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ADB:Schleinitz, Wilhelm Freiherr von

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Artikel „Schleinitz, Wilhelm Freiherr von“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 459–462, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schleinitz,_Wilhelm_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 12. November 2024, 09:21 Uhr UTC)
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Schleinitz: Wilhelm (Johannes Heinrich Karl) Freiherr v. S. wurde als ältester Sohn am 4. Juni 1794 zu Blankenburg am Harz geboren, wo sein Vater Wilhelm Karl Ferdinand Freiherr v. S. als Rath und seit 15. Januar 1798 als Präsident der Regierung des selbständig verwalteten braunschweigischen Fürstenthums Blankenburg angestellt war. Seine Mutter war eine österreichische Katholikin, Barbara v. Hochstetter, die v. S. als braunschw. Ministerresident in Wien kennen gelernt und am 21. Mai 1789 geheirathet hatte. Der Sohn besuchte anfangs die Stadtschule zu Blankenburg, dann, als sein Vater in der westfälischen Zeit als Präsident des Criminaltribunals des Saaledepartements nach Halberstadt versetzt war, seit April 1808 das dortige Domgymnasium, das er Ostern 1812 nach „musterhaft“ bestandener Reifeprüfung verließ, um sich in Göttingen der Rechtswissenschaft zu widmen. Seine Studien erlitten hier eine längere Unterbrechung, da er im November 1813 als Freiwilliger in das braunschweigische Truppencorps trat. Schon am 15. Januar 1814 zum Fähnrich, am 8. April zum Lieutenant ernannt, machte er den Feldzug nach Brabant und im folgenden Jahre die Schlacht bei Waterloo mit. Am 6. Februar 1816 [460] seinem Gesuche gemäß auf Wartegeld gesetzt, nahm er seine juristischen Studien in Göttingen wieder auf. Zu seinem Freundeskreise gehörte hier u. a. Ernst Schulze, der Dichter der „bezauberten Rose“, den er mit einem anderen Freunde, Namens Reck, in der schweren Krankheit, die seinem Tode (29. Juni 1817) vorherging, in aufopferungsvollster Weise monatelang verpflegte. Im Juni 1818 wurde ihm für die Lösung einer von der juristischen Facultät zu Göttingen gestellten Aufgabe der Preis ertheilt. In die Heimath zurückgekehrt wurde er am 18. August 1818 zum Assessor bei dem Landesgerichte zu Wolfenbüttel ernannt. Sein Vater war inzwischen Mitglied des Ministeriums in Braunschweig geworden, siedelte nach einer zeitweisen Pensionirung (1827) aber 1830 zunächst als Präsident des Consistoriums, dann (1831) auch des Oberappellationsgerichts nach Wolfenbüttel über, wo er am 12. Februar 1837 gestorben ist; die Mutter war schon am 2. October 1819 verschieden. Im September 1823 wurde v. S. auf die Wahl der ersten Section der Stände des Herzogthums zum Hofrathe, d. h. ordentlichem Mitgliede des Landesgerichts ernannt. Der Ruf, den er durch seine Kenntnisse und Fähigkeiten, seinen Fleiß und Pflichteifer in diesem Wirkungskreise sich erworben hatte, war so bedeutend, das Vertrauen, das man in seinen Charakter setzte, so allgemein, daß es mit allseitiger Freude begrüßt wurde, als nach der Vertreibung Herzog Karl’s dessen Bruder, Herzog Wilhelm, ihn auf Vorschlag des Stadtdirectors Bode in seine Nähe zog. Nach den schweren, unruhigen Zeiten, die vorher gegangen waren, hielt man ihn für den richtigen Mann, die vielfach verworrenen Verhältnisse des Staates neu zu ordnen und alles in das richtige Gleis zu bringen. Er hat dieses Zutrauen nicht getäuscht. Denn ihm ist es in erster Linie zu verdanken, daß Ruhe und Ordnung schnell in das Staatsleben zurückkehrten, daß dieses in der Folge sich so frisch und frei entwickelte und das ganze Land einen so kräftigen Aufschwung nahm, wie man es früher kaum für möglich gehalten hätte. Von Anfang an war v. S. die Seele des herzoglichen Staatsministeriums. Am 11. September 1830 trat er in dasselbe als consultatives Mitglied ein, bald darauf (12. October) ward er Ministerialrath und erhielt die Verwaltung der Justiz und der auswärtigen Angelegenheiten. Letzteres Fach vertauschte er jedoch bald mit dem des Innern. Am 1. Juni 1831 erhielt er den Titel eines Geheimenraths, am 1. Januar 1843 den eines Staatsministers. Was v. Schleinitz’s Staatsverwaltung vor allem charakterisirt, war ein besonnener, geregelter Fortschritt zum Besseren. Er erkannte klar die Gebrechen, die dem Staatswesen anhafteten und suchte zunächst hier den neuen Zeitverhältnissen gemäß Wandel zu schaffen. So hielt man die bisherige Verfassung allgemein für nicht mehr der Zeit entsprechend. Um eine Revision derselben vorzunehmen, wurde ständischerseits eine Commission gewählt, der die Hofräthe Bruns und Hettling und der Stadtdirector Bode angehörten. Man sah bald ein, daß mit Umänderungen nicht auszukommen war und daß z. B. das Grundgesetz ganz neu entworfen werden mußte. Dies geschah in gemeinsamer Berathung mit dem Ministerium, insbesondere unter v. Schleinitz’s thätiger und einsichtsvoller Theilnahme. So ist die neue Landschaftsordnung vom 12. October 1832 entstanden, ein Landesgrundgesetz, das auch außerhalb des Herzogthums als eine That gesunden Fortschritts gerechten Beifall fand und, noch heute in Geltung, sich auf das beste bewährte. Um sodann Ordnung in den Staatshaushalt zu bringen, wurde das Verhältniß des Landesherrn zu den Domänen durch den Finanznebenvertrag vom 12. October 1832 fest geregelt, nach dem der Fürst eine bestimmte Civilliste erhielt, die übrigen Auskünfte jener Güter aber zum Staatshaushalte verwandt wurden. Es würde zu weit führen, alle Gesetze hier einzeln anzugeben, welche den Grund zu den sicheren politischen Verhältnissen, dem Wohlstande und dem Wohlbefinden des Herzogthums legten. [461] An allem war v. S. betheiligt; nichts geschah ohne seine Zustimmung. Ganz besonders aber muß man als sein Werk, und zwar als ein solches von mustergiltiger Eigenart, alles das ansehen, was auf dem Gebiete der Justizorganisation geschah. Hierher gehört insbesondere das Criminalgesetzbuch vom 10. Juli 1840, an dessen Abfassung der damalige Hofrath Ferd. Breymann hervorragend betheiligt war und das von berufenen Fachleuten als eines der vorzüglichsten seiner Art bezeichnet worden ist. Dem schlossen sich später in würdiger Weise die Strafproceß-Ordnung vom 22. August 1849 und die bewährte Civilproceß-Ordnung vom 19. März 1850 an. v. Schleinitz’s Thätigkeit als Justizminister fand allgemeine Anerkennung und schien über jeden Tadel erhaben. Wurde sein Wirken als Minister des Innern nicht ganz so günstig beurtheilt, gab man ihm hier Schuld, daß diese Geschäfte ihn weit weniger ansprächen als jene, daß er hier Männern zu freie Hand ließe, die man, wie v. Koch und Pini, nicht ganz ohne Mißtrauen in seiner Nähe sah: so waren doch auch hier die grundlegenden Gesetze wohl bedacht und von wohlthätigster Wirkung. Er hatte vor allem sein Augenmerk darauf gerichtet, die wirthschaftlichen Kräfte zumal der ländlichen Bevölkerung zu entwickeln und zu dem Ende die noch vorhandenen störenden Reste der Feudalherrschaft zu beseitigen. Dahin zielten die Ablösungs- und die Gemeinheitstheilungs-Ordnung, deren Entwurf von v. Thielau herrührte, das Gesetz über die Allodification der Lehen u. s. w. v. S. zog sich durch diese Maßregel den Haß des feudal gesinnten Adels zu, der ihn gern aus seiner einflußreichen Stellung entfernt hätte. Man suchte durch Denkschriften, durch Mittelsleute in Berlin auf den Herzog zu wirken. Doch vergeblich; der Fürst lehnte die im Standesinteresse gestellten Anliegen der Ritterschaft ab. Ueberhaupt hatte v. S. an dem Herzoge Wilhelm, der streng gerecht war, stets die Landesinteressen in den Vordergrund stellte und niemals den Hofkreisen irgend welchen Einfluß auf die Staatsleitung gestattete, einen festen Rückhalt, dem er im Bewußtsein seiner guten Sache fest vertrauen konnte. Mochte die Politik v. Schleinitz’s dem Fürsten auch mitunter unbequem sein: er hat den Werth seiner Rathschläge stets erkannt und voll gewürdigt. Unter v. Schleinitz’s Leitung sind ferner die Städteordnung und später die Landgemeinde-Ordnung entstanden, die den einzelnen Gemeinwesen ein so großes Maaß von eigener Verwaltung gaben, wie es in den meisten anderen Staaten damals fast unerhört erschien. Nehmen wir nun noch hinzu, daß Handel und Wandel durch Anlage von vorzüglichen Straßen und von Eisenbahnen, die zu den ersten in Deutschland gehören, kräftige Förderung erfuhr, daß die Glaubensfreiheit hier eine gesicherte Stätte besaß, daß das Streben der deutschen Staaten nach Einigung zu einem kräftigen Ganzen nur Unterstützung fand, so dürfen wir wohl sagen, daß kaum in einem anderen deutschen Staate den Forderungen der Neuzeit in höherem Grade entsprochen worden sei, als in Braunschweig. So nimmt es denn auch nicht Wunder, daß es v. S. verstand, das Land durch die Wirren der Revolutionszeit sicher und ohne tiefgehende Erschütterungen hindurchzuführen, daß er der einzige Minister in Deutschland war, der im J. 1848 seine Stellung behauptete. Mochte ihm auch mancher aristokratisch-bureaukratischen Sinn vorwerfen, mochte seine Energie sich auch gelegentlich zur Herrschsucht steigern, die keinen Widerspruch vertrug, wie bei der Strafversetzung v. Geyso’s und v. Thielau’s sich zeigte: seine gute Absicht, seine Geschäftskenntniß und staatsmännischen Fähigkeiten mußten auch die Gegner anerkennen, die niemand besaßen, den sie an seine Stelle hätten setzen können. Dabei verstand es v. S. vorzüglich, unzeitige Conflicte zu vermeiden. Niemals gefährdete er seine amtliche Autorität in unwesentlichen Dingen; mit um so größerem Ernste trat er aber in wichtigen Angelegenheiten für seine Ansicht ein. Als 1848 der Minister Graf v. Veltheim, dessen ehrlich aristokratischer Sinn sich in die neue [462] Zeit und ihre Forderungen nicht mehr finden konnte, zurücktrat, übernahm v. S. wieder das Ministerium des Aeußeren, neben dem er seit 1851 das Departement der Militärangelegenheiten besorgte, und gab das Ministerium des Innern an Langerfeldt (s. A. D. B. XVII, 680) ab, der ganz in seinem Geiste die Geschäfte führte und die schon erwähnte Landgemeinde-Ordnung vollendete. Die gleiche Selbständigkeit und ruhige Mäßigung, die v. S. stets auszeichneten, bewahrte er auch in der Zeit der Reaction. Auch hier verließ er die sicheren Bahnen nicht, die er von jeher eingeschlagen hatte und ersparte dem Lande zahlreiche Kämpfe, die anderwärts nutzlos die Geister erregten und die Kräfte wichtigeren Aufgaben entzogen. Was man in der Gesetzgebung dieser Zeit als Rückschritt bezeichnen kann, waren Zugeständnisse, die der Minister des kleinen Landes den großen Nachbarstaaten, insbesondere Preußen, nach Lage der Sache machen mußte, wie er denn überhaupt in den Beziehungen zu den fremden Regierungen durch vorsichtige Klugheit, die aber stets würdig und frei von Schwäche war, alle Conflicte meist mit Glück zu vermeiden wußte. Allgemeine Theilnahme fand am 1. Juni 1856 die Feier seiner 25jährigen ununterbrochenen Ministerthätigkeit, ein damals in Deutschland einziges Ereigniß, und ebenso allgemein war die Trauer, als bald nachher, am 3. November 1856, ein Nervenschlag seinem thatenreichen Leben ein Ende machte. Neben seinen staatsmännischen Verdiensten pries man seine humane Gesinnung, die in gründlicher Bildung wurzelte, seine Liebe für die Kunst, die er selbst auf der Violine bis in das Alter ausübte und durch Förderung aller ihr gewidmeten Bestrebungen kräftig unterstützte. Verheirathet war v. S. seit dem 12. März 1824 mit Charlotte v. Schrader, einer Tochter des Oberappellationsraths v. Schrader in Wolfenbüttel, die am 7. October 1802 geboren, in hohem Alter am 20. November 1884 gestorben ist. Ihn überlebten vier Söhne und drei Töchter, von denen eine, Helene, an den preußischen Geh. Legationsrath v. Kamptz, eine andere, Charlotte, seit dem 12. März 1856 an den braunschweigischen Geheimrath August v. Geyso verheirathet war, der am 27. November 1861 gestorben ist. Jüngere Brüder v. Schleinitz’s waren Julius Freiherr v. S., der am 24. December 1865 als Regierungspräsident zu Trier, und Alexander Freiherr v. S., der am 19. Februar 1885 als preußischer Hausminister gestorben ist.