, bei dem Umstande, daß sie von ansehnlichen Nachbarn umringt ist, muß dem dortigen Statthalter seine ganze Machtvollkommenheit ungeschmälert bleiben. Man hat ohnedies schon zu viel an ihr gemäkelt und sie ist nur mehr ein Schatten dessen, was sie früher gewesen.“
Während M. T. in solcher Weise für die Aufrechthaltung der Gerechtsame des ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohne bestimmten Postens in den Niederlanden stritt, konnte sie nicht wissen, daß sie den gefürchteten Tag, der sie ihres Lieblingsumganges berauben sollte, nicht mehr erleben werde. Aber sie ahnte nicht nur, sondern sprach es auch unverhohlen aus, es werde nicht lang mehr mit ihr dauern. Am 15. October 1780 machte sie ihr Testament, und es ist wol charakteristisch für sie, daß darin neben reichlichen Spenden für die Armen die Auszahlung einer Monatsgage an die Armee angeordnet wurde. In dem Augenblicke jedoch, in welchem M. T. diese letztwilligen Verfügungen traf, wußte Niemand von ihnen, und keiner hätte den Vollzug derselben schon so nahe geglaubt. Noch am 8. November wohnte die Kaiserin, allerdings nur als Zuseherin, einer Jagd auf Fasanen in Schönbrunn bei, und dort scheint sie sich bei strömendem Regen eine Erkältung zugezogen zu haben. Jedoch erst am 20. November nahm ihre Erkrankung eine ernstere Gestalt an. Am 25. empfing sie das Altarssacrament, in der Nacht vom 26. auf den 27. schrieb sie rührende Abschiedsworte an ihren Sohn Leopold und dessen von ihr hochgeschätzte Gemahlin, am frühesten Morgen des 28. aber wurde ihr die letzte Oelung gereicht, dann nahm sie in ergreifender Weise Abschied von ihren Kindern. Noch brachte sie mit eigener Hand einige Vermächtnisse zu Papier, unter denen eines von 100,000 Gulden für den Normalschulfonds wohl bezeichnend genug für sie und für ihre Denkungsweise ist. Am Spätabende des 29. November 1780 starb sie, erst 63 Jahre alt, die letzte und gewiß die größte Habsburgerin, die jemals gelebt [365] hat. Eine echt deutsche Frau war sie in der schönsten Bedeutung dieses Wortes, die sich ihrer deutschen Abstammung und Nationalität jederzeit rühmte und darauf drang, daß sie auch bei ihren in der Fremde lebenden Kindern forterhalten bleibe. Bewundernswerth als Gattin und als Mutter, weit bewundernswerther noch als Oberhaupt eines aus losen Bestandtheilen zusammengesetzten Staates, den sie mit kraftvoller Hand umschuf zu einem festgefügten Ganzen, hat sie ihm für alle Zukunft die Bahn vorgezeichnet, der er unentwegt folgen sollte zum eigenen Gedeihen und zum Heile seiner Völker.